Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Donnerstag, 14. Juni 2018
Verdi - Simon Boccanegra, 13.06.2018
Simon Boccanegra mag vielleicht nicht Verdis publikumswirksamste Oper sein, aber tatsächlich schafft die Inszenierung von David Hermann das Kunststück, dieses sprödere Verdi-Werk trotz mancher diskutabler Entscheidungen spannend zu erzählen, das erste Finale mit seiner Verwandlung ist großartig gelungen. Musiziert und gesungen wird auf sehr hohem Niveau, Johannes Willig und die Badische Staatskapelle scheinen sich sehr wohl zu fühlen, auch die x.-te Vorstellung klang mitreißend. Mit Armin Kolarczyk und Seung-Gi Jung hat man zwei besondere Sänger für die Titelrolle. Konstantin Gorny gibt einen monumental gesungenen Jacopo Fiesco, Nicholas Brownlee ist die Verpflichtung der Saison, ob als Paolo Albiani oder als Heinrich VIII. in Anna Bolena - er verleiht seiner Figur imposante Statur. Barbara Dobrzanska überzeugt als Amelia Grimaldi. Nur James Edgar Knight kann als Gabriele Adorno Rodrigo Porras Garulo (noch) nicht ersetzen. Der Verfasser dieser Zeilen wird nicht der einzige sein, der sich jetzt schon auf die Wiederaufnahme und einen weiteren Besuch dieser Oper in der kommenden Saison freut. Und was will man mehr von einer Inszenierung fordern, als daß man ein Wiedersehen nicht scheut und sich auf ein Wiederhören freut? BRAVO! für diese gelungene Produktion.
Sonntag, 20. Juli 2014
Mussorgsky - Boris Godunow, 19.07.2014
Boris Godunow -ein zentrales Meisterwerk der russischen Oper- bekam gestern viel Applaus nach einer erfolgreichen und guten Premiere im Badischen Staatstheater. Leider blieb die Inszenierung zu konturenlos, viele Fragen bleiben nicht nur offen, sie werden gar nicht erst gestellt.
Geschichtlicher Hintergrund
Fast 40 Jahre lang hatte Iwan der Schreckliche (†1584) Rußland geknechtet, ihm folgte Iwans schwachsinniger Sohn Fjodor, für den Boris Godunow bis zu seinem Tod die Geschäfte führte, bevor er selber für sieben Jahre als Zar folgte, aber erst nachdem auch Iwans jüngster Sohn Dimitri im Alter von 8 Jahren tot mit einer Wunde am Hals gefunden wurde. Ob es sich um einen Auftragsmord oder einen Zufall der Geschichte handelte, konnte nie geklärt werden. Boris Godunow hatte später den Ruf des Prinzenmörders und mußte sich aber zu Lebzeiten mit einem falschen Dimitri beschäftigen - einem Hochstapler, der Anspruch auf den Thron erhob und die Legitimität Godunows infrage stellte.
Es war eine "Zeit der Wirren" für Rußland: schwach und zerstritten, wirtschaftlich verarmt und verwüstet. Godunow stabilisierte das Land, förderte den Handel und doch blieb es aufgrund der unklaren Machtverhältnisse anfällig und unsicher. Godunow starb aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands im Jahr 1605 in unruhigen Zeiten. Der falsche Dimitri kam danach kurz auf den Thron und wurde ermordet. Erst 1613 stabilisierte sich Rußland mit dem ersten Zaren aus der Dynastie der Romanows.
Versionsfrage
Mussorgsky hinterließ eine Ur-Fassung, eine später überarbeite Original-Fassung (bei der ein Bild fehlte und drei neue hinzugefügt wurden) und noch einen Klavierauszug letzter Hand. Dazu kommen noch verschiedene Umarbeitungen, Mischfassung und Neuorchestrierungen von Rimsky-Korsakow und Schostakowitsch. Über Vor- und Nachteile zu diskutieren, ist müßig. In Karlsruhe entschloss man sich für die erste Fassung, den Ur-Boris von 1869 in Mussorgskys eigener Instrumentierung, denn laut Regisseur David Hermann: "Die Urfassung kommt den ursprünglichen Absichten des Komponisten am nächsten. Die späteren Fassungen haben auch ihre Meriten, aber sie kamen doch zu erheblichen Teilen durch Anregungen von Außen zustande".
Worum geht es? Oder in diesem Fall besser: Worum geht es nicht?
Der scheidende Chefdramaturg Dr. Bernd Feuchtner hat erneut ein hochinformatives Programmheft zusammengestellt. (Im Internet findet es sich zur Zeit hier als pdf).
Der Regisseur Hermann gibt die Idee vor: "Wie komme ich an die Macht und was macht sie dann mit mir – damit setzt Boris Godunow sich auseinander. Es gibt starke Parallelen zwischen dieser Oper und Macbeth. Beide Hauptfiguren sind innerlich beschädigt durch einen Mord und gehen an dieser Schuldfrage letztlich kaputt." Diese Vorgabe ist gut, bleibt aber leider zu blaß. Der Inszenierung fehlt der rote Faden: Der Ur-Boris erscheint handlungsarm und mit nur schwachen Zusammenhängen, Episodisches überwiegt. Die Urfassung endet nicht mit der sonst bekannten und üblichen Klage des Narren, sondern mit Godunows Tod.
Die Parallelen des damaligen Zars zum heutigen russischen Präsidenten und seiner Selbstinszenierung durch die Medien meidet der Regisseur und auch eine Wertung Godunows nimmt er nicht aktiv vor. Es bleibt für den Zuschauer eine offene Frage, ob der Mörder Godunow nur zum Wohle des Volkes handeln wollte oder ob er der starke Mann zu sein scheint, der sich zum Herrscher ernennen lässt, die Bojaren entmachtet und als Retter und Wohltäter gesehen werden will, bei dem das Beste für das Land wie so oft auch das Beste für die Herrschenden, ihre Macht und ihre Geldbörsen ist. Eine aktuelle Parabel der prä- und postdemokratischen "starken Männer" bringt Hermann nicht auf die Bühne. Godunows Zerrissenheit zwischen Zweifel und Machtanspruch bleibt diffus; im 5. Bild stellt ein langer Tisch mit Holzfiguren keine überzeugende Metapher dar.
Rimsky-Korsakow nannte die Oper nach seiner Umarbeitung ein „musikalisches Volksdrama“. Der Charakter der Erstfassung ist anders. Dazu der Regisseur: "In der Karlsruher Aufführung versuchen wir vor allem, möglichst nahe an die Psyche des Boris heran zu kommen. Der Chor bildet in der Urfassung nur den – wichtigen – Hintergrund des Geschehens. In unserer Aufführung wird er erst am Ende eine aktive Rolle einnehmen". Bei der Urfassung des Boris geht es also weniger um russische Geschichtsbilder, um farbige Episoden oder anschauliche Milieustudien. Das wahre Drama ist auch nicht das das Leid der Bevölkerung während der Zeit der Wirren - kein Volksdrama, kein Drama der Ohnmacht, der Verführbarkeit, der Parteinahme, der Irrtümer und der Machtkämpfe, die auf dem Rücken des Volks ausgetragen werden. Auch im Schlußbild gewinnt der Chor in der neuen Karlsruher Inszenierung kein zusätzliches Format.
Was ist zu sehen?
Überwiegend schön bebilderte Szenen, atmosphärisch in passender Düsterheit mit Kostümen aus der Jetztzeit. Im 4. Bild, der Schänke an der litauischen Grenze, wechselt die Inszenierung vorübergehend ihre Form und wir seltsam skurril, ohne originell oder pointiert zu sein; wie ein Fremdkörper wirkt sie unpassend und zusammenhanglos.
Was ist zu hören?
Zwei Bässe bekamen gestern den meisten Applaus: Godunow ist eine Parade- und Wunsch-Rolle für Publikumsliebling Konstantin Gorny, der die Bühne mit seiner Ausstrahlung und Stimme beherrscht und mit seinen Monologen immer wieder für Spannung sorgt. Herausragend ergänzt wird Gorny durch Avtandil Kaspeli, der einen ganz starken Auftritt als Pimen hat und sich sichtbar über die vielen Bravos und den Jubel des Karlsruher Publikums freute. Mit Pimen hat Kaspeli in Karlsruhe seine erste Paraderolle gefunden. Bravo!
Und auch die Tenöre überzeugten: Otrepjew wird stimmschön von Andrea Shin gesungen, der zwielichtige Schujski wird von Matthias Wohlbrecht zur profilierten Figur und Hans-Jörg Weinschenk ist zwar offiziell im Ruhestand, aber das merkte man ihm gestern in der Rolle des Narrs nicht an. Überhaupt verdienten sich alle Sänger und Musiker ein Bravo! für eine tadellose Leistung. Ein großes Lob geht erneut an den Badischen Staatsopernchor und Extrachor, der von Ulrich Wagner und Stefan Neubert perfekt vorbereitet erschien, und den Kinderchor des Cantus Juvenum, der wieder einen schönen kleinen Auftritt hat.
Entgegen der ursprünglichen Ankündigung dirigiert nicht Justin Brown, sondern Johannes Willig die Neuinszenierung mit sicherer Hand.
Fazit: Musikalisch hochwertig und überzeugend, inszenatorisch ist man überwiegend unauffällig. Man kann nicht beeindrucken und schon gar nicht begeistern. Der ganzen Inszenierung fehlt etwas: sie gewinnt szenisch zu wenig hinzu und bleibt seltsam unentschlossen in der Aussage. Dieser Ur-Boris setzt sich gegen spätere Fassungen der Oper nicht durch.
PS: Kurzer Blick zurück - Intendant Günter Könemann inszenierte eigenhändig den letzten Karlsruher Boris Godunow in der Spielzeit 1988/89 als Koproduktion mit der Straßburger Opera du Rhin. Damals wurde Rimsky-Korsakows Bearbeitung gespielt und in Deutsch gesungen. Hans-Jörg Weinschenk war schon damals mit dabei (und zwar als Missail; Edward Gauntt als Schtschelkalow). Ansonsten waren u.a. folgende Premieren-Besetzungen zu hören: Gabor Andrasy (Boris Godunow), Frode Olsen (Pimen), Ingrid Lehmann-Bartz (Fjodor), Nemi Rouilly-Bertagni (Xenia), Mario Muraro (Otrepjew).
Bei der Neueinstudierung 1994 gab es Änderungen: im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Oper in Nowosibirsk wurde die von Schostakowitsch instrumentierte Version in russischer Sprache gespielt. Es sangen u.a.: Alexander Morosov (Boris Godunow), Simon Yang (Pimen), Clara O'Brien (Fjodor), Zsuzsanna Bazsinska (Xenia) sowie weitere Sänger aus Nowosibirsk.
Als 1992 Chowanschtschina als Gastspiel des Estonia Theater Tallinn in Karlsruhe gegeben wurde, war ebenfalls die von Schostakowitsch instrumentiere Fassung zu hören.
Besetzung & Team
Boris Godunow / Nikititsch: Konstantin Gorny
Fjodor: Dilara Baştar
Wassili Iwanowitsch Schuiski: Matthias Wohlbrecht
Grigori Otrepjew: Andrea Shin
Missail: Max Friedrich Schäffer
Warlaam: Lucas Harbour
Pimen: Avtandil Kaspeli
Xenia: Larissa Wäspy
Xenias Amme: Rebecca Raffell
Wirtin: Stefanie Schaefer
Andrei Schtschelkalow: Gabriel Urrutia Benet
Narr: Hans-Jörg Weinschenk
Ein Leibbojar & Bojar Chrustschow: Nando Zickgraf
Mitjuch: Andreas Netzner
Polizist: Yang Xu
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: David Hermann
Bühne und Kostüme: Christof Hetzer
Chorleitung: Ulrich Wagner
Einstudierung Kinderchor: Anette Schneider
Geschichtlicher Hintergrund
Fast 40 Jahre lang hatte Iwan der Schreckliche (†1584) Rußland geknechtet, ihm folgte Iwans schwachsinniger Sohn Fjodor, für den Boris Godunow bis zu seinem Tod die Geschäfte führte, bevor er selber für sieben Jahre als Zar folgte, aber erst nachdem auch Iwans jüngster Sohn Dimitri im Alter von 8 Jahren tot mit einer Wunde am Hals gefunden wurde. Ob es sich um einen Auftragsmord oder einen Zufall der Geschichte handelte, konnte nie geklärt werden. Boris Godunow hatte später den Ruf des Prinzenmörders und mußte sich aber zu Lebzeiten mit einem falschen Dimitri beschäftigen - einem Hochstapler, der Anspruch auf den Thron erhob und die Legitimität Godunows infrage stellte.
Es war eine "Zeit der Wirren" für Rußland: schwach und zerstritten, wirtschaftlich verarmt und verwüstet. Godunow stabilisierte das Land, förderte den Handel und doch blieb es aufgrund der unklaren Machtverhältnisse anfällig und unsicher. Godunow starb aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands im Jahr 1605 in unruhigen Zeiten. Der falsche Dimitri kam danach kurz auf den Thron und wurde ermordet. Erst 1613 stabilisierte sich Rußland mit dem ersten Zaren aus der Dynastie der Romanows.
Versionsfrage
Mussorgsky hinterließ eine Ur-Fassung, eine später überarbeite Original-Fassung (bei der ein Bild fehlte und drei neue hinzugefügt wurden) und noch einen Klavierauszug letzter Hand. Dazu kommen noch verschiedene Umarbeitungen, Mischfassung und Neuorchestrierungen von Rimsky-Korsakow und Schostakowitsch. Über Vor- und Nachteile zu diskutieren, ist müßig. In Karlsruhe entschloss man sich für die erste Fassung, den Ur-Boris von 1869 in Mussorgskys eigener Instrumentierung, denn laut Regisseur David Hermann: "Die Urfassung kommt den ursprünglichen Absichten des Komponisten am nächsten. Die späteren Fassungen haben auch ihre Meriten, aber sie kamen doch zu erheblichen Teilen durch Anregungen von Außen zustande".
Worum geht es? Oder in diesem Fall besser: Worum geht es nicht?
Der scheidende Chefdramaturg Dr. Bernd Feuchtner hat erneut ein hochinformatives Programmheft zusammengestellt. (Im Internet findet es sich zur Zeit hier als pdf).
Der Regisseur Hermann gibt die Idee vor: "Wie komme ich an die Macht und was macht sie dann mit mir – damit setzt Boris Godunow sich auseinander. Es gibt starke Parallelen zwischen dieser Oper und Macbeth. Beide Hauptfiguren sind innerlich beschädigt durch einen Mord und gehen an dieser Schuldfrage letztlich kaputt." Diese Vorgabe ist gut, bleibt aber leider zu blaß. Der Inszenierung fehlt der rote Faden: Der Ur-Boris erscheint handlungsarm und mit nur schwachen Zusammenhängen, Episodisches überwiegt. Die Urfassung endet nicht mit der sonst bekannten und üblichen Klage des Narren, sondern mit Godunows Tod.
Die Parallelen des damaligen Zars zum heutigen russischen Präsidenten und seiner Selbstinszenierung durch die Medien meidet der Regisseur und auch eine Wertung Godunows nimmt er nicht aktiv vor. Es bleibt für den Zuschauer eine offene Frage, ob der Mörder Godunow nur zum Wohle des Volkes handeln wollte oder ob er der starke Mann zu sein scheint, der sich zum Herrscher ernennen lässt, die Bojaren entmachtet und als Retter und Wohltäter gesehen werden will, bei dem das Beste für das Land wie so oft auch das Beste für die Herrschenden, ihre Macht und ihre Geldbörsen ist. Eine aktuelle Parabel der prä- und postdemokratischen "starken Männer" bringt Hermann nicht auf die Bühne. Godunows Zerrissenheit zwischen Zweifel und Machtanspruch bleibt diffus; im 5. Bild stellt ein langer Tisch mit Holzfiguren keine überzeugende Metapher dar.
Rimsky-Korsakow nannte die Oper nach seiner Umarbeitung ein „musikalisches Volksdrama“. Der Charakter der Erstfassung ist anders. Dazu der Regisseur: "In der Karlsruher Aufführung versuchen wir vor allem, möglichst nahe an die Psyche des Boris heran zu kommen. Der Chor bildet in der Urfassung nur den – wichtigen – Hintergrund des Geschehens. In unserer Aufführung wird er erst am Ende eine aktive Rolle einnehmen". Bei der Urfassung des Boris geht es also weniger um russische Geschichtsbilder, um farbige Episoden oder anschauliche Milieustudien. Das wahre Drama ist auch nicht das das Leid der Bevölkerung während der Zeit der Wirren - kein Volksdrama, kein Drama der Ohnmacht, der Verführbarkeit, der Parteinahme, der Irrtümer und der Machtkämpfe, die auf dem Rücken des Volks ausgetragen werden. Auch im Schlußbild gewinnt der Chor in der neuen Karlsruher Inszenierung kein zusätzliches Format.
Was ist zu sehen?
Überwiegend schön bebilderte Szenen, atmosphärisch in passender Düsterheit mit Kostümen aus der Jetztzeit. Im 4. Bild, der Schänke an der litauischen Grenze, wechselt die Inszenierung vorübergehend ihre Form und wir seltsam skurril, ohne originell oder pointiert zu sein; wie ein Fremdkörper wirkt sie unpassend und zusammenhanglos.
Was ist zu hören?
Zwei Bässe bekamen gestern den meisten Applaus: Godunow ist eine Parade- und Wunsch-Rolle für Publikumsliebling Konstantin Gorny, der die Bühne mit seiner Ausstrahlung und Stimme beherrscht und mit seinen Monologen immer wieder für Spannung sorgt. Herausragend ergänzt wird Gorny durch Avtandil Kaspeli, der einen ganz starken Auftritt als Pimen hat und sich sichtbar über die vielen Bravos und den Jubel des Karlsruher Publikums freute. Mit Pimen hat Kaspeli in Karlsruhe seine erste Paraderolle gefunden. Bravo!
Und auch die Tenöre überzeugten: Otrepjew wird stimmschön von Andrea Shin gesungen, der zwielichtige Schujski wird von Matthias Wohlbrecht zur profilierten Figur und Hans-Jörg Weinschenk ist zwar offiziell im Ruhestand, aber das merkte man ihm gestern in der Rolle des Narrs nicht an. Überhaupt verdienten sich alle Sänger und Musiker ein Bravo! für eine tadellose Leistung. Ein großes Lob geht erneut an den Badischen Staatsopernchor und Extrachor, der von Ulrich Wagner und Stefan Neubert perfekt vorbereitet erschien, und den Kinderchor des Cantus Juvenum, der wieder einen schönen kleinen Auftritt hat.
Entgegen der ursprünglichen Ankündigung dirigiert nicht Justin Brown, sondern Johannes Willig die Neuinszenierung mit sicherer Hand.
Fazit: Musikalisch hochwertig und überzeugend, inszenatorisch ist man überwiegend unauffällig. Man kann nicht beeindrucken und schon gar nicht begeistern. Der ganzen Inszenierung fehlt etwas: sie gewinnt szenisch zu wenig hinzu und bleibt seltsam unentschlossen in der Aussage. Dieser Ur-Boris setzt sich gegen spätere Fassungen der Oper nicht durch.
PS: Kurzer Blick zurück - Intendant Günter Könemann inszenierte eigenhändig den letzten Karlsruher Boris Godunow in der Spielzeit 1988/89 als Koproduktion mit der Straßburger Opera du Rhin. Damals wurde Rimsky-Korsakows Bearbeitung gespielt und in Deutsch gesungen. Hans-Jörg Weinschenk war schon damals mit dabei (und zwar als Missail; Edward Gauntt als Schtschelkalow). Ansonsten waren u.a. folgende Premieren-Besetzungen zu hören: Gabor Andrasy (Boris Godunow), Frode Olsen (Pimen), Ingrid Lehmann-Bartz (Fjodor), Nemi Rouilly-Bertagni (Xenia), Mario Muraro (Otrepjew).
Bei der Neueinstudierung 1994 gab es Änderungen: im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Oper in Nowosibirsk wurde die von Schostakowitsch instrumentierte Version in russischer Sprache gespielt. Es sangen u.a.: Alexander Morosov (Boris Godunow), Simon Yang (Pimen), Clara O'Brien (Fjodor), Zsuzsanna Bazsinska (Xenia) sowie weitere Sänger aus Nowosibirsk.
Als 1992 Chowanschtschina als Gastspiel des Estonia Theater Tallinn in Karlsruhe gegeben wurde, war ebenfalls die von Schostakowitsch instrumentiere Fassung zu hören.
Besetzung & Team
Boris Godunow / Nikititsch: Konstantin Gorny
Fjodor: Dilara Baştar
Wassili Iwanowitsch Schuiski: Matthias Wohlbrecht
Grigori Otrepjew: Andrea Shin
Missail: Max Friedrich Schäffer
Warlaam: Lucas Harbour
Pimen: Avtandil Kaspeli
Xenia: Larissa Wäspy
Xenias Amme: Rebecca Raffell
Wirtin: Stefanie Schaefer
Andrei Schtschelkalow: Gabriel Urrutia Benet
Narr: Hans-Jörg Weinschenk
Ein Leibbojar & Bojar Chrustschow: Nando Zickgraf
Mitjuch: Andreas Netzner
Polizist: Yang Xu
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: David Hermann
Bühne und Kostüme: Christof Hetzer
Chorleitung: Ulrich Wagner
Einstudierung Kinderchor: Anette Schneider
Montag, 17. Oktober 2011
Berlioz – Les Troyens, 15.10.2011
Große Erwartungen und viel Vorfreude lagen bei der ersten Opernpremiere der neuen Intendanz in der Luft und es wurde ein langer (ca 5 Stunden, 20 Minuten), abwechslungsreicher, spektakulärer und sehr spannender Abend.
Die fünfaktige Oper ist zweiteilig. Der erste Teil Die Einnahme Trojas umfasst die ersten beiden Akte. Die Trojaner in Karthago die Akte drei bis fünf.
Die Einnahme Trojas beginnt mit schweren Atemstößen. Der Geist des trojanischen Helden Hektor steht auf dem leeren Schlachtfeld, schwer atmend als ob auch die Geister noch Troja verteidigt hätten, und nun nach dem scheinbaren Abzug der Griechen erschöpft den Horizont absuchend. Bühnen- und Kostümbildner Christoph Hetzner hat für den ersten Teil eine karge, archaisierende Bühne geschaffen. Die vorherrschende Kostümfarbe ist weiß, die nur kurz vor Ende auftretenden Griechen sind in Schwarz. Die Farbe des Blutes und der Toten ist blau. Die zentrale Rolle ist Hektors Schwester Kassandra, die die Trojaner vergeblich vor dem griechischen Pferd warnt und am Ende des zweiten Aktes die trojanischen Frauen anführt, die den Freitod wählen, um der griechischen Gefangenschaft zu entgehen. Regisseur David Hermann hat für den ersten Teil der Oper eine durchweg überzeugende und spannende Inszenierung geliefert, die auf spektakuläre Publikumswirkung setzt. Um die räumliche Wirkung der Chormassen zu verdeutlichen, lässt Hermann den Zuschauerraum bespielen: der Chor geht über die Zuschauertüren ein und ab und singt teilweise in den Gängen zwischen den Zuschauern. Das trojanische Pferd, dargestellt durch einen anthrazitfarbenen, zeppelinförmigen Ballon, schwebt am Ende des 1. Aktes wie eine dunkle, unheilbringende Wolke über den Trojanern.
Christina Niessen als Kassandra wurde vom Publikum einhellig bejubelt; ihr Partner Chorebus, gesungen von Armin Kolarczyk sowie Chor und Orchester und alle anderen Sänger, die im ersten Teil nur kleinere Rollen haben, ebenso. Als nach ca 90 Minuten der erste Teil vorüber war, ging das Publikum sehr zufrieden, teilweise euphorisch in die einstündige Pause.
Die Trojaner in Karthago ist der Titel der Akte drei bis fünf. Die Szenerie ist modernisiert: wohlhabende, blühende Landschaften, moderne Architektur versinnbildlichen den Aufstieg der Stadt. Die vorherrschende Kostümfarbe ist grün mit gelegentlichen Blütendrucken. Die Trojaner kommen in einer Wohlstandswelt an. Das erste Bild des dritten Aktes, eine jubelnde Massenszene wird komplett im Zuschauerraum gesungen. Die sich nun entwickelnde, tragisch endende Liebesgeschichte zwischen dem Anführer des Trojaner Aeneas und der karthagischen Königin Dido fällt in der Inszenierung leider ab. Große Szenen, wie das Septett und Liebesduett im 4. Akt sind routiniert umgesetzt, doch ohne den Zauber der Faszination zu vermitteln, die die Musik bereithält. Größter Schwachpunkt die letzte halbe Stunde: Didos Freitod wird trotz guter Bühnenidee und großartiger Sängerin von der Personenregie verschenkt und statt zum tragischen Ende zum inszenatorischen Langeweiler. Die Trojaner in Karthago kommen über gute Ansätze nicht hinaus, zu unbestimmt und beliebig geraten viele Szenen.
Als Dido ist die neu in Karlsruhe engagierte Sängerin Heidi Melton zu hören – sie ist der Star des Abends: eine große, wunderschöne Stimme. Frau Melton singt so souverän, so scheinbar mühelos, daß es ein Vergnügen ist, ihr zuzuhören. Das Publikum überschüttete sie am Ende mit Brava-Rufen.
John Treleaven als Aeneas war an diesem Abend leider indisponiert. Man hätte ihm einen Gefallen getan, wenn man zu Beginn des Abends angekündigt hätte, dass er gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe ist. So wurde einer der Höhepunkte der Oper, das Liebesduett im 4. Akt zur Qual, bei der man, statt das Duett zu genießen, angespannt abwartete, ob Treleaven alle Passagen singen kann. Das Publikum reagierte etwas ungehalten auf diese Einbuße und 2-3 Buh-Rufer störten die gute Atmosphäre des Abends. Eine Ansage hätte das deutlich gemildert.
Doch der Abend hatte neben Heidi Melton noch andere große Stimmen. Konstantin Gorny und die beiden neuen Tenöre Eleazar Rodriguez und Sebastian Kohlhepp, der zu Beginn des 5. Aktes die schönste und anrührendste Arie der Trojaner bravourös sang, begeisterten. Der neue Bassist Avtandil Kaspelli als Hektor überzeugte stimmlich und mit großer Bühnenpräsenz. Alle weiteren Sänger in den kleineren Rollen ebenso.
Überhaupt war es musikalisch ein Triumph: 13 Sänger des Ensembles und 3 kleinere Rollen wollten besetzt sein. Berlioz Monumentaloper verlangt ein sehr gutes Orchester und großen Chor: Dirigent Justin Brown und der von Ulrich Wagner einstudierte Chor (ca. 90 Sänger) gehörten zu den klaren Gewinnern des Abends!
Fazit: Die Einnahme Trojas ist kurzweilig, auf sehr hohem musikalischem Niveau und uneingeschränkt empfehlenswert! Die Trojaner in Karthago hat zwar inszenatorische Längen, dafür aber die fesselndere Musik und großartige Sänger. Der komplette Abend ist so eindrucksstark, dass man die Bilder und Szenen noch lange gegenwärtig hat. Ein geglücktes, spektakuläres Ereignis – unbedingt anhören!
Die fünfaktige Oper ist zweiteilig. Der erste Teil Die Einnahme Trojas umfasst die ersten beiden Akte. Die Trojaner in Karthago die Akte drei bis fünf.
Die Einnahme Trojas beginnt mit schweren Atemstößen. Der Geist des trojanischen Helden Hektor steht auf dem leeren Schlachtfeld, schwer atmend als ob auch die Geister noch Troja verteidigt hätten, und nun nach dem scheinbaren Abzug der Griechen erschöpft den Horizont absuchend. Bühnen- und Kostümbildner Christoph Hetzner hat für den ersten Teil eine karge, archaisierende Bühne geschaffen. Die vorherrschende Kostümfarbe ist weiß, die nur kurz vor Ende auftretenden Griechen sind in Schwarz. Die Farbe des Blutes und der Toten ist blau. Die zentrale Rolle ist Hektors Schwester Kassandra, die die Trojaner vergeblich vor dem griechischen Pferd warnt und am Ende des zweiten Aktes die trojanischen Frauen anführt, die den Freitod wählen, um der griechischen Gefangenschaft zu entgehen. Regisseur David Hermann hat für den ersten Teil der Oper eine durchweg überzeugende und spannende Inszenierung geliefert, die auf spektakuläre Publikumswirkung setzt. Um die räumliche Wirkung der Chormassen zu verdeutlichen, lässt Hermann den Zuschauerraum bespielen: der Chor geht über die Zuschauertüren ein und ab und singt teilweise in den Gängen zwischen den Zuschauern. Das trojanische Pferd, dargestellt durch einen anthrazitfarbenen, zeppelinförmigen Ballon, schwebt am Ende des 1. Aktes wie eine dunkle, unheilbringende Wolke über den Trojanern.
Christina Niessen als Kassandra wurde vom Publikum einhellig bejubelt; ihr Partner Chorebus, gesungen von Armin Kolarczyk sowie Chor und Orchester und alle anderen Sänger, die im ersten Teil nur kleinere Rollen haben, ebenso. Als nach ca 90 Minuten der erste Teil vorüber war, ging das Publikum sehr zufrieden, teilweise euphorisch in die einstündige Pause.
Die Trojaner in Karthago ist der Titel der Akte drei bis fünf. Die Szenerie ist modernisiert: wohlhabende, blühende Landschaften, moderne Architektur versinnbildlichen den Aufstieg der Stadt. Die vorherrschende Kostümfarbe ist grün mit gelegentlichen Blütendrucken. Die Trojaner kommen in einer Wohlstandswelt an. Das erste Bild des dritten Aktes, eine jubelnde Massenszene wird komplett im Zuschauerraum gesungen. Die sich nun entwickelnde, tragisch endende Liebesgeschichte zwischen dem Anführer des Trojaner Aeneas und der karthagischen Königin Dido fällt in der Inszenierung leider ab. Große Szenen, wie das Septett und Liebesduett im 4. Akt sind routiniert umgesetzt, doch ohne den Zauber der Faszination zu vermitteln, die die Musik bereithält. Größter Schwachpunkt die letzte halbe Stunde: Didos Freitod wird trotz guter Bühnenidee und großartiger Sängerin von der Personenregie verschenkt und statt zum tragischen Ende zum inszenatorischen Langeweiler. Die Trojaner in Karthago kommen über gute Ansätze nicht hinaus, zu unbestimmt und beliebig geraten viele Szenen.
Als Dido ist die neu in Karlsruhe engagierte Sängerin Heidi Melton zu hören – sie ist der Star des Abends: eine große, wunderschöne Stimme. Frau Melton singt so souverän, so scheinbar mühelos, daß es ein Vergnügen ist, ihr zuzuhören. Das Publikum überschüttete sie am Ende mit Brava-Rufen.
John Treleaven als Aeneas war an diesem Abend leider indisponiert. Man hätte ihm einen Gefallen getan, wenn man zu Beginn des Abends angekündigt hätte, dass er gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe ist. So wurde einer der Höhepunkte der Oper, das Liebesduett im 4. Akt zur Qual, bei der man, statt das Duett zu genießen, angespannt abwartete, ob Treleaven alle Passagen singen kann. Das Publikum reagierte etwas ungehalten auf diese Einbuße und 2-3 Buh-Rufer störten die gute Atmosphäre des Abends. Eine Ansage hätte das deutlich gemildert.
Doch der Abend hatte neben Heidi Melton noch andere große Stimmen. Konstantin Gorny und die beiden neuen Tenöre Eleazar Rodriguez und Sebastian Kohlhepp, der zu Beginn des 5. Aktes die schönste und anrührendste Arie der Trojaner bravourös sang, begeisterten. Der neue Bassist Avtandil Kaspelli als Hektor überzeugte stimmlich und mit großer Bühnenpräsenz. Alle weiteren Sänger in den kleineren Rollen ebenso.
Überhaupt war es musikalisch ein Triumph: 13 Sänger des Ensembles und 3 kleinere Rollen wollten besetzt sein. Berlioz Monumentaloper verlangt ein sehr gutes Orchester und großen Chor: Dirigent Justin Brown und der von Ulrich Wagner einstudierte Chor (ca. 90 Sänger) gehörten zu den klaren Gewinnern des Abends!
Fazit: Die Einnahme Trojas ist kurzweilig, auf sehr hohem musikalischem Niveau und uneingeschränkt empfehlenswert! Die Trojaner in Karthago hat zwar inszenatorische Längen, dafür aber die fesselndere Musik und großartige Sänger. Der komplette Abend ist so eindrucksstark, dass man die Bilder und Szenen noch lange gegenwärtig hat. Ein geglücktes, spektakuläres Ereignis – unbedingt anhören!
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