Montag, 17. Dezember 2012

Schönberg - Gurrelieder, 16.12.2012

Zum 350. Orchestergeburtstag der Badischen Staatskapelle erfolgte am Wochenende ein Konzert, daß man mit ca. 350 Musikern und Sängern besetzen konnte: Schönbergs Gurrelieder - eine Kantate für Soli, Chor und Orchester. Das sechstälteste Orchester der Welt machte sich damit gestern das schönste Geburtstagsgeschenk selber, denn es war eine aufnahmereife Aufführung, bei der vielfältigste Klangfarben und Stimmungen in größtmöglicher Besetzung mit hoher Präzision beeindruckend sicher gespielt wurden.

Doch zu Beginn eine Abschweifung: Vor dem Konzert gab es zum Abschluß des Jubiläumsjahres noch 40 Minuten lang verschiedene Ansprachen, die man fast mit einer Pause vom Konzert hätte trennen können. Nach einer Begrüßung durch den Intendanten Peter Spuhler gab es mehr oder weniger interessante Grußworte von Staatssekretär Frank Mentrup (also der kommende Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe), Kulturbürgermeister Wolfram Jäger und Orchestervorstand Joachim Fleck.
Passend zum Jubiläum hatte man zum Glück auch jemanden gefunden, der einen "Preis" verleihen konnte. Bei aller Freude über soviel Preiswürdiges in letzter Zeit, muß man deren Wert unbedingt mal kritisch einordnen und bewerten. Die Preisverleihung „Bestes Konzertprogramm 2012/13“ des Deutschen Musikverleger-Verbands e. V. würdigt nicht das Orchester, sondern das Konzertprogramm, das laut Laudatio besonders viel zeitgenössische Musik beinhaltet (Verdienen Musikverlage nicht daran, daß zeitgenössische Musik aufgeführt wird?  Man verleiht also einen Preis an die guten Kunden?).
Man ließ sich also theoretisch feiern - wie auch bei den anderen "Preisen" in diesem Jahr. Schade - ein wenig kann man bedauern, daß das Badische Staatstheater seine "Preise" bisher nur für gute Absichten bekommen hat und nie für gute Ausführung oder Resultate.  Man muß es auch klar feststellen: in ihrer Beliebigkeit hätte man alle bisher erhaltenen "Preise" auch zu anderen Zeitpunkten in den letzten Jahrzehnten bekommen können und gleichermaßen verdient. Schon Kazushi Ono brachte viel  moderne Musik, Ulrich Wagner hat durch ein Jahrzehnt Nachtklänge und Kindermusikkonzerte ebenfalls zu diesem Preis beigetragen, der das Resultat vieler Jahre guter Arbeit in Karlsruhe ist.

Zum Konzert: 
Gegenüber Schönberg gibt es bei einigen Klassikhörern Vorbehalte, die aber bei den Gurreliedern unbegründet sind. Sie sind verhaftet in der Spätromantik (also für die einen die Krone der  opulenten Musik- und Gesamtkunstwerk-Schöpfung, für andere schwülstiger Monumentalkitsch, der zu lang und zu laut ist) und für fünf Sänger, Sprecher, 3 vierstimmige Männerchöre, achtstimmigen gemischten Chor und großes Orchester konzipiert. Es ist schwer zu entscheiden, wer bei der Premiere im Jahr 1913 (in Wien von Franz Schreker als Dirigenten uraufgeführt) bei wem Abbitte leistete: Der Dirigent gegenüber dem Publikum -immerhin hatte Schönberg durch die Uraufführung seines 2. Streichquartetts und durch Pierrot Lunaire das Publikum gegen sich aufgebracht- oder das Publikum gegenüber dem Dirigenten, denn die Gurrelieder waren damals ein umjubelter Triumph und wirken wie eine Leistungsschau des Komponisten, bei der er sein ganzes Repertoire und Können in einer Partitur verarbeitete. Im Detail steckt in den Gurrelieder viel Imposantes, Beeindruckendes und ungewöhnlicher Einfallsreichtum, doch das Gesamtwerk hat ein entscheidendes Problem: die Handlung berührt nicht und zieht die Zuhörer nur bedingt in ihren Bann.
Gestern wurden vor allem die Musiker gefeiert, die von Justin Brown sicher und souverän durch die gewaltigen Notenmassen geleitet wurden. Auch die stimmliche Besetzung war fast ideal zu nennen: John Treleaven überzeugte mit großen Kraftreserven, Heidi Melton durch ihre lyrisch-schöne Stimme, Ewa Wolak (als Waldtaube ein Höhepunkt des Abends), Matthias Wohlbrecht und Seung-Gi Jung durch ihren ausdrucksstarken Gesang und Heinz Zednik mit wohlklingender Erzählerstimme. Dazu der Karlsruher Chor, Extrachor und Extra-Extrachor aus der Partneroper im koreanischen Daegu. Ein zum Ereignis-durch-schiere-Masse stilisierter Abend

Fazit: Viel Jubel und stehende Ovationen. Die beiden ausverkauften Konzerte und die Bekenntnisse von Stadt und Land zum Badischen Staatstheater zeigen, daß man sehr gut aufgestellt ist. Man hat in Karlsruhe eines der traditionsreichsten Orchester der Welt - ein Aushängeschild für Stadt und Land, auf daß man zu Recht stolz ist.

Besetzung:
Heidi Melton: Tove
John Treleaven: Waldemar
Ewa Wolak: Waldtaube
Seung-Gi Jung: Bauer
Matthias Wohlbrecht: Klaus-Narr
Heinz Zednik: Sprecher

BADISCHE STAATSKAPELLE
BADISCHER STAATSOPERNCHOR & EXTRACHOR
Einstudierung: Ulrich Wagner
Daegu City Chorus
Einstudierung: Seoung Nam Kim

Dirigent: Justin Brown

7 Kommentare:

  1. Ihren Ausführungen kann ich nur bepflichten.

    Bei dem "Preisverleihungszirkus" ist es wie im Fernsehen:
    man feiert sich immer wieder selber mangels zündender Ideen.

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  2. Sie sollten mal die Rhetorik des Badischen Staatstheater untersuchen: man bedankt sich überall auf den Programmheften und Plakaten für die erhaltenen Preise - man weiss, daß man sie nicht durch künstlerische Arbeit verliehen bekommen hat. Wie sie richtig sagen, man feiert das Beliebige. Als Publikum fühle ich mich nicht wohl dabei, wenn falsche Wertigkeiten vermittelt werde. Das ist aufdringlich manipulativ - wie die ganze Selbstbeweihräucherungssrhetorik der Spuhler-Zeit

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  3. Vielen Dank für Ihre Kommentare und die Anregung: irgendwann mache ich mir das Vergnügen, die Sprachwahl und Außendarstellung unter die Lupe zu nehmen.

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  4. Ich will noch mal die musikalische Qualität hervorheben: Orchester, Chor, Sänger - vor allem Ewa Wolak und Matthias Wohlbrecht waren absolut spitze. Nur wenige Häuser können das auf die Bein stellen.

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    1. Ja, allen gebührt hohe Anerkennung: Wolak und Wohlbrecht und eigentlich alle Sänger waren vorbildlich. Ich habe die Gurrelieder noch nie live gehört und hatte jederzeit den Eindruck, eine mustergültige Aufführung zu erleben.

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  5. Den hochemotionalen, schönbergschen Parforceritt durch das Geschehen quasi einer Nacht mit 40 Minuten Redens einzuleiten, und das Werk überhaupt an einem Vormittag aufzuführen, war sicher nicht glücklich. Im vom mir besuchten Sonderkonzert am Vorabend betrug die Verzögerung nur 10 Minuten, da freundlicherweise auf baustellenverkehrsbedingt zu spät kommende Zuhörer (oder auch Protagonisten?) gewartet worden war.

    Das Warten wurde mit einer hochklassigen Aufführung belohnt, bei der das durch die Bank gute Ensemble meines Erachtens zwei besondere Höhepunkte verzeichnete.

    Der erste Teil war geprägt durch ein Wechselspiel zwischen Heidi Melton als Tove, die – zumindest im Abendkonzert – nicht ganz an Ihre Glanzleistungen in den Wagneropern Lohengrin und Tannhäuser anknüpfen konnte, sowie John Treleaven als König Waldemar, der an diesem Abend - im Gegensatz zu der „ambitionierten“ Tannhäuser-Premiere - die Differenzen der Textdramatik und der Orchesterdynamik sehr mitreißend auszuloten vermochte; bei der Vielzahl von Instrumenten auf der Bühne eine sehr beachtliche Leistung.

    Die anschließende Erzählung der Waldtaube, gesungen von Ewa Wolak, dann der erste – wenn nicht sogar DER – Höhepunkt des Abends. Unglaublich schöner Dialog mit dem Orchester, unglaublich beeindruckende Stimme…

    Nach der Pause hatte der doch so zahlreich verstärkte Chor seine Mühe gegen das große Orchester anzusingen. Oder schien uns dies im Parkett hinter dem „Klangwall“ der vielen Instrumente nur so? Auch die Präzision schien unter dem „Tutti“ etwas zu leiden.

    Der zweite wahre Höhepunkt des Abends war die Jubilarin selbst: Die Qualität, mit der die Badische Staatskapelle und Justin Brown trotz der Vielzahl der Instrumente die differenzierte Dynamik beherrschten, war eine wahre Freude. Schön, dass diesmal die Bravos nicht nur den Solisten sondern auch dem ganzen Orchester zugutekamen. Und dies war nicht eine schöne Geste zum Jubiläum des Orchesters (bei dem ja sowieso kein Gründungsmitglied mehr anwesend gewesen sein dürfte…) sondern künstlerisch hochverdient.

    Zum Werk selbst bleibt noch anzumerken, dass es geschmacklich nicht unbedingt jedermann zufriedenstellen mag - aber das muss klassische Musik ja auch nicht immer leisten. Dass die Größe der Besetzung hingegen die Möglichkeit bot, zum Abschluss des Jubiläumsjahres so viele Musiker der Staatskapelle wie möglich auf der Bühne zu vereinen, ist schon ein dem Anlass entsprechendes Kriterium. Dass darüber hinaus ein Werk zur Aufführung kommt, das nicht zum „alltäglichen Klassikbetrieb“ gehört, ist zudem beachtens- und dankenswert.

    Abschließend noch ein kleiner Kritikpunkt an der Gestaltung des Programmheftes: Es hätte dem Werkverständnis geholfen, neben einem Abdruck der Liedtexte auch die „Handlung“ der dahinter stehenden Sage mehr zu verdeutlichen. Auf einzelne Lieder, insbesondere im ersten Teil, wird explizit eingegangen. Die Rollen des Bauern, des „Klaus-Narr“ und des Sprechers (herrlich rezitiert vom Charaktertenor-Legende Heinz Zednik) werden durch den verschränkten Text im Unklaren gelassen. Der Zyklus des Werkes von Sonnenunter- bis -aufgang erschloss sich hieraus leider nicht.

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  6. Herzlichen Dank für die umfangreiche und interessante Zusammenfassung, der ich nichts hinzufügen kann.

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