Das war es also, das erst von kaum jemand bemerkte und dennoch zum Theatertreffen 2016 in Berlin eingeladene Stück des Badischen Staatstheaters über die Diskriminierung und Entlassung von Theaterangestellten nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Stolpersteine Staatstheater beruht auf einer originellen und überfälligen Idee, die leider konventionelle Folgen hat. Das Badische Staatstheater hat seine eigene Geschichte im Dritten Reich untersucht und erzählt wichtige Geschichten auf teilweise arg zähe Weise. Es ist solides Dokumentarttheater! Und kritisch gesprochen: Es ist lediglich gut gemeintes Dokumentartheater. Wie zu befürchten, erfolgte die Einladung nach Berlin nicht aus künstlerischen Gründen, große inszenatorische Spannung oder schauspielerische Glanzleistungen gibt es keine. Inhalt ging hier vor Form. Man ist inhaltlich überraschungsfrei und ohne den Erkenntniswert auf das Hier und Heute zu übertragen, man verharrt in rückwärtsblickender Haltung. Diese Produktion verdankte ihre Nominierung ihrer Berechenbarkeit. Dabei wäre es so einfach gewesen, die damaligen Mechanismen aktuell erneut aufzudecken und den Blick auf die prekäre Situation von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit zu werfen. Man muß nur in die Türkei oder nach Osteuropa blicken, sogar in Karlsruhe gab es 2015/2016 einen entsprechenden Vorfall. Das Projekt Stolpersteine Karlsruhe wäre dann grandios und überragend auf der Höhe der Zeit gewesen, wenn es nicht nur zeigen würde, wie nach 1933 sozialer Ausschluß und Berufsverbote funktionierten, wie man Karrierechancen
an Gleichschaltung knüpfte und Ausgrenzung legitimierte, sondern wie man auch noch heute Doppelmoral und Opportunismus pflegt. Leider fehlte dazu der Mut oder der Weitblick, das Badische Staatstheater gibt sich in Stolpersteine Staatstheater alle Mühe, die aktuellen politischen Geschehnisse zu ignorieren.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
Posts mit dem Label Premiere 14/15 werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
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Mittwoch, 30. November 2016
Montag, 13. Juli 2015
Verdi - Falstaff, 12.07.0215
Gute Nachrichten zur letzten Opern-Premiere der Spielzeit: keine Selbstdarstellung, keine Wichtigtuerei, keine Eitelkeiten - nicht Intendanz und Regie, sondern Werk, Künstler und Publikum stehen im Mittelpunkt. Der neue Falstaff macht Freude, vor allem sängerisch! Und damit ist praktisch schon fast alles gesagt. Schade, daß die Opern-Fans zuletzt Karlsruhe (oder doch eher der Karlsruher Intendanz?) ein wenig den Rücken gekehrt zu haben scheinen und die Premieren und Vorstellungen sich entleeren. Falstaff hat ein volles Haus verdient.
Sonntag, 14. Juni 2015
Gluck - Iphigenie auf Tauris, 13.06.2015
Die taurische Iphigenie hinterließ bei der gestrigen Premiere einen zwiespältigen Eindruck: ein sensationeller Armin Kolarczyk, eine sehr gute musikalische Umsetzung und eine konventionelle und nett arrangierte Inszenierung, die ganz ohne Einfälle und Überraschungen daherkommt und bei der sich das Regieteam selber im Weg steht: man wollte eine Inszenierung mit einer Moralpredigt verknüpfen - wo das passiert, ist das Ergebnis Kitsch. Die gestrige Aufführung war erneut ein Beispiel dafür, daß ein plakatives 'gut gemeint' synonym ist zu künstlerisch 'Thema verfehlt'.
Das ist umso bitterer, weil man gestern nicht nur Gluck auf die Bühne brachte, sondern auch theaterfremde Menschen. Das Karlsruher Theater engagierte Asylbewerber als Statisten - das hat aber leider in diesem Fall weder einen künstlerischen noch einen inhaltlichen Mehrwert, sondern hinterließ bei genauer Analyse und angesichts der künstlerisch banalen Umsetzung einen unschönen Verdacht, der sich bei der Intendanz Petzer Spuhlers schon zuvor einstellte: ein opportunes Thema wird relativiert und instrumentalisiert, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es bleibt das ungute Gefühle, daß hier Menschen wie bei einer Zirkusattraktion verwertet werden: sie sind das Mittel, der Zweck ist die Außenwirkung für das Theater. Hauptsache man ist in den Medien und im Gespräch.
Das ist umso bitterer, weil man gestern nicht nur Gluck auf die Bühne brachte, sondern auch theaterfremde Menschen. Das Karlsruher Theater engagierte Asylbewerber als Statisten - das hat aber leider in diesem Fall weder einen künstlerischen noch einen inhaltlichen Mehrwert, sondern hinterließ bei genauer Analyse und angesichts der künstlerisch banalen Umsetzung einen unschönen Verdacht, der sich bei der Intendanz Petzer Spuhlers schon zuvor einstellte: ein opportunes Thema wird relativiert und instrumentalisiert, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es bleibt das ungute Gefühle, daß hier Menschen wie bei einer Zirkusattraktion verwertet werden: sie sind das Mittel, der Zweck ist die Außenwirkung für das Theater. Hauptsache man ist in den Medien und im Gespräch.
Freitag, 29. Mai 2015
Ingrid Lausund - Zuhause, 28.05.2015
Zum Abschluß der Schauspielsaison hat man eine gute Wahl getroffen. Ingrid Lausund gehört zu den meistgespielten Autorinnen auf deutschsprachigen Bühnen. Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner hatte letzte Spielzeit in Karlsruhe Premiere. Dieses Jahr bringt man nun sechs der zwölf tragikomischen Prosastücke aus Bin nebenan - Monologe für zuhause auf die Bühne, die das Karlsruher Publikum gestern zum ersten Mal begutachten konnte. Lausund gelingt im Buch ein Zeit- und Sittengemälde par excellence; in Karlsruhe wird das mit teilweise guten Ideen und gelegentlich ein bißchen zu wenig Prägnanz umgesetzt.
Freitag, 22. Mai 2015
Stockmann - Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir, 21.05.2015
Kapitalismus? Ein harmloses Vergnügen!
Was für eine Überraschung! Da wird man am Badischen Staatstheater nicht müde zu betonen, wie politisch man doch sei, man schwenkt den moralischen Zeigefinger, fokussiert sich auf Minderheiten und zeigt klar, wen man nicht im Theater sehen will. Die Mär vom "Theater für alle", vom gesellschaftlichen Treffpunkt für alle, hat schon lange ausgedient. Nun bringt dieses Theater "ein Sittenbild, bzw. eine Auseinandersetzung mit den inneren, psychosozialen Aspekten des [..] Kapitalismus", so der Autor Nis-Momme Stockmann über Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir. Es ist ein Stück über die Auswirkungen der Bankenkrise und handelt von Orientierungslosigkeit und Überforderung, Ausnutzung und Verzweiflung - also ambitioniertes, aktuelles politisches Theater über das große Ganze. Doch in Karlsruhe macht man daraus einen unpolitischen und kritikfreien fluffig-ulkigen Abend mit Laienchor und dem Charme einer Klamotte - das ist unterhaltsam, mit teilweise starken lustigen Szenen und doch bleibt das Gefühl, daß Stockmanns Text unter Wert gezeigt wird.
Was für eine Überraschung! Da wird man am Badischen Staatstheater nicht müde zu betonen, wie politisch man doch sei, man schwenkt den moralischen Zeigefinger, fokussiert sich auf Minderheiten und zeigt klar, wen man nicht im Theater sehen will. Die Mär vom "Theater für alle", vom gesellschaftlichen Treffpunkt für alle, hat schon lange ausgedient. Nun bringt dieses Theater "ein Sittenbild, bzw. eine Auseinandersetzung mit den inneren, psychosozialen Aspekten des [..] Kapitalismus", so der Autor Nis-Momme Stockmann über Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir. Es ist ein Stück über die Auswirkungen der Bankenkrise und handelt von Orientierungslosigkeit und Überforderung, Ausnutzung und Verzweiflung - also ambitioniertes, aktuelles politisches Theater über das große Ganze. Doch in Karlsruhe macht man daraus einen unpolitischen und kritikfreien fluffig-ulkigen Abend mit Laienchor und dem Charme einer Klamotte - das ist unterhaltsam, mit teilweise starken lustigen Szenen und doch bleibt das Gefühl, daß Stockmanns Text unter Wert gezeigt wird.
Sonntag, 26. April 2015
Ballett: Kafka - Der Prozess, 25.04.2015
Es gab gestern langanhaltenden Applaus nach der pausenlosen 75-minütigen Frühjahrs-Ballettpremiere, vor allem für den ersten Solisten Flavio Salamanka. Es gibt viel Sehens- und Bemerkenswertes bei dieser Uraufführung. Der Prozess wird optisch dominiert durch eine großartige Bühnenbildinstallation von rosalie. Dennoch ist dieses Ballett weniger überzeugend als erwartet: choreographisch und dramaturgisch fehlt die innere Kohärenz, denn auch wenn auf dem Etikett Kafka und Der Prozess steht - inszeniert hat man ein fast abstraktes Ballett, dessen kaum erkennbare Handlung mit Kafka nur noch als Ahnung in Zusammenhang steht. Das Ganze ist hier weniger als die Summe seiner Teile.
Montag, 30. März 2015
Wagner - Parsifal, 29.03.2015
Ein gelungener Premierenabend mit viel Applaus und Bravos für sehr gute Sänger und eine wundervoll aufspielende Badische Staatskapelle sowie einen guten Regisseur, der den religiösen Kern von Wagners theatralischstem Werk sachlich-analytisch deutet und viele gute Einfälle hat.
Worum geht es bei dieser Inszenierung?
oder
Die Ablösung des Erlösers
Der renommierte Regisseur Keith Warner entschlüsselt Parsifal als Werk über eine spirituelle Krise, die eine religiöse Gemeinschaft in die Bedeutungslosigkeit führt. Dabei ist die Inszenierung zweigeteilt: die ersten beiden Akte spielen in der zeitlos angesetzten, hermetisch abgeriegelten Welt einer religiösen Elite, der dritte Akt im Hier und Heute.
Worum geht es bei dieser Inszenierung?
oder
Die Ablösung des Erlösers
Der renommierte Regisseur Keith Warner entschlüsselt Parsifal als Werk über eine spirituelle Krise, die eine religiöse Gemeinschaft in die Bedeutungslosigkeit führt. Dabei ist die Inszenierung zweigeteilt: die ersten beiden Akte spielen in der zeitlos angesetzten, hermetisch abgeriegelten Welt einer religiösen Elite, der dritte Akt im Hier und Heute.
Freitag, 27. März 2015
Liebrecht - Die Banalität der Liebe, 26.03.2015
Die Banalität der Liebe - das ist in Karlsruhe eine ruhiges, konzentriertes und sachliches Kammerspiel über Personen, mit denen nur wenige etwas verbinden. Das Badische Staatstheater wird damit wahrscheinlich kein großes Publikum anlocken, denn trotz einiger sehr guter Momente bleibt der Abend zu spröde.
Samstag, 21. März 2015
Tschechow - Drei Schwestern, 20.03.2015
Samstag, 21. Februar 2015
Händel - Teseo, 20.02.2015 (Premiere)
Eine der schwächsten Händel Premieren der letzten Jahre
Nach der bereits sängerisch vielversprechenden öffentlichen Generalprobe (mehr hier) gab es gestern starken Applaus und gute Laune zur Eröffnung der 38. Händel Festspiele - das Publikum wollte sich bei der Premiere von Teseo die Feierstimmung nicht nehmen lassen. Vor allem Sänger und Musiker hatten gestern viel zu bieten, die beiden Hauptakteure Yetzabel Arias Fernandez und Valer Sabadus sind die Stars des Abends, es gibt schöne Kostüme und eine mit viel Applaus bedachte Solo-Oboistin ..... oberflächlich besehen ist scheinbar alles gut. Und die Inszenierung - wahrlich nicht erinnerungswürdig, aber nun ja, niemand wird sich ernsthaft darüber ärgern, kaum jemand wird sich darüber aufregen, denn aufregend ist das Bühnengeschehen nun wirklich nicht - es ist eine Inszenierung, die man gleich wieder vergessen und abhaken kann.
Nach der bereits sängerisch vielversprechenden öffentlichen Generalprobe (mehr hier) gab es gestern starken Applaus und gute Laune zur Eröffnung der 38. Händel Festspiele - das Publikum wollte sich bei der Premiere von Teseo die Feierstimmung nicht nehmen lassen. Vor allem Sänger und Musiker hatten gestern viel zu bieten, die beiden Hauptakteure Yetzabel Arias Fernandez und Valer Sabadus sind die Stars des Abends, es gibt schöne Kostüme und eine mit viel Applaus bedachte Solo-Oboistin ..... oberflächlich besehen ist scheinbar alles gut. Und die Inszenierung - wahrlich nicht erinnerungswürdig, aber nun ja, niemand wird sich ernsthaft darüber ärgern, kaum jemand wird sich darüber aufregen, denn aufregend ist das Bühnengeschehen nun wirklich nicht - es ist eine Inszenierung, die man gleich wieder vergessen und abhaken kann.
Sonntag, 25. Januar 2015
Puccini - La Bohème, 24.01.2015
Ein Gespenst ging gestern um im Badischen Staatstheater. Doch dem Karlsruher Publikum wurde durch Spuk nicht bang und es buhte das Gespenst des Regietheaters (also eine Regie, die sich wichtiger nimmt als Werk, Künstler und Publikum) mit selten erlebter Vehemenz und Lautstärke von der Bühne und erhöhte damit auch den Druck auf die künstlerisch weiterhin problematische Intendanz von Peter Spuhler. Dabei gab es eigentlich eine gute Nachricht vorweg: es gibt es also doch noch, das Karlsruher Opernpublikum. Es kam nur einfach nicht mehr. Nach oft schwach besetzten Premieren war gestern ausverkauft und auch die Stehplätze besetzt. Die B-Premiere am 28.01. ist ebenfalls bereits voll. Die Auslastungskrise der Karlsruher Oper scheint also tatsächlich hausgemacht und in Verantwortung des Intendanten. Ob diese Bohème den erhofften Stimmungsumschwung bewirkt, ist allerdings fraglich.
Was ist zu sehen (1)?
oder
"Soll ich euch meine Brüste zeigen?"
Regisseurin Anna Bergmann "ist bekannt für genaue und einfühlsame Frauenporträts", so das Badische Staatstheater. Auf Mimi ruht die Konzentration der neuen Karlsruher Inszenierung. Und zwar nur auf Mimi, alle anderen Bühnenfiguren sind nur Beiwerk, gewinnen keine Konturen und hampeln teilweise herum, als ob sie unwichtige Hintergrundfiguren sind, für die man sich keine Gedanken machen muß.
Mimi ist die Außenseiterin: sie gehört bekanntlich nicht selber zur Bohème und ist unheilbar an Tuberkulose erkrankt. Die Regisseurin greift zu einem bekannten und inzwischen etwas abgeschmackten Vorgehen, um diesen Fokus zu erreichen: sie lässt Mimi auf der Bühne doppelt erscheinen: die Sängerin wird durch eine Schauspielerin ergänzt: Dazu die Regisseurin: "Mit der Doppelung – die Sängerin auf der einen, die Schauspielerin auf der anderen Seite – können wir zwischen einer realen und einer Traumebene wechseln und unterstreichen die traumhaft-romantischen Momente der Opernhandlung. Die Schauspielerin Jana Schulz zeigt uns eine realistische Mimì, die die Handlung rahmt und gleichzeitig auch motiviert. ... Bei der Sängerin ist es der zarte, liebliche bis leidenschaftliche Gesang gepaart mit einer eher entrückten Spielweise und bei der Schauspielerin ein körperlich-hingebungsvolles und offenherziges Spiel." Leider mißlingt dieser Ansatz und verzerrt die ganze Oper, denn Sängerin und Schauspielerin sind zwar meistens als Zwillinge gleichzeitig auf der Bühne, doch dabei dominiert die 'die Handlung motivierende' Schauspielerin: sie interagiert oft mit den Sängern und zieht die Konzentration auf sich, während die Sängerin abseits steht und singt. Eine Intensivierung des Bühnengeschehens erreicht man dabei nicht, ganz im Gegenteil. Die naturalistisch leidende und verstörte Mimi stört meistens einfach nur.
Zu Beginn des vierten Akts kippte dann gestern die Stimmung beim Publikum durch einen bedauerlichen Fehlgriff der Regie: Die Schauspielerin beginnt zu sprechen, und zwar einen viel zu langen und nichtssagenden Monolog, mit dem man Mimis Verzweiflung deutlich machen wollte und doch nur nervte. Spätestens wenn die Schauspielerin dem Publikum anbietet, ihre Brüste zu zeigen, erreicht man einen Grad von unfreiwilliger Komik, der die Regie peinlich bloßstellt. "Nein!" antworteten mehrere Zuschauer laut vernehmlich auf das Angebot und eine Welle der Qual und des Kopfschüttelns über so viel dramaturgische Unbeholfenheit durchströmte spürbar das Haus. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was passieren könnte, wenn amüsierte Zuschauer künftiger Vorstellungen Ja! und Ausziehen! rufen. Der Text des Monologs reicht also nicht aus, um zu fesseln oder das Gefühl einer sinnvollen Ergänzung zu erreichen - er wirkte als Störfaktor. Die etwas zu simplen und sterilen Hauptideen und ratlosen Bühnenumsetzungen der Regisseurin können nicht überzeugen und bleiben ohne positive Wirkung.
Was ist zu beachten?
La Bohème ist die Oper des romantisierten und verklärten Elends. Episoden aus dem Gefühlsleben - man lebt, lacht, liebt und leidet, man friert, hungert und stirbt. Ist das Leben in der Bohème selbstgewählt oder aufgezwungen? Ist es mehr individuelle Wahl oder Notlage? Für den Autor Henri Murger (*1822 †1861) waren die Bohèmiens ihre eigenen Gefangenen: zum Künstler berufen leben sie ohne Glück und sterben ohne Ruhm. Sie wollen nichts anderes als dieses Leben und künstlerische Anerkennung und erreichen ihre Ziele doch nicht. Lieber gehen sie zugrunde als einen Brotberuf zu wählen. Kiez oder Ghetto? Jedes Inszenierungsteam steht vor dieser Entscheidung. Manche Regisseure haben die Bohème im Drogen- oder Außenseiter-Umfeld angesiedelt, also einer Bühnenausstattung, die im harten Kontrast zur Musik steht. In Karlsruhe hat man dies glücklicherweise nur halbherzig getan: Drei Damen vom Straßenstrich und ein Obdachloser geben ein unscharfes Bild. Die Sänger der Bohème bleiben hingegen überwiegend undefiniert und blaß. Nur Colline hat als psychisch auffällige Person mit Bindung an seinen Teddybären etwas eigenes, Alcindoro und Benoît bekommen durch Kostüme einen Typ. Rudolfo, Marcello und Mustetta sind hingegen leblose Avatare.
Was ist zu sehen (2)?
oder
Zwischen Fiebertraum und Persönlichkeitsspaltung
Viele ungewöhnliche Entscheidungen trifft sie Regisseurin. So spielt die Oper nicht in Paris, sondern in New York, genauer gesagt alle vier Akte spielen am Angel of the Waters-Brunnen im Central Park. Es gibt also keine Mansarde, kein Café Momus, keine Barrière d'enfer, sondern ein Einheitsbühnenbild, in dem sich Mimi Liebe und Liebesleid erträumt. Die Regisseurin erklärt: "Der berühmte Brunnen im Central Park mit der wunderbaren Engelsstatue, den man aus vielen Hollywood-Filmen kennt, stellt einen Ort der Zuflucht und der Begegnung dar, an dem Mimì neue Menschen kennen lernt, an dem sie sich in Rodolfo verliebt, aus dem Wasser sprudelt, welches wieder versiegt, und wo Mimì letztlich stirbt." Wer vorab die spannenden Fotos sah (aktuell kann man sich hier auf den Seiten des Badischen Staatstheaters einen Eindruck verschaffen), bekam mehr versprochen als die Bühne hält, denn nicht alle Stimmungen der Bohème werden überzeugend vermittelt. Dennoch gehört das Bühnenbild von Ben Baur zur Habenseite dieser Inszenierung.
Mimi ist also verdoppelt: die todkranke und wohnungslose Mimi (sie lebt im Auto) der Schauspielerin sucht Anschluß und phantasiert bzw. erträumt sich die Beziehung zu Rudolfo herbei, nachdem sie ihn um eine Zigarette angeschnorrt hat. Dazu die Regisseurin: "Die Liebesbeziehung zu Rodolfo wird zu einem Sehnsuchtstraum, der durch Mimìs existenzielle Not, ihre Armut und Krankheit, begründet ist. Deswegen zeige ich das gesamte 2. Bild als eine surreal gefärbte und wunderschöne Welt voller Liebespaare, in der Mimì trotz ihrer tödlichen Krankheit unbeschwert und fröhlich ist." Der zweite Akt ist fast schon plakativ als Klischee inszeniert, der Kinderchor hat einen schönen Auftritt. Der dritte Akt zeigt den nächtlichen Brunnen bei Schneefall und belanglose Videoeinspielungen mit schnellen Schnitten, der reizlose vierte Akt bleibt atmosphärisch hinter der ersten drei zurück und zieht sich wie Kaugummi in die Länge.
Die einzige Pause ist übrigens nicht nach dem zweiten Akt, also nach Ende des ersten Abends, sondern nach dem dritten, da die Regisseurin den Kontrast der beiden zentralen Akte direkt aufeinander prallen lassen wollte. So geht der erste Teil ca. 80 Minuten bis zur Pause, der zweite Teil (4.Akt) gerade noch knapp 30 Minuten (davon über 5 Minuten Monolg). Eine weitere unglückliche Entscheidung ohne Wirkung.
Was ist zu hören?
Für die Regie gab es feindselige Buhs, aber das intelligente Karlsruher Publikum weiß zu differenzieren und machte zum wiederholten Male den Tenor Andrea Shin zum Star des Abends. Für seinen schön und souverän gesungenen Rudolfo bekam er unzählige Bravos. Es gab lange nicht mehr so viel Begeisterung für einen Sänger vom Karlsruher Premierenpublikum! Überhaupt war es der Abend der Koreaner, denn auch Seung-Gi Jung als Marcello beeindruckte durch Kraft und Klarheit. Um Shin und Jung kann man ein Repertoire bauen - ihnen sollte in Karlsruhe die Zukunft gehören.
Man entschied sich gestern nicht, die Rollen nur mit jungen Sängern zu besetzen, sondern setzte bei der Premiere auf Sicherheit. Drei Sänger waren schon in der letzten Karlsruhe Bohème dabei. Die wunderbare Barbara Dobrzanska hat als Mimi schon vor wenigen Jahren überzeugt. Ihr Rollenportrait wurde gestern doppelt beeinträchtigt. Die Regie legt den Fokus auf die Schauspielerin und Dobrzanska sang zwar wie gewohnt sicher, aber auch ein wenig zu verhalten, als ob die von der Regie auferlegte Zurückhaltung auch sängerisch galt. Auch Ina Schlingensiepen war schon zuvor als Musetta in Karlsruhe bekannt und litt gestern darunter, daß die Regie sie nur als Nebenfigur am Rande definiert- sie überzeugte mit einer makellosen Arie im zweiten Akt. Konstantin Gorny litt hingegen unter einer Erkältung und mußte im vierten Akt aufgeben, Gorny spielte auf der Bühne, seine Mantelarie sang der kurzfristig ins Staatstheater geeilte Avtandil Kaspeli überzeugend sicher und schön von der Seite.
Johannes Willig dirigierte zu Beginn etwas verhuscht und übereilt, fing sich dann aber und zeigte einen symphonischen Zugriff auf die Partitur, bei der er immer wieder das Orchester klangstark ausmusizieren ließ und dabei gelegentlich die Sänger übertönte oder durch seine Tempowahl forderte.
Fazit: So makaber es klingt - es hätte schlimmer kommen können. Gerade mit La Bohème rächen sich viele Opernhäuser an ihren Zuschauer, indem sie die Poesie der Musik durch Häßlichkeiten entwerten. Der Karlsruher Versuch ist hingegen legitim, aber einfach zu schwach durchdacht und unbeholfen in Szene gesetzt. Das massive Buh-Konzert der Premiere könnte einer mittelmäßigen Temperierung bei den weiteren Aufführungen folgen und durch die musikalischen Qualitäten wird diese Bohème sich vielleicht doch besser etablieren als gedacht.
PS: Manche Neuinszenierung kommt nach 27 Jahren einfach zu früh
Diese Neuinszenierung von Puccinis La Bohème hätte es eigentlich gar nicht geben dürfen. Die letzte Inszenierung von Giancarlo del Monaco (sie lief in Karlsruhe von 1987 bis 2007) war im besten Sinne ein zeitloser und beliebter Klassiker - eine Inszenierung, die sich nie in den Vordergrund drängte und Stimmungen und Hintergründe atmosphärisch ideal ergänzte. Daß sie aus dem Repertoire und Fundus geschmissen wurde, erschließt sich nicht auf Anhieb, wobei man bei den letzten Vorstellungen aber nicht umhin kam zu bemerken, daß das Bühnenbild nach 20 Jahren zwischen Lager und Oper deutlich gelitten hatte - eine restaurierte Wiederaufnahme dieses Dauerbrenners wäre nur logisch gewesen. Den Zauber und die Intensität der 87-Bohème erreicht der aktuelle Versuch nicht: weder den Humor und die Ausgelassenheit, noch die Verliebtheit und das Erleben des Augenblicks und auch nicht die Traurigkeit und Verzweiflung von del Monacos unvergesslicher Inszenierung.
Team und Besetzung:
Mimi: Kammersängerin Barbara Dobrzanska
Musetta: Ina Schlingensiepen
Rodolfo: Andrea Shin
Marcello: Seung-Gi Jung
Schaunard: Andrew Finden
Colline: Kammersänger Konstantin Gorny /Avtandil Kaspeli (4.Akt)
Parpignol: Max Friedrich Schäffer
Monsieur Benoît: Edward Gauntt
Alcindoro: Yang Xu
Ein Zöllner: Marcelo Angulo
Sergeant bei der Zollwache: Andrey Netzner
Mimi-Double: Jana Schulz
Regie: Anna Bergmann
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Claudia González Espíndola
Choreografie: Krystyna Obermaier
Video: Sebastian Pircher
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Chorleitung: Ulrich Wagner
Einstudierung Kinderchor: Anette Schneider
Kinderchor: Cantus Juvenum Karlsruhe e. V.
Was ist zu sehen (1)?
oder
"Soll ich euch meine Brüste zeigen?"
Regisseurin Anna Bergmann "ist bekannt für genaue und einfühlsame Frauenporträts", so das Badische Staatstheater. Auf Mimi ruht die Konzentration der neuen Karlsruher Inszenierung. Und zwar nur auf Mimi, alle anderen Bühnenfiguren sind nur Beiwerk, gewinnen keine Konturen und hampeln teilweise herum, als ob sie unwichtige Hintergrundfiguren sind, für die man sich keine Gedanken machen muß.
Mimi ist die Außenseiterin: sie gehört bekanntlich nicht selber zur Bohème und ist unheilbar an Tuberkulose erkrankt. Die Regisseurin greift zu einem bekannten und inzwischen etwas abgeschmackten Vorgehen, um diesen Fokus zu erreichen: sie lässt Mimi auf der Bühne doppelt erscheinen: die Sängerin wird durch eine Schauspielerin ergänzt: Dazu die Regisseurin: "Mit der Doppelung – die Sängerin auf der einen, die Schauspielerin auf der anderen Seite – können wir zwischen einer realen und einer Traumebene wechseln und unterstreichen die traumhaft-romantischen Momente der Opernhandlung. Die Schauspielerin Jana Schulz zeigt uns eine realistische Mimì, die die Handlung rahmt und gleichzeitig auch motiviert. ... Bei der Sängerin ist es der zarte, liebliche bis leidenschaftliche Gesang gepaart mit einer eher entrückten Spielweise und bei der Schauspielerin ein körperlich-hingebungsvolles und offenherziges Spiel." Leider mißlingt dieser Ansatz und verzerrt die ganze Oper, denn Sängerin und Schauspielerin sind zwar meistens als Zwillinge gleichzeitig auf der Bühne, doch dabei dominiert die 'die Handlung motivierende' Schauspielerin: sie interagiert oft mit den Sängern und zieht die Konzentration auf sich, während die Sängerin abseits steht und singt. Eine Intensivierung des Bühnengeschehens erreicht man dabei nicht, ganz im Gegenteil. Die naturalistisch leidende und verstörte Mimi stört meistens einfach nur.
Zu Beginn des vierten Akts kippte dann gestern die Stimmung beim Publikum durch einen bedauerlichen Fehlgriff der Regie: Die Schauspielerin beginnt zu sprechen, und zwar einen viel zu langen und nichtssagenden Monolog, mit dem man Mimis Verzweiflung deutlich machen wollte und doch nur nervte. Spätestens wenn die Schauspielerin dem Publikum anbietet, ihre Brüste zu zeigen, erreicht man einen Grad von unfreiwilliger Komik, der die Regie peinlich bloßstellt. "Nein!" antworteten mehrere Zuschauer laut vernehmlich auf das Angebot und eine Welle der Qual und des Kopfschüttelns über so viel dramaturgische Unbeholfenheit durchströmte spürbar das Haus. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was passieren könnte, wenn amüsierte Zuschauer künftiger Vorstellungen Ja! und Ausziehen! rufen. Der Text des Monologs reicht also nicht aus, um zu fesseln oder das Gefühl einer sinnvollen Ergänzung zu erreichen - er wirkte als Störfaktor. Die etwas zu simplen und sterilen Hauptideen und ratlosen Bühnenumsetzungen der Regisseurin können nicht überzeugen und bleiben ohne positive Wirkung.
La Bohème ist die Oper des romantisierten und verklärten Elends. Episoden aus dem Gefühlsleben - man lebt, lacht, liebt und leidet, man friert, hungert und stirbt. Ist das Leben in der Bohème selbstgewählt oder aufgezwungen? Ist es mehr individuelle Wahl oder Notlage? Für den Autor Henri Murger (*1822 †1861) waren die Bohèmiens ihre eigenen Gefangenen: zum Künstler berufen leben sie ohne Glück und sterben ohne Ruhm. Sie wollen nichts anderes als dieses Leben und künstlerische Anerkennung und erreichen ihre Ziele doch nicht. Lieber gehen sie zugrunde als einen Brotberuf zu wählen. Kiez oder Ghetto? Jedes Inszenierungsteam steht vor dieser Entscheidung. Manche Regisseure haben die Bohème im Drogen- oder Außenseiter-Umfeld angesiedelt, also einer Bühnenausstattung, die im harten Kontrast zur Musik steht. In Karlsruhe hat man dies glücklicherweise nur halbherzig getan: Drei Damen vom Straßenstrich und ein Obdachloser geben ein unscharfes Bild. Die Sänger der Bohème bleiben hingegen überwiegend undefiniert und blaß. Nur Colline hat als psychisch auffällige Person mit Bindung an seinen Teddybären etwas eigenes, Alcindoro und Benoît bekommen durch Kostüme einen Typ. Rudolfo, Marcello und Mustetta sind hingegen leblose Avatare.
Was ist zu sehen (2)?
oder
Zwischen Fiebertraum und Persönlichkeitsspaltung
Viele ungewöhnliche Entscheidungen trifft sie Regisseurin. So spielt die Oper nicht in Paris, sondern in New York, genauer gesagt alle vier Akte spielen am Angel of the Waters-Brunnen im Central Park. Es gibt also keine Mansarde, kein Café Momus, keine Barrière d'enfer, sondern ein Einheitsbühnenbild, in dem sich Mimi Liebe und Liebesleid erträumt. Die Regisseurin erklärt: "Der berühmte Brunnen im Central Park mit der wunderbaren Engelsstatue, den man aus vielen Hollywood-Filmen kennt, stellt einen Ort der Zuflucht und der Begegnung dar, an dem Mimì neue Menschen kennen lernt, an dem sie sich in Rodolfo verliebt, aus dem Wasser sprudelt, welches wieder versiegt, und wo Mimì letztlich stirbt." Wer vorab die spannenden Fotos sah (aktuell kann man sich hier auf den Seiten des Badischen Staatstheaters einen Eindruck verschaffen), bekam mehr versprochen als die Bühne hält, denn nicht alle Stimmungen der Bohème werden überzeugend vermittelt. Dennoch gehört das Bühnenbild von Ben Baur zur Habenseite dieser Inszenierung.
Mimi ist also verdoppelt: die todkranke und wohnungslose Mimi (sie lebt im Auto) der Schauspielerin sucht Anschluß und phantasiert bzw. erträumt sich die Beziehung zu Rudolfo herbei, nachdem sie ihn um eine Zigarette angeschnorrt hat. Dazu die Regisseurin: "Die Liebesbeziehung zu Rodolfo wird zu einem Sehnsuchtstraum, der durch Mimìs existenzielle Not, ihre Armut und Krankheit, begründet ist. Deswegen zeige ich das gesamte 2. Bild als eine surreal gefärbte und wunderschöne Welt voller Liebespaare, in der Mimì trotz ihrer tödlichen Krankheit unbeschwert und fröhlich ist." Der zweite Akt ist fast schon plakativ als Klischee inszeniert, der Kinderchor hat einen schönen Auftritt. Der dritte Akt zeigt den nächtlichen Brunnen bei Schneefall und belanglose Videoeinspielungen mit schnellen Schnitten, der reizlose vierte Akt bleibt atmosphärisch hinter der ersten drei zurück und zieht sich wie Kaugummi in die Länge.
Die einzige Pause ist übrigens nicht nach dem zweiten Akt, also nach Ende des ersten Abends, sondern nach dem dritten, da die Regisseurin den Kontrast der beiden zentralen Akte direkt aufeinander prallen lassen wollte. So geht der erste Teil ca. 80 Minuten bis zur Pause, der zweite Teil (4.Akt) gerade noch knapp 30 Minuten (davon über 5 Minuten Monolg). Eine weitere unglückliche Entscheidung ohne Wirkung.
Was ist zu hören?
Für die Regie gab es feindselige Buhs, aber das intelligente Karlsruher Publikum weiß zu differenzieren und machte zum wiederholten Male den Tenor Andrea Shin zum Star des Abends. Für seinen schön und souverän gesungenen Rudolfo bekam er unzählige Bravos. Es gab lange nicht mehr so viel Begeisterung für einen Sänger vom Karlsruher Premierenpublikum! Überhaupt war es der Abend der Koreaner, denn auch Seung-Gi Jung als Marcello beeindruckte durch Kraft und Klarheit. Um Shin und Jung kann man ein Repertoire bauen - ihnen sollte in Karlsruhe die Zukunft gehören.
Man entschied sich gestern nicht, die Rollen nur mit jungen Sängern zu besetzen, sondern setzte bei der Premiere auf Sicherheit. Drei Sänger waren schon in der letzten Karlsruhe Bohème dabei. Die wunderbare Barbara Dobrzanska hat als Mimi schon vor wenigen Jahren überzeugt. Ihr Rollenportrait wurde gestern doppelt beeinträchtigt. Die Regie legt den Fokus auf die Schauspielerin und Dobrzanska sang zwar wie gewohnt sicher, aber auch ein wenig zu verhalten, als ob die von der Regie auferlegte Zurückhaltung auch sängerisch galt. Auch Ina Schlingensiepen war schon zuvor als Musetta in Karlsruhe bekannt und litt gestern darunter, daß die Regie sie nur als Nebenfigur am Rande definiert- sie überzeugte mit einer makellosen Arie im zweiten Akt. Konstantin Gorny litt hingegen unter einer Erkältung und mußte im vierten Akt aufgeben, Gorny spielte auf der Bühne, seine Mantelarie sang der kurzfristig ins Staatstheater geeilte Avtandil Kaspeli überzeugend sicher und schön von der Seite.
Johannes Willig dirigierte zu Beginn etwas verhuscht und übereilt, fing sich dann aber und zeigte einen symphonischen Zugriff auf die Partitur, bei der er immer wieder das Orchester klangstark ausmusizieren ließ und dabei gelegentlich die Sänger übertönte oder durch seine Tempowahl forderte.
Fazit: So makaber es klingt - es hätte schlimmer kommen können. Gerade mit La Bohème rächen sich viele Opernhäuser an ihren Zuschauer, indem sie die Poesie der Musik durch Häßlichkeiten entwerten. Der Karlsruher Versuch ist hingegen legitim, aber einfach zu schwach durchdacht und unbeholfen in Szene gesetzt. Das massive Buh-Konzert der Premiere könnte einer mittelmäßigen Temperierung bei den weiteren Aufführungen folgen und durch die musikalischen Qualitäten wird diese Bohème sich vielleicht doch besser etablieren als gedacht.
PS: Manche Neuinszenierung kommt nach 27 Jahren einfach zu früh
Diese Neuinszenierung von Puccinis La Bohème hätte es eigentlich gar nicht geben dürfen. Die letzte Inszenierung von Giancarlo del Monaco (sie lief in Karlsruhe von 1987 bis 2007) war im besten Sinne ein zeitloser und beliebter Klassiker - eine Inszenierung, die sich nie in den Vordergrund drängte und Stimmungen und Hintergründe atmosphärisch ideal ergänzte. Daß sie aus dem Repertoire und Fundus geschmissen wurde, erschließt sich nicht auf Anhieb, wobei man bei den letzten Vorstellungen aber nicht umhin kam zu bemerken, daß das Bühnenbild nach 20 Jahren zwischen Lager und Oper deutlich gelitten hatte - eine restaurierte Wiederaufnahme dieses Dauerbrenners wäre nur logisch gewesen. Den Zauber und die Intensität der 87-Bohème erreicht der aktuelle Versuch nicht: weder den Humor und die Ausgelassenheit, noch die Verliebtheit und das Erleben des Augenblicks und auch nicht die Traurigkeit und Verzweiflung von del Monacos unvergesslicher Inszenierung.
Team und Besetzung:
Mimi: Kammersängerin Barbara Dobrzanska
Musetta: Ina Schlingensiepen
Rodolfo: Andrea Shin
Marcello: Seung-Gi Jung
Schaunard: Andrew Finden
Colline: Kammersänger Konstantin Gorny /Avtandil Kaspeli (4.Akt)
Parpignol: Max Friedrich Schäffer
Monsieur Benoît: Edward Gauntt
Alcindoro: Yang Xu
Ein Zöllner: Marcelo Angulo
Sergeant bei der Zollwache: Andrey Netzner
Mimi-Double: Jana Schulz
Regie: Anna Bergmann
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Claudia González Espíndola
Choreografie: Krystyna Obermaier
Video: Sebastian Pircher
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Chorleitung: Ulrich Wagner
Einstudierung Kinderchor: Anette Schneider
Kinderchor: Cantus Juvenum Karlsruhe e. V.
Sonntag, 18. Januar 2015
Schiller - Die Räuber, 17.01.2015
ACHTUNG! Programmänderung: 'Die Hampelmänner' statt 'Die Räuber'
oder
Wieder eine Mogelpackung
Die Räuber werden in der Karlsruher Neuinszenierung dermaßen verhampelt, verharmlost und entaktualisiert, daß man sie nicht ernst nehmen kann. Es wird viel geblödelt und gealbert und das Publikum darf lachen und erlebt zwei gut konsumierbare Stunden, die oberflächlich und anspruchslos unterhalten. Es gelingt hier das Kunststück, Schiller gedankenlos zu inszenieren. Die Regisseurin gilt als Spezialistin für Kinder- und Jugendtheater und vorrangig an Schüler richtet sich auch diese Comedy-Variante. Als Bewerbung für den imaginären Till-Schweiger-Regienachwuchspreis für seichte Komödien mit pseudo-seriösen Elementen ist diese Produktion ebenfalls legitim. Wer mehr erwartet als Konsum -immerhin werden Die Räuber im normalen Abonnement gezeigt- wird wahrscheinlich weniger Freude haben. Es bleibt schleierhaft, wieso man am Karlsruher Schauspiel immer noch nicht wieder leistungsfähig genug ist, um das Jugendtheater vom normalen Regelbetrieb zu trennen.
oder
Wieder eine Mogelpackung
Die Räuber werden in der Karlsruher Neuinszenierung dermaßen verhampelt, verharmlost und entaktualisiert, daß man sie nicht ernst nehmen kann. Es wird viel geblödelt und gealbert und das Publikum darf lachen und erlebt zwei gut konsumierbare Stunden, die oberflächlich und anspruchslos unterhalten. Es gelingt hier das Kunststück, Schiller gedankenlos zu inszenieren. Die Regisseurin gilt als Spezialistin für Kinder- und Jugendtheater und vorrangig an Schüler richtet sich auch diese Comedy-Variante. Als Bewerbung für den imaginären Till-Schweiger-Regienachwuchspreis für seichte Komödien mit pseudo-seriösen Elementen ist diese Produktion ebenfalls legitim. Wer mehr erwartet als Konsum -immerhin werden Die Räuber im normalen Abonnement gezeigt- wird wahrscheinlich weniger Freude haben. Es bleibt schleierhaft, wieso man am Karlsruher Schauspiel immer noch nicht wieder leistungsfähig genug ist, um das Jugendtheater vom normalen Regelbetrieb zu trennen.
Sonntag, 14. Dezember 2014
Offenbach - Fantasio, 13.12.2014
Eine etwas vertane Chance
Über den neu editierten Fantasio konnte man vorab nur Lobeshymnen lesen: Die Oper gilt als wichtiger Zwischenschritt zu Hoffmanns Erzählungen und zu Unrecht als vernachlässigtes und vergessenes Meisterwerk. 142 Jahre nach der Premiere ist nun Offenbachs Oper zum ersten Mal wieder in der Ursprungsfassung für die Bühne inszeniert worden. Die Aufführung am Badischen Staatstheater zeigt szenisch und musikalisch Licht und Schatten. Es bleibt der Eindruck einer sehr guten Durchschnittlichkeit. Doch aus Fantasio hätte man mehr machen können.
Über den neu editierten Fantasio konnte man vorab nur Lobeshymnen lesen: Die Oper gilt als wichtiger Zwischenschritt zu Hoffmanns Erzählungen und zu Unrecht als vernachlässigtes und vergessenes Meisterwerk. 142 Jahre nach der Premiere ist nun Offenbachs Oper zum ersten Mal wieder in der Ursprungsfassung für die Bühne inszeniert worden. Die Aufführung am Badischen Staatstheater zeigt szenisch und musikalisch Licht und Schatten. Es bleibt der Eindruck einer sehr guten Durchschnittlichkeit. Doch aus Fantasio hätte man mehr machen können.
Montag, 24. November 2014
Theo van Gogh - Das Interview / Lot Vekemans - Gift, 23.11.2014
Ein zweifaches Doppel: zwei spannende Stücke holländischer Autoren für jeweils zwei Schauspieler an einem Abend, die zukünftig auch einzeln gezeigt werden. Das Ergebnis ist höchst unterschiedlich: Das Interview ist geglücktes Theater, Gift hingegen enttäuscht auf ganzer Linie!
Sonntag, 16. November 2014
John Cranko - Der Widerspenstigen Zähmung, 15.11.2014
Jubel und Applaus
Birgit Keil und das Badische Staatsballett bringen mit Der Widerspenstigen Zähmung einen Klassiker des Balletts von Keils Mentor und Ballettlegende John Cranko auf die Karlsruher Bühne - und es ist gekommen, wie es kommen mußte: alle jubeln und strahlen und sind begeistert. Ein durch und durch humorvolles Ballett, das viel zu schnell vorüber ist. Und wer schon immer wissen wollte, wieso Premierenkarten ein besonderes (und etwas kostspieligeres) Vergnügen sind, der konnte gestern anhand der Vorfreude, Spannung, der wunderbaren Stimmung und dem Enthusiasmus beim Publikum unmittelbar mitverfolgen, wie viel Glück und Harmonie gelungene Premierenstimmung in sich trägt. (Zumindest etwas von diesem Erfolg wünscht man in Karlsruhe auch Oper und Schauspiel, aber da liegt noch ein langer Weg mit viel Änderungsbedarf vor diesen Sparten, bevor man wieder annähernd diese Akzeptanz und Zuneigung des Publikums erringen kann. Doch auch die Schwäche der Oper hat anscheinend ihre Auswirkung aufs Ballett: wenn sich die Anzahl der spartenübergreifenden Abonnements verringert, bleiben auch öfters Karten im Ballett übrig.)
Birgit Keil und das Badische Staatsballett bringen mit Der Widerspenstigen Zähmung einen Klassiker des Balletts von Keils Mentor und Ballettlegende John Cranko auf die Karlsruher Bühne - und es ist gekommen, wie es kommen mußte: alle jubeln und strahlen und sind begeistert. Ein durch und durch humorvolles Ballett, das viel zu schnell vorüber ist. Und wer schon immer wissen wollte, wieso Premierenkarten ein besonderes (und etwas kostspieligeres) Vergnügen sind, der konnte gestern anhand der Vorfreude, Spannung, der wunderbaren Stimmung und dem Enthusiasmus beim Publikum unmittelbar mitverfolgen, wie viel Glück und Harmonie gelungene Premierenstimmung in sich trägt. (Zumindest etwas von diesem Erfolg wünscht man in Karlsruhe auch Oper und Schauspiel, aber da liegt noch ein langer Weg mit viel Änderungsbedarf vor diesen Sparten, bevor man wieder annähernd diese Akzeptanz und Zuneigung des Publikums erringen kann. Doch auch die Schwäche der Oper hat anscheinend ihre Auswirkung aufs Ballett: wenn sich die Anzahl der spartenübergreifenden Abonnements verringert, bleiben auch öfters Karten im Ballett übrig.)
Sonntag, 19. Oktober 2014
Krása - Verlobung im Traum, 18.10.2014
Ein sehr gelungener Einstieg in die neue Opernsaison und ein Erfolg in jeder Hinsicht: musikalisch und inszenatorisch, sängerisch und darstellerisch - die Verlobung im Traum lohnt das Kennenlernen!
Zu Person und Werk
Der deutsch-tschechische Komponist Hans Krása (*1899 †1944) starb im Konzentrationslager und teilte das traurige Schicksal anderer Komponisten wie bspw. Viktor Ullmann, Erwin Schulhoff, Pavel Haas und Rudolf Karel. Krásas 1933 in Prag (Dirigent: George Szell) uraufgeführte Oper Verlobung im Traum nach Dostojewskis Novelle Onkelchens Traum verschwand viele Jahrzehnte aus dem Blickfeld. 1994 gab es die deutsche Erstaufführung als Gastspiel aus Prag in Mannheim, 1996 folgte eine CD-Gesamtaufnahme beim Label DECCA und eine konzertante Aufführung in Berlin. Aber kein deutsches Opernhaus fühlte sich dadurch inspiriert, das Stück zu inszenieren. Der Riß in der Rezeptionsgeschichte war also nicht nur durch 12 Jahre NS-Dikatatur bedingt. Es interessierte sich einfach niemand in der vielstädtigen deutschen Opernlandschaft dafür. Warum? Die Gründe dafür kann man sich nach der gestrigen Karlsruher Premiere kaum erklären. Dem Badischen Staatstheater gelingt nun damit eine Entdeckung, die hoffentlich von einem breiten Opernpublikum gewürdigt wird.
Worum geht es?
Eine russische Kleinstadt. Die verschlagene Marja Alexandrowna will ihre hübsche Tochter Sina an einen auf einer Durchreise befindlichen alten und senilen Fürsten verheiraten, um an dessen Vermögen zu kommen und ihrer Tochter Auskommen und Stellung zu sichern. Die Mutter manipuliert den Fürsten dazu, Sina einen Heiratsantrag zu machen, Sina willigt ein. Doch sie hat die Rechnung ohne des Fürsten Neffen Paul gemacht, der seinerseits selber Sina begehrt. Paul verhindert die Ehe: er redet seinem debilen Onkel ein, alles nur geträumt zu haben. Marja Alexandrownas intrigante Schwägerin Nastassja unterstützt Paul bei der Demaskierung und plant eine gesellschaftliche Bloßstellung von Mutter und Tochter.
Die Hauptfigur Sina ist im Gewissenskonflikt: sie liebt den todkranken Fedja (der nicht in der Oper auftritt) und benötigt das Geld, um ihm zu helfen. Sina wird am Ende der Oper mit der Verkündung von Fedjas Tod zur tragischen Figur.
Im Prolog und Epilog tritt der Archivar auf. Zu Beginn erzählt er, daß er diese Geschichte dem Schriftsteller Dostojewski erzählt hat und stimmt auf die Charaktere ein ("schön wie Sina ... unglücklich wie Fedja ... tückisch wie Paul ... seltsam wie der Fürst .... Gott bewahre mich vor einer solchen Mutter"). Am Ende verkündet er, daß Sina letztendlich ohne Liebe eine andere gute Partie heiratet und eine unglückliche Zukunft hat: "Keine Freundschaft, keine Liebe. Sie empfindet nichts, ist kalt wie ein Stein".
Was ist zu hören? (1)
Beim ersten Zuhören hat man den Eindruck, Einflüsse verschiedener Komponisten und Stile zu finden, man meint bspw. Richard Strauss oder Kurt Weill (im Programmheft werden auch Strawinsky, Janáček und Gershwin genannt) herauszuhören und Anklänge der damaligen Zeit (Tanz- und Filmmusik). Immer wieder gibt es besondere und interessante musikalische Stellen in dieser Oper, die abwechslungs- und einfallsreich durch kontrastierende Elemente ist, voller Schwung und Esprit und vielen Ensembles. Die kurze Oper (zwei Akte, jeder ca. 50 Minuten) ist kurzweilig und spannend, auf den Punkt und nie sentimental. Ein Höhepunkt ist am Ende des ersten Akts: während Sina singt (Bellinis Casta Diva), um den Fürsten zu beeindrucken, beginnen die anderen Figuren zu tuscheln und übertönen sie schließlich. Das Programmheft bezeichnet das als "montageartigen Überzeichnung" einer "als Parodie zu verstehenden Multistilistik" und "Hans Krása lässt diese ganz unterschiedlichen Elemente so prägnant hervortreten, dass deren Eigensinn immer wieder den reinen Ausdrucksgehalt der dramatischen Situation überlagert. Gefühle treten musikalisch nicht nur als Gefühle der Figuren in Erscheinung, sondern auch als artifizielle Phänomene, die auf historische musikalische Chiffren von Gefühlen verweisen. In dieser Montagetechnik, ein in den 20er Jahren bevorzugtes Stilmittel, äußert sich ein Tonkünstler, der gleichzeitig dramatische Situationen beglaubigt und ihren theatralen Reiz in Szene setzt."
In der Summe eine brillante Leistungsschau des Komponisten, bei der vielleicht die eine unvergessliche Melodie, der eine besondere Moment fehlt - man bewegt sich auf einem Hochplateau ohne ausgeprägte Gipfel. Vor allem der erste Akt überzeugt durch seine Steigerungen und sein Tempo. Im zweiten Akt gibt es geringfügige Längen und eine Stiländerung: die Figur der Sina verwandelt sich in eine Charakterrolle von Richard Strauss'schem Ausmaß: eine unglückliche Arabella, aber szenisch und musikalisch komischer und doch im Endeffekt traurig. Hier liegt vielleicht der Schwachpunkt -wenn man das überhaupt so nennen kann- dieser Oper: Was für ein Genre ist das denn eigentlich? Keine Buffa, keine Komödie im Sinne Tschechows (melancholische Heiterkeit vor ernstem Hintergrund) und Gogols (Gesellschaftssatire), aber auch keine richtige Charakterkomödie (Sina bleibt etwas zu blaß; ihre Liebe zum unsichtbaren Fedja unklar) und auch kein typisches Lustspiel (kein Liebesglück am Ende). Man sieht Operettenfiguren in einer tragikomischen Oper ohne Happy-End. Vielleicht war es dieser seltsame Stil-Mix einer verfremdeten Operette, die die bundesdeutsche Opernwelt bisher daran gehindert, das Werk zu inszenieren.
Was ist zu sehen?
Regisseur Ingo Kerkhof konzentriert sich auf das Operettenhafte. Er integriert Sinas Charakterschübe in einen amüsanten Hintergrund und vermeidet damit falsche musikdramatischen Komplikationen. In Karlsruhe interpretiert und inszeniert man Verlobung im Traum mit Blick auf die Entstehungszeit der Oper - sie spielt in den Goldenen Zwanzigern, den 1920er Jahren. Man sieht ein Bühnenbild, das wie eine Szene aus Cabaret wirkt, der Archivar als Erzähler der Geschichte wird zum Conférencier im Frack. Man befindet sich in einer gut gelaunten Revue, die der Oper keine zusätzlichen Bedeutungsebenen aufzwingt. Man konzentriert sich durch viele gute Einfälle und reizvolle Details auf Schwung und Handlungsfluß. Humoristisch ist diese Inszenierung mehrgleisig: man setzt auf prägnante Typisierung der Figuren, die besonders dadurch amüsant wird, daß Sänger und Chor hier auch als Schauspieler gefordert sind und diese Anforderungen bei der Premierenbesetzung sehenswert erfüllt wurden. Dazu kommt eine Mischung aus Situationskomik, Slapstick und liebevoll gestalteten kleineren Einfälle. Immer wieder passiert mehr auf der Bühne als beim ersten Zuschauen wahrnehmbar ist.
Was ist zu hören? (2)
Nicht nur sängerisch, auch schauspielerisch zeigen Sänger und Chor eine homogene und starke Leistung. Agnieszka Tomaszewska ist neu im Karlsruher Ensemble, ihr Einstieg in der Hauptrolle der Sina setzt gleich zu Beginn ein sängerisches Ausrufezeichen: klangschön und höhensicher! Ein Auftritt, der einiges für die Zukunft verspricht. Jaco Venter in der Rolle des alten Fürsten und Katharine Tier als arme Schwägerin haben viel Spaß mit ihren Rollen und übertragen dies auf das Publikum. Armin Kolarczyk ist für die kleine Rolle des Archivars eine Luxusbesetzung.
Für viele Rollen hat man Gäste engagiert: besonders Dana Beth Miller in der Rolle der Mutter bekam für ihre großartige Darstellung viel Applaus, Tenor Christian Voigt hatte zwar mit einer Erkältung zu kämpfen, hinterließ aber einen sehr guten Eindruck.
Entscheidend zum musikalischen Erfolg dieser Oper trugen Justin Brown und das sehr variabel und spielfreudig auftrumpfende Orchester bei, die Krásas Multistilistik auf spannende Weise hörbar machen.
Fazit: BRAVO! In jeder Hinsicht einen lohnende Entdeckung für die das Badische Staatstheater viel Anerkennung und vor allem mehr Publikum verdient denn ...
PS: ... wo ist eigentlich das Karlsruher Opernpublikum abgeblieben?
Ein trauriges Bild bei einer Premiere (aber auch sonst immer öfters) - viele leere Plätze. Wie es so weit kommen konnte, lohnt der Analyse. Sind tatsächlich in den letzten drei Jahren so viele Opernfreunde altersbedingt in die Besucher-Rente gegangen und kommen nicht mehr? Oder gehen sie aktuell einfach nur lieber nach Baden-Baden, Stuttgart, Mannheim und Straßburg? Liegt es an Programm und Spielplan? Fehlt das Publikumsvertrauen in die Operndirektion bei der Wahl von Raritäten wie Verlobung im Traum? Hat es die aktuelle Intendanz innerhalb von drei Jahren geschafft, Stammpublikum zu vertreiben und die falsche Herangehensweise gewählt (teilweise wenig variable Spielpläne, Spezialitäten für Liebhaber statt Sattmacher für neue Zuschauer, tendenziell zu ernst und schwer, Fokus auf das Stadtgebiet unter Vernachlässigung des Umlands)? Vielleicht hat man drei Jahre verschenkt, in denen man sich breiter hätte positionieren können? Wieso ist die Oper anscheinend (oder doch nur scheinbar?) im Abseits gelandet? Die Antwort liegt irgendwo in der Grauzone dazwischen. Die Gewichtung ist diskutabel. Der Abgang von Operndirektor Schaback nach drei Jahren liefert einen weiteren Baustein zum Gesamtbild: die Vorbereitung des Intendanzstarts 2011 war suboptimal: im Schauspiel hatte Intendant Spuhler Planungsfehler bereits eingeräumt, in der Oper sollte er ebenfalls die Fehler benennen und ein erstes Besserungssignal senden. Im Schauspiel scheint das Training-on-the-job inzwischen klare Erfolge zu zeigen: man scheint auf einem guten Weg. Nun ist es an der neuen Opernleitung, das Interesse an der Karlsruher Oper wieder zu wecken und Zuschauer zurückzugewinnen. Am Ende der Spielzeit sollten vor allem die Anzahl der Opernbesucher und die Abonnentenzahlen im Fokus der Diskussion stehen.
Team und Besetzung:
Sina: Agnieszka Tomaszewska
Marja Alexandrowna: Dana Beth Miller (a.G.)
Barbara: Sofia Mara (a.G.)
Nastassja: Katharine Tier
Sofia Petrowna: Hatice Zeliha Kökcek (a.G.)
Paul: Christian Voigt (a.G.)
Archivar der Stadt Mordassow: Armin Kolarczyk
Fürst: Jaco Venter
Musikalische Leitung: GMD Justin Brown
Regie: Ingo Kerkhof
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Inge Medert
Choreografie: Darie Cardyn
Chorleitung: Ulrich Wagner
Zu Person und Werk
Der deutsch-tschechische Komponist Hans Krása (*1899 †1944) starb im Konzentrationslager und teilte das traurige Schicksal anderer Komponisten wie bspw. Viktor Ullmann, Erwin Schulhoff, Pavel Haas und Rudolf Karel. Krásas 1933 in Prag (Dirigent: George Szell) uraufgeführte Oper Verlobung im Traum nach Dostojewskis Novelle Onkelchens Traum verschwand viele Jahrzehnte aus dem Blickfeld. 1994 gab es die deutsche Erstaufführung als Gastspiel aus Prag in Mannheim, 1996 folgte eine CD-Gesamtaufnahme beim Label DECCA und eine konzertante Aufführung in Berlin. Aber kein deutsches Opernhaus fühlte sich dadurch inspiriert, das Stück zu inszenieren. Der Riß in der Rezeptionsgeschichte war also nicht nur durch 12 Jahre NS-Dikatatur bedingt. Es interessierte sich einfach niemand in der vielstädtigen deutschen Opernlandschaft dafür. Warum? Die Gründe dafür kann man sich nach der gestrigen Karlsruher Premiere kaum erklären. Dem Badischen Staatstheater gelingt nun damit eine Entdeckung, die hoffentlich von einem breiten Opernpublikum gewürdigt wird.
Worum geht es?
Eine russische Kleinstadt. Die verschlagene Marja Alexandrowna will ihre hübsche Tochter Sina an einen auf einer Durchreise befindlichen alten und senilen Fürsten verheiraten, um an dessen Vermögen zu kommen und ihrer Tochter Auskommen und Stellung zu sichern. Die Mutter manipuliert den Fürsten dazu, Sina einen Heiratsantrag zu machen, Sina willigt ein. Doch sie hat die Rechnung ohne des Fürsten Neffen Paul gemacht, der seinerseits selber Sina begehrt. Paul verhindert die Ehe: er redet seinem debilen Onkel ein, alles nur geträumt zu haben. Marja Alexandrownas intrigante Schwägerin Nastassja unterstützt Paul bei der Demaskierung und plant eine gesellschaftliche Bloßstellung von Mutter und Tochter.
Die Hauptfigur Sina ist im Gewissenskonflikt: sie liebt den todkranken Fedja (der nicht in der Oper auftritt) und benötigt das Geld, um ihm zu helfen. Sina wird am Ende der Oper mit der Verkündung von Fedjas Tod zur tragischen Figur.
Im Prolog und Epilog tritt der Archivar auf. Zu Beginn erzählt er, daß er diese Geschichte dem Schriftsteller Dostojewski erzählt hat und stimmt auf die Charaktere ein ("schön wie Sina ... unglücklich wie Fedja ... tückisch wie Paul ... seltsam wie der Fürst .... Gott bewahre mich vor einer solchen Mutter"). Am Ende verkündet er, daß Sina letztendlich ohne Liebe eine andere gute Partie heiratet und eine unglückliche Zukunft hat: "Keine Freundschaft, keine Liebe. Sie empfindet nichts, ist kalt wie ein Stein".
Was ist zu hören? (1)
Beim ersten Zuhören hat man den Eindruck, Einflüsse verschiedener Komponisten und Stile zu finden, man meint bspw. Richard Strauss oder Kurt Weill (im Programmheft werden auch Strawinsky, Janáček und Gershwin genannt) herauszuhören und Anklänge der damaligen Zeit (Tanz- und Filmmusik). Immer wieder gibt es besondere und interessante musikalische Stellen in dieser Oper, die abwechslungs- und einfallsreich durch kontrastierende Elemente ist, voller Schwung und Esprit und vielen Ensembles. Die kurze Oper (zwei Akte, jeder ca. 50 Minuten) ist kurzweilig und spannend, auf den Punkt und nie sentimental. Ein Höhepunkt ist am Ende des ersten Akts: während Sina singt (Bellinis Casta Diva), um den Fürsten zu beeindrucken, beginnen die anderen Figuren zu tuscheln und übertönen sie schließlich. Das Programmheft bezeichnet das als "montageartigen Überzeichnung" einer "als Parodie zu verstehenden Multistilistik" und "Hans Krása lässt diese ganz unterschiedlichen Elemente so prägnant hervortreten, dass deren Eigensinn immer wieder den reinen Ausdrucksgehalt der dramatischen Situation überlagert. Gefühle treten musikalisch nicht nur als Gefühle der Figuren in Erscheinung, sondern auch als artifizielle Phänomene, die auf historische musikalische Chiffren von Gefühlen verweisen. In dieser Montagetechnik, ein in den 20er Jahren bevorzugtes Stilmittel, äußert sich ein Tonkünstler, der gleichzeitig dramatische Situationen beglaubigt und ihren theatralen Reiz in Szene setzt."
In der Summe eine brillante Leistungsschau des Komponisten, bei der vielleicht die eine unvergessliche Melodie, der eine besondere Moment fehlt - man bewegt sich auf einem Hochplateau ohne ausgeprägte Gipfel. Vor allem der erste Akt überzeugt durch seine Steigerungen und sein Tempo. Im zweiten Akt gibt es geringfügige Längen und eine Stiländerung: die Figur der Sina verwandelt sich in eine Charakterrolle von Richard Strauss'schem Ausmaß: eine unglückliche Arabella, aber szenisch und musikalisch komischer und doch im Endeffekt traurig. Hier liegt vielleicht der Schwachpunkt -wenn man das überhaupt so nennen kann- dieser Oper: Was für ein Genre ist das denn eigentlich? Keine Buffa, keine Komödie im Sinne Tschechows (melancholische Heiterkeit vor ernstem Hintergrund) und Gogols (Gesellschaftssatire), aber auch keine richtige Charakterkomödie (Sina bleibt etwas zu blaß; ihre Liebe zum unsichtbaren Fedja unklar) und auch kein typisches Lustspiel (kein Liebesglück am Ende). Man sieht Operettenfiguren in einer tragikomischen Oper ohne Happy-End. Vielleicht war es dieser seltsame Stil-Mix einer verfremdeten Operette, die die bundesdeutsche Opernwelt bisher daran gehindert, das Werk zu inszenieren.
Was ist zu sehen?
Regisseur Ingo Kerkhof konzentriert sich auf das Operettenhafte. Er integriert Sinas Charakterschübe in einen amüsanten Hintergrund und vermeidet damit falsche musikdramatischen Komplikationen. In Karlsruhe interpretiert und inszeniert man Verlobung im Traum mit Blick auf die Entstehungszeit der Oper - sie spielt in den Goldenen Zwanzigern, den 1920er Jahren. Man sieht ein Bühnenbild, das wie eine Szene aus Cabaret wirkt, der Archivar als Erzähler der Geschichte wird zum Conférencier im Frack. Man befindet sich in einer gut gelaunten Revue, die der Oper keine zusätzlichen Bedeutungsebenen aufzwingt. Man konzentriert sich durch viele gute Einfälle und reizvolle Details auf Schwung und Handlungsfluß. Humoristisch ist diese Inszenierung mehrgleisig: man setzt auf prägnante Typisierung der Figuren, die besonders dadurch amüsant wird, daß Sänger und Chor hier auch als Schauspieler gefordert sind und diese Anforderungen bei der Premierenbesetzung sehenswert erfüllt wurden. Dazu kommt eine Mischung aus Situationskomik, Slapstick und liebevoll gestalteten kleineren Einfälle. Immer wieder passiert mehr auf der Bühne als beim ersten Zuschauen wahrnehmbar ist.
Was ist zu hören? (2)
Nicht nur sängerisch, auch schauspielerisch zeigen Sänger und Chor eine homogene und starke Leistung. Agnieszka Tomaszewska ist neu im Karlsruher Ensemble, ihr Einstieg in der Hauptrolle der Sina setzt gleich zu Beginn ein sängerisches Ausrufezeichen: klangschön und höhensicher! Ein Auftritt, der einiges für die Zukunft verspricht. Jaco Venter in der Rolle des alten Fürsten und Katharine Tier als arme Schwägerin haben viel Spaß mit ihren Rollen und übertragen dies auf das Publikum. Armin Kolarczyk ist für die kleine Rolle des Archivars eine Luxusbesetzung.
Für viele Rollen hat man Gäste engagiert: besonders Dana Beth Miller in der Rolle der Mutter bekam für ihre großartige Darstellung viel Applaus, Tenor Christian Voigt hatte zwar mit einer Erkältung zu kämpfen, hinterließ aber einen sehr guten Eindruck.
Entscheidend zum musikalischen Erfolg dieser Oper trugen Justin Brown und das sehr variabel und spielfreudig auftrumpfende Orchester bei, die Krásas Multistilistik auf spannende Weise hörbar machen.
Fazit: BRAVO! In jeder Hinsicht einen lohnende Entdeckung für die das Badische Staatstheater viel Anerkennung und vor allem mehr Publikum verdient denn ...
PS: ... wo ist eigentlich das Karlsruher Opernpublikum abgeblieben?
Ein trauriges Bild bei einer Premiere (aber auch sonst immer öfters) - viele leere Plätze. Wie es so weit kommen konnte, lohnt der Analyse. Sind tatsächlich in den letzten drei Jahren so viele Opernfreunde altersbedingt in die Besucher-Rente gegangen und kommen nicht mehr? Oder gehen sie aktuell einfach nur lieber nach Baden-Baden, Stuttgart, Mannheim und Straßburg? Liegt es an Programm und Spielplan? Fehlt das Publikumsvertrauen in die Operndirektion bei der Wahl von Raritäten wie Verlobung im Traum? Hat es die aktuelle Intendanz innerhalb von drei Jahren geschafft, Stammpublikum zu vertreiben und die falsche Herangehensweise gewählt (teilweise wenig variable Spielpläne, Spezialitäten für Liebhaber statt Sattmacher für neue Zuschauer, tendenziell zu ernst und schwer, Fokus auf das Stadtgebiet unter Vernachlässigung des Umlands)? Vielleicht hat man drei Jahre verschenkt, in denen man sich breiter hätte positionieren können? Wieso ist die Oper anscheinend (oder doch nur scheinbar?) im Abseits gelandet? Die Antwort liegt irgendwo in der Grauzone dazwischen. Die Gewichtung ist diskutabel. Der Abgang von Operndirektor Schaback nach drei Jahren liefert einen weiteren Baustein zum Gesamtbild: die Vorbereitung des Intendanzstarts 2011 war suboptimal: im Schauspiel hatte Intendant Spuhler Planungsfehler bereits eingeräumt, in der Oper sollte er ebenfalls die Fehler benennen und ein erstes Besserungssignal senden. Im Schauspiel scheint das Training-on-the-job inzwischen klare Erfolge zu zeigen: man scheint auf einem guten Weg. Nun ist es an der neuen Opernleitung, das Interesse an der Karlsruher Oper wieder zu wecken und Zuschauer zurückzugewinnen. Am Ende der Spielzeit sollten vor allem die Anzahl der Opernbesucher und die Abonnentenzahlen im Fokus der Diskussion stehen.
Team und Besetzung:
Sina: Agnieszka Tomaszewska
Marja Alexandrowna: Dana Beth Miller (a.G.)
Barbara: Sofia Mara (a.G.)
Nastassja: Katharine Tier
Sofia Petrowna: Hatice Zeliha Kökcek (a.G.)
Paul: Christian Voigt (a.G.)
Archivar der Stadt Mordassow: Armin Kolarczyk
Fürst: Jaco Venter
Musikalische Leitung: GMD Justin Brown
Regie: Ingo Kerkhof
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Inge Medert
Choreografie: Darie Cardyn
Chorleitung: Ulrich Wagner
Sonntag, 12. Oktober 2014
NSA-Projekt: Ich bereue nichts (Edward Snowden), 11.10.2014
So macht Theater Freude und wer nach Ich bereue nichts nicht begeistert oder zumindest zufrieden und gut unterhalten Lust auf auf mehr Schauspielbesuche bekommt, dem ist im Theater nicht zu helfen. Dem Karlsruher Schauspiel gelingt ein großartiger Spagat: informativ und doch unterhaltend, nachdenklich und doch humorvoll - und das bei einem ernsten und wichtigen Thema. Bravo!
Montag, 22. September 2014
Hesse - Das Glasperlenspiel, 21.09.2014
Viel Lärm um .... fast nichts!
Vor zwei Jahren beklagte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung über den "fiebrigen Schimmelbefall der deutschsprachigen Theater mit grassierendem Morbus Bearbeiteritis" und darüber, daß "die Theater vor keiner hirnrissigen Roman- oder Filmadaption zurückschrecken". Aus welchem Grund hat man nun am Badischen Staatstheater Hesses umfangreichen (aber doch nicht handlungsreichen) letzten Roman für die Bühne bearbeitet? Eine zufriedenstellende Antwort gab die Premiere nicht, triftige Gründe für die Bühnenfassung kann man in Karlsruhe nicht belegen. Die Bühnenfassung ist episodisch und zieht sich ohne spannende Dramatik oder interessante Konflikte zäh dahin. Eine außergewöhnliche Bühne ist zu wenig, um den Abend erträglicher zu gestalten.
Vorbemerkung: Zur Verdeutlichung befinden sich in einfacher Anführung und kursiver Schrift 'Roman-Textstellen' aus dem Buch.
Zukunftsutopie - Was ist das Glasperlenspiel?
Hesses Roman spielt in ferner Zukunft. Das Glasperlenspiel ist eine zukünftige Entwicklung, also eine überwiegend abstrakte Idee, sowohl im Roman als auch in der Karlsruher Bühnenadaption. Was ist seine Bedeutung? Nach der 'Demoralisierung des Geistes' und des 'Wahrheitssinnes' in der kriegerischen Phase des 20. Jahrhunderts entwickelt eine 'heroisch-asketische Gegenbewegung' über Jahrhunderte mit dem Spiel eine auf Musik und Mathematik basierende, universale 'Weltsprache des Geistigen', eine Vernetzung der Wissenschaften durch etwas, das einer musischen Programmiersprache ähnelt. Das Spiel ist der 'Inbegriff des Geistigen und Musischen' und ein 'sublimer Kult'. Dieser Kult 'enthielt sich jeder eigenen Theologie' und war doch 'nahezu gleichbedeutend mit Gottesdienst' für den echten Spieler. Das 'magische Spiel' verlangt 'seelische Zucht' und 'Hingabe', die 'Loslösung des Geistigen aus dem Weltbetrieb' und ist eine 'symbolhafte Form des Suchens nach dem Vollkommenen'. 'Weltsinn erkennen' ist durch das Glasperlenspiel zum 'Ersatz für Kunst und Philosophie' geworden. Der 'Verzicht auf Hervorbringung von Kunstwerken' ist eine Folge davon.
Worum geht es (1) - Utopie als Zeitkritik
Hesses Roman entstand vor und während dem 2. Weltkrieg und wie jede gute Zukunftsvision liegt ihre Bedeutung in der Reflexion der Gegenwart. 'Ungeistigkeit und Brutalität' sind die Folgen der 'öden Mechanisierung des Lebens, das tiefe Sinken der Moral', 'Glaubenlosigkeit' und 'Unechtheit', bzw. 'keine echte Bildung und keine echte Kunst', sondern eine 'wilde und dilettantische Überproduktion in allen Künsten'. Entwickelt hat sich dieser Zustand im von Hesse sogenannten 'feuilletonistischen Zeitalter', in der 'der Geist eine unerhörte und ihm selbst nicht mehr erträgliche Freiheit genoß' und sich ein verantwortungsloser, egoistischer und narzisstischer Individualismus breit macht und 'das Wesentliche einer Persönlichkeit das Abweichende, das Normwidrige und Einmalige, ja oft geradezu das Pathologische' geworden sei.
Zur Aktualität des Romans (1)
Nirgends ist der Roman aktueller als in den kritischen Aussagen zur Kultur des 20. Jahrhunderts und dort über die 'Demoralisierung des Geistes' und die 'Inflation der Begriffe'. Der heute deregulierte Markt für die digitale Verbreitung von Informationen ist durch substanzielle Reduktion der Qualität bei steigender Quantität der Meinungsverbreitung geprägt. Aufgrund von Vermarktungs- und Profilierungszwängen verbergen sich fehlende Haltung oder mangelnde Originalität und Kreativität hinter leeren Gesten, wichtigtuerischem Aktionismus, politischem Relevanzgetue und moralischer Besserwisserei. Überall wimmelt es von Skandalen, Empörungen und wichtig erscheinenden News, die dann doch bald wieder vergessen sind. Hesse analysiert: 'Über jedes Tagesereignis ergoß sich eine Flut von eifrigem Geschreibe, und die Beibringung, Sichtung und Formulierung all dieser Mitteilungen trug durchaus den Stempel der rasch und verantwortungslos hergestellten Massenware'. Die Generation Facebook mit der Selbstdarstellung des Banalen ist eine Folgeerscheinung.
Geradezu prophetisch kann man auch gewisse Äußerungen Hesses lesen, die an heutige Zustände in Polit-Talk-Shows erinnern, in denen 'beliebte Schauspieler, Tänzer, Turner, Flieger oder auch Dichter sich ...über die mutmaßlichen Ursachen von Finanzkrisen und so weiter' äußerten. 'Es kam dabei einzig darauf an, einen bekannten Namen mit einem gerade aktuellen Thema zusammenzubringen'. Die Folge all dessen ist ein dumpfer Zynismus: 'Es herrschte bei den Guten ein still-düsterer, bei den Schlechten ein hämischer Pessimismus'. Problematisch ist diese Aktualität dadurch, daß sie im Roman nur beschrieben wird und keine Handlungselemente vorhanden sind. Und auch die Karlsruher Inszenierung kann sie nicht gewinnbringend integrieren.
Worum geht es (2) - Eine seltsame Utopie in altmodischem Gewand
Bereits 1948 erkannte der spätere Suhrkamp Verlagsleiter Siegfried Unseld, daß man Hesses Roman "als skurril-abstrakte Spielerei eines Alternden abtun" könnte. Es ist ein seltsames Konstrukt, das Hesse in seiner Utopie entwirft. Eine elitäre Sonderwelt der Hochbegabten, durch eine geistige und räumliche Umsiedlung getrennt vom "normalen Leben" in der Provinz Kastalien – ein Ort des politik- und geschichtslosen Daseins in einer 'Sphäre der Zeit- und Kampflosigkeit' – finanziert und versorgt von den "normalen Menschen", die der Elite ihr exklusives Geistesleben ermöglichen und im Gegenzug pädagogische Leistungen erhalten. Hesses Figuren sind etwas Besonderes, eine Geistes- und Empfindungselite, die in 'streng eingehaltenem Abstand von den Normalen' lebt. Auffallend oft kommt in Hesses Roman das Wort Elite vor, das kastalische Prinzip beruht auf 'der Auswahl der Besten'. Die Hauptfigur Josef Knecht spürt als Knabe ein 'Entfremdungsgefühl' und die Unerträglichkeiten der gewöhnlichen Welt. Doch 'sein Leiden hatte Sinn gehabt', er wurde, wie andere 'Hochbegabte und Berufene', für die kastalische Ordensschule und sogar in der Folge für die 'engste Elite innerhalb der Elite' erwählt und sah seine 'Berufung als Mahnung und Förderung'.
Der kastalische Orden ist geprägt durch 'Selbstzucht und Würde des Geistes' und den 'Dienst am Überpersönlichen', eine streng hierarchische 'mönchische Gemeinschaft', 'besitz- und ehelos', aber nicht sakral und ohne verbindlichen Jenseitsglauben. Frauen kommen in der kastalischen Welt nicht vor und spielen in dem Roman keine Rolle. Einige Auserwählte dürfen in dieser Utopie geistiges Slow Food genießen, 'während draußen im Schmutz der Welt arme gehetzte Menschen das wirkliche Leben leben und die wirkliche Arbeit tun'. Hesse baut diese Utopie allerdings auf, um ihre Fragwürdigkeit zu zeigen. Die Moral von der Geschichte könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Gelehrte im Elfenbeinturm dürfen den Kontakt zum Leben und zu den Menschen nicht verlieren. Ein selbstgemachtes Problem als Gedankenexperiment, fast ohne äußere Handlung und von inneren Entwicklungen bestimmt.
Worum geht es (3) - Dem Wahren, dem Schönen, dem Heiteren
Hesse zeigt sich als Wertkonservativer: Die 'oberste und heiligste Aufgabe' Kastaliens besteht darin, 'dem Lande und der Welt ihr geistiges Fundament zu erhalten, das sich auch als ein moralisches Element von höchster Wirksamkeit bewährt hat', 'Ehrfurcht vor der Wahrheit', 'Treue gegen den Geist'. 'Heiterkeit' ist in Kastalien 'das höchste edelste aller Ziele'. 'Diese Heiterkeit ist ... höchste Erkenntnis und Liebe, ist bejahen aller Wirklichkeit ... eine Tugend der Heiligen'. Heiter ist 'das Lächeln der Weltüberwinder und Buddhas'. Wie wird dieser Zustand erreicht? Der 'Kult der Wahrheit', der 'Kult des Schönen', verknüpft mit 'meditativer Seelenpflege kann also die Heiterkeit nie ganz verlieren'. Wie stellt man diese Fundamente dar? Gar nicht! Den spirituellen Aspekt des Buches übersetzt man in Karlsruhe gar nicht erst auf die Bühne. Es ist diskutabel, was von Hesse bleibt, wenn man diese Aspekte ausblendet.
Künstliche Konstruktion
Der Roman wirkt in der Summe abstrakt, wirklichkeitsfern und künstlich und ist aufgrund vom Form und Stil heutzutage wenig inspirierend. Hesse konstruiert eine symbolisch getrennte Welt ohne Grautöne, ein zu rigides Schubladensystem zwischen 'Elitehochmut' und 'naiven Leben'. Die psychologisch zurückhaltende und sogar einfache Charakterisierung bietet wenig Konfliktstoff, der gediegene Legendenstil (Unseld sprach bereits 1948 von einem "ehrfürchtig-meditativem Ton") verhindert kritische Reflexion des Erzählers. Es sind Figuren ohne Tiefe, die in eine Bedeutungsperspektive gerückt werden. In Karlsruhe sah man darin eine Chance, "die Leerstellen in eigener kreativer Mitarbeit zu füllen". Das Badische Staatstheater begründete das wie folgt: "Hesse war auch kein völlig unfehlbarer Typ, er kochte auch nur mit Wasser". Ah ja, argumentativ ist das vielleicht für den aufmerksameren Besucher nicht ganz überzeugend. Man macht in Karlsruhe aus einigen naheliegenden Themen ein wenig Theater: zu Beginn ein wenig Freundschafts- und Pubertätsdrama, ein wenig latente Homoerotik (Männerbünde und Knabenliebe scheinen immer noch bei manchen Theaterleuten ein gewisses Interesse auszulösen), ein wenig Lebensdrama und unterdrückte Leidenschaften. Über Ansätze in der Charakterisierung kommt man dabei nicht hinaus. Die Darstellung der Handlung ist episodisch und die Figuren bleiben an der Oberfläche oder werden nur angedeutet vertieft.
Worum geht es (4) - Handlungselemente
Der Lebenslauf von Josef Knecht, einem Meister des Glasperlenspiels, wird im Buch rückblickend aus noch weiterer Zukunft als eine Art Heiligenlegende erzählt. Auf der Karlsruher Bühne beginnt die Aufarbeitung von Knechts Werdegang hingegen bald nach dem Handlungsende des Buchs. Der Roman schildert den Werdegang Knechts vom begabten Schüler zum Magister des Ordens der Glasperlenspieler, seine Zweifel an der freiwilligen Isolation, seine Rückkehr in die normale Welt als Hauslehrer eines Jungen und sein baldiger Tod. Es ist eine Sage ohne echte Botschaft, die höchstens darlegt, daß die Abwehr-, Verweigerungs- und Rückzugshaltung gegen die Zumutungen der Welt, deren 'Ungeistigkeit und Brutalität' keine Lösung ist. Denn wer nicht in seiner Zeit lebt, wird von ihr übergangen. Die Gefahr des Bedeutungsverlusts des kastalischen Ordens erkennt Josef Knecht und kann doch sein Werk nicht weiterführen. Hesse lässt Knecht nach dem Ordensaustritt schnell sterben. Eine Weiterführung der Geschichte hätte sein Scheitern beschreiben müssen oder wäre zum Märchen geworden. Die Vereinbarkeit von wahrem und wirklichen Leben oder der richtige Weg zwischen Teilhabe und Absonderung ist bei Hesse allerdings kein Thema. Hier setzt die wenig geglückte dramaturgische Erfindung des Badischen Staatstheaters an: wie in Thomas Manns Tod in Venedig bricht Knechts bisheriges Leben zusammen, als er sich beim ersten Blick in einen Knaben verliebt. Zu den Klängen von Mahlers Adagietto aus der 5. Symphonie verfällt Knecht (wie in Viscontis Verfilmung der Mann-Novelle, nur nicht so geschmackvoll, sondern fast schon an der Grenze zum Kitsch) unwiderruflich dem Reiz des Jungen (der in Karlsruhe von einer Schauspielerin gespielt wird). Hesses Glasperlenspiel wird also auf der Bühne zu einer Geschichte über unterdrückte Sexualität umgedeutet.
Zur Aktualität des Romans (2)
Hesses Bücher erzählen Geschichten über Suchende: seine Figuren suchen Sinn oder Zuflucht aus einer spirituellen Obdachlosigkeit. Seine Vision im Glasperlenspiel, so "skurril" sie auch erscheinen mag, gibt neue Bedeutungen für ehemals religiös oder philosophische geprägte Ziele wie Erleuchtung und Erlösung und handelt nicht -wie nun in Karlsruhe- von unterdrückten sexuellen Wünschen. Hesses Antworten sind allerdings gegen den Zeitgeist: die kastalische Heiterkeit und Gelassenheit, die sich beim Sterben des Musikmeisters zu einer erleuchteten Entweltlichung steigert, werden durch eine reduktionistische Lebensweise (Besitz- und Ehelosigkeit) erreicht, einer Rückzugsstrategie der politik- und geschichtsfreien Weltabgewandtheit ohne Tagesaktualität. Befreiung findet das Individuum bei Hesse in 'überindividueller Tätigkeit', Gehorsam und Pflicht im kastalischen Orden. Erlösung bietet Kastalien und das Glasperlenspiel nur den Hochbegabten.
Hesses Roman ist auch eine Geschichte vom Schlußmachen und Neuanfangen. Knecht verlässt die Komfortzone, um sich einer Herausforderung zu stellen. Hesses Verdienst im Glasperlenspiel besteht im Teilnehmenwollen, am Anteilhabenwollen am Gelungenen, also Teil der Lösung zu sein und nicht Teil des Problems. Doch selbst Knecht verlässt den Orden nicht nur aus Anteilnahme am Leben der 'Weltmenschen' oder aus Sorge um dem Fortbestand des Spiels. Ein wenig Psychologie lässt Hesse zu. Auch in Kastalien gibt es Mangel, und sei es wie bei Knecht nur ganz einfach die Langeweile des Hochbegabten. Knecht ist 'seit einer Weile an der Grenze', wo seine 'Arbeit als Glasperlenspielmeister zur ewigen Wiederholung, zur leeren Übung und Formel' geworden ist, 'ohne Freude, ohne Begeisterung ... manchmal sogar ohne Glauben. Es war Zeit damit aufzuhören'. Knechts Schlußmachen ist nicht ausschließlich uneigennützig und selbstlos. In Karlsruhe findet man für diese Aspekte keinen Platz - sie passen nicht ins übergestülpte Konzept der unterdrückten Homosexualität.
Worum geht es (5) - Handlungselemente
Verschiedenen Personen begegnet Josef Knecht auf seinem Lebensweg. Der Musikmeister erkennt seine Begabung und fördert ihn (sein späteres Sterben hat im Buch etwas Buddhistisches, einen 'heiteren Glanz des Entwerdens'. Im Stück fehlt wie bereits oben beschrieben der Mut zu einer spirituellen Deutung, hier ist die Figur eher dement - Senilität statt Erleuchtung).
Knechts treuester Freund im Orden ist der Außenseiter und Individualist Fritz Tegularius, ein 'labiler und gefährdeter Charakter' und Feind aller Normierung.
Wichtigen Einfluß hat der Benediktinerpater Jakobus (Thomas Meinhardt), mit dessen Hilfe es Knecht gelingt, wohlwollende Neutralität zwischen Kastalien und der katholischen Kirche zu etablieren und in der Hierarchie Kastaliens aufzusteigen. In der Karlsruher Inszenierung bekommt die katholische Kirche ihr Fett weg: der Benediktiner der Zukunft trägt keine Ordenstracht mehr, sondern ist ein eitler Geck, der sich beim erstmöglichen Anlaß entkleidet und vom jungen Josef Knecht sexuelle Gefälligkeiten für seine Unterstützung erhält.
In der Schule trifft Knecht auf seinen Freund-Gegner Plinio-Designori, 'der Nicht-Erwählte', der nur als Hospitant in der Ordensschule ist, das normale Leben gegen Kastalien verteidigt und nicht überlieferte Diskussionsrunden mit Josef führt. Hier setzt die freie Erfindung des Badischen Staatstheaters ein und gestaltet einen Freundschaftskonflikt von überschaubarem Ausmaß.
Designori wird Jahrzehnte später (im zweiten Teil nach der Pause) das Verbindungselement zur gewöhnlichen Welt. Designori erkannte, daß er 'kein Kastalier, kein Mensch von Rang' sei und blickt zu den Ordensleuten empor 'mit einer Verehrung, einem Minderwertigkeitsgefühl'. Als Vermittler zwischen beiden Welten war er gescheitert, sein Gesicht war 'durch den Ausdruck des Leidens' und 'Welttraurigkeit' gezeichnet. Seine resignierende Melancholie fordert Knechts 'seelenärztliche Tätigkeit', die ihn wieder 'Lächeln und Lachen' lehrte.
Knecht will nach seiner Demission Plinios Sohn Tito (die Pointe: der Junge, in den er sich auf der Bühne verliebte) als Hauslehrer betreuen und ertrinkt beim ersten Ausflug mit ihm. Tito dominiert auch die Karlsruher Inszenierung. Er erforscht Knechts Leben ....
Was ist zu sehen (1)?
Ursprünglich sollte die Premiere bereits vor wenigen Monaten stattfinden. Doch man bemerkte, daß Hesse wußte, was er tat, als er einen Roman und kein Theaterstück schrieb und daß die Theaterfassung des Romans in einer klassischen Bühnensituation nicht funktionierte. Um mögliche Langeweile zu kaschieren, investierte man in Visuelles. Statt eines Bühnenbilds gibt es nun eine sehr aufwändige Rauminstallation. Ein raumfüllender Einbau für ca. 250 Zuschauer im Kleinen Haus wurde konstruiert, um die Ordensgemeinschaft Kastaliens erlebbar zu machen: ein Rückzugsort ("Jeder Blick führt nach innen"), ein siebenseitiger Trichter mit Sogwirkung nach unten und (unter Mithilfe des ZKM) 360°- Projektionen von Filmaufnahmen. Bühne und Kostüme hat Sebastian Hannak entworfen, der bereits zuvor in Karlsruhe sehr interessante und flexible Arbeiten zeigte und auch diese Inszenierung aufwertet. Hannak beschreibt im Programmheft aufschlußreich sein Vorgehen.
Was ist zu sehen(2)?
Für die Schauspieler gibt es leider mal wieder nur wenige Möglichkeiten, ihre Rollen zu entwickeln. Es sind Scheingefechte, die man sich auf der Bühne liefert: hohe Worte und hohle Phrasen, bedeutungsschwangere Scheinkonflikte und schale Pointen. Vieles wird angedeutet, nichts richtig entwickelt, die Figuren bleiben in episodischer Konstruktion oberflächlich. Immer wieder sieht man Wirkungen ohne oder mit zu künstlicher Ursache. Alle Schauspieler sind engagiert bei der Sache und machen das Beste aus der Situation. Als Ganzes funktioniert dieses Glasperlenspiel leider nicht auf der Bühne.
NACHTRAG: Nicht zu vergessen - ein homogenes Ensemble und dennoch - besonders vier Schauspieler hatten gestern starke Momente: Veronika Bachfischer, Berthold Toetzke, Hannes Fischer und Gunnar Schmidt - BRAVO!
Fazit: Es schien, als würde das Glasperlenspiel ein Höhepunkt der Saison werden, aber es ist nur ein vorgetäuschter Höhepunkt, bei dem einige bemerken werden, daß er unecht ist. Eine höhere Stufe der Spiritualität betritt man bei der Bühnenfassung nur, wenn man zuvor oder in der Pause ausreichend Alkohol konsumiert.
Team und Besetzung
Josef Knecht (jung): Jonathan Bruckmeier
Josef Knecht (alt): André Wagner
Plinio Designori (jung): Maximilian Grünewald
Plinio Designori (alt): Frank Wiegard
Musikmeister: Hannes Fischer
Alexander (Yogameister): Berthold Toetzke
Direktor: Gunnar Schmidt
Tegularius: Ralf Wegner
Frau Designori: Agnes Mann
Pater Jakobus: Thomas Meinhardt
Tito Designori: Veronika Bachfischer
Petrus: Luis Quintana
Dubois: Ronald Funke
Für die Bühne bearbeitet von Martin Nimz und Konstantin Küspert
Regie: Martin Nimz
Bühne & Kostüme: Sebastian Hannak
Video: Thorsten Hallscheidt
Licht: Christoph Pöschko
Musik: Clemens Rynkowski
Panoramaprojektion:
Regie: Thorsten Hallscheidt
360°Kamera: Jan Gerigk, ZKM
Projektionssoftware: Bernd Lintermann, ZKM
Produktionsmanagement: Jan Gerigk, ZKM
Installation: Achim Göbel
Technische Unterstützung: Manfred Hauffen, ZKM
Vor zwei Jahren beklagte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung über den "fiebrigen Schimmelbefall der deutschsprachigen Theater mit grassierendem Morbus Bearbeiteritis" und darüber, daß "die Theater vor keiner hirnrissigen Roman- oder Filmadaption zurückschrecken". Aus welchem Grund hat man nun am Badischen Staatstheater Hesses umfangreichen (aber doch nicht handlungsreichen) letzten Roman für die Bühne bearbeitet? Eine zufriedenstellende Antwort gab die Premiere nicht, triftige Gründe für die Bühnenfassung kann man in Karlsruhe nicht belegen. Die Bühnenfassung ist episodisch und zieht sich ohne spannende Dramatik oder interessante Konflikte zäh dahin. Eine außergewöhnliche Bühne ist zu wenig, um den Abend erträglicher zu gestalten.
Vorbemerkung: Zur Verdeutlichung befinden sich in einfacher Anführung und kursiver Schrift 'Roman-Textstellen' aus dem Buch.
Zukunftsutopie - Was ist das Glasperlenspiel?
Hesses Roman spielt in ferner Zukunft. Das Glasperlenspiel ist eine zukünftige Entwicklung, also eine überwiegend abstrakte Idee, sowohl im Roman als auch in der Karlsruher Bühnenadaption. Was ist seine Bedeutung? Nach der 'Demoralisierung des Geistes' und des 'Wahrheitssinnes' in der kriegerischen Phase des 20. Jahrhunderts entwickelt eine 'heroisch-asketische Gegenbewegung' über Jahrhunderte mit dem Spiel eine auf Musik und Mathematik basierende, universale 'Weltsprache des Geistigen', eine Vernetzung der Wissenschaften durch etwas, das einer musischen Programmiersprache ähnelt. Das Spiel ist der 'Inbegriff des Geistigen und Musischen' und ein 'sublimer Kult'. Dieser Kult 'enthielt sich jeder eigenen Theologie' und war doch 'nahezu gleichbedeutend mit Gottesdienst' für den echten Spieler. Das 'magische Spiel' verlangt 'seelische Zucht' und 'Hingabe', die 'Loslösung des Geistigen aus dem Weltbetrieb' und ist eine 'symbolhafte Form des Suchens nach dem Vollkommenen'. 'Weltsinn erkennen' ist durch das Glasperlenspiel zum 'Ersatz für Kunst und Philosophie' geworden. Der 'Verzicht auf Hervorbringung von Kunstwerken' ist eine Folge davon.
Worum geht es (1) - Utopie als Zeitkritik
Hesses Roman entstand vor und während dem 2. Weltkrieg und wie jede gute Zukunftsvision liegt ihre Bedeutung in der Reflexion der Gegenwart. 'Ungeistigkeit und Brutalität' sind die Folgen der 'öden Mechanisierung des Lebens, das tiefe Sinken der Moral', 'Glaubenlosigkeit' und 'Unechtheit', bzw. 'keine echte Bildung und keine echte Kunst', sondern eine 'wilde und dilettantische Überproduktion in allen Künsten'. Entwickelt hat sich dieser Zustand im von Hesse sogenannten 'feuilletonistischen Zeitalter', in der 'der Geist eine unerhörte und ihm selbst nicht mehr erträgliche Freiheit genoß' und sich ein verantwortungsloser, egoistischer und narzisstischer Individualismus breit macht und 'das Wesentliche einer Persönlichkeit das Abweichende, das Normwidrige und Einmalige, ja oft geradezu das Pathologische' geworden sei.
Zur Aktualität des Romans (1)
Nirgends ist der Roman aktueller als in den kritischen Aussagen zur Kultur des 20. Jahrhunderts und dort über die 'Demoralisierung des Geistes' und die 'Inflation der Begriffe'. Der heute deregulierte Markt für die digitale Verbreitung von Informationen ist durch substanzielle Reduktion der Qualität bei steigender Quantität der Meinungsverbreitung geprägt. Aufgrund von Vermarktungs- und Profilierungszwängen verbergen sich fehlende Haltung oder mangelnde Originalität und Kreativität hinter leeren Gesten, wichtigtuerischem Aktionismus, politischem Relevanzgetue und moralischer Besserwisserei. Überall wimmelt es von Skandalen, Empörungen und wichtig erscheinenden News, die dann doch bald wieder vergessen sind. Hesse analysiert: 'Über jedes Tagesereignis ergoß sich eine Flut von eifrigem Geschreibe, und die Beibringung, Sichtung und Formulierung all dieser Mitteilungen trug durchaus den Stempel der rasch und verantwortungslos hergestellten Massenware'. Die Generation Facebook mit der Selbstdarstellung des Banalen ist eine Folgeerscheinung.
Geradezu prophetisch kann man auch gewisse Äußerungen Hesses lesen, die an heutige Zustände in Polit-Talk-Shows erinnern, in denen 'beliebte Schauspieler, Tänzer, Turner, Flieger oder auch Dichter sich ...über die mutmaßlichen Ursachen von Finanzkrisen und so weiter' äußerten. 'Es kam dabei einzig darauf an, einen bekannten Namen mit einem gerade aktuellen Thema zusammenzubringen'. Die Folge all dessen ist ein dumpfer Zynismus: 'Es herrschte bei den Guten ein still-düsterer, bei den Schlechten ein hämischer Pessimismus'. Problematisch ist diese Aktualität dadurch, daß sie im Roman nur beschrieben wird und keine Handlungselemente vorhanden sind. Und auch die Karlsruher Inszenierung kann sie nicht gewinnbringend integrieren.
Worum geht es (2) - Eine seltsame Utopie in altmodischem Gewand
Bereits 1948 erkannte der spätere Suhrkamp Verlagsleiter Siegfried Unseld, daß man Hesses Roman "als skurril-abstrakte Spielerei eines Alternden abtun" könnte. Es ist ein seltsames Konstrukt, das Hesse in seiner Utopie entwirft. Eine elitäre Sonderwelt der Hochbegabten, durch eine geistige und räumliche Umsiedlung getrennt vom "normalen Leben" in der Provinz Kastalien – ein Ort des politik- und geschichtslosen Daseins in einer 'Sphäre der Zeit- und Kampflosigkeit' – finanziert und versorgt von den "normalen Menschen", die der Elite ihr exklusives Geistesleben ermöglichen und im Gegenzug pädagogische Leistungen erhalten. Hesses Figuren sind etwas Besonderes, eine Geistes- und Empfindungselite, die in 'streng eingehaltenem Abstand von den Normalen' lebt. Auffallend oft kommt in Hesses Roman das Wort Elite vor, das kastalische Prinzip beruht auf 'der Auswahl der Besten'. Die Hauptfigur Josef Knecht spürt als Knabe ein 'Entfremdungsgefühl' und die Unerträglichkeiten der gewöhnlichen Welt. Doch 'sein Leiden hatte Sinn gehabt', er wurde, wie andere 'Hochbegabte und Berufene', für die kastalische Ordensschule und sogar in der Folge für die 'engste Elite innerhalb der Elite' erwählt und sah seine 'Berufung als Mahnung und Förderung'.
Der kastalische Orden ist geprägt durch 'Selbstzucht und Würde des Geistes' und den 'Dienst am Überpersönlichen', eine streng hierarchische 'mönchische Gemeinschaft', 'besitz- und ehelos', aber nicht sakral und ohne verbindlichen Jenseitsglauben. Frauen kommen in der kastalischen Welt nicht vor und spielen in dem Roman keine Rolle. Einige Auserwählte dürfen in dieser Utopie geistiges Slow Food genießen, 'während draußen im Schmutz der Welt arme gehetzte Menschen das wirkliche Leben leben und die wirkliche Arbeit tun'. Hesse baut diese Utopie allerdings auf, um ihre Fragwürdigkeit zu zeigen. Die Moral von der Geschichte könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Gelehrte im Elfenbeinturm dürfen den Kontakt zum Leben und zu den Menschen nicht verlieren. Ein selbstgemachtes Problem als Gedankenexperiment, fast ohne äußere Handlung und von inneren Entwicklungen bestimmt.
Worum geht es (3) - Dem Wahren, dem Schönen, dem Heiteren
Hesse zeigt sich als Wertkonservativer: Die 'oberste und heiligste Aufgabe' Kastaliens besteht darin, 'dem Lande und der Welt ihr geistiges Fundament zu erhalten, das sich auch als ein moralisches Element von höchster Wirksamkeit bewährt hat', 'Ehrfurcht vor der Wahrheit', 'Treue gegen den Geist'. 'Heiterkeit' ist in Kastalien 'das höchste edelste aller Ziele'. 'Diese Heiterkeit ist ... höchste Erkenntnis und Liebe, ist bejahen aller Wirklichkeit ... eine Tugend der Heiligen'. Heiter ist 'das Lächeln der Weltüberwinder und Buddhas'. Wie wird dieser Zustand erreicht? Der 'Kult der Wahrheit', der 'Kult des Schönen', verknüpft mit 'meditativer Seelenpflege kann also die Heiterkeit nie ganz verlieren'. Wie stellt man diese Fundamente dar? Gar nicht! Den spirituellen Aspekt des Buches übersetzt man in Karlsruhe gar nicht erst auf die Bühne. Es ist diskutabel, was von Hesse bleibt, wenn man diese Aspekte ausblendet.
Künstliche Konstruktion
Der Roman wirkt in der Summe abstrakt, wirklichkeitsfern und künstlich und ist aufgrund vom Form und Stil heutzutage wenig inspirierend. Hesse konstruiert eine symbolisch getrennte Welt ohne Grautöne, ein zu rigides Schubladensystem zwischen 'Elitehochmut' und 'naiven Leben'. Die psychologisch zurückhaltende und sogar einfache Charakterisierung bietet wenig Konfliktstoff, der gediegene Legendenstil (Unseld sprach bereits 1948 von einem "ehrfürchtig-meditativem Ton") verhindert kritische Reflexion des Erzählers. Es sind Figuren ohne Tiefe, die in eine Bedeutungsperspektive gerückt werden. In Karlsruhe sah man darin eine Chance, "die Leerstellen in eigener kreativer Mitarbeit zu füllen". Das Badische Staatstheater begründete das wie folgt: "Hesse war auch kein völlig unfehlbarer Typ, er kochte auch nur mit Wasser". Ah ja, argumentativ ist das vielleicht für den aufmerksameren Besucher nicht ganz überzeugend. Man macht in Karlsruhe aus einigen naheliegenden Themen ein wenig Theater: zu Beginn ein wenig Freundschafts- und Pubertätsdrama, ein wenig latente Homoerotik (Männerbünde und Knabenliebe scheinen immer noch bei manchen Theaterleuten ein gewisses Interesse auszulösen), ein wenig Lebensdrama und unterdrückte Leidenschaften. Über Ansätze in der Charakterisierung kommt man dabei nicht hinaus. Die Darstellung der Handlung ist episodisch und die Figuren bleiben an der Oberfläche oder werden nur angedeutet vertieft.
Worum geht es (4) - Handlungselemente
Der Lebenslauf von Josef Knecht, einem Meister des Glasperlenspiels, wird im Buch rückblickend aus noch weiterer Zukunft als eine Art Heiligenlegende erzählt. Auf der Karlsruher Bühne beginnt die Aufarbeitung von Knechts Werdegang hingegen bald nach dem Handlungsende des Buchs. Der Roman schildert den Werdegang Knechts vom begabten Schüler zum Magister des Ordens der Glasperlenspieler, seine Zweifel an der freiwilligen Isolation, seine Rückkehr in die normale Welt als Hauslehrer eines Jungen und sein baldiger Tod. Es ist eine Sage ohne echte Botschaft, die höchstens darlegt, daß die Abwehr-, Verweigerungs- und Rückzugshaltung gegen die Zumutungen der Welt, deren 'Ungeistigkeit und Brutalität' keine Lösung ist. Denn wer nicht in seiner Zeit lebt, wird von ihr übergangen. Die Gefahr des Bedeutungsverlusts des kastalischen Ordens erkennt Josef Knecht und kann doch sein Werk nicht weiterführen. Hesse lässt Knecht nach dem Ordensaustritt schnell sterben. Eine Weiterführung der Geschichte hätte sein Scheitern beschreiben müssen oder wäre zum Märchen geworden. Die Vereinbarkeit von wahrem und wirklichen Leben oder der richtige Weg zwischen Teilhabe und Absonderung ist bei Hesse allerdings kein Thema. Hier setzt die wenig geglückte dramaturgische Erfindung des Badischen Staatstheaters an: wie in Thomas Manns Tod in Venedig bricht Knechts bisheriges Leben zusammen, als er sich beim ersten Blick in einen Knaben verliebt. Zu den Klängen von Mahlers Adagietto aus der 5. Symphonie verfällt Knecht (wie in Viscontis Verfilmung der Mann-Novelle, nur nicht so geschmackvoll, sondern fast schon an der Grenze zum Kitsch) unwiderruflich dem Reiz des Jungen (der in Karlsruhe von einer Schauspielerin gespielt wird). Hesses Glasperlenspiel wird also auf der Bühne zu einer Geschichte über unterdrückte Sexualität umgedeutet.
Zur Aktualität des Romans (2)
Hesses Bücher erzählen Geschichten über Suchende: seine Figuren suchen Sinn oder Zuflucht aus einer spirituellen Obdachlosigkeit. Seine Vision im Glasperlenspiel, so "skurril" sie auch erscheinen mag, gibt neue Bedeutungen für ehemals religiös oder philosophische geprägte Ziele wie Erleuchtung und Erlösung und handelt nicht -wie nun in Karlsruhe- von unterdrückten sexuellen Wünschen. Hesses Antworten sind allerdings gegen den Zeitgeist: die kastalische Heiterkeit und Gelassenheit, die sich beim Sterben des Musikmeisters zu einer erleuchteten Entweltlichung steigert, werden durch eine reduktionistische Lebensweise (Besitz- und Ehelosigkeit) erreicht, einer Rückzugsstrategie der politik- und geschichtsfreien Weltabgewandtheit ohne Tagesaktualität. Befreiung findet das Individuum bei Hesse in 'überindividueller Tätigkeit', Gehorsam und Pflicht im kastalischen Orden. Erlösung bietet Kastalien und das Glasperlenspiel nur den Hochbegabten.
Hesses Roman ist auch eine Geschichte vom Schlußmachen und Neuanfangen. Knecht verlässt die Komfortzone, um sich einer Herausforderung zu stellen. Hesses Verdienst im Glasperlenspiel besteht im Teilnehmenwollen, am Anteilhabenwollen am Gelungenen, also Teil der Lösung zu sein und nicht Teil des Problems. Doch selbst Knecht verlässt den Orden nicht nur aus Anteilnahme am Leben der 'Weltmenschen' oder aus Sorge um dem Fortbestand des Spiels. Ein wenig Psychologie lässt Hesse zu. Auch in Kastalien gibt es Mangel, und sei es wie bei Knecht nur ganz einfach die Langeweile des Hochbegabten. Knecht ist 'seit einer Weile an der Grenze', wo seine 'Arbeit als Glasperlenspielmeister zur ewigen Wiederholung, zur leeren Übung und Formel' geworden ist, 'ohne Freude, ohne Begeisterung ... manchmal sogar ohne Glauben. Es war Zeit damit aufzuhören'. Knechts Schlußmachen ist nicht ausschließlich uneigennützig und selbstlos. In Karlsruhe findet man für diese Aspekte keinen Platz - sie passen nicht ins übergestülpte Konzept der unterdrückten Homosexualität.
Worum geht es (5) - Handlungselemente
Verschiedenen Personen begegnet Josef Knecht auf seinem Lebensweg. Der Musikmeister erkennt seine Begabung und fördert ihn (sein späteres Sterben hat im Buch etwas Buddhistisches, einen 'heiteren Glanz des Entwerdens'. Im Stück fehlt wie bereits oben beschrieben der Mut zu einer spirituellen Deutung, hier ist die Figur eher dement - Senilität statt Erleuchtung).
Knechts treuester Freund im Orden ist der Außenseiter und Individualist Fritz Tegularius, ein 'labiler und gefährdeter Charakter' und Feind aller Normierung.
Wichtigen Einfluß hat der Benediktinerpater Jakobus (Thomas Meinhardt), mit dessen Hilfe es Knecht gelingt, wohlwollende Neutralität zwischen Kastalien und der katholischen Kirche zu etablieren und in der Hierarchie Kastaliens aufzusteigen. In der Karlsruher Inszenierung bekommt die katholische Kirche ihr Fett weg: der Benediktiner der Zukunft trägt keine Ordenstracht mehr, sondern ist ein eitler Geck, der sich beim erstmöglichen Anlaß entkleidet und vom jungen Josef Knecht sexuelle Gefälligkeiten für seine Unterstützung erhält.
In der Schule trifft Knecht auf seinen Freund-Gegner Plinio-Designori, 'der Nicht-Erwählte', der nur als Hospitant in der Ordensschule ist, das normale Leben gegen Kastalien verteidigt und nicht überlieferte Diskussionsrunden mit Josef führt. Hier setzt die freie Erfindung des Badischen Staatstheaters ein und gestaltet einen Freundschaftskonflikt von überschaubarem Ausmaß.
Designori wird Jahrzehnte später (im zweiten Teil nach der Pause) das Verbindungselement zur gewöhnlichen Welt. Designori erkannte, daß er 'kein Kastalier, kein Mensch von Rang' sei und blickt zu den Ordensleuten empor 'mit einer Verehrung, einem Minderwertigkeitsgefühl'. Als Vermittler zwischen beiden Welten war er gescheitert, sein Gesicht war 'durch den Ausdruck des Leidens' und 'Welttraurigkeit' gezeichnet. Seine resignierende Melancholie fordert Knechts 'seelenärztliche Tätigkeit', die ihn wieder 'Lächeln und Lachen' lehrte.
Knecht will nach seiner Demission Plinios Sohn Tito (die Pointe: der Junge, in den er sich auf der Bühne verliebte) als Hauslehrer betreuen und ertrinkt beim ersten Ausflug mit ihm. Tito dominiert auch die Karlsruher Inszenierung. Er erforscht Knechts Leben ....
Was ist zu sehen (1)?
Ursprünglich sollte die Premiere bereits vor wenigen Monaten stattfinden. Doch man bemerkte, daß Hesse wußte, was er tat, als er einen Roman und kein Theaterstück schrieb und daß die Theaterfassung des Romans in einer klassischen Bühnensituation nicht funktionierte. Um mögliche Langeweile zu kaschieren, investierte man in Visuelles. Statt eines Bühnenbilds gibt es nun eine sehr aufwändige Rauminstallation. Ein raumfüllender Einbau für ca. 250 Zuschauer im Kleinen Haus wurde konstruiert, um die Ordensgemeinschaft Kastaliens erlebbar zu machen: ein Rückzugsort ("Jeder Blick führt nach innen"), ein siebenseitiger Trichter mit Sogwirkung nach unten und (unter Mithilfe des ZKM) 360°- Projektionen von Filmaufnahmen. Bühne und Kostüme hat Sebastian Hannak entworfen, der bereits zuvor in Karlsruhe sehr interessante und flexible Arbeiten zeigte und auch diese Inszenierung aufwertet. Hannak beschreibt im Programmheft aufschlußreich sein Vorgehen.
Was ist zu sehen(2)?
Für die Schauspieler gibt es leider mal wieder nur wenige Möglichkeiten, ihre Rollen zu entwickeln. Es sind Scheingefechte, die man sich auf der Bühne liefert: hohe Worte und hohle Phrasen, bedeutungsschwangere Scheinkonflikte und schale Pointen. Vieles wird angedeutet, nichts richtig entwickelt, die Figuren bleiben in episodischer Konstruktion oberflächlich. Immer wieder sieht man Wirkungen ohne oder mit zu künstlicher Ursache. Alle Schauspieler sind engagiert bei der Sache und machen das Beste aus der Situation. Als Ganzes funktioniert dieses Glasperlenspiel leider nicht auf der Bühne.
NACHTRAG: Nicht zu vergessen - ein homogenes Ensemble und dennoch - besonders vier Schauspieler hatten gestern starke Momente: Veronika Bachfischer, Berthold Toetzke, Hannes Fischer und Gunnar Schmidt - BRAVO!
Fazit: Es schien, als würde das Glasperlenspiel ein Höhepunkt der Saison werden, aber es ist nur ein vorgetäuschter Höhepunkt, bei dem einige bemerken werden, daß er unecht ist. Eine höhere Stufe der Spiritualität betritt man bei der Bühnenfassung nur, wenn man zuvor oder in der Pause ausreichend Alkohol konsumiert.
Team und Besetzung
Josef Knecht (jung): Jonathan Bruckmeier
Josef Knecht (alt): André Wagner
Plinio Designori (jung): Maximilian Grünewald
Plinio Designori (alt): Frank Wiegard
Musikmeister: Hannes Fischer
Alexander (Yogameister): Berthold Toetzke
Direktor: Gunnar Schmidt
Tegularius: Ralf Wegner
Frau Designori: Agnes Mann
Pater Jakobus: Thomas Meinhardt
Tito Designori: Veronika Bachfischer
Petrus: Luis Quintana
Dubois: Ronald Funke
Für die Bühne bearbeitet von Martin Nimz und Konstantin Küspert
Regie: Martin Nimz
Bühne & Kostüme: Sebastian Hannak
Video: Thorsten Hallscheidt
Licht: Christoph Pöschko
Musik: Clemens Rynkowski
Panoramaprojektion:
Regie: Thorsten Hallscheidt
360°Kamera: Jan Gerigk, ZKM
Projektionssoftware: Bernd Lintermann, ZKM
Produktionsmanagement: Jan Gerigk, ZKM
Installation: Achim Göbel
Technische Unterstützung: Manfred Hauffen, ZKM
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