Wer erinnert sich an die letzte rasante Komödie?
Das Leichte ist bekanntlich das Schwere, und am Karlsruher Schauspiel fand sich über ein Jahrzehnt kein Schauspieldirektor, der sich traute, eine richtige Komödie zu stemmen. Auch Anna Bergmann weigerte sich vier Spielzeiten lang und erarbeitete sich lieber den eher moralinsauren Ruf, daß an einem deutschen Staatstheater nicht gelacht werden darf. Nun, in Bergmanns fünfter Spielzeit und zum ersten Mal seit Knut Webers Schauspieldirektion, ist es geschafft: mehrere Zuschauer lachten gleichzeitig, und das auch noch öfters! Und die vier Schauspieler dürfen auftrumpfen wie zu besten Zeiten! Nach langen Jahren der Humorlosigkeit am Karlsruher Schauspiel ist diese Inszenierung ein entschiedener Fortschritt.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Donnerstag, 15. Dezember 2022
Reza - Der Gott des Gemetzels, 14.12.2022
Freitag, 29. Oktober 2021
von Schirach - Gott, 28.10.2021
Scheinveranstaltung mit Scheinargumenten
Ferdinand von Schirachs Terror (mehr hier)
als Theaterstück mit Publikumsbeteiligung war ein großer kommerzieller
Erfolg, über eine halbe Million Besucher sollen es weltweit im Theater
gesehen haben. Ethische Dilemma als unlösbare Konflikte, bei denen man stets falsch handelt,
wenn man richtig handeln will, werden buchstäblich verhandelt, in Terror als Gerichtsverhandlung, nun in Gott vor einem Ethikrat und am Schluß darf der Zuschauer seinen Senf
beitragen und seine unmaßgebliche Meinung in einer Zuschauerabstimmung
kund tun. 'Schuldig oder nicht schuldig' (Terror), nun sogar 'Tod oder
Leben',
denn in Gott geht es um den Wert eines Lebens und die Frage der assistierten Sterbehilfe. Eine 78jährige,
kerngesunde(!), aber traurige Witwe will aus dem Leben scheiden, vor der anzuwendenden Gewalt gegen
sich selbst scheut sie zurück und fordert das Recht auf medizinisch
verträgliches
Ableben mittels einer letalen Überdosierung eines Medikaments.
Die Premierenkritiken im Frühherbst 2020 waren schlecht und vor der
TV-Premiere Ende November 2020 geriet der Text stark unter Druck. In
einem Offenen Brief schrieben Palliativmediziner und Psychologen zu Schirachs Stück ein vernichtendes Urteil: "Die
handelnden Personen entsprechen zum Teil einem Zerrbild und auch die
Fakten entsprechen zum Teil nicht dem aktuellen wissenschaftlichen
Stand. Auch fehlen die Positionen der modernen Suizidprävention. Darüber
hinaus entsprechen weite Teile der Diskussion nicht der eigentlichen
Frage." Gott taugt nicht als Diskussionsbasis über Sterbehilfe, dazu ist der Text zu schwach konstruiert, Personen und Argumente sind nicht ausgeglichen, ein argumentatives Unentschieden will der parteiische Autor nicht erreichen. Was man sieht, darf man auf keinen Fall inhaltlich überbewerten, denn Realität findet sich kaum in dieser Fiktion von Scheinargumenten in einer so nicht existierenden Scheinveranstaltung. Somit stellt sich nur die Frage, ob Gott trotz eklatanter Schwächen gutes Theater bieten kann. In Karlsruhe erlebt man eine ruhige, unaufgeregte Inszenierung mit dem etwas langweiligen Reiz einer Talkshow, in der unter sehr guten Schauspielern insbesondere Jannek Petri und Timo Tank als meinungsstarke Figuren ihr Können unter Beweis stellen.
Sonntag, 9. Februar 2020
Kleist - Penthesilea, 09.02.2020
Penthesilea ist kein Stück für Pazifisten. Es geht um den trojanischen Krieg, Kleist wählte den Mythos, um die Fallhöhe zu maximieren. Mythologische Krieger und Helden werden in ein neues Spannungsverhältnis zueinander gesetzt, die beiden Hauptfiguren kommen zu Fall, und zwar durch ihre Begierde füreinander. Das Ungeheuerliche eines mörderischen Gewaltexzesses im rauschhaften Affekt macht Penthesilea zu einem der außerordentlichsten Theaterstücke deutscher Sprache. Schade nur, daß das Karlsruher Schauspiel nichts damit anzufangen weiß. Das Ungeheuerliche ist der Regie nicht geheuer, wo Tragik sein sollte, bleibt harmloser Beziehungsstreß, statt einem eskalierenden Ende, gibt es lauwarmen Weichspühlgang. Von Heinrich von Kleist bleibt nicht viel übrig, die Regisseurin streicht sieben von neun Figuren und läßt ihre Inszenierung ins Leere laufen. Aber es gibt auch zwei positive Aspekte: die stark gekürzte Penthesilea benötigt nur 65 Minuten und mit Claudia Hübschmann und Jannek Petri hat man die richtige Besetzung gewählt.
Freitag, 5. April 2019
Heldenbergh - The Broken Circle, 04.04.2019
Früher traf man im Karlsruher Theater nie auf Claqueure, doch seit der Amtsübernahme von Intendant Spuhler wird die inoffizielle Zurückhaltungsregel bei Premieren anscheinend laxer gehandhabt - das engagierte Umfeld darf künstlich Stimmung machen, regelmäßig konnte man in den letzten Jahren als aufmerksamer Zuschauer beobachten, daß es augenfällig Angehörige und Freunde sind, die lautstark johlen, vor allem wenn eine Produktion auf der Kippe steht, fallen solche Manipulationsversuche auf. Die gestrige Premiere benötigte diese künstlichen Akklamationsspender, denn The Broken Circle hat in Karlsruhe zu viele Schwachpunkte. Die wenigen guten Momente übertünchen kaum die konzeptionelle Pseudostimmung eines sentimentalen Melodramas, das Betroffenheit behauptet, ohne große Gefühle entwickeln zu können.
Freitag, 24. November 2017
ETA Hoffmann - Der goldene Topf, 21./23.11.2017
Der Mensch ist täglich von Wundern umgeben, die deutsche Romantik wollte den Sinn für das Wunderbare wiederbeleben und so das Leben romantisieren. ETA Hoffmanns Prosamärchen Der Goldene Topf aus dem Jahr 1814 ist eine Novelle der Romantik und kein Theaterstück. Daß es nun auf der Bühne des Karlsruher Schauspiels gelandet ist, hat einen einfachen Grund: wie auch Goethes Faust wird es zum Abiturthema, die Adaption soll es Schülern näher bringen. In diesem Fall bedeutet das glücklicherweise nicht, das phantasievoll-skurille und in gewisser Weise surreal-komische Märchen irgendwie exzentrisch auf diskutable Weise psychologisch umzudeuten, sondern vielmehr eine anschauliche Romantik-Erfahrung zu vermitteln, "die Vielschichtigkeit des Kunstmärchens beizubehalten und eine Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten zuzulassen". Und das gelingt beeindruckend gut! Man bleibt nah am Stoff und setzt ihn sehr einfallsreich, inspiriert, liebe- und humorvoll gestaltet in Szene. Daß Der Goldene Topf nun mal kein Theaterstück, sondern ein etwas abstrus hinkonstruiertes und zusammenfabuliertes Märchen mit manchen Willkürlichkeiten ist, bleibt die einzige Einschränkung dieser schönen Produktion.
Freitag, 29. September 2017
Goethe - Faust I, 26./28.09.2017
Eines vorweg: das Engagement und die Spielfreude der Schauspieler bei der gestrigen Premiere waren ansteckend und ein wichtiger Erfolgsgarant. Bravo!
Doch sonst ist es gekommen, wie es zu befürchten war: Angsthasentheater! Man plätschert am seichten Rand und flachen Wasser und traut sich nicht in die Tiefen und Untiefen des Stücks vor. Goethes Faust wird Abiturthema und in den kommenden Monaten will man am Karlsruher Schauspiel möglichst viele Schüler durch die Vorstellungen schleusen. Das scheint auch der einzige Grund, wieso man Faust nun neu und ausgesprochen dürftig inszenierte, der Regisseur hat die Zielgruppe im Blick: bloß nicht ernst, bloß nicht staubtrocken, bloß nicht bedeutungsschwanger. Das Rezept für einen leichten Faust heißt: Groteske statt Tragödie, eine Entstellung, um eine Pleite zu verhindern. Beim Zuschauer bleibt der schale Eindruck, daß man mit Goethes Text spürbar wenig anfangen kann und ihm subtile Gewalt zufügt, nur die Gretchentragödie gelingt akzeptabel, davor ist vieles Verulkung. Man hat nur Ideen für den Urfaust, an Faust I scheitert man desinteressiert.
Doch Goethes Faust ist ein undurchdringlich kluges Mysterienspiel, in dem so viel mehr steckt, als man inszenieren und wahrnehmen kann, es ist buchstäblich reich und vielfältig - wieso muß die neue Karlsruher Inszenierung so reduziert und so armselig ausfallen? Wieso diese Selbstbeschränkung, die sich der Vielfalt nicht stellen will? Ein Theater, das Goethes Faust nicht mit spürbarer Hingabe und einer triftigen Idee inszenieren kann, hat ein grundlegendes Problem. Was sagte die gestrige Premiere also über das Karlsruher Schauspiel aus? Erneut vermittelt man den unguten Eindruck, daß es hier hauptsächlich nur um den Betrieb, weniger um die Sache und schon gar nicht wirklich um Qualität und das Stück geht. Man will über die Runden kommen und bewegt sich im Notenschema für diese Groteske zwischen ausreichend und ungenügend.
Freitag, 2. Juni 2017
Schiller - Die Jungfrau von Orleans, 01.06.2017
Zwei Stunden lang bahnte sich gestern eine Überraschung an, Optimisten konnten hoffen, daß man vielleicht Zeuge einen Paradigmenwechsels sei, denn man sah dichtes, spannendes und scheinbar schlüssiges Schauspielertheater und mit Paula Skorupa in der Titelrolle hat man eine beeindruckende Verstärkung engagiert, deren Namen man sich unbedingt merken muß. Bravo! Doch dann, als es nach zwei Stunden mitten im dritten von fünf Akten in die Pause ging, erfolgte eine weitere ernüchternde Überraschung: keine Pause, das Stück ist vorbei, ein Actus Interruptus, man hört mittendrin auf! Die Inszenierung bleibt dem Publikum die Auflösung schuldig. Wie schade und auch unverständlich, denn bis dahin gelang der Regie viel, aber anscheinend um den Preis, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Eine Fortsetzung "Die Rückkehr der Jungfrau" ist bisher leider nicht geplant.