Montag, 31. Dezember 2012

Rokokotheater Schwetzingen: Porpora - Polifemo, 30.12.2012

Im Schwetzinger Rokokotheater wird zur Zeit eine deutsche Erst(!)aufführung präsentiert: die Oper Polifemo von Antonio Porpora, die vor 278 Jahren uraufgeführt wurde. Für Anhänger von Barockopern lohnen die 30 Minuten Fahrt von Karlsruhe in die ehemals kurpfälzische Sommerresidenz.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Giselle (Ballett), 19.12.2012

Nach der Generalprobe von Giselle gab es schon genug Grund zur Vorfreude und die gestrige Vorstellung bestätigte die sehr guten Eindrücke.

Tänzerisch war gestern Bruna Andrade die herausragende Person auf der Bühne.
Sie war erst letzte Woche die strahlende Weihnachtsfee im Nußknacker und hat beide Hauptrollen in Giselle einstudiert: die Titelrolle und die unerbittliche Königin der Wilis. Gestern hatte sie einen großen Auftritt als anfangs unbekümmerte, glücklich verliebte Giselle, deren Welt dann plötzlich und schnell zusammenbricht. Im zweiten Akt gleitet sie dann  mit gespenstischer Leichtigkeit über die Bühne und verteidigt Albrecht gegen Myrtha und ihre Wilis - eine sehr ausdrucksstarke und überzeugende Leistung. Andrade hat sich über die letzten Jahre stetig gesteigert und ist seit dieser Spielzeit verdient erste Solistin geworden. Glückwunsch und Bravo!

Glückwunsch und Bravo auch an Admill Kuyler. Auch er ist seit dieser Spielzeit erster Solist und wer sich die Rolle des Albrecht in Karlsruhe nur in der Besetzung mit Flavio Salamanka vorstellen kann, der sollte sich Giselle auch noch mal mit Kuyler ansehen: die extrem schwierige Rolle mit den vielen kräftezehrenden Sprüngen ist auch mit ihm sehr gut besetzt.
Harriet Mills als Myrtha, Blythe Newman und Barbara Blanche als erste Wilis sowie Bledi Bejleri als Hillarion und die ganze Kompagnie waren die Garanten für eine sehr schöne Vorstellung. In Giselle begeistert insbesondere der zweite Teil, in dem gestern 24 verblüffend synchrone Wilis in klassischer Tanzschönheit auftreten und in dem durch atmosphärisch-effektive Lichtregie ein Paradebeispiel für nachtblaue Schauerromantik geben wird.   

Musikalisch leitete Christoph Gedschold so überzeugend, daß man ihm eigentliche alle Ballett-Aufführungen anvertrauen sollte. Er wertet den Ballettabend immer auch zu einem beeindruckenden Symphoniekonzert auf.

Die Weihnachtszeit ist für das Badische Staatstheater traditionell die Zeit ausverkaufter Vorstellungen und es ist notwendig allen Tänzern hier mal Respekt für ihre Leistungsfähigkeit zu zollen. Innerhalb von neun Tagen haben sie drei mal auf der Bühne gestanden: letzten Dienstag im Nußknacker, letzten Donnerstag in Momo und gestern in Giselle. In den neun Vorstellungen waren ca 3100 Besucher, also eine Auslastung von über 100%, da auch zahlreiche Stehplätze verkauft wurden.

Montag, 17. Dezember 2012

Schönberg - Gurrelieder, 16.12.2012

Zum 350. Orchestergeburtstag der Badischen Staatskapelle erfolgte am Wochenende ein Konzert, daß man mit ca. 350 Musikern und Sängern besetzen konnte: Schönbergs Gurrelieder - eine Kantate für Soli, Chor und Orchester. Das sechstälteste Orchester der Welt machte sich damit gestern das schönste Geburtstagsgeschenk selber, denn es war eine aufnahmereife Aufführung, bei der vielfältigste Klangfarben und Stimmungen in größtmöglicher Besetzung mit hoher Präzision beeindruckend sicher gespielt wurden.

Doch zu Beginn eine Abschweifung: Vor dem Konzert gab es zum Abschluß des Jubiläumsjahres noch 40 Minuten lang verschiedene Ansprachen, die man fast mit einer Pause vom Konzert hätte trennen können. Nach einer Begrüßung durch den Intendanten Peter Spuhler gab es mehr oder weniger interessante Grußworte von Staatssekretär Frank Mentrup (also der kommende Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe), Kulturbürgermeister Wolfram Jäger und Orchestervorstand Joachim Fleck.
Passend zum Jubiläum hatte man zum Glück auch jemanden gefunden, der einen "Preis" verleihen konnte. Bei aller Freude über soviel Preiswürdiges in letzter Zeit, muß man deren Wert unbedingt mal kritisch einordnen und bewerten. Die Preisverleihung „Bestes Konzertprogramm 2012/13“ des Deutschen Musikverleger-Verbands e. V. würdigt nicht das Orchester, sondern das Konzertprogramm, das laut Laudatio besonders viel zeitgenössische Musik beinhaltet (Verdienen Musikverlage nicht daran, daß zeitgenössische Musik aufgeführt wird?  Man verleiht also einen Preis an die guten Kunden?).
Man ließ sich also theoretisch feiern - wie auch bei den anderen "Preisen" in diesem Jahr. Schade - ein wenig kann man bedauern, daß das Badische Staatstheater seine "Preise" bisher nur für gute Absichten bekommen hat und nie für gute Ausführung oder Resultate.  Man muß es auch klar feststellen: in ihrer Beliebigkeit hätte man alle bisher erhaltenen "Preise" auch zu anderen Zeitpunkten in den letzten Jahrzehnten bekommen können und gleichermaßen verdient. Schon Kazushi Ono brachte viel  moderne Musik, Ulrich Wagner hat durch ein Jahrzehnt Nachtklänge und Kindermusikkonzerte ebenfalls zu diesem Preis beigetragen, der das Resultat vieler Jahre guter Arbeit in Karlsruhe ist.

Zum Konzert: 
Gegenüber Schönberg gibt es bei einigen Klassikhörern Vorbehalte, die aber bei den Gurreliedern unbegründet sind. Sie sind verhaftet in der Spätromantik (also für die einen die Krone der  opulenten Musik- und Gesamtkunstwerk-Schöpfung, für andere schwülstiger Monumentalkitsch, der zu lang und zu laut ist) und für fünf Sänger, Sprecher, 3 vierstimmige Männerchöre, achtstimmigen gemischten Chor und großes Orchester konzipiert. Es ist schwer zu entscheiden, wer bei der Premiere im Jahr 1913 (in Wien von Franz Schreker als Dirigenten uraufgeführt) bei wem Abbitte leistete: Der Dirigent gegenüber dem Publikum -immerhin hatte Schönberg durch die Uraufführung seines 2. Streichquartetts und durch Pierrot Lunaire das Publikum gegen sich aufgebracht- oder das Publikum gegenüber dem Dirigenten, denn die Gurrelieder waren damals ein umjubelter Triumph und wirken wie eine Leistungsschau des Komponisten, bei der er sein ganzes Repertoire und Können in einer Partitur verarbeitete. Im Detail steckt in den Gurrelieder viel Imposantes, Beeindruckendes und ungewöhnlicher Einfallsreichtum, doch das Gesamtwerk hat ein entscheidendes Problem: die Handlung berührt nicht und zieht die Zuhörer nur bedingt in ihren Bann.
Gestern wurden vor allem die Musiker gefeiert, die von Justin Brown sicher und souverän durch die gewaltigen Notenmassen geleitet wurden. Auch die stimmliche Besetzung war fast ideal zu nennen: John Treleaven überzeugte mit großen Kraftreserven, Heidi Melton durch ihre lyrisch-schöne Stimme, Ewa Wolak (als Waldtaube ein Höhepunkt des Abends), Matthias Wohlbrecht und Seung-Gi Jung durch ihren ausdrucksstarken Gesang und Heinz Zednik mit wohlklingender Erzählerstimme. Dazu der Karlsruher Chor, Extrachor und Extra-Extrachor aus der Partneroper im koreanischen Daegu. Ein zum Ereignis-durch-schiere-Masse stilisierter Abend

Fazit: Viel Jubel und stehende Ovationen. Die beiden ausverkauften Konzerte und die Bekenntnisse von Stadt und Land zum Badischen Staatstheater zeigen, daß man sehr gut aufgestellt ist. Man hat in Karlsruhe eines der traditionsreichsten Orchester der Welt - ein Aushängeschild für Stadt und Land, auf daß man zu Recht stolz ist.

Besetzung:
Heidi Melton: Tove
John Treleaven: Waldemar
Ewa Wolak: Waldtaube
Seung-Gi Jung: Bauer
Matthias Wohlbrecht: Klaus-Narr
Heinz Zednik: Sprecher

BADISCHE STAATSKAPELLE
BADISCHER STAATSOPERNCHOR & EXTRACHOR
Einstudierung: Ulrich Wagner
Daegu City Chorus
Einstudierung: Seoung Nam Kim

Dirigent: Justin Brown

Sonntag, 16. Dezember 2012

Delaporte/de la Patellière - Der Vorname, 15.12.2012e

Es war eine lange Durststrecke bis es gestern endlich mal wieder eine Komödie im Karlsruher Schauspiel zu sehen gab. Dabei entschied sich die Schauspielleitung nicht für Bewährtes oder Bekanntes, sondern für das Allerneuste: Die Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière (beide eigentlich Drehbuchautoren) hatte im Herbst 2010 in Paris Premiere und wurde ein sehr großer Erfolg und ist inzwischen auch verfilmt. Die deutsche Erstaufführung erfolgte gerade erst im November 2012 in Hamburg und Der Vorname ist nun wenige Wochen später auch im Studio des Badischen Staatstheaters zu sehen. Nach der Karlsruher Premiere scheinen die in der Presse kursierenden Vorschußlorbeeren für Der Vorname nicht ganz verdient.

Worum geht es?
Ein gemütliches Abendessen unter Freunden in wohlsituiertem Milieu mit akademischen Hintergrund. Vincent (Jonas Riemer) und seine schwangere Freundin Anna (Sophia Löffler) sind eingeladen bei Vincents Schwester Elisabeth (Ute Baggeröhr) und deren Ehemann Pierre (Robert Besta), der auch Vincents Jugendfreund ist. Zusätzlich ist auch Claude (Matthias Lamp) anwesend, Elisabeths Jugendfreund. Vincent erzählt, daß er seinem Sohn den Vornamen Adolphe geben will und verweist auf ein literarisches Vorbild (der Roman Adolphe von Benjamin Constant aus dem Jahr 1816), bei den anderen wird eher ein österreichischer Ursprung assoziiert und Pierre sieht es als einen faschistischen Akt mit Bekenntnischarakter. Und damit beginnen die Streitigkeiten. Im Verlauf der nächsten 100 Minuten tauen die immer wieder hitzig aufflammenden Diskussionen bisher eingefrorene Konflikte auf und man teilt sich in wechselnden Koalitionen mit, was man schon lange auf dem Herzen hatte. Dabei kommt es zu unerwarteten Wendungen.

Eine Boulevardkomödie?

Der Vorname ist eine Komödie mit ungewöhnlich langer Anlaufphase, die in Karlsruhe noch dadurch verlängert wird, daß der Regisseur das Tempo herausnimmt, indem er bspw. die Regieanweisungen der Autoren als Text sprechen lässt, textlosen Stellen Raum und Zeit gibt (z.B. ein wenig witziger Kampf mit einer Buchregalleiter) und jeder Schauspieler im Verlauf des Stückes ein französisches Lied singt. Der lange Anfang plätschert so vor sich hin. Regisseur Dominik Günther inszeniert den Vornamen also nicht als Boulevardkomödie: er setzt nicht auf Tempo und hohe Pointenfrequenz und nimmt die Figuren des Sückes teilweise sogar sehr ernst. Bestes Beispiel ist die Rolle der Elisabeth: wo man im Sinne einer Komödie eine frustrierte Ehefrau erwartet, deren Abschlußmonolog als virtuos-komischer Wutanfall inszeniert wird, bleibt sie in dieser Regie die liebevoll-chaotische und geduldige Hausfrau, deren Abschlußszene absolut gar nichts zum Lachen bietet: sie ist bitterernst und voller Frustration - die Komödie wird zum Minidrama. Ute Baggeröhr hat hier eine starke ernste Szene. Der Regisseur lässt Baggeröhr danach ein wütendes  Lied singen, um wieder die Kurve zurück Richtung Komödie zu bekommen.
Die turbulenten Stellen entwickeln sich nicht immer organisch: Um das immer wieder entschleunigte Stück in Schwung zu halten, inszeniert der Regisseuer teilweise zu stark forcierte Höhepunkte, bei denen er seine Figuren zu Karikaturen werden lässt.

Fazit:
  • Alle Schauspieler sind formidabel. Bravo!
  • Eine nette und gute Komödie, die aber nicht das Risiko eines Lachmuskelkaters birgt.
  • Ein Höhepunkt sollte in Erinnerung bleiben: Matthias Lamps Chanson wird bei einigen Gänsehaut erzeugt haben und er sollte unbedingt einen Liederabend bekommen!

PS: Ein genauerer Vergleich mit Yasmin Rezas Der Gott des Gemetzels (im Badischen Staatstheater in der Spielzeit 2007/2008, u.a. mit den großartigen Lisa Schlegel und Jörg Seyer) liegt nahe und wäre interessant. Rezas Komödie war witziger, böser und in unnachgiebigerer Haltung. Aber es gibt für Vergleiche auch ein anderes Vorbild: Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, das in einer sehr guten Inszenierung 2006/2007 in der Insel zu sehen war. Der Vorname scheint dagegen die deutlich leichtgewichtigere und kalorienreduzierte Variante zu sein.

Besetzung und Team:
Elisabeth (Babou) Garaud-Larchet: Ute Baggeröhr
Pierre Garaud, Elisabeths Mann: Robert Besta
Claude Gatignol, Elisabeths Jugendfreund: Matthias Lamp
Vincent Larchet, Elisabeths Bruder, Pierres Jugendfreund: Jonas Riemer
Anna Carvati, Vincents Lebensgefährtin: Sophia Löffler

REGIE: Dominik Günther
BÜHNE & KOSTÜME: Heike Vollmer
MUSIK: Jan S. Beyer & Jörg Wockenfuß
Aus dem Französischen übersetzt von Georg Holzer

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Birgit Keil bleibt bis 2016 Karlsruher Ballettdirektorin

Sehr gute Neuigkeiten: Birgit Keil und Vladimir Klos haben ihre Verlängerungsverträge bis zum Sommer 2016 unterschrieben. Seit 2003 leiten die beiden als Ballettdirektoren das Badische Staatsballett und haben es innerhalb weniger als eines Jahrzehnts zur Vorzeigesparte des Karlsruher Staatstheaters entwickelt.

Mehr dazu hier: http://www.staatstheater.karlsruhe.de/aktuell/news_id/148/

PS: Herzlichen Dank auch an den früheren Intendanten Achim Thorwald, der das Karlsruher Ballett nach Germinal Casados Weggang und der darauf folgenden Stagnation auf den Erfolgsweg zurückbrachte.

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Tschaikowsky - Der Nußknacker, 11.12.2012

Auch im dritten Jahr ist Youri Vámos' Choreographie des Nußknackers als dekorreiches Weihnachtsmärchen ein Zuschauermagnet und gerade in der dunklen Jahreszeit scheinen Giselle und Nußknacker genau das richtige Programm, das man öfters und immer wieder gerne als Stimmungsaufheller präsentiert bekommt. Ständig mehr als ausverkaufte Vorstellungen (bei denen es schon schwer wird, einen guten Stehplatz zu ergattern) sprechen dafür.

Vor den Augen der Ballettdirektoren Birgit Keil und Vladimir Klos gab es eine sehr gute Aufführung, bei der einige hervorzuheben sind: wie immer und vor allem die Kindergruppe, deren Spiel- und Tanzszenen jedem ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Beeindruckend waren gestern die Solotänzer: Flavio Salamanka (wie immer mit großer Sicherheit, Souveränität und Eleganz), Sabrina Velloso, für die die Rolle der Clara ideal erscheint, dazu Bruna Andrade als strahlende Weihnachtsfee und Admill Kuyler als anfangs mürrischer und dann glücklich geläuterter Scrooge. Vergleicht man die diesjährige Wiederaufnahme (die 25. Aufführung) mit der des letzten Jahres, fällt  Zhi Le Xu auf, der als Todesgeist deutlich an Ausstrahlung hinzugewonnen hat und der zusammen mit der gewohnt sicheren Barbara Blanche im arabischen Tanz einen starken Auftritt hat. Auch Jussara Fonseca im Tanz mit den Harlekinen hinterließ einen sehr guten Eindruck. Daß Ballett Hochleistungssport ist, war im russischen Tanz zu merken: Reginaldo Oliveira schien verletzungsbedingt gehandicapt und konnte nicht jede Bewegung ausführen. Dafür, daß er trotzdem auftrat bzw. die Zähne zusammenbiss und zu Ende tanzte: Bravo!
Der australische Dirigent Steven Moore hat von Christoph Gedschold die musikalische Leitung übernommen. 

Die Karten für die Nußknacker-Vorstellungen verkaufen sich schnell und tatsächlich kann man feststellen, daß diese Produktion das ist, was Giancarlo del Monacos Inszenierung von Puccinis La Bohème früher einmal war: eine atmosphärisch dichte Aufführung, die man einfach nicht verpassen sollte. Schon gar nicht in der Weihnachtszeit.

PS1: Nach den großen Erfolgen der Tschaikowsky-Ballette Schwanensee und Nußknacker fehlt nun eigentlich noch Dornröschen (z.B. auch in der Choreographie von Youri Vámos, bei dem die Handlung ebenfalls umgedeutet wird und die Geschichte Anastasias, der vermeintlich letzten Zarentochter erzählt wird. Aber auch Vámos' Choreographie zu Khatschaturians Spartacus wäre eine spannende Wahl für Karlsruhe).

PS2: Im Publikum waren u.a. Heidi Melton und Katharine Tier sowie Justin Brown als Zuschauer anwesend.

Sonntag, 9. Dezember 2012

Künneke - Der Vetter aus Dingsda, 08.12.2012

Auch in dieser Spielzeit gibt es wieder eine Operette. Und auch in dieser Spielzeit kann man wieder feststellen, daß man sich beim Badischen Staatstheater viel Mühe gegeben hat, um eine abwechslungsreiche und unterhaltsame Inszenierung auf die Bühne zu bringen. Und darüber hinaus muß man klar feststellen, daß Der Vetter aus Dingsda eine der besten Operettenaufführungen seit sehr langer Zeit ist. Die gestrige Premierenvorstellung war zu Recht aus vielen Gründen umjubelt.

Was ist zu hören?
Eduard Künnekes  (*1885 †1953)  bekannteste Operette erlebte ihre Uraufführung 1921 in Berlin: zu einer Zeit als der Foxtrott seinen Siegeszug antrat - und den und andere damals angesagte Tanzrhythmen hört man auch bei Künneke. Die musikalische Leitung hat man in die Hände eines Experten gelegt: Der Dirigent Florian Ziemen hatte bereits 2010 eine viel gelobte Produktion von Künnekes Operette in Bremen geleitet und gilt als Spezialist für die Partitur.  Was er gestern  aus der Partitur machte, war eine Offenbarung: "ein musikalisches Meisterwerk des Unterhaltungstheaters auf hohem satztechnischen Niveau und mit raffinierten Orchestrierungen" - der Dirigent hielt, was das Programmheft verspricht und hat eine Musizierpraxis gefunden, bei der die Musik nie seicht oder platt-sentimental klingt, sondern voller Esprit und Schwung und ohrwurmtauglicher Melodien ist. In Bremen wie auch in Karlsruhe reduzierte Ziemen das Orchester im Stile eine Tanzkapelle und hat damit alles richtig gemacht. Bravo!

Das ganze Ensemble zeigte so viel Spielfreude und Spaß, daß man alle hervorheben kann. Ina Schlingensiepen in der Hauptrolle ist sängerisch und schauspielerisch in bestechender Form, ebenso ihr Partner Sebastian Kohlhepp, der den bekanntesten Ohrwurm "Ich bin nur ein armer Wandergesell" als einen Roland-Kaiser-Gedächtnis-Schmachtfetzen zwerchfellerschütternd präsentiert. Kohlhepp wechselt in der kommenden Spielzeit ins Ensemble der Wiener Staatsoper - ein sehr bedauerlicher Verlust für Karlsruhe.
Christina Bock ist noch Mitglied des Opernstudios, doch davon war gestern nichts zu bemerken: sie sang, spielte und tanzte als Hannchen so überzeugend, als würde sie schon lange gewöhnt sein, wichtige Rollen auf der Bühne zu verkörpern.
Und wer es noch nicht wusste, welches Multitalent Rebecca Raffell ist, der kann sich davon überzeugen, daß sie nicht nur als Opern- und Operettensängerin, sondern auch als Komödienschauspielerin oder mit ihrer besonderen Stimme als (Synchron-)Sprecherin für Film, Funk und Fernsehen arbeiten kann.
Dazu der australische Bariton Andrew Finden (übrigens in sehr gutem Deutsch), Max Friedrich Schäffer (der kurzfristig für den Vater werdenden Florian Kontschak einsprang) und Routinier Hans-Jörg Weinschenk sowie zwei Gastdarsteller als Dienerpaar. An alle Sänger: Bravo!

Die 1920er im Gewand der 1960er
Das Inszenierungskonzept von Bernd Mottl zeigt laut Staatstheater die Handlung als groteske Erbschleicher-Komödie konzipiert und ästhetisch an Edgar Wallace Filme angelehnt. Der Regisseur meint im Programmheft, daß "dieser liebevoll, schmunzelnde Rückblick viel damit zu tun hat, wie wir heute auch auf Operette gucken können". Diese Einordnung ist noch der diskutabelste Punkt der Inszenierung, ohne daß man von einem Mangel sprechen kann, denn es ist weniger die Handlung oder die Bühne, die die Karlsruher Inszenierung ausmachen, sondern die ironische Stimmung, die Situationskomik und auch im positiven Sinne das richtige Maß an Klamauk. Hervorheben muß man unbedingt den Choreographen Otto Pichler, der die Sänger gekonnt und witzig tanzen lässt. Bravo!


Fazit: Operettenglück - umfassend und auf hohem Niveau. Eine schöne Komödie, großartige Sänger und vor allem musikalisch einer der seltenen Fälle, in denen Operettenmusik richtig zündet.

Besetzung und Team
Julia de Weert: Ina Schlingensiepen                
Hannchen, ihre Freundin: Christina Bock    
August Kuhbrot, der erste Fremde: Sebastian Kohlhepp     
Roderich de Weert, der zweite Fremde: Andrew Finden   
Joseph Kuhbrot: Kammersänger Hans-Jörg Weinschenk        
Wilhelmine Kuhbrot: Rebecca Raffell
Egon von Wildenhagen: Max Friedrich Schäffer
Diener Hans: Eric Rentmeister        
Diener Karl: Frank Wöhrmann

Musikalische Leitung: Florian Ziemen
Regie: Bernd Mottl
Bühne: Friedrich Eggert
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Choreographie: Otto Pichler

Montag, 3. Dezember 2012

Stuttgarter Ballett: Romeo und Julia, 02.12.2012

Auf den Tag genau 50 Jahre nachdem am 2. Dezember 1962 in Stuttgart John Crankos Choreographie von Prokofievs Romeo und Julia Uraufführung hatte, gab es gestern Abend eine erinnerungswürdige Wiederaufnahme im Stuttgarter Staatstheater mit großen Gastnamen in den Nebenrollen. Die Karlsruher Ballettdirektoren Birgit Keil und Vladimir Klos waren als Lord und Lady Capulet auf der Bühne, Marcia Haydée (die Julia der Uraufführung) als Amme, Egon Madsen als Pater Lorenzo, Ray Barra (der Romeo der Uraufführung) als Herzog von Verona, dazu weitere frühere erste Solisten des Stuttgarter Balletts in den anderen Charakterrollen, die alle zeigten, daß man ein ganzes Leben lang Tänzer bleiben kann. Sogar den Ausstatter Jürgen Rose führte der Stuttgarter Ballettchef Reid Anderson zum Schlußapplaus auf die Bühne. Nur einer fehlte: an Richard Cragun, der im August 2012 verstarb, erinnerten während der Ouvertüre projizierte Fotos aus seinem Stuttgarter Tänzerleben.
Die Jubiläumsvorstellung hatte aber auch in den Titelrollen große Tänzer: die ausdrucksstarken Alicia Amatriain als Julia und Friedemann Vogel als Romeo verzauberten und zogen ihr Publikum geradezu spürbar in ihren Bann während ihrer faszinierenden Pas de deux. Das Stuttgarter Ballett mit seinen zahlreichen ersten Solisten glänzte an diesem Abend auch in den Nebenrollen, die alle durch starke Tänzer besetzt waren.

Man schreibt dieser Choreographie zu, daß sie das Stuttgarter Signaturwerk ist und das Genre Handlungsballett erneuerte. Seit ihrer Premiere wird sie weltweit aufgeführt. Im Badischen Staatstheater war die Choreographie von Kenneth McMillan zu sehen, die 1965 Premiere im Royal Ballet in London hatte und global noch erfolgreicher ist, in Deutschland aber lange unbekannt blieb. Im Karlsruher Ballett erfolgte 2006 dann die deutsche Erstaufführung. McMillan hatte seine Version konzipiert, nachdem er Crankos Fassung in Stuttgart gesehen hatte und ließ sich auch an einigen Stellen von ihm deutlich inspirieren. Mehr zum Vergleich Cranko - McMillan aus Stuttgarter Sicht findet sich hier auf den Seiten von www.tanznet.de.  
Birgit Keil hatte dank eines Stipendiums Stuttgart im Herbst 1962 verlassen, um ihre Ausbildung an der Royal Ballet School in London zu beenden. John Cranko machte sie im Sommer 1963 zur Solistin des Stuttgarter Balletts. Die Rolle der Julia tanzte sie in Crankos Choreographie erst einige Jahre später im März 1968 zum ersten Mal.

Fazit: Ein glanzvoller Abend für Nostalgiker und eine stimmungsreiche Geburtstagsfeier mit enthusiastischem Applaus. 

PS(1): Dirigent Wolfgang Heinz und das Staatsorchester Stuttgart hatten leider nicht ihren besten Tag erwischt.

PS(2): Liebes Badisches Staatstheater, auf die Wiederaufnahme  von McMillans Romeo und Julia in Karlsruhe freuen sich viele, auch wenn es noch bis dahin wenige Jahre dauern könnte.

BESETZUNG am 02.12.2012
JULIA  Alicia Amatriain
ROMEO  Friedemann Vogel
BENVOLIO  Marijn Rademaker
MERCUTIO  Filip Barankiewicz
TYBALT  Nikolay Godunov
FASCHINGSKÖNIG  Jason Reilly
AMME  Marcia Haydée
LADY  CAPULET Birgit Keil (a.G.)
LADY  MONTAGUE Melinda Witham
HERZOG VON VERONA  Ray Barra (a.G.)
PATER LORENZO  Egon Madsen
LORD CAPULET  Vladimir Klos (a.G.)
LORD MONTAGUE  Robert Conn (a.G.)
GRAF PARIS  Alexander Jones
ZIGEUNERINNEN Georgette Tsinguirides, Yseult Lendvai (a.G.), Sonia Santiago
ROSALINDE  Julia Krämer (a.G.)