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Samstag, 5. Oktober 2013

Schauspiel Frankfurt: Moritz Rinke - Wir lieben und wissen nichts, 04.10.2013

Wer dem Alltag des Karlsruher Schauspiels entkommen möchte, der kann Zuflucht im Frankfurter Schauspiel finden, wo Intendant Oliver Reese selber Regie führte bei der Uraufführung dieser im Dezember 2012 auf der kleinen Bühne der Kammerspiele uraufgeführten Komödie Wir lieben und wissen nichts von Autor Moritz Rinke.

Worum geht es (1)?
Um zwei Paare um die 35-40. Sebastian ist ein erfolgloser Kulturhistoriker und schreibt seine Texte von zu Hause. So kann er immer seine Dauer-Freundin Hannah begleiten, die buddhistische Kurse für Bankmanager gibt. Da Hannah für zwei Monate in Zürich arbeiten wird, haben sie ihr Appartement in einer Wohnungstauschbörse angeboten. Das Stück setzt kurz vor dem Besuch des tauschwilligen anderen Paares ein. Roman (immer unterwegs als Computerspezialist) und seine mit ihm reisende Frau Magdalena (Tiertherapeutin) kontrastieren und ergänzen das besuchte Paar. In beiden Beziehungen kriselt es und wirft Unausgesprochenes seine unheilvolle Schatten. Der Wohnungstausch wird fast zum Partnertausch. Das Publikum kann sich knapp zwei Stunden über Wortgefechte, Abrechnungen und Entlarvungen amüsieren. Doch es gibt kein Happy-End, sondern ein allegorisches Schlußbild: es ist zwischenmenschlich kalt geworden und man benötigt ein dickes Fell.

Worum geht es (2)?
Es geht um Liebe und Karriere, Individualismus und Partnerschaft, Selbstverwirklichung und Verzicht. Moritz Rinkes Vorbild ist Tschechow, der ebenfalls komische Stücke über traurige Leute geschrieben hat. Dabei urteilt der Autor nicht und nimmt nicht Partei, sondern er analysiert und zeigt Zeitgeist und erfasst Heutiges in Gedanken, Sätzen und Szenen und das auf prägnante und witzige Weise. Wo die Vorstellung von geglücktem Leben darin besteht, Punkte auf einer Liste abzuarbeiten und abzuhaken (Reisen, Erlebnisse und Abenteuer, Eigentum als Status), da wächst die Sehnsucht und die Ahnung, daß immer mehr Leben in einem steckt als man lebt. Neidvoll misst man sich an anderen. Daraus resultiert eine ständige Unzufriedenheit und gesteigerte Aktivität, die dem Leben das Grundgefühl der Rastlosigkeit verleiht - gefangen im Hamsterrad der glücken müssenden Selbstverwirklichung. Wie fragil ist Liebe, wenn beide Partner nicht mehr die gleichen Pläne haben? Ist wahre Liebe die Kunst des Verzichts? Hat die Soziologin Eva Illouz recht, wenn sie sagt, daß 'das wichtigste Merkmal der modernen Intimität darin besteht, daß sie jederzeit beendet werden kann, sollte sie nicht mehr mit Gefühl, Geschmack und Wollen in Einklang stehen'? Das sind die Themen in Wir lieben und wissen nichts.

Paarkomödien scheinen in Mode zu sein 
Der Gott des Gemetzels
, Der Vorname oder Wir lieben und wissen nichts - immer ist es das Zusammentreffen von Paaren in einer privaten Umgebung. Zeitdiagnose scheint heute einfacher als Komödie vermittelbar, bei einer Umsetzung als Drama hat man als Zuschauer meistens das ungute Gefühl einer schlichten Moralisierung. Einfacher (und erfolgreicher) scheint es, wenn man sich das Publikum in einer Komödie zum Verbündeten macht und das Drama unter der Oberfläche versteckt .Und hier ist dann auch der Unterschied und Mehrwert zur sogenannten Boulevardkomödie gegeben, wenn man während der Vorstellung manchmal nicht weiß, ob man lachen soll oder ob es einem eigentlich im Halse stecken bleiben sollte bzw. man über sich selber lacht. In dieser Hinsicht hat Wir lieben und wissen nichts deutlich mehr Substanz als eine Boulevardkomödie.

Was ist zu sehen?
Bücherregale, ein paar Bücher, zwei Stühle und Umzugskarton - es benötigt nicht viel Aufwand, um dieses Stück zu inszenieren. In Frankfurt hat man vier der besten Schauspieler auf die Bühne gebracht, die mit perfektem Timing und untrüglichem Gespür für die richtigen Zwischentöne begeistern. Jeder Satz sitzt!
Constanze Becker (die nicht nur als als Medea Zuschauer und Kritiker immer wieder gleichermaßen zu Ovationen hinreißt) ist als Magdalena naiv-unbedarft und unterwürfig, ihr Mann Roman wird von Oliver Kraushaar als geerdeter und besserwisserisches Techniker mit geringer Empathie gezeichnet. Hannah ist bei Claude De Demo sexuell vernachlässigt und mit verzweifeltem Kinderwunsch ausgestattet, den ihr eloquent dauerredender und alles zerredender Freund Sebastian (Marc Oliver Schulze) nicht erfüllen kann und will. Wenn der Zeitgeist eine Kraft ist, dann sind Magdalena und Sebastian  den abweisenden Zentrifugalkräften ausgesetzt, während die Job-Nomaden Hannah und Roman zentripetal herangezogen werden. Rinke schafft es, mit einem kleinen Konflikt zu Beginn -das für Roman zwingend erforderliche Passwort für das W-LAN, das Technikmuffel Sebastian nicht kennt- das Beziehungs-Kartenhaus zum Einsturz zu bringen.

Fazit:  Vier Schauspieler auf höchstem Spielniveau liefern sich Scharmützel und offene Kämpfe in einer guten Beziehungskomödie. Rinkes Stück wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren bundesweit auf den deutschen Bühnen zu sehen sein.

Besetzung und Team
Hannah: Claude De Demo
Sebastian, ihr Freund: Marc Oliver Schulze
Roman: Oliver Kraushaar
Magdalena, seine Frau: Constanze Becker

Regie: Oliver Reese
Ausstattung: Anna Sörensen
Video: Jonas Alsleben

Samstag, 22. Juni 2013

Schauspiel Frankfurt: Euripides - Medea, 21.06.2013

Wer mit dem "Schauspiel" des Badischen Staatstheaters (vielleicht das bestsubventionierte Kinder-, Schüler-, Jugend-, Singspiel- und Volkstheater der Republik) zur Zeit unglücklich ist und in den Zielgruppenplanungen (mehr dazu hier) sich nicht mehr berücksichtigt fühlt, wer der Eindimensionalität und Langweiligkeit des aktuellen Karlsruher "Schauspiels" entkommen will, für den lohnt sich ein Ausflug nach Frankfurt. Dort hat der seit 2009 tätige Intendant Oliver Reese das Schauspiel zurück in die Spitzengruppe deutscher Theater geführt.

Die Frankfurter Medea (Premiere war im April 2012) eröffnete im Frühjahr dieses Jahres die Berliner Theaterfestwoche als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der letzten Saison. Zu Recht! Regisseur Michael Thalheimer hat es geschafft, Medea (sozusagen die Quentin Tarantino Rachegeschichte unter den griechischen Tragödien) in unsere Zeit zu retten und zeigt eine Inszenierung ohne Verfremdungen und Launen, die stark getragen wird von den Fähigkeiten der Schauspieler. Die Geschichte um den Raub des Goldenen Vlieses durch Jason und dessen Helferin Medea, die aus Liebe alles für Jason aufgab, kulminiert in dieser Eifersuchtsgeschichte, in der Medea aus Rache dafür, von Jason verlassen zu werden und eine andere zu heiraten, ihre gemeinsamen Kinder und dessen zukünftige Braut tötet.

Thalheimer wertet und denunziert seine Figuren nicht und das ist auch das Großartige an seiner Regie: man folgt der Inszenierung stets mit dem Eindruck, etwas Mustergültiges und Zeitloses zu sehen, jenseits vom archaischem Mythos, klassischem Pathos oder distanzierender Künstlichkeit. Man wird Zeuge eines Beziehungsdramas, das bis aufs Blut geführt wird - nervenaufreibend, hoch spannend und packend. Nie wird um den heißen Brei herum geredet, hier zählt keine wie auch immer geartete Correctness oder Rücksicht - hier geht es um ein brutales Beziehungsende. Constanze Becker spielt und spricht die gekränkte und gedemütigte Medea unerbittlich. Wie in Stein gemeiselt und unabänderlich sind auch Ihre Sätze, Vorwürfe, Tiraden und Rechtfertigungen, eine Sprache der Alternativlosigkeit. Ihr Handeln wird geprägt von der eisernen Konsequenz der totalen Selbststimmung. Sie liebt und hasst absolut. Ihr ganzes Glück lag alleine in der Beziehung zu Jason, ihre Rache bricht alle Brücken hinter ihr ab, ihre Wut verleiht ihr übermenschliche, grauenvolle Entschlossenheit. Nach ihr die Sintflut. Larger than life ... und doch so real und erschreckend überzeugend in der Irrationalität ihrer Handlung - das ist der Kern des Kunststücks, das Thalheimer/Becker zeigen.

Auf einem erhöhten Bühnenabschnitt im Hintergrund agiert die durch Tränen Wimperntuschen-verschmierte Medea, während alle anderen zu ihr kommenden Figuren von oben herab von Medea angesprochen werden. Es besteht viel Raum zwischen ihr und den anderen und erst als sie ihren Racheplan entworfen hat und sie Jason die Fügung in ihr Schicksal vortäuscht, fährt ihr erhöhtes Podest wie eine bedrohliche, erdrückende Gewalt nach vorne und lässt den anderen kaum noch Platz. Wie eine Spinne in ihrem Netz kauert sie dabei anfänglich und versucht dann, den Gatten zu umgarnen. Frei ist hier nur, wer sich jeder mitmenschlichen Verpflichtung entledigt. Emanzipation und Selbstverwirklichung beginnen nach der Auslöschung ihres früheren Lebens. Der Schritt zu dessen Zerstörung zeigt eine verformte, verkrampfte, fratzenhafte Medea; Becker reißt den Mund auf und streckt weit ihre Zunge heraus, als wolle sie alles herausbrüllen und herauswürgen, was sie noch mit der Demütigung des Verlassenwerdens verbindet. Laute Musik und Piktogramme des Familienglücks begleiten den seelischen Weg zum Mord. Die Konsequenzen sind desaströs und von eisiger Kälte geprägt. Erst als sie ihre Rache genommen hat, wird Medea sich auf eine Ebene zu den anderen herab begeben, proper und adrett im kleinen Schwarzen und Trenchcoat zieht sie in ihr neues Leben und lässt Jason gebrochen und am Boden zerstört hinter sich.

Thalheimers Inszenierung ist darin mutig, daß sie reduziert und doch überbordend, nüchtern und doch expressiv ist. Alles wirkt folgerichtig, nichts falsch oder überbelichtet. Keine Ausreden, kein Getue - Thalheimers Theater ist nicht verzagt oder mutlos. Auf der kargen Bühne ist für überflüssigen Schnickschnack kein Platz. Und sogar die Video- und Musikeinspielung folgen der Inszenierungslogik und setzen sich positiv ab von all den Theatern, die Musik und Gesang beliebig einsetzen, weil es irgendwie nett und entspannend für die Zuschauer ist, wenn zwischendurch mal öfters etwas Englisches geträllert wird oder Stimmungen entstehen sollen, die eigentlich sonst durch Schauspieler und Bühne erschaffen werden.

Fazit: Die volle Wucht griechischer Tragödie! Eine großartige, unglaublich direkte und fesselnde Aufführung, die durch Constanze Becker in der Hauptrolle zum aufwühlenden Ereignis wird. Ein Glücksfall, wie er nicht oft gelingt und der zeigt, wieso Live-Erlebnisse unschlagbar sind und Theater unerlässlich. Aber Achtung: es besteht Suchtgefahr und erhöht gleichzeitig den Schmerzfaktor angesichts der aktuellen Karlsruher Zustände.
   
PS: 2014 inszeniert Thalheimer in Frankfurt Kleists Penthesilea!

Besetzung & Team
Amme: Josefin Platt
Chor der korinthischen Frauen: Bettina Hoppe
Medea: Constanze Becker
Kreon: Martin Rentzsch
Jason: Marc Oliver Schulz
Aigeus: Michael Benthin
Bote: Viktor Tremmel

Regie: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Nehle Balkhausen
Musik: Bert Wrede
Video: Alexander du Prel
Dramaturgie: Sibylle Baschung