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Samstag, 2. Oktober 2021

Wolf - Medea. Stimmen, 29.09/01.10.2021

Die abgeflachte Dramaturgie der Scheintriftigkeit
Christa Wolfs Reputation hat stark gelitten. Wolf (*1929 †2011) stand der DDR-Diktatur nicht kritisch genug gegenüber, sie war privilegiertes SED-Unterdrückungsparteimitglied, zwischendurch Kandidatin des Zentralkomitees der SED und Spitzel der Staatssicherheit, als informelle Mitarbeiterin der Stasi war sie allerdings nur kurze Zeit Teil des Regimes. Aber egal, der Mensch wird vergehen, das Werk bleibt bestehen, Mensch und Künstler sind getrennt zu bewerten. Doch auch als Autorin ist Wolf schlecht gealtert. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete Wolf 1987 "als 'DDR-Staatsdichterin', deren künstlerische und intellektuelle Möglichkeiten weit überschätzt seien, und kritisierte ihre politisch ambivalente Haltung". Der Literaturwissenschaftler und aktuelle literarische Stil-Papst Michael Maar erwähnt sie in seinem Besteller Die Schlange im Wolfspelz: Das Geheimnis großer Literatur nur am Rand als Autorin blasser Kunstprosa. Der für den SWR tätige, stets unterhaltsame Literaturkritiker Denis Scheck setzte Wolfs bekanntestes Werk Kassandra sogar auf seine Liste des Anti-Kanons der schlechtesten Bücher (mehr hier). Er erkennt zwar ihren literarischen Mut an ("Wer Christa Wolf liest hat nichts zu lachen, ... diese Autorin malt mit schwarzem Pinsel auf schwarzem Grund", "wie 7 Tage Regen an der Ostsee"), nicht auszuhalten sei an Wolfs Prosa der "Ton der Besserwisserei und moralischer Überlegenheit, selbstzufriedenen Pharisäertums und pietistischer Enge, die fromme Überfliegerei, das kleinmütige Strebertum, das dogmatische Freund-Feind-Schema, der Mangel an Differenzierung und diese elende permanente Rechthaberei ... Christa Wolf hält sich nicht mit Grautönen auf und macht sich das Fällen der Urteile in ihrem moralischem Gerichtshof sehr sehr leicht". Aufmerksame Karlsruher Theatergänger werden bei der Analyse des Literaturkritikers ein überraschendes Déjà-vu erleben: diese Beurteilung klingt, als ob damit das Schauspiel unter Anna Bergmann beschrieben werden könnte, und man mag spekulieren, ob in dieser Affinität ein Grund liegt, wieso Bergmann Wolfs wenig geglückten Roman Medea. Stimmen auf die Theaterbühne bringt. Doch die Schauspieldirektorin springt mit dieser Inszenierung gewissermaßen über ihren Schatten und begnügt sich damit, Wolfs Medea nahe am Roman zu erzählen. Die Transformation des Romans auf die Bühne ist bemerkenswert gelungen, und das passiert selten genug. Die Inszenierung ist spannend, einfallsreich, gibt den Schauspielern ausreichend Raum zur Entfaltung und ist auf jeden Fall sehenswert. Nur die Scheintriftigkeit des Romans führt letztendlich zu einer abgeflachten Dramaturgie, die eine Spannung mehr aufbauscht denn aufbaut.