Freitag, 29. Oktober 2021

von Schirach - Gott, 28.10.2021

Scheinveranstaltung mit Scheinargumenten
Ferdinand von Schirachs Terror (mehr hier) als Theaterstück mit Publikumsbeteiligung war ein großer kommerzieller Erfolg, über eine halbe Million Besucher sollen es weltweit im Theater gesehen haben. Ethische Dilemma als unlösbare Konflikte, bei denen man stets falsch handelt, wenn man richtig handeln will, werden buchstäblich verhandelt, in Terror als Gerichtsverhandlung, nun in Gott vor einem Ethikrat und am Schluß darf der Zuschauer seinen Senf beitragen und seine unmaßgebliche Meinung in einer Zuschauerabstimmung kund tun. 'Schuldig oder nicht schuldig' (Terror), nun sogar 'Tod oder Leben', denn in Gott geht es um den Wert eines Lebens und die Frage der assistierten Sterbehilfe. Eine 78jährige, kerngesunde(!), aber traurige Witwe will aus dem Leben scheiden, vor der anzuwendenden Gewalt gegen sich selbst scheut sie zurück und fordert das Recht auf medizinisch verträgliches Ableben mittels einer letalen Überdosierung eines Medikaments.
Die Premierenkritiken im Frühherbst 2020 waren schlecht und vor der TV-Premiere Ende November 2020 geriet der Text stark unter Druck. In einem Offenen Brief schrieben Palliativmediziner und Psychologen zu Schirachs Stück ein vernichtendes Urteil: "Die handelnden Personen entsprechen zum Teil einem Zerrbild und auch die Fakten entsprechen zum Teil nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Stand. Auch fehlen die Positionen der modernen Suizidprävention. Darüber hinaus entsprechen weite Teile der Diskussion nicht der eigentlichen Frage." Gott taugt nicht als Diskussionsbasis über Sterbehilfe, dazu ist der Text zu schwach konstruiert, Personen und Argumente sind nicht ausgeglichen, ein argumentatives Unentschieden will der parteiische Autor nicht erreichen. Was man sieht, darf man auf keinen Fall inhaltlich überbewerten, denn Realität findet sich kaum in dieser Fiktion von Scheinargumenten in einer so nicht existierenden Scheinveranstaltung. Somit stellt sich nur die Frage, ob Gott trotz eklatanter Schwächen gutes Theater bieten kann. In Karlsruhe erlebt man eine ruhige, unaufgeregte Inszenierung mit dem etwas langweiligen Reiz einer Talkshow, in der unter sehr guten Schauspielern  insbesondere Jannek Petri und Timo Tank als meinungsstarke Figuren ihr Können unter Beweis stellen.

Sonntag, 24. Oktober 2021

Mozart - La finta giardiniera, 23.10.2021

Hochmotiviert und beseelt
Seit 20 langen Monaten unterliegen die Theater den Virus-Beschränkungen und als man diese Spielzeit plante, konnte man nur ahnen, welchen Verlauf die Epidemie nehmen würde. Ein kleines Orchester, das nicht zu eng zusammensitzen darf, keinen Chor, eine überschaubare Anzahl an Sängern und ggf. eine durch Kürzung einfach zeitlich anpaßbare Oper - es mögen solche Erwägungsgründe gewesen sein, die dazu führten, daß nach über 35 Jahren Mozarts selten gespieltes Frühwerk La finta giardiniera auf die Bühne des Badischen Staatstheaters zurückkehrte. Doch die Rückkehr stand bei der gestrigen Premiere in vielerlei Hinsicht unter einem glücklichen Stern: hochmotivierte Sänger und Musiker und eine beseelte Aufführung in liebevoll gestalteter, attraktiver Inszenierung - der frühe Mozart erwies sich als Glücksgriff zum richtigen Zeitpunkt!

Freitag, 8. Oktober 2021

Ade - Toni Erdmann, 07.10.2021

Die Uneigentlichkeit der Karrierefrau
2016 wurde Toni Erdmann beim Filmfestival in Cannes zwar nicht ausgezeichnet, aber beim Publikum kam der Film überraschend gut an - ein Hype, den sich allerdings manche nicht erklären konnten, denn der langsam erzählte Film taugt kaum zum Kult und wirkte wie eine Seifenblase, die einige Zeit schön schwebte und dann sanft und folgenlos zerstob. Die in Karlsruhe geborene Maren Ade gewann als Drehbuchautorin und Regisseurin einige Preise für ihren Film über sich entfremdete Menschen, im dem eine ambitionierte junge Frau vorübergehend in eine Sinnkrise gestürzt wird als ihr herumalbernder Vater sie und ihre Karrierewünsche nicht versteht und sich in ihr Leben drängt. Da bietet es sich an, in Karlsruhe eine Bühnenfassung zu zeigen. Was steckt im Bühnen-Toni Erdmann? Regisseurin Maria Viktoria Linke bleibt eng am Film, verändert aber die Balance ungünstig, der dokumentarisch wirkende Charakter wird zugunsten grotesker bzw. surrealer Szenen aufgegeben. Wo der Film stets eine Distanz wahrte, will die Regisseurin werten, insbesondere die Figur der Tochter leidet darunter, deren Karriere am gekürzten Ende keine Rolle spielt, sondern die in der neuen Schlußszene zurück in die Arme ihres Vaters flüchtet. Doch das größte Mißverständnis offenbart erneut eine eklatante Schwäche des Karlsruher Schauspiels. Nicht nur gab es seit der glorreichen Schauspieldirektion Knut Webers keine rasante Komödie mehr, es gab auch seit einem Jahrzehnt nur einen sehr verklemmten bzw.  angestrengten Humor, der nie lustig werden wollte. Nun versucht die Regisseurin Toni Erdmann als Komödie zu inszenieren, es gibt auch ein paar gute Einfälle und Momente, bei denen allerdings stets nur wenige lachen, doch es ist fast schon peinlich, wie viele Szenen in den Sand gesetzt werden und wie -man muß es leider mal deutlich schreiben- angestrengt, uninspiriert und fast schon dilettantisch wirkend die Regie versucht, Komik zu erzeugen. Es gibt Aufführungen von Amateur- und Schülertheatern, die mehr Sinn für Humor, Pointen und Timing zeigen als diese komödiantisch unterdurchschnittliche Inszenierung.

Samstag, 2. Oktober 2021

Wolf - Medea. Stimmen, 29.09/01.10.2021

Die abgeflachte Dramaturgie der Scheintriftigkeit
Christa Wolfs Reputation hat stark gelitten. Wolf (*1929 †2011) stand der DDR-Diktatur nicht kritisch genug gegenüber, sie war privilegiertes SED-Unterdrückungsparteimitglied, zwischendurch Kandidatin des Zentralkomitees der SED und Spitzel der Staatssicherheit, als informelle Mitarbeiterin der Stasi war sie allerdings nur kurze Zeit Teil des Regimes. Aber egal, der Mensch wird vergehen, das Werk bleibt bestehen, Mensch und Künstler sind getrennt zu bewerten. Doch auch als Autorin ist Wolf schlecht gealtert. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete Wolf 1987 "als 'DDR-Staatsdichterin', deren künstlerische und intellektuelle Möglichkeiten weit überschätzt seien, und kritisierte ihre politisch ambivalente Haltung". Der Literaturwissenschaftler und aktuelle literarische Stil-Papst Michael Maar erwähnt sie in seinem Besteller Die Schlange im Wolfspelz: Das Geheimnis großer Literatur nur am Rand als Autorin blasser Kunstprosa. Der für den SWR tätige, stets unterhaltsame Literaturkritiker Denis Scheck setzte Wolfs bekanntestes Werk Kassandra sogar auf seine Liste des Anti-Kanons der schlechtesten Bücher (mehr hier). Er erkennt zwar ihren literarischen Mut an ("Wer Christa Wolf liest hat nichts zu lachen, ... diese Autorin malt mit schwarzem Pinsel auf schwarzem Grund", "wie 7 Tage Regen an der Ostsee"), nicht auszuhalten sei an Wolfs Prosa der "Ton der Besserwisserei und moralischer Überlegenheit, selbstzufriedenen Pharisäertums und pietistischer Enge, die fromme Überfliegerei, das kleinmütige Strebertum, das dogmatische Freund-Feind-Schema, der Mangel an Differenzierung und diese elende permanente Rechthaberei ... Christa Wolf hält sich nicht mit Grautönen auf und macht sich das Fällen der Urteile in ihrem moralischem Gerichtshof sehr sehr leicht". Aufmerksame Karlsruher Theatergänger werden bei der Analyse des Literaturkritikers ein überraschendes Déjà-vu erleben: diese Beurteilung klingt, als ob damit das Schauspiel unter Anna Bergmann beschrieben werden könnte, und man mag spekulieren, ob in dieser Affinität ein Grund liegt, wieso Bergmann Wolfs wenig geglückten Roman Medea. Stimmen auf die Theaterbühne bringt. Doch die Schauspieldirektorin springt mit dieser Inszenierung gewissermaßen über ihren Schatten und begnügt sich damit, Wolfs Medea nahe am Roman zu erzählen. Die Transformation des Romans auf die Bühne ist bemerkenswert gelungen, und das passiert selten genug. Die Inszenierung ist spannend, einfallsreich, gibt den Schauspielern ausreichend Raum zur Entfaltung und ist auf jeden Fall sehenswert. Nur die Scheintriftigkeit des Romans führt letztendlich zu einer abgeflachten Dramaturgie, die eine Spannung mehr aufbauscht denn aufbaut.