Samstag, 22. Juni 2013

Schauspiel Frankfurt: Euripides - Medea, 21.06.2013

Wer mit dem "Schauspiel" des Badischen Staatstheaters (vielleicht das bestsubventionierte Kinder-, Schüler-, Jugend-, Singspiel- und Volkstheater der Republik) zur Zeit unglücklich ist und in den Zielgruppenplanungen (mehr dazu hier) sich nicht mehr berücksichtigt fühlt, wer der Eindimensionalität und Langweiligkeit des aktuellen Karlsruher "Schauspiels" entkommen will, für den lohnt sich ein Ausflug nach Frankfurt. Dort hat der seit 2009 tätige Intendant Oliver Reese das Schauspiel zurück in die Spitzengruppe deutscher Theater geführt.

Die Frankfurter Medea (Premiere war im April 2012) eröffnete im Frühjahr dieses Jahres die Berliner Theaterfestwoche als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der letzten Saison. Zu Recht! Regisseur Michael Thalheimer hat es geschafft, Medea (sozusagen die Quentin Tarantino Rachegeschichte unter den griechischen Tragödien) in unsere Zeit zu retten und zeigt eine Inszenierung ohne Verfremdungen und Launen, die stark getragen wird von den Fähigkeiten der Schauspieler. Die Geschichte um den Raub des Goldenen Vlieses durch Jason und dessen Helferin Medea, die aus Liebe alles für Jason aufgab, kulminiert in dieser Eifersuchtsgeschichte, in der Medea aus Rache dafür, von Jason verlassen zu werden und eine andere zu heiraten, ihre gemeinsamen Kinder und dessen zukünftige Braut tötet.

Thalheimer wertet und denunziert seine Figuren nicht und das ist auch das Großartige an seiner Regie: man folgt der Inszenierung stets mit dem Eindruck, etwas Mustergültiges und Zeitloses zu sehen, jenseits vom archaischem Mythos, klassischem Pathos oder distanzierender Künstlichkeit. Man wird Zeuge eines Beziehungsdramas, das bis aufs Blut geführt wird - nervenaufreibend, hoch spannend und packend. Nie wird um den heißen Brei herum geredet, hier zählt keine wie auch immer geartete Correctness oder Rücksicht - hier geht es um ein brutales Beziehungsende. Constanze Becker spielt und spricht die gekränkte und gedemütigte Medea unerbittlich. Wie in Stein gemeiselt und unabänderlich sind auch Ihre Sätze, Vorwürfe, Tiraden und Rechtfertigungen, eine Sprache der Alternativlosigkeit. Ihr Handeln wird geprägt von der eisernen Konsequenz der totalen Selbststimmung. Sie liebt und hasst absolut. Ihr ganzes Glück lag alleine in der Beziehung zu Jason, ihre Rache bricht alle Brücken hinter ihr ab, ihre Wut verleiht ihr übermenschliche, grauenvolle Entschlossenheit. Nach ihr die Sintflut. Larger than life ... und doch so real und erschreckend überzeugend in der Irrationalität ihrer Handlung - das ist der Kern des Kunststücks, das Thalheimer/Becker zeigen.

Auf einem erhöhten Bühnenabschnitt im Hintergrund agiert die durch Tränen Wimperntuschen-verschmierte Medea, während alle anderen zu ihr kommenden Figuren von oben herab von Medea angesprochen werden. Es besteht viel Raum zwischen ihr und den anderen und erst als sie ihren Racheplan entworfen hat und sie Jason die Fügung in ihr Schicksal vortäuscht, fährt ihr erhöhtes Podest wie eine bedrohliche, erdrückende Gewalt nach vorne und lässt den anderen kaum noch Platz. Wie eine Spinne in ihrem Netz kauert sie dabei anfänglich und versucht dann, den Gatten zu umgarnen. Frei ist hier nur, wer sich jeder mitmenschlichen Verpflichtung entledigt. Emanzipation und Selbstverwirklichung beginnen nach der Auslöschung ihres früheren Lebens. Der Schritt zu dessen Zerstörung zeigt eine verformte, verkrampfte, fratzenhafte Medea; Becker reißt den Mund auf und streckt weit ihre Zunge heraus, als wolle sie alles herausbrüllen und herauswürgen, was sie noch mit der Demütigung des Verlassenwerdens verbindet. Laute Musik und Piktogramme des Familienglücks begleiten den seelischen Weg zum Mord. Die Konsequenzen sind desaströs und von eisiger Kälte geprägt. Erst als sie ihre Rache genommen hat, wird Medea sich auf eine Ebene zu den anderen herab begeben, proper und adrett im kleinen Schwarzen und Trenchcoat zieht sie in ihr neues Leben und lässt Jason gebrochen und am Boden zerstört hinter sich.

Thalheimers Inszenierung ist darin mutig, daß sie reduziert und doch überbordend, nüchtern und doch expressiv ist. Alles wirkt folgerichtig, nichts falsch oder überbelichtet. Keine Ausreden, kein Getue - Thalheimers Theater ist nicht verzagt oder mutlos. Auf der kargen Bühne ist für überflüssigen Schnickschnack kein Platz. Und sogar die Video- und Musikeinspielung folgen der Inszenierungslogik und setzen sich positiv ab von all den Theatern, die Musik und Gesang beliebig einsetzen, weil es irgendwie nett und entspannend für die Zuschauer ist, wenn zwischendurch mal öfters etwas Englisches geträllert wird oder Stimmungen entstehen sollen, die eigentlich sonst durch Schauspieler und Bühne erschaffen werden.

Fazit: Die volle Wucht griechischer Tragödie! Eine großartige, unglaublich direkte und fesselnde Aufführung, die durch Constanze Becker in der Hauptrolle zum aufwühlenden Ereignis wird. Ein Glücksfall, wie er nicht oft gelingt und der zeigt, wieso Live-Erlebnisse unschlagbar sind und Theater unerlässlich. Aber Achtung: es besteht Suchtgefahr und erhöht gleichzeitig den Schmerzfaktor angesichts der aktuellen Karlsruher Zustände.
   
PS: 2014 inszeniert Thalheimer in Frankfurt Kleists Penthesilea!

Besetzung & Team
Amme: Josefin Platt
Chor der korinthischen Frauen: Bettina Hoppe
Medea: Constanze Becker
Kreon: Martin Rentzsch
Jason: Marc Oliver Schulz
Aigeus: Michael Benthin
Bote: Viktor Tremmel

Regie: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Nehle Balkhausen
Musik: Bert Wrede
Video: Alexander du Prel
Dramaturgie: Sibylle Baschung

Dienstag, 18. Juni 2013

7. Symphoniekonzert, 17.06.2013

Heiße 36°C im Verlauf des Tages, doch wer befürchtete, ermattete Musiker nach der ersten Hitzewelle des Jahres anzutreffen, lag falsch. Gestern Abend war das Kunststück einer hoch konzentrierten und doch glücklich gelösten Aufführung zu bestaunen. Justin Brown und die Badische Staatskapelle spielten ein famos gelungenes Konzert.

Meeresimpressionen - groß besetzte Orchestergemälde über maritime Themen und ein Liederzyklus, Musik aus England und Frankreich stand auf dem Programm des 7. Symphoniekonzerts, das auch zur Einstimmung und Vorbereitung auf den kommenden Höhepunkt in der Oper nützt: Benjamin Brittens 1945 uraufgeführtes Meisterwerk Peter Grimes hat am 06.07.13 Premiere im Großen Haus - eine Oper, aus der Britten fünf orchestrale Zwischenspiele -Sea Interludes- für den Konzertgebrauch zusammenstellte, die den gestrigen Abend ergänzt hätten, aber aus guten Grund so kurz vor der Premiere fehlten.

Frank Bridge (*1879 †1941) war der Kompositionslehrer von Benjamin Britten. The Sea ist ein zwischen Ruhe und Aufruhr, Idylle und Naturgewalt angesiedelte musikalische Bilddichtung in vier Sätzen, die ihren Ursprung in der Spätromantik hat. Ein klangschönes, teilweise schwelgerisches Konzertstück - zwar keine Entdeckung, aber dennoch eine schöne Ausgrabung.
 
Benjamin Brittens musikalisch abwechslungs- und stimmungsreicher Liedzyklus für hohe Stimme und Streichorchester Les Illuminations ist -wie auch die Anfang der Spielzeit aufgeführte Sinfonia da Requiem- ein Resultat seines USA Aufenthalts zwischen 1939 und 1942. Mit Eleazar Rodriguez hat man einen Sänger im Karlsruher Ensemble, der innerhalb von zwei Spielzeiten nur positiv auf sich aufmerksam gemacht hat und dem man nach seinem sympathischen, engagierten gestrigen Auftritt und spannend vorgetragenen Liedzyklus sowie bspw. der Hauptrolle in Donizettis Regimentstochter, regelmäßig Hauptrollen und noch viele schöne Jahre am Badischen Staatstheater wünscht. Bravo an alle Beteiligte für eine sehr gelunge Aufführung!

Der britische Komponist Benedict Mason (*1954) hat für seine Komposition Lighthouses of England and Wales die britische Küste bereist und versucht, Leuchtfeuer und Leuchttürme in ihrer Rhythmik und Besonderheit musikalisch zu erfassen. So originell die Entstehungsgeschichte auch erscheint - dem Durchschnittshörer bleibt als Charakteristik wohl nur etwas im Ohr, das sich dreht und kreist. Ob man mit dieser Musik ein Leuchtfeuer assoziiert oder die Musik als Schwindelgefühl, Agonie und Katerstimmung nach einer durchzechten Nacht interpretiert, bleibt eine individuelle Wahrnehmung. Zumindest gab es einige interessante Klangeffekte. Der mäßige Applaus sprach für wenig seemännische Begeisterung im Publikum.

Doch Begeisterung löste Justin Brown  an diesem Abend mit einer umwerfend großartigen Aufführung zum Abschluß aus. Der Abend endete wie er begann - mit der im Vergleich zu Bridges The Sea deutlich bekannteren (und beeindruckenderen) französischen Meeresbeschreibung La Mer von Claude Debussy.  Es war einer der seltenen Glücksfälle, bei denen man den Eindruck hat, daß ein Dirigent eine ausgesprochen hohe Affinität zu einer Komposition hat und eine mustergültige und vorbildliche Interpretation spielt. Noch mal an alle Beteiligten: Bravo und vielen Dank für das schöne Konzert!

Mittwoch, 12. Juni 2013

Donizetti - Die Regimentstochter, 11.06.2013

Bald endet das zweite Jahr der neuen Intendanz und man sollte im Badischen Staatstheater Betriebstemperatur erreicht haben. Aber hat man das denn?
Immer wieder fiel mir in den letzten Wochen und Monaten auf, daß mich das Opernprogramm nicht glücklich macht. Warum? Was stand bzw. steht denn unter der Woche im Mai und Juni überhaupt auf dem Programm? Man hat zwei Monate lang die Qual der Wahl unter 3 (drei) Stücken: an Werktagen kann man acht Wochen lang nur entweder Der Vetter aus Dingsda oder Die Regimentstochter oder Die Passagierin hören. Kommt nur mir das etwas wenig und abwechslungsarm vor?
Kurze Stichproben in den Jahren 2009 und 2010 zeigen, daß damals jeweils sechs Opern unter der Woche auf dem Programm standen, also doppelt so viel Auswahlmöglichkeiten.
(2010: Herzog Blaubarts Burg, Die griechische Passion, Cosi fan tutte, Der Barbier von Seviglia, Fidelio, Tosca und in Vorstellungen am Wochenende: Euryanthe, Masnadieri, Don Carlos, Rosenkavalier).
Leidet man in Karlsruhe bezüglich des Opernprogramms aktuell unter einer gewissen Eintönigkeit und mangelnden Wahlmöglichkeiten oder ist man einfach noch nicht soweit, einen vielfältigeren Spielplan mit dem neuen Ensemble auf die Beine zu stellen?

Die Oper geht ja einen anderen Weg als das Schauspiel: man orientiert man sich an den Liebhabern und Kennern und präsentiert ihnen Opern, die es in den letzten Jahrzehnten in der Regel nicht oder noch nie zu hören gab. Ob das wirklich den etwas  beliebig anmutenden Titel "Bestes Opernprogramm" verdient, gehört zur Kategorie überflüssiger, bedeutungsloser, aber modischer Ranglisten-Erörterungen (neudeutsch: Rankings), die mehr Zeitvertreib als Erkenntnisgewinn versprechen. Und dennoch möchte ich hier mal ausdrücklich Joscha Schaback und Bernd Feuchtner loben. Das Programm ist interessant und bemerkenswert, dennoch fehlt mir etwas, das nur schwer zu umschreiben ist - eine wöchentliche Möglichkeit etwas Bekömmliches anzuhören, das über eine Operette hinaus gehen soll (obwohl mir Der Vetter aus Dingsda sehr gefällt) und wiederum für einen spontanen Besuch nach Feierabend weniger schwer und ernst ist als Wallenberg oder Die Passagierin.

Auf die gestrige Vorstellung von  Donizettis Regimentstochter habe ich mich deshalb richtig gefreut. Die Inszenierung ist, wie auch bereits Spontinis La Vestale, solides Handwerk. Beide hätten meines Erachtens -und das ist wertungsfrei gemeint- auch in der Thorwald-Zeit so produziert werden können und nur zur Intendanz Pavel Fiebers (dessen Opernprogramm für mich besser war als sein Ruf) hätten sie wohl nicht gepasst.

Die A-Premiere  der Regimentstochter war ein gut unterhaltsames und sängerisch hochwertiges Erlebnis und in der Besetzung fast identisch mit der gestrigen Vorstellung (für die kranke Tiny Peters sprang Multitalent Anna-Magdalena Beetz ein), bei der alle Beteiligten unverändert viel Spielfreude und Virtuosität zeigten. Vor allem das zentrale Quartett Schlingensiepen / Eleazar (an beide: Bravo!) und Gauntt / Hudarew trugen zur guten Stimmung bei dieser harmlosen Inszenierung bei, die einen kurzweiligen ersten Akt und einen sich etwas ziehenden zweiten aufweist. Das Publikum reagierte wie schon in der Premiere sehr angetan von der Aufführung und gab allen Beteiligten viel und langen Applaus.

Samstag, 1. Juni 2013

Siegfried (Ballett), 31.05.2013

Die Wiederaufnahme nach einem Jahr bestätigt die bisherigen Beobachtungen (mehr dazu hier, hier und hier): was für ein eindrucksstarkes und abwechslungsreiches Ballett, wie spannend getanzt vom Badischen Staatsballett und wie packend dirigiert und gespielt von Christoph Gedschold und der Badischen Staatskapelle. Es macht einfach Spaß zuzusehen und zuzuhören, abwechselnd oder zusammen. Entweder auf der Bühne oder im Orchestergraben oder auch gleichzeitig - es passiert immer etwas Bemerkenswertes.