Donnerstag, 15. Dezember 2022

Reza - Der Gott des Gemetzels, 14.12.2022

Wer erinnert sich an die letzte rasante Komödie?
Das Leichte ist bekanntlich das Schwere, und am Karlsruher Schauspiel fand sich über ein Jahrzehnt kein Schauspieldirektor, der sich traute, eine richtige Komödie zu stemmen. Auch Anna Bergmann weigerte sich vier Spielzeiten lang und erarbeitete sich lieber den eher moralinsauren Ruf, daß an einem deutschen Staatstheater nicht gelacht werden darf. Nun, in Bergmanns fünfter Spielzeit und zum ersten Mal seit Knut Webers Schauspieldirektion, ist es geschafft: mehrere Zuschauer lachten gleichzeitig, und das auch noch öfters! Und die vier Schauspieler dürfen auftrumpfen wie zu besten Zeiten!  Nach langen Jahren der Humorlosigkeit am Karlsruher Schauspiel ist diese Inszenierung ein entschiedener Fortschritt.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Wagner - Der fliegende Holländer, 10.12.2022

Thema verfehlt
oder
Das Märtyrermärchen als Außenseitertragödchen
Richard Wagner gilt als der Erfinder der Schwertransporte, seine Opern schicken ganze Lastzüge in Richtung Erlösung. Doch was ist diese Erlösung? Wer sich ihrer annimmt, muß dem musikalischen Charakter des Schwertransports entsprechen oder es droht, am Läppischen zu scheitern. Letzteres geschah gestern. Wie bereits vor drei Wochen bei Giselle im Ballett weiß man mit dem Romantik-Element im Geschehen nichts anzufangen, ersetzt Transzendenz durch Immanenz und Geheimnis durch Lappalie. Das sich ergebende szenische Ergebnis ist ungewöhnlich reizlos und belanglos. Für eine banale Inszenierung ohne Triftigkeit erhielt die Regie verdientermaßen Ablehnung und Buh-Rufe, doch auch musikalisch und sängerisch war die gestrige Holländer-Premiere nicht zufriedenstellend.

Dienstag, 29. November 2022

Glückwunsch an Dr. Kehrmann

Wer aus dem Umfeld des Badischen Staatstheaters in die Verleihung des Deutschen Theaterpreises 2022 geschaut hat, der wird es mitten in der Sendung bemerkt haben. Da stand plötzlich der frühere Karlsruher Operndramaturg Dr. Boris Kehrmann auf der Bühne, auf der er zusammen mit Walter Sutcliffe, dem Intendanten der Oper Halle, den FAUST-Perspektivpreis für die Produktion der 1901 an der Semperoper Dresden uraufgeführten und dann in Deutschland über ein Jahrhundert in Vergessenheit geratenen Oper Manru des polnischen Komponisten, Klaviervirtuosen und Politikers Ignacy Jan Paderewski entgegennahm. Zu der Ausgrabung dieser Oper schrieb Dr. Kehrmann nicht nur ein sorgfältig recherchiertes Programmheft, sondern organisierte auch ein Rahmenprogramm und ein Symposion. Herzlichen Glückwunsch nach Halle!

Dienstag, 22. November 2022

3. Symphoniekonzert, 21.11.2022

Musik, die 1761, 1800 und 2004 uraufgeführt wurde, stand im Mittelpunkt des 3. Symphoniekonzerts, darunter zwei Frühwerke und drei eher seltener zu hörende Stücke.

Sonntag, 20. November 2022

Giselle (Ballett), 19.11.2022

Irgendwie Giselle
Mit dem Ballett Giselle und in drei Wochen dem Fliegenden Holländer in der Oper zeigt das Badische Staatstheater in diesem Winter kernromantisches Repertoire um Schuld, Tod und übersinnliche Phänomene. David Dawson choreographierte diese Giselle 2008 für das Ballett der Semperoper in Dresden, 2014 ließ Bridget Breiner als damalige Ballettdirektorin des Theater im Revier Dawsons Giselle in Gelsenkirchen einstudieren und tanzte auch noch selber die Titelfigur. Gestern war nun die Karlsruher Premiere, die mit viel Applaus für die Tänzer belohnt wurde, doch die Freude war getrübt. Die enttäuschende Produktion interpretiert die Handlung reduziert und abstrahiert jenseits der romantischen Schauergeschichte und wirkt zwar irgendwie wie Giselle, aber mit wenig dramatischer und atmosphärischer Überzeugungskraft.

Sonntag, 6. November 2022

Brecht - Das Leben des Galilei, 05.11.2022

Gelungene Fassadenkunst
Das Leben des Galilei wird Abiturthema und deshalb fand die Wissenschaftlerparabel ihren Weg ins Karlsruher Schauspielprogramm. Brechts Schullektürenklassiker handelt von der Verantwortung des Wissenschaftlers, von privater Opposition und öffentlicher Zurückhaltung in Zeiten der Unterdrückung, konkret erzählt am Beispiel des Galileo Galilei (*1564 1642), der 1633 als alter Mann mehrere Wochen in Haft kam, mehrfach verhört wurde und unter Androhung von Folter durch die Inquisition seine Forschungsergebnisse zur kopernikanischen Lehre widerrief. Die lebenslange Haft wandelte der Papst in Hausarrest um, dem Galilei bis an sein Lebensende unterlag. 
Die neue Inszenierung des Karlsruher Schauspiels hat die Zielgruppe fest im Blick, man versucht, den Anreiz, aufs Smartphone zu schauen, möglichst gering zu halten. Der Regisseur kümmert sich nicht um Brechts gediegene Rhetorik, seine geschliffenen Dialoge oder eine tiefere Bedeutung des Stücks. Er kürzt vielmehr den Text auf zwei pausenlose Stunden, reduziert Konflikte und lockert ihn stattdessen mit Klamauk und viel musikalischer Untermalung zu einen kurzweiligen Schaustück auf, das an eine Commedia dell' arte mit holzschnittartigen Charakteren erinnert. Was sonst oft schief geht, funktioniert hier gut: der Text wird zwar entkernt, gehaltvolle Konflikte ins Zweidimensionale reduziert oder ganz gestrichen und jegliche über sich hinausweisenden Zeitbezüge vermieden, die übrig gebliebene Fassade wird dabei allerdings unterhaltsam aufbereitet, die Premiere wurde durch die Spielfreude aller beteiligten Schauspieler zum Erfolg geführt. 

Sonntag, 30. Oktober 2022

Tschechow - Iwanow, 29.10.2022

Reizloser Anti-Tschechow
Gestern startete umbaubedingt verspätet die Schauspielsaison. Das ehemalige Foyer mit Kassenbereich sowie Garderobe und früherer Vorraum und Treppe des Kleinen Hauses sowie der Gastronomiebereich sind abgerissen, das Kleine Haus ist nur noch über einen Sonderzugang betretbar, der die Zuschauer über die Bühne zu den Sitzen führt. Das war aber auch schon der interessanteste  Aspekt am gestrigen Premierenabend, denn Schauspieldirektorin Anna Bergmann konnte als Regisseurin nicht nur nicht an vergangenes Niveau anknüpfen, ihre Inszenierung von Tschechows selten gespieltem frühen Theaterstück Iwanow landet schnell in einer engen Sackgasse. Wer sich auf Tschechow freut, sollte seine Erwartungshaltung nach unten korrigieren, die Regisseurin verändert Konstellationen und Text und sucht unbeholfen nach einem neuen Ansatz. Sie  montiert ihre Verfremdungen zu einem wenig gelungenen Pseudo-Drama, das Unglück behauptet ohne dramatisch zu sein. Tschechow ist der große Meister der Vermenschlichung, Bergmann hingegen entmenschlicht viele Figuren und läßt sie die ersten zwei Akte als kalauernde Hampelmänner*innen agieren. Wo Tschechow ein farbiges Beziehungsgeflecht webt, entwertet Bergmann die Geschichte zu einer monotonen Düsterkeit. Insbesondere Tschechows Komik und Tonfall gehen verloren, fehlender Sinn für Humor ist seit Jahren das große Defizit der Regisseurin. Dazu hat man mit Sarah Sandeh noch eine Schauspielerin, die der in dieser Inszenierung weiblichen Titelfigur weder ein Gesicht noch Erinnerungswert verleihen kann. Kurz: enttäuschende Stunden, die man sinnvoller verbringen kann als mit diesem öden Iwanow.

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Ein Sturm im Wasserglas(?)

Ein wenig amüsiert kann man aktuell die Beißreflexe beobachten, die der designierte Intendant Christian Firmbach anscheinend damit auslöste, über einen neuen Generalmusikdirektor ab 2024 nachzudenken. Das Orchester bestimmt selber, wer es leitet, inzwischen sollen sich 85% der Musiker für eine Verlängerung von GMD Georg Fritzsch über 2024 hinaus ausgesprochen haben. Gut so. Thema erledigt. Mit einer klaren Kommunikation sollte man das Mißverständnis zwischen Orchester und neuem Intendanten schnell aus der Welt schaffen können. Wieso wurde es nun publik? 

Dienstag, 25. Oktober 2022

2. Symphoniekonzert, 24.10.2022

Spannende Künstler, imposante Werke, schon im Vorfeld konnte man mit Vorfreude dieses Konzert erwarten, das das Glücksversprechen einlöste.

Dienstag, 20. September 2022

1. Symphoniekonzert, 19.09.2022

Pfade in die Natur und Wege ins Paradies
Gustav Mahler (*1860 †1911) und Jean Sibelius (*1865 †1957) waren Zeitgenossen, 1907 lernten sich beide anläßlich einer Konzertreise Mahlers nach Finnland kennen. Mahler starb zu früh, Sibelius verstummte zu früh und komponierte die letzten 25 Jahre seines Lebens kein weiteres Stück. Gestern erklangen zwei Werke, die im Abstand weniger Jahre entstanden, und ganz unterschiedliche Wege begehen: Sibelius' Violinkonzert (UA1904) und Mahlers 4. Symphonie (UA 1901).

Donnerstag, 1. September 2022

Vorschau auf die Spielzeit 2022/2023

In Jahren der Entwöhnung
Die Medien berichteten Ende Juli über eine Statistik, die der Deutsche Bühnenverein mit Hilfe von 427 Theatern in den drei großen deutschsprachigen Ländern erstellt hatte. Im Vergleich zur letzten Saison vor Corona und Virusepidemie (2018/19) sei in der Folge die Anzahl der Aufführungen um 70% (auf 22700) und die der Zuschauer um 86% (auf 2,54 Millionen) gesunken. Die Rückkehr des Publikums in der warmen Jahreszeit scheint ebenfalls verhalten, es blieb deutlich leerer als zuvor. Und die schwierigen Zeiten sind noch lange nicht vorbei. Der kommende Winter kann neue Infektionswellen bringen, Energiekrise, horrende Inflation und Politikversagen bringen weitere Komplikationen. Doch selbst dann, wenn nun Virus, Krise und Krieg überwunden wären, hätte das Programm der kommenden Spielzeit am Badischen Staatstheater wenig jauchzende Vorfreude ausgelöst. So verdienstvoll der Einsatz von Ulrich Peters als Interimsintendant zur internen Befriedung auch ist, es benötigt gegenüber dem Publikum mehr Engagement, insbesondere neue Ansätze und neue Gesichter in den beiden großen Sparten Oper und Schauspiel. Doch diese wird es wohl frühestens 2024 mit der neuen Intendanz von Christian Firmbach geben, und wenn man dem designierten Intendanten etwas ans Herzen legen wollte, dann viele neue Gesichter und Ideen sowie unbedingt eine Abwendung vom Klienteltheater und eine Entkrampfung und Entideologisierung durch Rückkehr zum Qualitätsprinzip ohne erhobenen Zeigefinger. Zeitgleich zur äußeren Krise befindet man sich am Karlsruher Staatstheater in einer Übergangszeit und im Umbau, immerhin die innere Krise scheint überwunden, doch noch immer sieht man Personal, das einen unguten Beigeschmack auslöst und an das dunkle Jahrzehnt erinnert. Es gibt zu viele Faktoren, die aktuell nicht gerade enthusiasmusfördernd sind. Es werden nicht wenige sein, die für die kommenden zwei Jahre einen Übergang der Hemmungen und Stockungen erwarten und weitere verlorene bzw. vertane Jahre befürchten. Die Frage wird sein, ob man der Grauheit dieser Stimmung auf der Bühne Paroli bieten kann, also zur quasi klassischen Aufgabe der Bühne erfolgreich zurückkehren wird.

Montag, 15. August 2022

Nachwehen: Der letzte Generalintendant und das Versagen der Kulturpolitik

Journalist Andreas Jüttner von den BNN (mehr hier) hielt sich lange Jahre mit Kritik am Badischen Staatstheater und dessen damaligen Generalintendanten zurück.  2020 berichtete er dann über den Abgang des beliebten Dramaturgen Dr. Boris Kehrmann (mehr hier) und deren Ursache und brachte in respektabler journalistischer Weise den Stein ins Rollen (mehr hier), der zur Neuaufstellung des Badischen Staatstheaters führte. Das Thema und insbesondere die Verstrickungen der Kulturpolitik lassen Jüttner zum Glück keine Ruhe. Nach Folgeartikeln in den BNN hat der Journalist nun auch für das Theaterportal Nachtkritik einen Artikel darüber verfaßt, wie sich eine gescheiterte Kulturpolitik aus der Affäre herauszuwinden sucht. Der Artikel findet sich hier: https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=21301:karlsruhe-wie-sich-die-kulturpolitik-aus-der-causa-spuhler-am-badischen-staatstheater-herauszuwinden-sucht&catid=101&Itemid=84

Freitag, 29. Juli 2022

Zur Opernvielfalt bei Christian Firmbach

Christian Firmbach, der designierte Intendant des Badischen  Staatstheaters ab 2024, ist seit 2014 in Oldenburg als Generalintendant mit Schwerpunkt Oper tätig. Ein Blick auf die dortige Programmauswahl nötigt Respekt ab. Einen Ring des Nibelungen hat man auch in Oldenburg (und zwar zum ersten Mal!) gestemmt (Matthias Wohlbrecht sang als Gast den Mime) und vor allem konnte man dort in der Oper in den vergangenen Jahren sehr schöne Raritäten entdecken. Auf dem youtube-Kanal des Oldenburgischen Staatstheaters sind einige Vorschauen verfügbar (und zwar hier)

Es gab also in den vergangenen Jahren in Oldenburg spannende Ausgrabungen, bspw.
Rameaus Les Boréades in deutscher Erstinszenierung (mehr hier) und Les Paladins (mehr hier)
Cristina, regina di Svezia von Jacopo Foroni (mehr hier)
Hasses Siroe (mehr hier)
Boildieus La Dame Blanche (mehr hier)

Aber auch Opern des 20. Jahrhunderts wie
Jake Heggies Dead Man Walking (mehr hier)
Philip Glass' Satyagraha (mehr hier)
Weinbergs Der Idiot (mehr hier)

Die Vorfreude wächst, Firmbach bringt den erforderlichen Mut mit, die Oper wieder breiter aufzustellen.

Donnerstag, 28. Juli 2022

Neuer Intendant ab der Spielzeit 2024/25 gewählt

Allem Anfang liegt eine Zauber inne, denn er gibt Anlaß zur Hoffnung
Der Verwaltungsrat des Badischen Staatstheaters hatte im Frühjahr bereits angekündigt, nach der Sommerpause den neuen Intendanten zu wählen. Anscheinend hatte die eingesetzte Findungskommission schnell zwei potentielle Kandidaten in der engeren Auswahl und der Verwaltungsrat stand vor der Entscheidung, ob die Suche im Sommer noch ausgeweitet werden soll. Doch offensichtlich ist man nicht nur mit dem Konzept des kommenden Intendanten zufrieden gewesen, sondern wollte auch frühzeitig Nägel mit Köpfen machen. Der Verwaltungsrat setzt mit seiner vorgezogenen Entscheidung ein Zeichen für den Neustart. Neuer Intendant wird ....

Dienstag, 19. Juli 2022

8. Symphoniekonzert, 18.07.2022

Virusbedingt bekam Justin Brown 2020 nicht den Abschied, den er verdient. Nun kehrte er für ein letztes Symphoniekonzert als Dirigent und Pianist zurück, im Frühjahr 2023 wird er noch Alban Bergs Wozzeck dirigieren, der 2020 nach Beginn der Epidemie verschoben wurde, als der Spielbetrieb zum ersten Mal zum Erliegen kam. Seinen Abschied als Konzertdirigent meisterte Brown wie gewohnt mit Klasse und Souveränität.

Donnerstag, 14. Juli 2022

Verdi - Aida, 13.07.2022

Aida ist zu einem schönen Erfolg für das Badische Staatstheater geworden, musikalisch mitreißend, sängerisch dramatisch zugespitzt, dazu ein hoher Spektakelwert durch Orchester und Chor - alle Vorstellungen waren quasi ausverkauft. Und die gestrige Vorstellung gewann sogar noch an Rasanz hinzu.

Donnerstag, 30. Juni 2022

Verdi - Aida, 30.06.2022

Aida zieht Publikum an, die beiden bisherigen Vorstellungen waren bis auf wenige Plätze ausverkauft, und das trotz Sommer, Sonne und über 30°C. Die zweite Aida litt unter der Corona-Epidemie, die den Chor deutlich dezimierte, und profitierte von einem im Vergleich zur Premiere homogeneren Sänger-Ensemble.

Mittwoch, 29. Juni 2022

Donizetti - Roberto Devereux, 28.06.2022

Noch einmal! Weil's so schön war!
Roberto Devereux ist der Hidden Champion der Karlsruher Oper - eine Inszenierung, die unter anderen Umständen ein Klassiker wäre, also eine zeitlose Produktion, die man über Jahre immer wieder zeigen kann (beste Beispiele aus Sicht der Karlsruher Oper in den letzten vier Jahrzehnten: Giancarlo del Monacos Inszenierungen aus den 1980ern: Lucia di Lammermoor, La Bohème, Madama Butterfly oder Pavel Fiebers Hochzeit des Figaro). Unglückliche äußere Umstände haben Roberto Devereux aus dem Fokus gerückt, glücklicherweise hat die Karlsruher Operndirektion eine kleine, aber feine Wiederaufnahmenreihe ermöglicht, die durch hochengagierte, leidenschaftliche Interpretation einen verdienten Erfolg erfährt. Verdis Aida mag die beliebtere, publikumswirksamere Oper sein, doch dieser Roberto Devereux ist die wahre Perle im aktuellen Repertoire.

Montag, 27. Juni 2022

Verdi - Aida, 26.06.2022

Befreiungsschlag: Musikalisches Spektakel mit dramatischer Energie
Über 20 Jahre sind seit der letzten Karlsruher Aida verstrichen. Höchste Zeit also, dem Publikum diese großartige Oper wieder vorzustellen und das Badische Staatstheater scheute das Spektakel nicht: Chor und Extra-Chor, Blechbläser auf der Bühne und im Zuschauerraum, eine grandios aufspielende Badische Staatskapelle und auftrumpfende Sänger. Dazu eine geradlinige Regie, die Aida im pharaonischen Ägypten beläßt und sich damit begnügt, die Handlung dekorativ zu begleiten, - das mag szenisch nicht aufregend sein, es ist aber vor allem nicht aufdringlich. Die Inszenierung hält sich zurück und läßt die Musik sprechen und der Abend wurde zum Befreiungsschlag: endlich wieder ein großer Erfolg!

Montag, 6. Juni 2022

Donizetti - Roberto Devereux, 05.06.2022

Umjubelte Wiederaufnahme
Abgesehen vom öden Don Pasquale, der am Ende dieser Saison nach einem halben Jahr schnell wieder abgesetzt wird, gab es während der letzten  Intendanz schöne Donizetti-Produktionen, eine ordentliche Regimentstochter, eine spannende Anna Bolena, und wieso es der Liebestrank nicht wieder zurück in den Spielplan geschafft hat, wird vielen unverständlich bleiben. Das gestrige Wiederhören und Wiedersehen mit Harry Fehrs Inszenierung von Roberto Devereux ist auch nach drei Jahren (mehr hier) ein Vergnügen. Für die gestrige fulminante Vorstellung feierte das Publikum Sänger und Musiker mit vielen Bravo-Rufen und stehenden Ovationen.

Montag, 23. Mai 2022

Puccini - Tosca, 22.05.2022

Da weiß man, was man hat
Vor über fünf Jahren verkündete das Badische Staatstheater die Dernière: "Tosca - zum 70. & letzten Mal" (mehr hier), doch damals war schon abzusehen, daß John Dews Inszenierung aus dem Jahr 2000 nicht so einfach ersetzt werden kann. Nun erlebt man eine über zweijährige Abschiedsphase und wer weiß, 2023/24 -im letzten Jahr vor der Neuaufstellung- könnte auch diese Tosca noch mal zurückkehren. Die gestrige 70+x-ste Vorstellung hatte so viele Besucher, daß sich zwischendurch eine 60-70 Meter lange Schlange vor dem Einlaß bildete, was aber auch daran lag, daß man am Eingang teilweise nur eine Person hatte, die Eintrittskarten scannte. Das Karlsruher Opernpublikum ist also noch da und spendete Tosca viel Applaus und Bravos.

Donnerstag, 19. Mai 2022

Strauss - Salome, 18.05.2022

Die neue Karlsruher Salome wird beim zweiten Anschauen  nicht besser. Bei der Premiere überwog die Erleichterung, daß Strauss' Oper nicht frontal gegen die Wand gefahren wurde, doch die Reduzierung der Titelfigur zu einem kindlichen Backfisch, die als entpersönlichte Symbolfigur noch etwas anderes erlebt als die Opernhandlung, ist zu wirkungsschwach und halbherzig dramaturgisch aufgesetzt, um lange als Inszenierung in Erinnerung zu bleiben. Sängerisch war gestern Miriam Clark in der Titelrolle eine hörenswerte Alternative, die der Aufführung eine andere Richtung gab.

Sonntag, 15. Mai 2022

Strauss - Salome, 14.05.2022

Die Karlsruher Oper hat über ein Jahrzehnt Vertrauen verspielt und Zuschauer verloren - die gestrige Premiere von Strauss' Salome war nicht ausverkauft, die Ballettpremiere am letzten Wochenende war beim Publikum deutlich begehrter und besser besucht. Donizettis Don Pasquale war ein Reinfall und wird am Ende der Saison wieder abgesetzt, Rossinis Barbier von Sevilla wurde kurz vor der Premiere abgesagt. Kurz: man braucht endlich wieder attraktive Neuproduktionen. Gestern nun Strauss' Salome, bei der die Erwartungshaltung niedrig war und die Erleichterung beim Schlußapplaus um so größer: Musikalisch und sängerisch erlebte man eine sehr gute und intensive Aufführung und die harmlose Inszenierung gewann durch Halbherzigkeit und Zurückgenommenheit: sie trug zwar kaum zur Spannung bei, sie sabotierte sie aber auch nicht.

Montag, 9. Mai 2022

Per aspera ad astra (Ballett), 08.05.2022

Nach knapp über zwei Jahren Virus-Epidemie und sozialen Einschränkungen sowie dem russischen Angriffs- und Zerstörungskrieg gegen die Ukraine und Europa kann die Stimmung schon mal etwas gedrückt sein. Per aspera ad astra -ein Ausdruck von Seneca, den man als Durch Mühsal zu den Sternen oder Durchs Dunkel ans Licht übersetzen kann- ist als dreiteiliges Ballett mit Kreationen von drei Choreographen geprägt von diesem Ringen und Streben hin zu mehr Möglichkeiten, Freiheiten und Ungebundenheiten. Eine optimistische, zwischen Trost und Hoffnung stattfindende Trilogie, die sich ad astra im Verlauf steigert und deren Zahlensymbolik bekanntlich auch für das Göttliche steht und die auch in verschiedener Hinsicht religiösen Ursprung hat und sich musikalisch des christlichen Instruments schlechthin bedient: der Orgel. Das Konzept ging auf, am Schluß gab es Bravo-Rufe und begeisterten Applaus, und wer das Theater nicht gut gelaunt verließ, dem konnte auch sonst nicht geholfen werden.

Freitag, 6. Mai 2022

Vorschau auf die Spielzeit 2022/2023

Jetzt gilt's! Und doch auch wieder nicht ...
Epidemiebedingt verdämmerte zwar das Theater für viele Zuschauer, doch muß man am Badischen Staatstheater darauf achten, daß Corona und vom früheren Intendanten verursachte Hausprobleme nicht als Vorwand für weitere Stagnation und gepflegte Langeweile herhalten dürfen. Es ist Zeit für das Badische Staatstheater, Klartext zu reden, sich selbst in Frage zu stellen und sich von alten Zöpfen zu trennen. Das Haus braucht eine neue Ausrichtung, neues künstlerisches Personal, neue Ideen. Der Neustart steht erst 2024 bevor, im Herbst will der Verwaltungsrat bereits über den neuen künstlerischen Intendanten entscheiden, der dann genug Zeit für die Planungen hat. Niemand weiß, wie sich die Infektionslage auf den kommenden Herbst/Winter auswirkt, doch für Intendant Peters beginnt nun die erste von zwei Spielzeiten, in denen er auch seine Handschrift zeigen kann und in denen er mit den bestehenden Möglichkeiten das Publikum zurückholen und wieder ans Haus binden will. Mit der kommenden Spielzeit ist die Übergangsphase nach Abgang des letzten Intendanten beendet, man kann wieder Erwartungen haben und Ansprüche stellen, obwohl der richtige und erforderliche Neustart erst 2024 erfolgen wird. Was darf man als Zuschauer von den nächsten zwei Jahren überhaupt noch erhoffen? Die heutige Vorstellung der Saison 2022/23 ist teilweise ernüchternd.

Freitag, 15. April 2022

Sand - Gabriel, 14.04.2022

Das tragische Ende des konstruierten Geschlechts
George Sands Familientragödie Gabriel variiert ein bekanntes Motiv, das bereits in der Frühzeit zu grausamen Isolations-Experimenten an Menschen geführt hatte. Herodot berichtete von einem ägyptischen Pharao, der zwei Neugeborene isolierte und wortlos aufwachsen ließ, um zu erfahren, welche Sprache sie sprechen würden. Später soll Stauferkönig Friedrich II. ebenfalls versucht haben, die "Ursprache" Adam und Evas mittels dieser Versuchsanordnung zu ermitteln. In Marivauxs Komödie La Dispute (Der Streit, zuletzt in Karlsruhe 2004) werden isoliert aufgewachsene Kinder einem Experiment ausgesetzt: Was ist ursprüngliche Natur, was ist anerzogene Kultur?, - eine Frage, über die heute noch gestritten wird. George Sands Gabriel handelt von einem fast isoliert in Einsamkeit aufgezogenem und getäuschtem jungen Mann, der erfährt, daß er überhaupt keine männlichen Geschlechtsorgane besitzt und tatsächlich eine Frau ist. Das klingt nach komischen oder zumindest tragikomischen Verwicklungen, ist aber als Tragödie angelegt, deren Konflikt nur scheinbar aktuell wirkt. Das biologische Geschlecht triumphiert zwar über das konstruierte Geschlecht, dennoch ist Gabriel kein Stück über Geschlechtsidentitätsstörungen, also der Inkongruenz zwischen dem biologischen Geschlecht einer Person und dem von ihr psychisch gefühlten. Auch Gabriel tragisches Ende hat andere Gründe (- eher sei an eine vergleichbare Konstellation erinnert: der griechische Held Achill wurde als Mädchen großgezogen - so bspw. in Händels Oper Deidamia). Vielmehr ist Gabriel eine zu konstruiert wirkende Geschichte über Familie und Erbschaft, Liebesbeziehung und die Frage der Selbstbestimmung, doch auch hier ist der historische Aspekt nicht überbrückbar: es sind keine zeitgemäßen Verhältnisse, die Geschlechterrollen von damals unterlagen anderen Gegebenheiten. Das Stück erschien 1839 als "Dialogroman", war später auf der Bühne kein Erfolg und schnell vergessen, obwohl es Balzac 1842 an Shakespeare erinnerte (was aber nicht zutrifft). Bei der gestrigen Karlsruher Premiere gelang ein unerwarteter, aber verdienter Überraschungserfolg - ein mäßiges Stück wird durch eine ordentliche Inszenierung und starke Schauspieler zu einer bemerkenswerten Aufführungen mit ungewöhnlich starkem Applaus für alle und Bravo-Rufen für die großartig auftrumpfende Swana Rode in der Titelrolle.

Donnerstag, 14. April 2022

Buchan/Hitchcock/Barlow - Die 39 Stufen, 13.04.2022

Verkrampftes Komödiendebakel
Es ist ja nicht so, daß das Karlsruher Schauspiel schon immer an Komödien gescheitert ist. Es gab erfolgreiche Produktionen, die lange liefen und das Publikum begeisterten, bei denen oft und mehrheitlich gelacht wurde, bei denen manche Pointen-Dichte so hoch war, daß sie die Zwerchfellmuskulatur bis zum Muskelkater forderte, das Publikum vor Begeisterung johlte, rhythmisch klatschte und nicht genug bekommen konnte. Es gab Komödien-Inszenierungen, die man begeistert mehrfach sehen konnte (bspw. Der Menschenfeind, Der Diener zweier Herren, Außer Kontrolle, Sommernachtstraum (2006), Grönholm-Methode, Die Panik). Wenn man diese Erfolgsproduktionen als Maßstab nimmt, dann erlebte man gestern erneut einen dilettantisch mißlungenen Versuch, lustig zu sein. Und wieder einmal fällte das Publikum sein Urteil diskret während der Premieren-Aufführung, indem es nicht oder kaum lachte (und dann auch eher nur durch Angehörige, Freunde und Kollegen). Patrick Barlows Bühnenbearbeitung von Alfred Hitchcocks Verfilmung (1935) des Romans Die 39 Stufen von Autor John Buchan ist seit der Uraufführung 2005 ein internationaler Theatererfolg, der seinen Reiz u.a. daraus bezieht, daß aus dem Spionage-Thriller eine Komödie wird, bei der drei der vier Schauspieler zahllose Rollen spielen und dafür schnelle Wechsel erforderlich sind. Die Komödie wurde mit Preisen ausgezeichnet und auf zahllosen Bühnen gespielt, in Karlsruhe hat man nun  eine frühere Regieassistentin verpflichtet, für die die Aufgabe noch zu fordernd war und die Produktion in den Sand setzt. In qualitativer Hinsicht kann diese Inszenierung früheren Komödienerfolgen nicht das Wasser reichen.

Donnerstag, 24. März 2022

Neues Intendanzmodell ab 2024

Was auf diesen Seiten zu Beginn der Probleme mit dem früheren Intendanten bereits vor einigen Jahren gefordert wurde, wird nun offiziell umgesetzt: ab 2024 gibt es den Einpersonenintendanten nicht mehr (bereits jetzt ist Ulrich Peters Intendant der Interimslösung, aber nicht mehr Generalintendant), sondern ein Team soll es richten. Noch in diesem Jahr soll eine Findungskommission nach der Sommerpause einen neuen künstlerischen Leiter vorschlagen, der dann zwei Jahre Zeit für die Vorbereitungen hat, bevor dann 2024 hoffentlich ein richtiger Neuanfang bevorsteht.

Dienstag, 22. März 2022

Bachmann - Der gute Gott von Manhattan, 21.03.2022

Der Sound der Großmütter
oder
Schlechtes Theater ist dem Karlsruher Publikum zumutbar(?)
Wer wissen will, womit Schüler aktuell in der Oberstufe gequält werden, der kann sich (wie seit einigen Jahren) am Programm des Karlsruher Schauspiels orientieren, das manches aufgreift und inszeniert, was Prüfungsthema wird. So landete auch diese Inszenierung auf der Bühne und quält nun Zuschauer aller Altersgruppen. Ingeborg Bachmann (*1926 †1973) gewann 1959 den Hörspielpreis der Kriegsblinden für das Hörspiel  Der gute Gott von Manhattan - eine schlichte, parabelhafte Handlung in teilweise pathosgeladener, lyrischer Sprache über eine vermeintliche Normverletzung (nämlich Liebe) und deren fatale Bestrafung durch selbsternannte Moralwächter. Anläßlich der Verleihung des Hörspielpreises hielt Bachmann eine Dankesrede mit dem sprichwörtlich gewordenen Satz: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Was taugt das Hörspiels nach über 60 Jahren? Das Karlsruher Schauspiel findet weder einen Zugang zur Handlung noch zu Bachmanns typischem Sound, das Resultat dieser auf infantil gequirlte Weise verunstalteten Adaption wirkt durchgängig mißlungen. Als Zuschauer kann man nur die Hände vors Gesicht schlagen und sich fragen, wie verzweifelt man als Theater sein muß, um diese qualitätsprekäre Produktion ins Programm zu nehmen.

Mittwoch, 16. März 2022

Rossinis Barbier von Sevilla entfällt

Die Omikron-Variante des Covid-Virus wütet, und auch am Badischen Staatstheater gibt es zahlreiche Personalausfälle in diversen Abteilungen und Gewerken, die nicht mehr kompensiert werden können. Die Einstudierung der aus Dortmund eingekauften Produktion von Rossinis Barbier von Sevilla kann deshalb nicht beendet werden, nicht nur die Premiere entfällt, sondern auch alle geplanten Vorführungen. Das ist bitter, die Inszenierung war zuvor sehr erfolgreich, nach der mißlungenen Übernahme des Don Pasquale hätte eine schöne Buffa der Karlsruher Oper gut getan. Die nun abgesagte Inszenierung ist bühnentechnisch anspruchsvoll, sie wird nicht ohne weiteres nachgeholt werden können und es stellt sich unweigerlich die Frage: wann kann die Premiere erfolgen? Der Plan für nächste Saison steht bereits, die kursierenden Gerüchte scheinen auf eine Konzentration auf Übliches hinzudeuten.

Donnerstag, 3. März 2022

Händel - Tolomeo, 02.03.2022

Tolomeo ist eine Oper der Antihelden, die durch Schwermut und unglückliche Liebe gekennzeichnet ist, und obwohl das zentrale Liebespaar am Ende zueinanderfindet, will man ihnen keine Zukunft prognostizieren. Der suizidal gefährdete Tolomeo erringt sein Glück nicht selber, sondern ist auf den guten Willen anderer angewiesen. Betrachtet man Tolomeo aus diesem Aspekt, dann ist die meditative, innerliche Inszenierung von Benjamin Lazar werkgerecht, denn sie fängt eine Gestimmtheit ein, die sich Tolomeo zuschreiben läßt. Ein bißchen mehr inszenatorischer Pep hätte es vielleicht trotzdem sein dürfen.
Bereits die Vorstellungen 2020 (mehr hier und hier) waren sängerisch und musikalisch ein Genuß, und auch die Wiederaufnahme bereitete viel Freude. Anstelle von Jakub Józef Orliński (mehr hier) hat Cameron Shahbazi die Titelrolle übernommen. Lazar kennt ihn von der Kölner Oper, wo sie im Dezember 2020 gemeinsam George Benjamins Written on Skin erarbeitet haben (mehr dazu hier; auch interessant, bspw. hinsichtlich barocker Aufführungspraxis, das Interview mit Lazar auf der gleichen Seite hier). Die schöne Stimme des persisch-kanadischen Countertenors überzeugt, sein Tolomeo klingt sehnend und melancholisch, die bekannteste Arie der Oper "Stille amare" gelingt intensiv und spannungsvoll. Weiterhin wunderbar: Louise Kemény mit leuchtend warmer Stinne als Seleuce, die koloratursichere Eléonore Pancrazi als Elisa, Meili Li als Alessandro (der übrigens an der Lübecker Oper schon selber den Tolomeo sang, wie man hier auf seiner youtube-Seite hören und sehen kann), Morgan Pearse als rabiater Araspe sowie Dirigent Federico Maria Sardelli und die Händel-Solisten. Die gestrige Dernière bekam zum Abschied viel Applaus und Bravos von einem Publikum, das weiß, was es zu bejubeln gilt.

Bei den Händel-Festspielen 2023 wird man Ottone hören, in der Titelrolle will man Max E. Cencic verpflichten, erklärte Intendant Peters, der seit diesem Jahr zusammen mit Operndirektorin Braunger die Leitung der Händel-Festspiele übernommen hat und 2024 selber Regie führen will. Welche Händel-Oper es wird, scheint noch nicht offiziell bekannt.

Samstag, 19. Februar 2022

Händel - Hercules, 18.02.2022

Regisseur Floris Visser verdankt man in Karlsruhe bereits das originell, amüsant und kurzweilig inszenierte Oratorium Semele (mehr hier) bei den Händel Festspielen 2017, weiterhin unterhaltsame Hoffmannsche Erzählungen und einen ordentlichen  Don Giovanni. Nun also das nächste Händel-Oratorium: Wie bereits Semele (UA 1744) wirkt Hercules (UA 1745) aufgrund seines mythologischen Themas mehr wie eine Oper denn ein Oratorium. Die biblischen Oratorien waren zur Entstehungszeit erfolgreicher und beliebter, die Londoner wollten anscheinend kein neues dramatisches Konzept, sondern religiöse Erbauung - Hercules war 1745 ein grandioser Mißerfolg für Händel, was aber auch an erkrankten Sängern lag. Die gestrige Premiere zum Auftakt der Karlsruher Händel Festspiele gelang durchaus solide und hochwertig, allerdings mit Abzügen in der B-Note, denn es fehlten die Höhepunkte; so richtig wollte der Funke nicht überspringen. Wo sonst fast jede Arie beklatscht wird, herrschte gestern meditative Stille - die Premieren-Vorstellung wahrte während der Aufführung eine gewisse andächtige Distanz , die sich bei folgenden Aufführungen noch legen kann, falls es dieser Produktion in mehrfacher Hinsicht gelingen sollte, aufzutauen.

Mittwoch, 9. Februar 2022

Vorschau: Händel Festspiele 2023

Nächstes Jahr gibt es keine der bei den Karlsruher Händel Festspielen noch fehlenden Opern, sondern man bringt ein Werk, daß man hier bereits 2002 hören und sehen konnte. 2023 gibt es den 1723 uraufgeführten Ottone, Re di Germania. Dirigent: Carlo Ipata, Regisseur: Carlos Wagner (mehr hier), Bühne & Kostüme: Christophe Ouvrard. Die Premiere findet es am 17. Februar statt. Wer singt ist noch nicht durchgesickert. Die diesjährige Inszenierung Hercules wird am 23.02.23 wieder aufgenommen.
PS: Max E.Cencic ist der Wunschkandidat für die Titelrolle des Ottone.

Sonntag, 6. Februar 2022

Birch - [Blank], 05.02.2022

Die Stunde(n) des reproduzierenden Künstlers
oder
Szenen aus dem beschädigten Leben
Mit [Blank] hatte Autorin Alice Birch eine aus Sicht des deutschen Theatermarktes kommerziell raffinierte Idee. Das Stück besteht aus 100 nicht zusammenhängenden Szenen und ca. 400 Seiten Text, aus denen sich jede Inszenierung frei bedienen kann. [Blank] ist also ein Selbstbedienungs- und Baukasten-Theaterstück. Der produzierende Künstler (also die Autorin) gibt dem reproduzierenden Künstler (Regie/Inszenierung) die offizielle Erlaubnis, sich quasi in den Vordergrund zu drängen und aus dem Text zu machen, was ihm paßt. Gerade in einem Land wie der Bundesrepublik (-in der es Kunst für alle geben soll, eine Re-Feudalisierung durch hohe Eintrittspreise durch großzügige Finanzierung der Theater durch Steuergelder verhindert wird, und jede Stadt ihren Bürgern Hochkultur bieten will-) ist der kommerzielle Erfolgsdruck auf reproduzierende Künstler niedrig und im Windschatten finanzieller Absicherung hat sich ein breites Inszenierungsprekariat herangebildet, dessen Ego weit größer als sein Können ist. Auch am Badischen Staatstheater leidet man seit über einem Jahrzehnt regelmäßig unter diesem Phänomen: Inszenierungsteams, die nicht Werk und Schauspieler, sondern sich selber in den Mittelpunkt stellen, dafür Autor, Stück und/oder Publikum über die Klinge springen lassen und das Theater für eigene Zwecke instrumentalisieren; Hauptsache sie sind im Scheinwerferlicht. Solche Inszenierungen zum Zwecke der Selbstbefriedigung der Regie mit Zuschauern als erzwungenen Voyeuren sind seit einigen Jahren Kennzeichen einer Selfie-Generation, bei der Selbstherrlichkeit schnell zur Spießigkeit wird. Man kann von einer problematischen Tendenz zur doppelten Selbstreferenzialität des deutschen Steuergeldtheaters sprechen: Man macht Theater, weil es nun mal die Aufgabe eines mit Steuern finanzierten Theaters ist, Produktionen auf die Bühne bringen, und das Regieprekariat hat oft keine originellere Idee, als sich selber und ihren Suppentellerrand als banale Inspiration zu verwenden (gerne kaschiert als Zeigefinger- und Betroffenheitstheater oder mit plakativer, politisch korrekter Agitprop-Attitüde mit der man "Relevanz" vorgaukelt). Inspiration und Originalität sind dabei Routine und Selbstdarstellung gewichen. Gerade das Karlsruher Schauspiel hat in der Hinsicht einen Absturz erlitten, seitdem es zu oft Theater von Spießern für Spießer bietet.
Die deutsche Erstaufführung von Alice Birchs [Blank] erfolgte gestern am Badischen Staatstheater, Schauspieldirektorin Anna Bergmann ergriff die Gelegenheit und inszeniert selber. Das Ergebnis ist bemerkenswert, kurzweilig und ungewöhnlich eindrucksreich. Die Regisseurin hat aus [Blank] zwei unterschiedliche, nacheinander gespielte Stücke für insgesamt 16 Schauspieler zusammengefügt, die in einer Gegenüberstellung auf ganz unterschiedliche Weise Szenen aus beschädigten Leben zeigen. Vor der Pause sieht man eine Mischung aus Psychodrama und Krimi, es geht um prekäre Zustände, Gewalt, Vergewaltigung, ein entführtes Mädchen, Mord, zwei Kommissare, einen Sozialarbeiter und eine Psychopathin. Freunde düsterer skandinavischer Krimis kommen auf ihre Kosten. Nach der Pause wird es voyeuristisch: die meisten Schauspieler agieren splitternackt und geben unerwartete Einblicke in einer grell überzeichneten, derben Satire auf das grün-woke Selbstherrlichkeitsmilieu. Von den 16 hochmotivierten starken Schauspielern können insbesondere Antonia Mohr, Wassilissa List und Timo Tank für ihre intensiven Szenen im ersten Teil hervorgehoben werden.

Donizetti - Don Pasquale, 05.02.2022

Gekünstelt statt kunstvoll
Was sich bei der Premiere vor zwei Wochen abzeichnete, bestätigte auch die gestrige Matinee-Vorstellung des Don Pasquale. So eine schöne Oper, so engagiert gesungen und musiziert, und doch gab es lahmen Applaus. Der szenische Funke springt nicht über, der Regisseur hat nicht nur keinen Sinn für Komik, er kriegt aus keine Steigerungen zuwege, es wird nie wirklich turbulent oder rasant, und nicht einmal Klamauk und Slapstick sind originell oder witzig. Die Regie will pseudo-moderne Aspekte einfließen lassen, das Ergebnis wirkt allerdings verstaubt und langweilig. Es gibt Kissenbezüge, die komischer sind. Wer unbewußt auf Vorstellungen körperlich reagiert, der kann Nackenschmerzen bei diese Inszenierung bekommen vom ständigen Kopfschütteln und seufzen über vertane Szenen. So eine schöne Oper, doch so lieblos und reizlos in Szene gesetzt.
Es sang die Premierenbesetzung, aus einem so homogenen und starken Quartett kann man kaum jemand hervorheben, doch neben Tiziano Bracci, Armin Kolarczyk und Eleazar Rodriguez zeigte gestern Uliana Alexyuk noch eine Steigerung, sie sang nuancenreicher mit sehr schönen Stimmfarben.

Sonntag, 23. Januar 2022

Donizetti - Don Pasquale, 22.01.2022

Steril und humorfrei
Wie kann man eine so schöne Oper wie Don Pasquale nur so uninspiriert, so ganz ohne Komik, ohne Tempo, ohne Pointen und ohne Charme inszenieren? Die gestrige Premiere zeigte, daß für die heruntergewirtschaftete Karlsruher Oper das letzte Jahrzehnt bedauerlicherweise immer noch nicht beendet ist, noch immer spuken die Gespenster des Intendanten umher, dessen Namen hier nicht mehr genannt werden soll. Dabei hat das vergangene Jahrzehnt am Badischen Staatstheater einige schöne Produktionen von Donizetti-Opern hervorgebracht, die dramatischen Werke Roberto Devereux (der ja auch am Ende der Spielzeit berechtigterweise wieder aufgenommen werden soll) und Anna Bolena, zuvor auch die fröhlichen Opern Der Liebestrank und die Die Regimentstochter. Dieser Erfolg Donizettis auf der Karlsruher Bühne ist auch mit Künstlern eng verbunden, insbesondere Ina Schlingensiepen und Eleazar Rodriguez sowie Armin Kolarczyk sind die Stars dieser geglückten Reihe. Nun also endlich mal wieder Donizettis heiteres Meisterwerk Don Pasquale in einer Übernahme aus Montpellier. Doch obwohl es ein auftrumpfendes Sängerquartett und dazu agile Musizierfreude aus dem Orchestergraben zu hören gab, wollte der Funke szenisch nicht überspringen.