Samstag, 19. Februar 2022

Händel - Hercules, 18.02.2022

Regisseur Floris Visser verdankt man in Karlsruhe bereits das originell, amüsant und kurzweilig inszenierte Oratorium Semele (mehr hier) bei den Händel Festspielen 2017, weiterhin unterhaltsame Hoffmannsche Erzählungen und einen ordentlichen  Don Giovanni. Nun also das nächste Händel-Oratorium: Wie bereits Semele (UA 1744) wirkt Hercules (UA 1745) aufgrund seines mythologischen Themas mehr wie eine Oper denn ein Oratorium. Die biblischen Oratorien waren zur Entstehungszeit erfolgreicher und beliebter, die Londoner wollten anscheinend kein neues dramatisches Konzept, sondern religiöse Erbauung - Hercules war 1745 ein grandioser Mißerfolg für Händel, was aber auch an erkrankten Sängern lag. Die gestrige Premiere zum Auftakt der Karlsruher Händel Festspiele gelang durchaus solide und hochwertig, allerdings mit Abzügen in der B-Note, denn es fehlten die Höhepunkte; so richtig wollte der Funke nicht überspringen. Wo sonst fast jede Arie beklatscht wird, herrschte gestern meditative Stille - die Premieren-Vorstellung wahrte während der Aufführung eine gewisse andächtige Distanz , die sich bei folgenden Aufführungen noch legen kann, falls es dieser Produktion in mehrfacher Hinsicht gelingen sollte, aufzutauen.

Mittwoch, 9. Februar 2022

Vorschau: Händel Festspiele 2023

Nächstes Jahr gibt es keine der bei den Karlsruher Händel Festspielen noch fehlenden Opern, sondern man bringt ein Werk, daß man hier bereits 2002 hören und sehen konnte. 2023 gibt es den 1723 uraufgeführten Ottone, Re di Germania. Dirigent: Carlo Ipata, Regisseur: Carlos Wagner (mehr hier), Bühne & Kostüme: Christophe Ouvrard. Die Premiere findet es am 17. Februar statt. Wer singt ist noch nicht durchgesickert. Die diesjährige Inszenierung Hercules wird am 23.02.23 wieder aufgenommen.
PS: Max E.Cencic ist der Wunschkandidat für die Titelrolle des Ottone.

Sonntag, 6. Februar 2022

Birch - [Blank], 05.02.2022

Die Stunde(n) des reproduzierenden Künstlers
oder
Szenen aus dem beschädigten Leben
Mit [Blank] hatte Autorin Alice Birch eine aus Sicht des deutschen Theatermarktes kommerziell raffinierte Idee. Das Stück besteht aus 100 nicht zusammenhängenden Szenen und ca. 400 Seiten Text, aus denen sich jede Inszenierung frei bedienen kann. [Blank] ist also ein Selbstbedienungs- und Baukasten-Theaterstück. Der produzierende Künstler (also die Autorin) gibt dem reproduzierenden Künstler (Regie/Inszenierung) die offizielle Erlaubnis, sich quasi in den Vordergrund zu drängen und aus dem Text zu machen, was ihm paßt. Gerade in einem Land wie der Bundesrepublik (-in der es Kunst für alle geben soll, eine Re-Feudalisierung durch hohe Eintrittspreise durch großzügige Finanzierung der Theater durch Steuergelder verhindert wird, und jede Stadt ihren Bürgern Hochkultur bieten will-) ist der kommerzielle Erfolgsdruck auf reproduzierende Künstler niedrig und im Windschatten finanzieller Absicherung hat sich ein breites Inszenierungsprekariat herangebildet, dessen Ego weit größer als sein Können ist. Auch am Badischen Staatstheater leidet man seit über einem Jahrzehnt regelmäßig unter diesem Phänomen: Inszenierungsteams, die nicht Werk und Schauspieler, sondern sich selber in den Mittelpunkt stellen, dafür Autor, Stück und/oder Publikum über die Klinge springen lassen und das Theater für eigene Zwecke instrumentalisieren; Hauptsache sie sind im Scheinwerferlicht. Solche Inszenierungen zum Zwecke der Selbstbefriedigung der Regie mit Zuschauern als erzwungenen Voyeuren sind seit einigen Jahren Kennzeichen einer Selfie-Generation, bei der Selbstherrlichkeit schnell zur Spießigkeit wird. Man kann von einer problematischen Tendenz zur doppelten Selbstreferenzialität des deutschen Steuergeldtheaters sprechen: Man macht Theater, weil es nun mal die Aufgabe eines mit Steuern finanzierten Theaters ist, Produktionen auf die Bühne bringen, und das Regieprekariat hat oft keine originellere Idee, als sich selber und ihren Suppentellerrand als banale Inspiration zu verwenden (gerne kaschiert als Zeigefinger- und Betroffenheitstheater oder mit plakativer, politisch korrekter Agitprop-Attitüde mit der man "Relevanz" vorgaukelt). Inspiration und Originalität sind dabei Routine und Selbstdarstellung gewichen. Gerade das Karlsruher Schauspiel hat in der Hinsicht einen Absturz erlitten, seitdem es zu oft Theater von Spießern für Spießer bietet.
Die deutsche Erstaufführung von Alice Birchs [Blank] erfolgte gestern am Badischen Staatstheater, Schauspieldirektorin Anna Bergmann ergriff die Gelegenheit und inszeniert selber. Das Ergebnis ist bemerkenswert, kurzweilig und ungewöhnlich eindrucksreich. Die Regisseurin hat aus [Blank] zwei unterschiedliche, nacheinander gespielte Stücke für insgesamt 16 Schauspieler zusammengefügt, die in einer Gegenüberstellung auf ganz unterschiedliche Weise Szenen aus beschädigten Leben zeigen. Vor der Pause sieht man eine Mischung aus Psychodrama und Krimi, es geht um prekäre Zustände, Gewalt, Vergewaltigung, ein entführtes Mädchen, Mord, zwei Kommissare, einen Sozialarbeiter und eine Psychopathin. Freunde düsterer skandinavischer Krimis kommen auf ihre Kosten. Nach der Pause wird es voyeuristisch: die meisten Schauspieler agieren splitternackt und geben unerwartete Einblicke in einer grell überzeichneten, derben Satire auf das grün-woke Selbstherrlichkeitsmilieu. Von den 16 hochmotivierten starken Schauspielern können insbesondere Antonia Mohr, Wassilissa List und Timo Tank für ihre intensiven Szenen im ersten Teil hervorgehoben werden.

Donizetti - Don Pasquale, 05.02.2022

Gekünstelt statt kunstvoll
Was sich bei der Premiere vor zwei Wochen abzeichnete, bestätigte auch die gestrige Matinee-Vorstellung des Don Pasquale. So eine schöne Oper, so engagiert gesungen und musiziert, und doch gab es lahmen Applaus. Der szenische Funke springt nicht über, der Regisseur hat nicht nur keinen Sinn für Komik, er kriegt aus keine Steigerungen zuwege, es wird nie wirklich turbulent oder rasant, und nicht einmal Klamauk und Slapstick sind originell oder witzig. Die Regie will pseudo-moderne Aspekte einfließen lassen, das Ergebnis wirkt allerdings verstaubt und langweilig. Es gibt Kissenbezüge, die komischer sind. Wer unbewußt auf Vorstellungen körperlich reagiert, der kann Nackenschmerzen bei diese Inszenierung bekommen vom ständigen Kopfschütteln und seufzen über vertane Szenen. So eine schöne Oper, doch so lieblos und reizlos in Szene gesetzt.
Es sang die Premierenbesetzung, aus einem so homogenen und starken Quartett kann man kaum jemand hervorheben, doch neben Tiziano Bracci, Armin Kolarczyk und Eleazar Rodriguez zeigte gestern Uliana Alexyuk noch eine Steigerung, sie sang nuancenreicher mit sehr schönen Stimmfarben.