Freitag, 29. November 2019

Büchner - Woyzeck, 28.11.2019

Multiples Motivversagen
Was hat Büchners Woyzeck heute noch zu erzählen? Eine Frage, an der sehr viele Inszenierungen scheitern, weil sie nur noch weit Hergeholtes und grob Zusammengereimtes in die Handlung projizieren oder immer noch altertümlichen Interpretationen folgen. In knapp zwei Jahrhunderten hat sich vieles grundlegend und auch zum Besseren geändert, doch die Decke der Zivilisation ist dünn, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf und Gewalt ist eine Konstante. Sie kann kanalisiert werden durch Sport und Karriere und bricht doch immer wieder durch - als Recht des Stärkeren, als Sadismus oder als Zuflucht, denn Haß und Gewalt können als Ventil für verletzte Würde und negative Emotionen befreiend wirken. Die Geschichte des Mörders Woyzecks ist vielschichtig und deshalb noch immer bühnentauglich, die Titelfigur ist individuell benachteiligt, psychisch labil, in prekären Verhältnissen und mit niedrigem gesellschaftlichen Status und wird von seiner Partnerin betrogen. Diese Konstellationen werden von der neuen Karlsruher Inszenierung weitgehend ignoriert, die Regisseurin will keine gesellschaftliche Analyse, sondern sieht nur die individuelle psychische Krankheitsgeschichte – mehr bleibt von Woyzeck nicht übrig. Das ist umso bitterer, da die Regisseurin als Autorin Büchners Dramenfragment erweitert und verändert hat, aber es nicht ansatzweise gelingt, der Neumotivierung Triftigkeit zu verleihen. Ästhetisch deutet die Regisseurin vieles nur an, doch sind ihre Andeutungen weder mysteriös spannend noch prägnant. Wer sich als Zuschauer diese zähe und langweilige Produktion unbedingt antun will, dem könnte mit dem Tipp gedient sein, sich den Handlungsverlauf bei dieser Inszenierung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt vorzustellen. Sehr viel mehr Sinnhaftigkeit läßt sich bei dieser Figurenkonstellation, die ständig von einer Bühnen-Ärztin beobachtet wird, kaum erkennen.

Dienstag, 12. November 2019

Es kriselt wieder offiziell in der Karlsruher Oper

Flucht statt Fluktuation
oder
Der Fisch stinkt vom Kopf
Daß es nicht so rund läuft am Badischen Staatstheater, ist nichts Neues. Heute verkünden die Badischen Neusten Nachrichten eine neue Eskalation, zu der noch keine offizielle Stellungnahme vorliegt. Operndirektorin Nicole Braunger wünscht anscheinend die vorzeitige Auflösung ihres Vertrags, ihr Stellvertreter Patric Seibert, Kapellmeister Daniele Squeo, Dramaturgin Deborah Meier und der Künstlerische Produktionsleiter Bernardo Sousa de Macedo wollen laut BNN ebenfalls das Haus verlassen.

Montag, 4. November 2019

Seid umschlungen, 03.11.2019

Vielversprechende Vorschau 
Wie wird sich das Badische Staatsballett in den kommenden Jahren weiterentwickeln? Für ihre erste Premiere hat die neue Karlsruher Ballettdirektorin Bridget Breiner einen Querschnitt zusammengestellt, der zeigt, welche künstlerischen Handschriften die nächsten Jahren prägen werden. Sie zeigt eine eigene, für diesen Anlaß geschaffene Uraufführung sowie die Werke von sieben weiteren Choreographen, die auch die nächsten Jahre die Karlsruher Kompagnie begleiten werden, einige davon persönliche Werkgefährten von Breiners Karriere als Tänzerin, Choreographin und Ballettdirektorin. Stilistisch (und musikalisch) reicht diese Leistungsschau vom klassischen Ballett bis zur Moderne; das Ergebnis kommt an, eine herzliche Stimmung und viel Beifall begleiteten den geglückten Einstand.

Samstag, 2. November 2019

Gounod - Faust, 01.11.2019

Attraktives Hörerlebnis mit flachsinnigem Regiekonzept
Bei der Premiere gab es schon einige Buhs für die Regie und nach der gestrigen Vorstellung muss man zugestehen, es hätten noch viel, viel mehr sein müssen. Inszenierungen können mißglücken, man darf sich aber nicht an schlechtes Theater gewöhnen. Die ständigen Qualitätsprobleme der Intendanz von Peter Spuhler können dazu führen, daß man bereits dankbar ist, wenn wichtige Inszenierungen nicht verhunzt sind. Doch das ist eine Relativierung, die bereits niedrigem Niveau Platz einräumt und deshalb nicht toleriert werden darf. Aus einer populären Oper wie Gounods Faust kann man viel mehr machen als eine gesellschaftliche Groteske, die mit zentralen Handlungsteilen nichts anzufangen weiß, sich imaginäre Konflikte ausdenkt, der Oper ein flachsinniges Regiekonzept überstülpt und in einer lächerlichen und aufgesetzten Schlußszene ein gekünseltes und künstliches Knalleffektchen produziert, das weder zur Intention noch zur Musik paßt und letzendlich eitle Wichtigtuerei ist.