Multiples Motivversagen
Was hat Büchners Woyzeck heute noch zu erzählen? Eine Frage, an
der sehr viele Inszenierungen scheitern, weil sie nur noch weit
Hergeholtes und grob Zusammengereimtes in die Handlung projizieren oder
immer noch altertümlichen Interpretationen folgen. In knapp zwei
Jahrhunderten hat sich vieles grundlegend und auch zum Besseren
geändert, doch die Decke der Zivilisation ist dünn, der Mensch ist dem
Menschen ein Wolf und Gewalt ist eine Konstante. Sie kann kanalisiert
werden durch Sport und Karriere und bricht doch immer wieder durch - als
Recht des Stärkeren, als Sadismus oder als Zuflucht, denn Haß und
Gewalt können als Ventil für verletzte Würde und negative Emotionen
befreiend wirken. Die Geschichte des Mörders Woyzecks ist vielschichtig
und deshalb noch immer bühnentauglich, die Titelfigur ist individuell
benachteiligt, psychisch labil, in prekären Verhältnissen und mit
niedrigem gesellschaftlichen Status und wird von seiner Partnerin betrogen. Diese Konstellationen werden von der neuen Karlsruher Inszenierung weitgehend ignoriert, die Regisseurin will keine
gesellschaftliche Analyse, sondern sieht nur die individuelle psychische
Krankheitsgeschichte – mehr bleibt von Woyzeck nicht übrig. Das ist umso bitterer, da die Regisseurin als Autorin Büchners Dramenfragment erweitert und verändert hat, aber es nicht ansatzweise gelingt, der Neumotivierung Triftigkeit zu verleihen. Ästhetisch deutet die Regisseurin vieles nur an, doch sind ihre Andeutungen weder mysteriös spannend noch prägnant. Wer sich als Zuschauer
diese zähe und langweilige Produktion unbedingt antun will, dem könnte mit dem Tipp gedient
sein, sich den Handlungsverlauf bei dieser Inszenierung in einer geschlossenen psychiatrischen
Anstalt vorzustellen. Sehr viel mehr Sinnhaftigkeit läßt sich bei dieser
Figurenkonstellation, die ständig von einer Bühnen-Ärztin beobachtet wird, kaum
erkennen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Freitag, 29. November 2019
Dienstag, 12. November 2019
Es kriselt wieder offiziell in der Karlsruher Oper
Flucht statt Fluktuation
oder
Der Fisch stinkt vom Kopf
Daß es nicht so rund läuft am Badischen Staatstheater, ist nichts Neues. Heute verkünden die Badischen Neusten Nachrichten eine neue Eskalation, zu der noch keine offizielle Stellungnahme vorliegt. Operndirektorin Nicole Braunger wünscht anscheinend die vorzeitige Auflösung ihres Vertrags, ihr Stellvertreter Patric Seibert, Kapellmeister Daniele Squeo, Dramaturgin Deborah Meier und der Künstlerische Produktionsleiter Bernardo Sousa de Macedo wollen laut BNN ebenfalls das Haus verlassen.
oder
Der Fisch stinkt vom Kopf
Daß es nicht so rund läuft am Badischen Staatstheater, ist nichts Neues. Heute verkünden die Badischen Neusten Nachrichten eine neue Eskalation, zu der noch keine offizielle Stellungnahme vorliegt. Operndirektorin Nicole Braunger wünscht anscheinend die vorzeitige Auflösung ihres Vertrags, ihr Stellvertreter Patric Seibert, Kapellmeister Daniele Squeo, Dramaturgin Deborah Meier und der Künstlerische Produktionsleiter Bernardo Sousa de Macedo wollen laut BNN ebenfalls das Haus verlassen.
Montag, 4. November 2019
Seid umschlungen, 03.11.2019
Vielversprechende Vorschau
Wie wird sich das Badische Staatsballett in den kommenden Jahren weiterentwickeln? Für ihre erste Premiere hat die neue Karlsruher Ballettdirektorin Bridget Breiner einen Querschnitt zusammengestellt, der zeigt, welche künstlerischen Handschriften die nächsten Jahren prägen werden. Sie zeigt eine eigene, für diesen Anlaß geschaffene Uraufführung sowie die Werke von sieben weiteren Choreographen, die auch die nächsten Jahre die Karlsruher Kompagnie begleiten werden, einige davon persönliche Werkgefährten von Breiners Karriere als Tänzerin, Choreographin und Ballettdirektorin. Stilistisch (und musikalisch) reicht diese Leistungsschau vom klassischen Ballett bis zur Moderne; das Ergebnis kommt an, eine herzliche Stimmung und viel Beifall begleiteten den geglückten Einstand.
Wie wird sich das Badische Staatsballett in den kommenden Jahren weiterentwickeln? Für ihre erste Premiere hat die neue Karlsruher Ballettdirektorin Bridget Breiner einen Querschnitt zusammengestellt, der zeigt, welche künstlerischen Handschriften die nächsten Jahren prägen werden. Sie zeigt eine eigene, für diesen Anlaß geschaffene Uraufführung sowie die Werke von sieben weiteren Choreographen, die auch die nächsten Jahre die Karlsruher Kompagnie begleiten werden, einige davon persönliche Werkgefährten von Breiners Karriere als Tänzerin, Choreographin und Ballettdirektorin. Stilistisch (und musikalisch) reicht diese Leistungsschau vom klassischen Ballett bis zur Moderne; das Ergebnis kommt an, eine herzliche Stimmung und viel Beifall begleiteten den geglückten Einstand.
Samstag, 2. November 2019
Gounod - Faust, 01.11.2019
Attraktives Hörerlebnis mit flachsinnigem Regiekonzept
Bei der Premiere gab es schon einige Buhs für die Regie und nach der gestrigen Vorstellung muss man zugestehen, es hätten noch viel, viel mehr sein müssen. Inszenierungen können mißglücken, man darf sich aber nicht an schlechtes Theater gewöhnen. Die ständigen Qualitätsprobleme der Intendanz von Peter Spuhler können dazu führen, daß man bereits dankbar ist, wenn wichtige Inszenierungen nicht verhunzt sind. Doch das ist eine Relativierung, die bereits niedrigem Niveau Platz einräumt und deshalb nicht toleriert werden darf. Aus einer populären Oper wie Gounods Faust kann man viel mehr machen als eine gesellschaftliche Groteske, die mit zentralen Handlungsteilen nichts anzufangen weiß, sich imaginäre Konflikte ausdenkt, der Oper ein flachsinniges Regiekonzept überstülpt und in einer lächerlichen und aufgesetzten Schlußszene ein gekünseltes und künstliches Knalleffektchen produziert, das weder zur Intention noch zur Musik paßt und letzendlich eitle Wichtigtuerei ist.
Bei der Premiere gab es schon einige Buhs für die Regie und nach der gestrigen Vorstellung muss man zugestehen, es hätten noch viel, viel mehr sein müssen. Inszenierungen können mißglücken, man darf sich aber nicht an schlechtes Theater gewöhnen. Die ständigen Qualitätsprobleme der Intendanz von Peter Spuhler können dazu führen, daß man bereits dankbar ist, wenn wichtige Inszenierungen nicht verhunzt sind. Doch das ist eine Relativierung, die bereits niedrigem Niveau Platz einräumt und deshalb nicht toleriert werden darf. Aus einer populären Oper wie Gounods Faust kann man viel mehr machen als eine gesellschaftliche Groteske, die mit zentralen Handlungsteilen nichts anzufangen weiß, sich imaginäre Konflikte ausdenkt, der Oper ein flachsinniges Regiekonzept überstülpt und in einer lächerlichen und aufgesetzten Schlußszene ein gekünseltes und künstliches Knalleffektchen produziert, das weder zur Intention noch zur Musik paßt und letzendlich eitle Wichtigtuerei ist.
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