tag:blogger.com,1999:blog-32110057453070131932024-03-18T20:58:31.278+01:00Gestern im Badischen Staatstheater in KarlsruheSeit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei circa 30-40 Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/2012 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder. Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comBlogger872125tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-83273890878166618702024-03-05T01:50:00.573+01:002024-03-11T16:36:09.893+01:005. Symphoniekonzert, 04.03.2024<p>Das 5. Symphoniekonzert war auch Abschluß der Händel-Festspiele 2024 und ließ die Badische Staatskapelle Händel, Bach und Benda musizieren.<span></span></p><a name='more'></a><p></p><p>Die<b> Feuerwerkmusik </b>ist Musik zum Kriegsende, und zwar des Österreichischen Erbfolgekriegs, der durch den Friedensschluß von Aachen formal endete. Der britische König Georg II. ließ das 1749 prestigeträchtig festlich-opulent feiern: es gab ein mehrstündiges öffentliches Feuerwerk und <b>Georg Friedrich Händel</b> (*1685 †1759) komponierte die Musik zur Eröffnung, die in großem Rahmen mit sehr vielen (angeblich ca. 100) Musikern als spektakuläres Freiluftkonzert aufgeführt wurde (was aber aufgrund verschiedener Umstände und Pannen zum Fiasko wurde). Damals sollen u.a. 40 Trompeten, 20 Hörner, je 16 Oboen und Fagotte und viel Schlagzeug zum Einsatz gekommen sein. Der Autor dieses Tagebuchs erinnert sich noch gerne an einen Auftritt von <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2017/06/festspielhaus-baden-baden-konzert-mit.html" target="_blank">Hervé Niquet und Le Concert Spirituel in Baden-Baden 2017</a>, bei dem 9 Hörner, 9 Trompeten, 6 Fagotte, 5 Oboen, 2 ca. 2,5 Meter hohe Kontrafagotte, 2 Schlagzeuger und 27 Streicher zum Einsatz kamen und nach <i>Pomp and Circumstances</i> klangen. Die gestrige Karlsruher Version war dagegen kleiner besetzt: 3 Hörner und 3 Trompeten (beide historisch ventillos), 2 Fagotte, kein Kontrafagott, 3 Oboen, 1 Schlagzeuger und 20 Streicher. Die <i>Musick for the Royal Fireworks</i> wurden gestern schön musiziert, die Prachtentfaltung kam hingegen ein bißchen zu kurz, etwas mehr Funken hätten schon sprühen dürfen.<br /><br /><b>Carl Philipp Emanuel Bach</b> (*1714 †1788) galt lange als der Bach schlechthin, heute meint man damit seinen Vater Johann Sebastian Bach und nicht dessen zu Lebzeiten berühmtestes Kind. Bach ließ die sechs Konzerte Wq 43 auf eigene Kosten drucken - sie bieten die Essenz seines Könnens und waren ihm deshalb offensichtlich wichtig und so attraktiv, daß er an ihren Erfolg glaubte und sie vermarktete. Das <b>Konzert für Cembalo und Orchester F-Dur</b> Wq 43/1 H471 ist ein ca. 15 minütiges Stück, das durch Unterstützung von Hörner und Flöten einen lebhaften Eindruck hinterläßt. Der Cembalist <b>Francesco Corti</b> ist auch Gastdirigent des Ensembles Il Pomo d’Oro und bspw. als Dirigent bei der CD-Einspielung von <i>Roma Travestita</i> mit Countertenor Bruno de Sá beteiligt gewesen. Corti setzte geschmackvolle Betonung bei stetigem, virtuos flüßigem Vorwärtsdrang. Die Ecksätze sind als <i>Allegro di molto</i> und <i>Prestissimo</i> bezeichnet, das mittlere <i>Andante</i> bietet eine Verschnaufpause, die drei Sätze sind pausenlos und gaben eine attraktiven Eindruck. CPE Bach gilt es, wieder zu entdecken!</p><p>Es folgte <b>Händels Concerto grosso op. 6 Nr. 12</b> h-moll HWV 330 und wie immer klingen diese 1739 entstandenen Konzerte (Nr. 1-6 sind in Dur, 7-12 in moll) teilweise wie Musik, die auch in den Ouvertüren und Arien bei Händels Opern vorkommen könnte.<br /><b><br />Georg Anton Benda </b>(*1722 †1795) ist einer der drei böhmischen Benda-Brüder, die als Musiker, Komponisten oder Kapellmeister an deutschen Höfen tätig waren und deren Nachkommen teilweise ebenfalls als Musiker von sich reden machten. Der Dirigent Hans von Benda (*1888 †1972) gilt bspw. als Gründer und Leiter des Berliner Kammerorchesters. Auch heute sind Bendas musikalisch aktiv, wie sich bei <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Denise_Benda" target="_blank">Wikipedia (hier) </a>ermitteln läßt. Das <b>Konzert für Cembalo und Orchester</b> f-Moll stammt wie CPE Bachs zuvor gespieltes Konzert aus den 1770er und klingt stärker nach Frühklassik als das zuvor gespielte Konzert. Die drei Sätze gehen nicht wie bei CPE Bach ineinander über, sondern stehen einzeln. Francesco Corti überzeugte auch hier mit wunderbar beredtem Cembalo-Spiel und bedankte sich mit einer gefühlvollen Zugabe für den Applaus.</p><p>Zuletzt die <b>Suite für Orchester Nr. 3</b> D-Dur BWV 1068 von <b>Johann Sebastian Bach </b>(*1685 †1750), deren Satz <i>Air</i> zu den berühmtesten Stücken des Komponisten gehört. Das gestrige erste <i>Air</i> (es gab ein zweites als Zugabe nach dem Konzert) wird vor allem Freunden einer profanen Interpretation gefallen haben. Dirigent<span style="white-space: pre;"> </span><b>Alessandro de Marchi</b> ist ein renommierter Dirigent, der an manchen CD-Einspielungen beteiligt war, bspw. bei Franco Fagiolis Aufnahme von Porpora-Arien mit der Academia Monti, mit Valer Sabadus Einspielung von Gluck-Arien, bei der sehr schönen Aufnahme von Rossinis <i>La Pietra Del Paragone</i> (Naxos) aus Bad Wildbad, Bellinis <i>La Sonnambula</i> mit Cecilia Bartoli und Juan Diego Flórez sowie Vivaldis <i>Orlando finto pazzo</i>, die von Vivaldi dem Markgraf Karl von Baden-Durlach gewidmet ist. Der Dirigent legte beim <i>Air</i> ein flottes Tempo vor, das dem Ausdruck nicht förderlich war. Als nach 135 Minuten Konzertdauer als Zugabe das zweite <i>Air </i>gespielt wurde, war es vergleichbar im Tempo, es schien dem Verfasser dieser Zeilen allerdings wärmer und runder. Und damit ist man am Kritikpunkt des gestrigen Konzerts: es wurde motiviert und engagiert musiziert, de Marchi gestaltete aber zu wenig, die Musik wirkte manchmal zu gleichtönend - der Charakter einzelner Stücke hätte man stärker herausarbeiten bzw. anders bzw. affektvoller betonen können: hier etwas pompöser, da etwas transzendenter, dort etwas wehmütiger oder leidenschaftlicher</p><p><b>Fazit: Für den herzlichen Applaus im ausverkauften Großen Haus bedankten sich Orchester und Dirigent mit einer Zugabe beim Publikum</b></p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-674643107346933352024-02-26T01:21:00.006+01:002024-03-05T09:40:12.063+01:00Händel - Ottone, 25.02.2024<p><b>Homogen hochklassig (2) </b><br />Die Wiederaufnahme der letztjährigen Produktion des <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Ottone" target="_blank"><i>Ottone</i></a> ergänzt sich gut mit <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2024/02/handel-siroe-16022024.html" target="_blank">Siroe</a></i>: zwei Königsdramen, beide historisierend-archaische Phantasie-Inszenierungen, die charakterisieren ohne abschweifend zu psychologisieren, beide finden einen geradlinigen Weg, der die musikalischen Affekte respektiert und sie nicht aus dem Zusammenhang reißt, und der insbesondere Sängern und Musiker Raum zur Entfaltung gibt. Auch für <i>Ottone</i> gab es gestern viel Jubel und langanhaltenden Applaus.<span></span></p><a name='more'></a><b>Carlo Ipata </b>am Pult der stets klangschönen <b>Deutschen Händel-Solisten</b> modelliert vielleicht etwas weniger plastisch als Attilio Cremonesi in <i>Siroe, </i>überzeugt allerdings mit ausgeglichen wirkenden Tempi. <b>Yuriy Mynenko</b> in der Titelrolle des tugendvollen und gerechten Königs zeigt sich stimmlich unverändert souverän. Im dritten Akt bekommen die Titelrollen bei Händel oft langsame Arien in verschiedener Ausprägung des (Ver-)Zweifelns, des Schmerzes oder der Trauer. In Tolomeo ist das <i>Stille amare</i>, in Siroe <i>Deggio morirr</i> und in Ottone <i>Tante affanni </i>- das von Mynenko mit bravourösem Einsatz dargeboten wurde. Als Teofane ist die spanische Sopranistin <b>Lucía Martín-Cartón</b> weiterhin eine gute Besetzung. Die ukrainische Mezzosopranistin<b> Olena Leser</b> (die letztes Jahr noch Lena Belkina hieß) hat eine ausdrucksstarke Stimme für Carmen und Dalila; Erst kürzlich hat sie als Carmen in Karlsruhe gastiert. Mit <i>Vieni, o figlio</i> hat sie als Gismonda die flehendste Arie und bekam mit am meisten Applaus bei der gestrigen Matinee. <b>Raffaele Pe</b> stellt<b> </b>als Adelberto den Gegenspieler Ottones differenziert dar und die Alt-Stimme von <b>Sonia Prina</b> findet sich besser mit der Rolle der Matilda zurecht als letztes Jahr. Und auch <b>Nathanaël Tavernier </b>erwies sich erneut als ausgezeichnete Wahl für die Rolle des Piraten Emireno. Eine Vorstellung, die homogen hochklassig gelang.<br /><br /><b>Ehre, wem Ehre gebührt: Die Händel-Festspiele 2011-2024</b><br />Die Händel Festspiele werden mit dem bevorstehenden Intendantenwechsel neu aufgestellt. Der designierte Operndirektor Christoph von Bernuth wird nicht nur als Hausregisseur in Karlsruhe, sondern auch als Künstlerischer Leiter der Händel-Festspiele tätig sein. So schlecht vieles am Haus ein Jahrzehnt lang lief, die Händel-Festspiele konnten ihre Reputation steigern: die Eintrittskarten wurden zwar deutlich teurer, dafür wurde das Programm erweitert und mehr Stars der Barock-Szene traten in Karlsruhe auf. <br />Die Regie-Stiele waren vielfältig: Max E. Cencic hat mit seinem <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Serse" target="_blank">Showbusiness-<i>Serse</i></a> eine der erinnerungswürdigsten Inszenierung in der Geschichte der Händel-Festspiele auf die Bühne gebracht, auch sein <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Arminio" target="_blank">Arminio</a></i> war hochklassig spannend. Benjamin Lazars Kerzenlichtproduktion des <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Riccardo%20I." target="_blank"><i>Riccardo Primo</i> </a>war ebenfalls unvergesslich. Floris Visser hat mit <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Semele" target="_blank">Semele</a></i> und <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Hercules" target="_blank">Hercules</a></i> zwei der bisher besten Oratorien-Inszenierungen in Karlsruhe gezeigt. <br />Aktuell scheint das Format der Händel-Festspiele im Umfang ausgereizt. Man darf gespannt sein, was 2025 passieren wird und in welche Richtung die Festspiele gesteuert werden.Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-42130663188899934902024-02-17T02:27:01.065+01:002024-02-25T23:26:34.634+01:00Händel - Siroe, 16.02.2024<p><b>Homogen hochklassig</b><br />So starr die Barockoper mit dem Modell des handlungstreibenden Rezitativs und dessen emotionale Verarbeitung in affektgeladenen Arien auch ist, so flexibel sind die sich daraus ergebenden Interpretationsmöglichkeiten. Modern oder historisierend, humorvoll oder ernst, naiv oder zwielichtig. ob bei Kerzenlicht, in mafiösem Halbdunkel oder unter arkadischer Sonne - die Opera Seria zeigt nur den sichtbaren Teil des Eisbergs und überläßt es deshalb der Regie, durch die Inszenierung mehr zu offenbaren und gerade bei den Karlsruher Händel Festspielen konnte man in der Hinsicht reichhaltig Anschauungsmaterialen bei vielfältigen Inszenierungsstilen sammeln. Aktuell ist man in einer historisierenden Schwertphase in dominanten Bühnengrau, wie auch letztes Jahr bei <i>Ottone</i> ist auch <i>Siroe</i> eine Rückversetzung in Zeiten, wo schwere metallene Stich- und Hiebwaffen verwendet werden. Für den neuen <i>Siroe</i> bekannte sich das Inszenierungsteam im Vorfeld bereits zur Inspirationsquelle <i>Game of Thrones. </i>Die gestrige Premiere setzte also ganz auf Dramatik und Intrigen und wurde diesem Anspruch gerecht: <b>eine solide Inszenierung, der es gelingt, der Handlung passende Szenen zu unterlegen, und die vor allem musikalisch und sängerisch durch eine homogen hochklassige Besetzung getragen wird.</b><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p></p><p></p><b>Worum geht es?</b><br />Der persische König Cosroe hatte einst einen anderen König und seine Familie getötet, einzig Prinzessin Emira überlebte, die nun incognito als Mann verkleidet unter dem Namen Idaspe am persischen Hof lebt, um sich zu rächen. Nur der sie liebende Thronprinz Siroe kennt ihr Geheimnis und will sie nicht verraten. Emira jedoch plant ihre Vergeltung. Laodice, die Geliebte des Königs, hat Interesse an Siroe und wird von Emira darin bestärkt. Als Siroe sie zurückweist, beschuldigt sie ihn gegenüber dem König, sie bedroht zu haben. Doch Siroe hat noch andere Probleme: sein Bruder Medarse will selber Thronfolger werden und versucht, Siroe zu schaden, indem er Siroes anonyme Warnung eines Attentatsversuchs auf den König an Cosroe gibt und den Verdacht auf seinen Bruder lenkt. Siroe verzweifelt, doch es kommt noch schlimmer, sein Vater läßt ihn in den Kerker werfen. Cosroe fordert Siroe auf, ihm den Verräter zu nennen und Laodice zu heiraten. Doch Siroe schweigt, seine Hinrichtung wird befohlen. Laodice gesteht ihre Lüge und fleht mit Emira/Idaspe um Siroes Leben. Emira enthüllt ihre wahre Identität und verhindert ein Attentat Medarses auf das Leben seines Bruders. Wie fast immer üblich in den Barockopern, erfolgt in den ausweglos verworren scheinenden Zuständen ein glückliches Ende. Siroe verschont den Bruder, überzeugt Emira von seiner Liebe und bewegt den Vater zu Einsicht und Verzicht: Siroe wird König und heiratet Emira.<br /><br /><b>Historisches<br /></b>1727 wurde der Händel wohlgesonnene Georg August von Hannover zum englischen König Georg II. gekrönt, Händel komponierte zu diesem Anlaß die vier <i>Coronation Anthems</i>. In der Opernsaison 1727/28 vertonte Händel ein Königstriptychon. Zuerst war der heroische <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Riccardo%20I." target="_blank">Riccardo Primo</a></i> (UA November 1727) zu hören, die Uraufführung des dramatischen <i>Siroe </i>erfolgte am 17.02.1728, danach folgte der nachdenkliche <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Tolomeo" target="_blank">Tolomeo</a></i> (UA April 1728). Händel standen damals seine renommierten Stammkräfte zur Verfügung: Senesino sang Siroe, Faustina Bordoni die Emira und Francesca Cuzzoni Laodice. Aus heutiger Sicht scheint in der Spielzeit insbesondere <i>Siroe</i> ein Erfolg gewesen zu sein, die Oper hat mehr Aufführungen als die beiden anderen. <br />Für seine Libretti verwendete Händel nur dreimal Vorlagen von Metastasio, dem berühmtesten und erfolgreichsten Operndichter der Epoche: Siroe (1728), Poro (1731) und Ezio (1732). Fast 30 Opern-Libretti schrieb Metastasio, die angeblich von ca. 250 Komponisten für ca. 800 Vertonungen genutzt sein sollen. <i>Siroe</i> -ein Frühwerk des Librettisten- soll ca. 40 mal vertont worden sein, zuerst 1726 vom Vinci, u.a. auch 1727 von Porpora und Vivaldi, 1728 von Händel, 1733 von Hasse mit Farinelli und Caffarelli als Brüderpaar, vier Jahrzehnte später noch bspw. von Traetta. Händels Helfer Francesco Niccolò Haym hatte den Text rigoros gekürzt, um dem englischen Publikum italienische Rezitative zu ersparen, was dem Verständnis der Handlungsmotive nicht unbedingt förderlich war.<br /><br /><b>Was ist zu sehen?<br /><i>oder</i><br /></b><b>Händel trifft <i>Game of Thrones</i> (auf dem falschen Kanal)</b><br />Intendant <b>Ulrich Peters</b> führt zum Abschied noch mal selber Regie bei den Händel Festspielen (wie schon zuerst 1998 bei seiner schönen und gelungen <i>Rodelinda</i> und zuletzt 2011 bei der ordentlich unterhaltsamen <i>Partenope - </i>ein 13-Jahre-Rhythmus). Im Programmheft erklärt er: "<i>Wir waren bei der Arbeit am Stück verblüfft, ... wie nah wir mit der Story aber eigentlich an den berühmten Netflix-Serien wie zum Beispiel Game of Thrones sind. Tatsächlich ist unsere Oper auch ein Spiel, ein Kampf um den Thron, ein Kampf zwischen zwei sehr unterschiedlichen Brüdern, einer Frau und einer als Mann verkleideten Frau und eine böse Intrige jagt die nächste. Da fallen Parallelen auf, mit denen wir gespielt haben. Wer also genau hinschaut … Eigentlich könnte man aus der Oper – wie auch aus vielen Shakespeare-Dramen – ganze Streaming-Serien machen. Diese Werke sind quasi kondensierte Serien, losgelöst von einem konkreten historischen Kontext.</i>"<br />Okay, die 73 Folgen von <i>Game of Thrones</i> sind allerdings keine Netflix-Serie, sondern liefen auf HBO. Allzu fleißig und interessiert scheint man die Serie nicht geschaut zu haben, die sich neben komplex verflochtenen Handlungssträngen durch starke Personencharakterisierung, Brutalität und Nacktheit sowie einem unsentimentalen Umgang mit ihren Figuren auszeichnete. Insbesondere visuell hat dieser Ansatz Auswirkungen. Der für diese Produktion zurückgekehrte langjährige Ausstattungsleiter <b>Christian Floeren</b> verlegt den antik persischen <i>Siroe </i>in ein Schwert-Zeitalter mit europäisch wirkenden Mittelalter-Kostümen: Leder und Pelz, Ornamente und Brustpanzer. Ein Statist sieht allerdings aus wie ein Elbe aus den <i>Herr der Ringe</i> Verfilmungen, Medarses Arie im zweiten Akt zitiert mit brennendem Schwert und kurzzeitig digital im Hintergrund eingeblendeten Drachen <i>Game of Thrones</i>. Die Regie setzt ganz auf sichtbaren Teil des Eisbergs und will ohne psychologische Ausflüge eine spannende Geschichte erzählen - und das funktioniert!<br /><br /><b>Was ist zu hören?<br /></b>Bei der Orchesterbesetzung schien Händel zu sparen, neben Streichern und Basso continuo gönnt der Komponist dem Publikum nur noch Oboen und Fagotte, es gibt weder Duette noch Chor. Doch trotz der karg anmutenden Besetzung klang <i>Siroe</i> gestern spannend und zupackend. Dirigent <b>Attilio Cremonesi</b> dirigiert oft straff und treibt das Geschehen voran, da hämmert schon mal das Cembalo, und es wird kräftig in die Saiten der Barockgitarre gegriffen. Die <b>Deutschen Händel-Solisten</b> musizierten wie gewöhnlich als kompetenter Klangkörper mit grandiosem Farbenreichtum. Bereits nach der Pause gab es viele Bravo-Rufe. Erst vor fünf Tagen durfte der Verfasser dieser Zeilen in Straßburg ein französisches Barockensemble hören, das nach seinem Erachten zwar sehr gut musizierte, aber erneut läßt der Klang der Deutschen Händel-Solisten alles verblassen: <i>Siroe</i> klingt großartig und CD-reif. Man kann diese Oper anders, aber nicht besser musizieren. BRAVO!<div><br /></div><div>Auch bei den Sängern hat man ein homogen hochklassiges Ensemble, bei der man kaum weiß, wenn man hervorheben soll. Die Sopranistin <b>Sophie Junker</b> als Emira/Idaspe begeistert mit einer Stimme, die sich ständig neu von ihrer schönsten Seite zeigen kann, und das sowohl dramatisch als auch lyrisch. Ihr erste Arie <i>D'ogni amator la fede</i> war entwaffnend gut, im dritten Akt gelang ihr ein besonders eindringliches <i>Ch'io mai vi possa. </i>Was für eine tolle Stimme!<i> </i>BRAVO! <br />Als Laodice weiß <b>Shira Patchornik</b> zu gefallen, ihre Stimme ist hell, klar, tragend und verfügt über ein schöne Stimmfarbe. In ihrer Rolle versucht sie ihren Platz zu finden und steht am Abgrund, Patchornik<b> </b>findet<b> </b>dafür eindringliche, schmeichelnde und flehentliche Töne. BRAVO!<br /><b>Armin Kolarczyk</b> als König Cosroe singt drei eindrucksvolle Arien. Besonders beeindruckend seine Arie im 3. Akt <i>Gelido in ogni vena </i>für die er viele Bravos bekam. Cosroes Söhne werden von Countertenören gesungen. Der Bösewicht Medarse wird vom italienischen Countertenor <b>Filippo Mineccia</b> charakterisiert, im 1. Akt gelang ihm ein eindrückliches <span style="white-space: pre;"><span style="white-space: normal;"><i>Che épiù fedele</i>, im 2. Akt ließ er mit </span><span style="white-space: normal;"><i>Fra l'orror della tempesta</i> aufhorchen. Manch einer wird sich gefragt haben, wieso Mineccia nicht als Siroe engagiert wurde, den Medarse war gestern auffälliger als Siroe. </span></span>In der Titelrolle des Siroe singt der polnische Countertenor <b>Rafał</b> <b>Tomkiewicz</b> mit gelegentlich zu sanft wirkendem Timbre. Tomkiewicz hat eine schöne, sichere Stimme, die gestern kaum zulegen wollte und der es etwas an Temperament fehlte. Die bemerkenswerteste Stelle in <i>Siroe</i> ist vielleicht die Kerkerszene im dritten Akt, in der Händel genial die Situation in Klänge übersetzt: Siroe ist verlassen, verzweifelt und vereinsamt. <i>Deggio morire, oh stelle</i> erklang nachdrücklich und zeigte Tomkiewiczs Klasse!</div><div><b>Konstantin Ingenpass</b> hat als Arasse eigentlich nur Rezitative, überzeugte aber durch eloquente Phrasierung und darf, damit er nicht leer ausgeht, eine Arie singen. Wieso man ihm allerdings im 3. Akt <i>Un zeffiro spirò</i> aus<i> Rodelinda</i> singen läßt, erschließt sich nicht. Aber egal, man fand wohl nichts anderes, nun darf der Soldat einen <i>Zephir hauchen</i> lassen. </div><div><p><b>Fazit: BRAVO an alle Beteiligten. Eindrücklich gelungen! Wer Händel-Opern mag, sollte diesen <i>Siroe</i> gehört haben</b></p><p><b>PS: </b>Die gestrige Premiere von <i>Siroe</i> begann mit Geschwafel, wenn auch nicht so banal wie im letzten Jahr. Wieso müssen zu Beginn der Händel-Festspiele vor dem Premierenpublikum Ansprachen gehalten werden? Das könnte man auch im Foyer oder bei der Einführung im Blauen Haus. So setzt man sich als Zuschauer hin, freut sich, und bekommt dann erst mal einen Dämpfer mit leerer Zwangsbeschallung. Land und Stadt schicken Politiker mit Grußworten, denen oft die Verlegenheit, irgendetwas sagen zu müssen, qualvoll anzuhören ist. Gestern waren es immerhin Ministerin und Oberbürgermeister, die sich besser aus der Affäre zogen als zuletzt.</p><p><b>Besetzung und Team:<br /></b>Siroe: Rafał Tomkiewicz<br />Emira: Sophie Junker <br />Laodice: Shira Patchornik <br />Medarse: Filippo Mineccia <br />Cosroe: Armin Kolarczyk<br />Arasse: Konstantin Ingenpass <br /><br />Deutsche Händel-Solisten<br />Musikalische Leitung: Attilio Cremonesi<br />Regie: Dr. Ulrich Peters<br />Ausstattung: Christian Floeren <br />Kampfchoreografie:<span style="white-space: pre;"> </span>Annette Bauer <br />Licht: Christoph Pöschko</p></div>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-1932675887781893362024-02-12T01:08:00.033+01:002024-02-17T00:14:44.430+01:00Oper Straßburg: Porpora - Polifemo, 11.02.2024<p>Die Arie <i>Alto Giove</i> aus Nicola Porporas Oper <i>Polifemo </i>ist schon seit Jahrzehnten ein viel eingespieltes Bravourstück für Barocksänger. 1994 wurde sie im Film <i>Farinelli </i>des belgischen Regisseurs Gérard Corbiau verwendet (damals gesungen von Dereck Lee Ragin), der die Kastraten als Pop-Stars der damaligen Epoche zurück ins Bewußtsein des Publikums brachte. So bekannt und oft gehört die Arie ist, so unbekannt blieb die Oper: die deutsche Erstaufführung erfolgte erst 2013 in Schwetzingen (<a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2012/12/rokokotheater-schwetzingen-porpora.html" target="_blank">mehr hier</a>) und an der Opéra du Rhin ist aktuell die spannend besetzte französische Erstaufführung zu hören, bei der <b>Franco Fagioli</b> die einst von Farinelli gesungene Rolle des Aci übernimmt. Und auch 18 Jahre nach Fagiolis erstem Auftritt bei den Karlsruher Händel Festspielen ist es ein Erlebnis, dem argentinischen Countertenor zuzuhören.<span></span></p><a name='more'></a><p></p><p><b>Historisches</b><br />1733 kam Nicola Porpora (*1686 †1768) nach London, wo er die künstlerische Leitung der Opera of the Nobility übernahm, die in direkter Konkurrenz zu Georg Friedrich Händel (*1685 †1759) stand. Händel wurde vom deutschstämmigen britischen Monarchen Georg II. unterstützt, Porpora vom Kronprinzen Friedrich Ludwig, der zu seinem Vater ein sehr schlechtes Verhältnis pflegte. Porpora gelang es, Sänger aus Händels Ensemble abzuwerben und zusätzlich den Star-Kastraten Farinelli zu engagieren. Händel konterte mit Einfallsreichtum. Der Beginn des Jahres 1735 in London war aus heutiger Sicht ein Operngroßereignis. Am 1. Februar 1735 wurde <i>Polifemo</i> uraufgeführt, am 8. Januar 1735 erlebte Händels <i>Ariodante</i> seine Uraufführung, am 16. April 1735 dann <i>Alcina</i> - zwei der beliebtesten Opern des Repertoire. Als Ersatz für Senesino sang Carestini, Anna Maria Strada übernahm die weiblichen Hauptrollen in Händels Opern anstelle der bei Porpora singenden Francesca Cuzzoni. Der Wettbewerb zwischen den beiden Operngesellschaften war für beide ruinös, zudem änderte sich der Publikumsgeschmack. Porpora verließ London, Händel blieb, komponierte noch acht weitere Opern in den folgenden sechs Jahren und widmete sich dann der Komposition von Oratorien. Im Sommer 1741 (im Januar 1741 kam Händels 42. und letzte Oper <i>Deidamia </i>zur Aufführung) komponierte er den <i>Messias </i>und dann bis 1752 14 weitere neue Oratorien.</p><p><b>Worum geht es und was ist zu sehen? <br /></b>Ovids <i>Metamorphosen</i> und Homers <i>Odyssee</i> erleben in dieser Oper einen Mythenmix. Der menschenfressende Zyklop Polifemo ist in die Nymphe Galatea verliebt, doch Nymphen neigen dazu, Menschen zu lieben: Galatea und der Schafhirte Aci sind ein Paar. Polifemo tötet aus Eifersucht Aci. <br />Odysseus (Ulisse) - auf Irrfahrt seit er von Troja versucht nach Ithaka zu kommen - landet auf der Insel und wird mit seiner Mannschaft vom einäugigen Zyklopen gefangen genommen. Ulisse erhält Unterstützung von der Nymphe Calipso, die Gefallen am Helden von Troja gefunden hat. Der listige Ulisse schaltet Polifemo aus, der Zyklop verliert sein Auge. Jupiter erhört Galateas Flehen und verwandelt den toten Aci in einen Unsterblichen, der ihm diese Gunst mit der Arie <i>Alto Giove </i>dankt. Die Liebe wird siegen.<br /><br />Die Inszenierung versetzt die Handlung in eine Filmkulisse der 1950/60er. Man befindet sich in den Dreharbeiten zu einem Sandalenfilm. Als Inspiration nennt der Regisseur Filme von Ray Harryhausen (bspw. <i>Jason und die Argonauten</i>, <i>Sindbads siebte Reise</i>) Das übergroße gemalte Filmplakat im Stil der damaligen Zeit sieht man zu Beginn. Man sieht bemalte Leinwände und Pappkulissen des Filmdrehs. Aci ist Kulissenmaler im Filmteam, die anderen Figuren Darsteller im Film: Galatea, Calipso und Nerea als Nymphen, ein muskelbepackter Ullisse, der Darsteller des Latexmonsters Polifemo ist auch der Regisseur, der Aci nicht wie im Libretto mit einem Felsen, sondern mit einem Scheinwerfer außer Gefecht setzt. Die Unsterblickeit Acis ist in diesem Zusammenhang nur eine Metapher für sein Überleben und das Liebsglück, während der Regisseur/Polifemo von einem Polizisten abgeführt wird. Das ist mit Augenzwinkern erzählt, das Publikum darf gelegentlich lachen, das Hin und Her bei den Dreharbeiten zwischen Set und Aufnahme sorgt für kurzweilige Unterhaltung. Das ist weder langweilig noch aufregend, sondern harmlos unterhaltsam.</p><p><b>Was ist zu hören?</b><br />Porpora war nicht nur Komponist, sondern auch Gesangslehrer, seine Opern gelten als Vokalakrobatik in oftmals dramatisch unverbindlich gestalteten Arien. Seit der Wiederaufnahme von <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Serse" target="_blank">Serse</a></i> bei den Händel Festspielen 2019 war <b>Franco Fagioli </b>nicht mehr am Badischen Staatstheater zu hören und der kerzenlichtbeleuchtete <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/HAENDEL%20Riccardo%20I." target="_blank">Riccardo Primo</a></i> ist auch schon wieder ein Jahrzehnt her (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=Wjan_8pTDEM" target="_blank">das wunderschöne Duett aus dieser Produktion kann man übrigens hier bei youtube nachhören</a>). Fünf Jahre sind lang genug und Anlaß, ins benachbarte Elsaß zu fahren. Die Rolle des Aci, die bei der Uraufführung von Farinelli gesungen wurde, gilt als besonders herausfordernd hinsichtlich der erforderlichen Technik und des Stimmumfangs. Fagioli meistert das auf seine ganz typische Weise: er brilliert einerseits in den langsamen Arien mit tieferen Passagen, in denen er sich ganz auf seine Ausdrucksfähigkeit verlassen kann: <i>Morirei del partir nel momento </i>im 1. Akt und <i>Alto Giove</i> gelangen grandios. <i>Alto Giove</i> verzauberte mit manchen Passagen, die ganz transzendent schwebend den Pathos der Ehrfurcht vermittelten (<a href="https://www.instagram.com/reel/C3IWKdooOsg/?utm_source=ig_web_copy_link" rel="nofollow" target="_blank">aktuell nachzuhören bei Instagram bspw. hier</a>). Bei <i>Dolci, fresche aurette grate </i>fehlte im hingegen der Schmelz, das er 2016 (<a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2016/02/konzert-mit-franco-fagioli-22022016.html" target="_blank">mehr hier</a>) und zuvor 2012 bei einem <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2012/02/die-vier-countertenore-18022012.html" target="_blank">Konzert in Karlsruhe (mehr hier)</a> der Arie verleihen konnte (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=f2aDb8cWlJ0" target="_blank">zum Nachhören hier bei youtube</a>). Noch immer singt Fagioli mit langen Atem und virtuos schnellen Vokalisen, auch bei den schwindelerregend gesungenen Koloraturen in trompetenuntermalten <i>Nell'attendere il mio bene</i> (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=U70D8ixnwQc" target="_blank">hier Fagiolis Einspielung von 2014 auf seiner CD <i>Il maestro Porpora</i> bei youtube</a>) und Acis letzter Arie, dem schwer zu singenden <i>Senti il fato </i>erwies sich Fagioli immer noch als zuverlässig. Fagioli trennt wie gewohnt hörbar die Register und wechselte von Kopf- zu Bruststimme und erzeugte seine atemberaubenden Koloraturläufe zur Begeisterung des Publikums. Aber leichte Abnutzungserscheinungen (es war die vierte Vorstellung in sieben Tagen) waren bemerkbar: die Stimme war beweglich, aber nicht immer geschmeidig, nicht mehr so voluminös und etwas enger. Das ist Klagen auf hohem Niveau, noch immer zelebriert Fagioli eine Stimmakrobatik wie kaum ein zweiter.<br />Die zweite Rolle für einen Countertenor ist Ulisse, die für die Tessitura des Senesino komponiert wurde. <b>Paul-Antoine Bénos-Djian</b> zeigt stimmliche Strahlkraft und angedunkeltes Mezzo-Timbre sowie eine starke Bühnenpräsenz - ein Name, den man sich merken sollte und der auch ein Kandidat für ein Engagement bei den Karlsruher Händel Festspielen ist-, seine letzte Arie <i>Quel vasto, quel fiero</i> mit Trompetenbegleitung erklang ungestüm und mitreißend. <br />Als Galatea singt <b>Madison Nonoa</b> mit beweglicher, runder Stimme, leuchtender Höhe und schönem Timbre. Galateas Klage über Acis Tod <i>Smanie d'affano</i> ist ein Höhepunkt der Oper, der von Nonoa mit Seufzen, lang gehaltenen Tönen und fließenden Koloraturen zelebriert wurde.<br />Auch Altistin <b>Delphine Galou</b> war bereits bei den Karlsruher Händel Festspielen 2009, und zwar in der ersten historischen <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2014/02/ruckblick-radamisto-handel-festspiele.html" target="_blank">Kerzenlichtproduktion des <i>Radamisto</i></a>. Als Calipso bleibt sie szenisch etwas im Hintergrund, konnte aber stimmlich ihr dunkelschönes Timbre zur Geltung bringen. Der Polifemo wird von <b>José Coca Loza</b> mit markantem Bass gesungen, die kleine Rolle der Nerea ist mit <b>Alysia Hanshaw</b> sehr gut besetzt. <br /><br /><b>Emmanuelle Haïm</b> dirigiert ihr knapp dreißigköpfigen Barock-Ensembles <b>Concert d'Astrée</b> sehr hörenswert mit Sorgfalt für Details. Flöten, Hörner und Oben spielen auf, besonders schön: Acis vierte Arie <i>Nell'attendere il mio bene</i> erklingt mit stürmischer Trompetenuntermalung. Klangfarben und Klangfülle beeindrucken.</p><p><b>Fazit: Früher, als man in beiden Ländern noch kooperierte, hätte man diesen Polifemo als Gastspiel zu den Karlsruher Händel Festspielen eingeladen. So lohnte sich der Ausflug ins altehrwürdig heruntergekommene Straßburger Operngebäude, um diese Rarität angemessen zu hören.</b></p><p><b>PS:</b> Die erst kürzlich veröffentlichte erste CD-Einspielung von <i>Polifemo</i> durch Max E. Cencics Label Parnassus erfolgte ohne Fagioli, sondern mit Yuriy Mynenko als Aci, der aktuell den Ottone in Händels Oper in Karlsruhe singt.<br /><br /><b>Besetzung und Team</b><br />Aci: Franco Fagioli <br />Galatea: Madison Nonoa <br />Ulisse: Paul-Antoine Bénos-Djian <br />Calipso: Delphine Galou <br />Polifemo: José Coca Loza <br />Nerea: Alysia Hanshaw <br /><br />Le Concert d’Astrée<br />Dirigent: Emmanuelle Haïm<br />Regie: Bruno Ravella <br />Bühne und Kostüme: Annemarie Woods <br />Licht: D.M. Wood</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-12744943948634210552024-01-30T01:20:00.671+01:002024-02-11T23:52:55.815+01:004. Symphoniekonzert, 29.01.2024<p><b>Hymnisch himmlische Eschatologie</b><br />2024 gedenkt man u.a. des 100. Todestags von Franz Kafka, Giacomo Puccini und Gabriel Fauré, des 125. Geburtstags von Erich Kästner, Ernest Hemingway und Vladimir Nabokov, des 150. Geburtstags von Hugo von Hofmannsthal und William Somerset Maugham, des 175. Geburtstags von August Strindberg, des 200. Geburtstags von Anton Bruckner und Bedřich Smetana, des 200. Jahrestags der Uraufführung von Beethovens 9. Symphonie sowie des 300. Geburtstags von Immanuel Kant und des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock. Die Badische Staatskapelle startete gestern in das Jahr mit der bekanntesten Klopstock-Vertonung.<span></span></p><a name='more'></a><p></p><p>Über zwanzig lange Jahre ist die letzte Aufführung von <b>Gustav Mahler</b>s 1895 uraufgeführter <b>2. Symphonie</b> inzwischen her, der damalige Generalmusikdirektor <b>Kazushi Ono </b>dirigierte sie in seinem Abschiedskonzert, leider mit falscher Bedeutungsschwere viel zu langsam und zerdehnt (wie zuvor auch den <i>Parsifal</i>). Damals, im Juli 2002 sangen Hélène Bernardy und Cornelia Wulkopf. Onos Nachfolger <b>Anthony Bramall</b> konterte damals wenige Wochen später in seinem Eröffnungskonzert wagemutig mit der 3. Symphonie und gewann den Vergleich. Dessen Nachfolger <b>Justin Brown</b> nahm die Chance nicht wahr, Georg Fritzsch hingegen schon: endlich also wieder eine Auferstehungssymphonie im Großen Haus. Interessanterweise hat man das Chorkonzert unter den Symphoniekonzerten trotz Erkältungssaison in den Winter gelegt, was aber gestern nicht bestraft wurde: knapp über 100 Musiker und etwas weniger als 100 Sänger boten eine imposante Aufführung<br /><br />Das <i>Allegro maestoso - Mit durchaus ernstem und feierlichem Ausdruck</i> ist laut Mahler ein Totengedenken, bei dem sich das trauernde Subjekt die Sinnfrage stellt, insbesondere über die Bedeutung des Todes für das eigene Ich. Im relativ langsam dirigierten ersten Satz fand GMD Fritzsch noch nicht den organisch wirkenden Weg durch die Partitur. Das Abgründige, die Mahler gerne nachgesagte Zerrissenheit erklang nicht prägnant genug, manche Passagen wirkten wie buchstabiert, nicht wie gelesen, andere Stellen zu verhalten - ein wenig mehr Drama und Leidenschaft hätte hier gut getan.</p><p>Das <i>Andante moderato. Sehr gemächlich! Nie eilen!</i> war von Mahler als wehmütige Erinnerung an einen Verstorbenen gedacht, dramaturgisch war auch dem Komponisten der Bruch zwischen 1. und 2. Satz bewußt, Mahler schlug eine kurze Pause vor, die Fritzsch nutzte, um Chor und Sänger auf der Bühne Platz nehmen zu lassen. Auch dem zweiten Satz fehlte ein wenig der doppelte Boden, manch langsame Stelle geriet zu gemächlich, mancher Kontrast zu flach.<br />Für den dritten Satz <i>In ruhig fließender Bewegung </i>verwendete der Komponist seine Vertonung des Liedes <i>Des Antonius von Padua Fischpredigt </i>als Satire auf das tägliche Ignorieren des Wesentlichen, die Fritzsch sehr gut gelang.<br /><br />Nach ca. 45 Minuten Musik wendet sich das Blatt, Dreh- und Angelpunkt des Stimmungswechsels ist ein Klavierlied Mahlers, das der Komponist für diese Symphonie umarbeitete. Das <i>Urlicht</i> stammt aus dem 1805 von Clemens Brentano und Achim von Arnim veröffentlichten ersten Band von <i>Des Knaben Wunderhorn</i>, einer Gedichtsammlung alter Volkslieder. In einer Rezension verlangte Goethe: "<i>Am besten aber läge doch dieser Band auf dem Klavier des Liebhabers oder Meisters der Tonkunst, um den darin enthaltenen Liedern entweder mit bekannten, hergebrachten Melodien ganz ihr Recht widerfahren zu lassen oder ihnen schickliche Weisen anzuschmiegen oder, wenn Gott wollte, neue bedeutende Melodien durch sie hervorzulocken." </i>Goethe wurde bekanntlich beim Wort genommen. Das Leben nach dem Tod als Rückkehr in die wahre Heimat, insbesondere auch für die Armen, Geschundenen und Gequälten. Ein nicht erkaufbares und nicht eroberbares Privileg, ein mit einem religiösen Glaubens- und Verhaltenshindernis versehener privilegierter Ort. Bei Mahlers Auferstehungssymphonie ist der Erlösungsglaube im Urlicht eine hymnisch-himmlische Choralmelodie, ganz schlicht und dennoch intensiv. <b>Ruxandra Donose</b> sang <i>O Röschen rot!</i> mit angemessener Innigkeit und schönem Timbre. Das <i>Urlicht </i>wird von Mahler <i>sehr feierlich, aber schlicht</i> gefordert, Otto Klemperer und Bruno Walter -beide kannten Gustav Mahler noch persönlich, Walter war Assistent Mahlers bei der Uraufführung dieses Werks 1895 in Berlin- dirigierten es beide in knapp über vier Minuten (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=4IZBuetQfV4" target="_blank">hier</a> und <a href="https://www.youtube.com/watch?v=UlXIEwxV5MI" target="_blank">hier bei youtube</a>), Leonard Bernstein brauchte zwei Minuten länger (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=rR6_F6Fxf1k" target="_blank">hier bei youtube</a>), Klaus Tennstedt spielte es in knapp über sieben Minuten ein (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=-Dzn0ZlmHM8" target="_blank">hier</a>). GMD Georg Fritzsch war hier mit knapp über 4 Minuten auf der zügigen Seite.</p><p>Die Hölle steht bekanntlich allen offen, der Himmel hat hingegen strenge Grenzkontrollen - ein Erfolgsrezept, das auch viele im irdisch kleinen Grenzverkehr für ratsam halten. Der christliche Jenseits-Glaube war ein weltweites Erfolgsmodell, solange man an ein durch Mühe und Rechtschaffenheit gewonnenes Leben nach dem Tode als irdisches Lebensziel glauben wollte. Der letzte Satz <i>Im Tempo des Scherzos – Langsam. Misterioso</i> kehrt nach dem <i>Urlicht</i> zurück auf das Feld der irdischen Mühe und begibt sich auf den Weg zum Jüngsten Gericht, man fühlt sich an Albrecht Dürers apokalyptische Reiter erinnert, die Trompeten rufen und die Herrlichkeit des Herren leuchtet. <br />GMD Georg Fritzsch und die mit hoher Spielkultur musizieremde <b>Badische Staatskapelle </b>fanden im Verlauf der Aufführung immer besser die richtige Balance zwischen Tragik und Trauer, entfesselter Gewalt und Verklärung, die Schlußsteigerung gelang grandios, Vergleicht man die vom Autor dieser Zeilen bevorzugte Einspielung der Auferstehungssymphonie von Otto Klemperer mit dem Philharmonia Orchester (Satzzeiten: 19 -10 -12 - 4 - 34 Minuten) mit Fritzschs Tempi (23 - 10 - 12 - 4 - 34) erkennt man, daß Fritzsch quasi dem zeitgenossenschaftlich verbürgten Interpretationstempo weitgehend folgte. <br /><b>Ruxandra Donose</b> überzeugte auch im Schlußsatz, ebenso <b>Eliza Boom</b>, die auch Fiordiligi in der aktuellen <i>Così fan tutte </i>singt, <b>Ulrich Wagner</b> hatte <b>Chor und Extra-Chor </b>wie gewohnt souverän vorbereitet.<br /><b><br /><br />PS(1): </b>Ein Symphoniekonzert bestehend aus einem einzigen Werk - es gibt weniger Musik in den Konzerten der Badischen Staatskapelle als früher. Wieso reduziert man den Konzertumfang? Probt man inzwischen gründlicher und länger an den einzelnen Musikstücken? Oder will man den Aufwand beim Einstudieren reduzieren? Manchmal wünscht man sich doch ein wenig Transparenz, wenn man als langjähriger Konzertabonnent weniger bekommt als früher. Aber ja, der Bombast von Gustav Mahlers 2. Symphonie kann für sich alleine stehen und 80 Minuten Musik ist nicht wenig. Kazushi Oni kombinierte Mahlers 2. Symphonie damals mit Wolfgang Rihms <i>Spiegel und Fluß</i>.</p><p><b>PS(2):</b> Den beiden eingangs erwähnten 200. Geburtstagen gedenkt man im 6. Symphoniekonzert mit Bedřich Smetanas <i>Má Vlast </i>(Mein Vaterland) und im letzten Konzert der Spielzeit mit Bruckners 6. Symphonie.</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-66716691622272657792024-01-28T01:21:00.149+01:002024-01-29T17:30:45.703+01:00Jazz Night: Max Greger jr. Trio, 27.01.2024<p><b>Von Kopf bis Fuß auf Schwarzwaldfahrt mit Duke Ellington eingestellt</b><br />Der Name Max Greger ist quasi eine Marke, mit der man seit Jahrzehnten Musik verbindet, der Bigband-Klang des Saxophon spielenden Vaters (*1926 †2015) war durch viele TV-Auftritte bei Sendungen des ZDF in den 1960ern und 70ern fast jedem bekannt. Gestern nun der zweite Auftritt des Sohns (*1951) bei den Karlsruher Jazz Nights, und zwar in kleiner Bigband-Besetzung. Neben einigen Stücken von Duke Ellington und anderer Jazz-Persönlichkeiten gab es Interpretationen bekannter Musik von Frederick Loewe (My fair Lady) und George Gershwin (<i>I got rhythm</i>), Kurt Weil (Mackie Messers Moritat) und als Höhepunkte quasi eine Wiederentdeckung von Horst Jankowskis <i>Schwarzwaldfahrt</i> sowie eine fulminant verjazzte Version von Friedrich Hollaenders<i> Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt</i>. Max Greger jr. überzeugte als virtuoser Pianist und Moderator, am Schlagzeug war der souveräne Bernd Reiter zu hören und Bassist Mini Schulz überraschte mit seinen Improvisationen. <br />Ein Konzert, das wie im Flug verging, manche wären gerne noch weitergeflogen. Der elegante <i>Swinging Jazz</i> des Trios erwies sich als Hörvergnügen, bei dem sich die Freude des Musizierens auf die Zuhörer im ausverkauften Kleinen Haus übertrug.</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-6596840352898555012024-01-25T01:02:00.071+01:002024-01-27T23:15:46.500+01:00Strauss - Die schweigsame Frau, 24.01.2024<p>Zeit für eine kurze Heldenverehrung, denn es ist unbedingt erforderlich auf einen Sänger hinzuweisen, für den es aktuell keine Zweitbesetzung am Badischen Staatstheater gibt. Am Samstag sang er Ferrando in der Premiere von <i>Così fan tutte, </i>drei Tage später am Dienstag mußte er deshalb auch bei der B-Premiere auftreten, am Tag darauf war dann gestern die Rolle des Henry Morosus dran. Drei Vorstellungen tragender Rollen in fünf Tagen: ohne den sympathisch und humorvoll auftretenden mexikanischen Tenor <b>Eleazar Rodriguez </b>geht es zur Zeit nicht. Wir kaum ein anderer hat Rodriguez die letzten Jahre nutzen können, mit den richtigen Rolle sich ein Repertoire und in Karlsruhe ein Publikum zu ersingen, insbesondere als Mozart- und Donizetti-Tenor (Nemorino im <i>Liebestrank</i>, Roberto Devereux, Percy in <i>Anna Bolena</i>, Tonio (<i>Regimentstochter</i>) und Ernesto in <i>Don Pasquale</i>). Scheinbar unermüdlich und stets zuverlässig - BRAVO!<br /><br />Wie musikalisch reich und bereichernd ist doch <i>Die schweigsame Frau</i>! Was da alles im Orchestergraben zu hören ist, Glocken, Zitate, komponierter Lärm, man denke nur an die Explosion, von der Morosus mit Hinweis auf sein zerstörtes Trommelfell berichtet und die visuell so schön und passend umgesetzt ist: die erzählten Schallwellen fegen die Anwesenden um. Den Sängern scheint das ebenfalls Freude zu bereiten, mit viel Engagement sind alle bei der Sache. Nicht alles an der Inszenierung ist optimal (<a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/12/strauss-die-schweigsame-frau-09122023.html" target="_blank">mehr hier zur Premiere</a>), doch wen kümmert's, wenn die Aufführungen im übrigen so gut funktionieren! BRAVO! Sechs weitere Termin stehen noch in den nächsten drei Monaten zur Verfügung, die man unbedingt und so oft als möglich nutzen sollte.</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-84975719467221354142024-01-21T02:22:00.022+01:002024-01-25T11:13:28.652+01:00Mozart - Così fan tutte, 20.01.2024<p><b>Beschaulich, behaglich, betulich</b><br />Es ist nicht einfach, das richtige Inszenierungsmaß für <i>Così fan tutte</i> zu finden. Meistens wird die hanebüchene Handlung dieser Buffa-Oper nicht als komisch, sondern als lächerlich empfunden, früher hat man deshalb oft in die Handlung eingegriffen oder der Oper neue Texte unterlegt. Lange betonte man die bittersüße Komponente des Geschehens, die man ironisch oder sarkastisch interpretieren kann, je nachdem, ob man die Abgründe übertünchen will oder versucht, sie glaubhaft zu machen. Und in der Schlußszene kann man dann entweder ein Ausrufezeichen oder ein Fragezeichen setzen.<br />Die neue Karlsruher Inszenierung findet einen überwiegend kurzweiligen Weg durch die <i>Education sentimentale</i> der Handlung, die Regie drängt sich nie in den Vordergrund, modernisiert behutsam das Geschehen und charakterisiert treffend die wankelmütigen Figuren. Musik und Sänger blieben bei der gestrigen Premiere nicht nur stets im Mittelpunkt, sondern trumpfen auf: Dirigent und Musiker trugen die spielfreudigen Sänger quasi auf Händen und zelebrierten die Partitur als Schönklang. <br /></p><p><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p></p><p><b>Worum geht es?<br /></b>Zwei Paare: Zwei Schwestern und ihre beiden Verlobten, die beide Offiziere sind.<br />Ort und Zeit: Neapel um 1790<br />Der Sopran (Fiordiligi) und der Bariton (Guglielmo) sowie der Mezzosopran (Dorabella) und der Tenor (Ferrando) sind Paare mit festen Absichten. Doch zu Beginn provoziert der Baß (Don Alfonso) die beiden Offiziere, indem er Treue als Illusion erklärt. Man schließt eine Wette ab, die beiden sollen versuchen, die Braut des anderen zu verführen. Man gewinnt die Zofe der Schwestern (Despina) als Unterstützerin. Die beiden Offiziere geben vor, einrücken zu müssen und ziehen ab. Verkleidet kommen sie zurück, bemühen sich, werben und tricksen, und siehe da: binnen kurzer Zeit will erst der Mezzosopran den Bariton und anschließend auch der Sopran den Tenor. Schnell findet eine vorgetäuschte Heirat statt, dann fliegt die Posse auf, Don Alphonso hat die Wette gewonnen, die Frauen bitten ihre anfänglichen Partner um Vergebung, Schwamm drüber, man preist die Vernunft. Happy End (?)</p><p><b>Was ist zu beachten?<br /></b>In der <i>Hochzeit des Figaro </i>sind die Figuren menschlicher, im <i>Don Giovanni</i> geht es um Schicksale. Und in <i>Così fan tutte</i>? Ein Handlung ohne Logik, Belang und Wahrhaftigkeit mit einer Musik, die enthoben über der Handlung erklingend den Figuren eine Dimension gibt, die sie auf der Bühne nicht haben. Komödien leben von Situationen, bei <i>Così fan tutte </i>dominiert die Kontemplation und Selbstbefragung der Figuren. Auch Giuseppe Verdi hat Opern vertont, deren Libretto man lieber nicht hinterfragen sollte. Verdis dramatisches Genie verdichtet die Situationen zu spannenden existentiellen Höhepunkten. Mozarts Kunst belebt hingegen in einer Sphäre, die das fühlende Herz erkennen mag, der sehende Verstand aber oft ablehnt, er malt musikalisch in manchen Arien sorgfältige Ölbilder wo man gelegentlich lieber ein leichtes Aquarell erwartet. Die Themen Treue und Ehe sind 200 Jahre nach Mozart neu formatiert. Treue hat in Zeiten von Scheidung und Antikonzeptiva einen anderen Stellenwert bekommen, letztendlich ist es "<i>anhaltende Kampfbereitschaft in bezug auf denselben Gegner</i>" (P. Sloterdijk). Die Ehe hat als lebenslange Versorgungsgemeinschaft an Bedeutung verloren, eine Hochzeit ist kaum mehr als die Umwandlung einer Liebes- in eine Geschäftsbeziehung. Wenn eine Regie die Handlung ernst statt komisch nimmt, werden Konflikte oft künstlich verstärkt, wird hingegen das spielerische Element betont, darf die Belanglosigkeit das Vergnügen nicht übertreffen. Die neue Karlsruher Inszenierung betont die Komödie und agiert dabei überwiegend mit Gelassenheit: <i>Così fan tutte </i>wird hier weder problematisiert noch bloßgestellt. Man hat die Oper leicht gekürzt, dennoch machen sich im zweiten Teil die üblichen Längen bemerkbar.</p><p><b>Historisches<br /></b><i>Così fan tutte, ossia La scuola degli amanti </i> - "<i>So machen es alle (Frauen) oder Die Schule der Liebenden</i>“ ist Mozarts (*1756 †1791) drittletzte Oper, uraufgeführt 1790. Wie machen es die Frauen? Sie sind genau so untreu wie Männer. Frauen sind auch nur Menschen? Eine Botschaft, die im Jahrhundert nach Mozart unanständig war. Im moralisch-ernsten 19. Jahrhundert hatte diese Oper einen schweren Stand, was dazu führte, daß man Mozarts Oper nicht oder mit neu erfundener Handlung aufführte. Über 30 Jahre nach der Uraufführung gab es 1821 die erste Aufführung am Großherzoglichen Hoftheater, <i>Die verhängnisvolle Wette</i> verwendete die Musik von Mozart, unterlegte aber einen neuen Text. <i>So machen's alle (Cosi fan tutte)</i> gab es dann 1860, auch dies eine Bearbeitung (von Eduard Devrient). 1913 präsentierte man in Karlsruhe die Oper erneut, nun mit Originaltitel <i>Cosi fan tutte (</i><i>So machen's alle), </i>immer noch in Deutsch gesungen unter teilweiser Benutzung von Devrients Übersetzung.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><img border="0" data-original-height="839" data-original-width="678" height="455" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh3pIBeje-gxbtG0e463EhVHjRw562fkzyQVPfug3NZlotJB7i5zFvNi9e_PzCtjS-EiBj0e6WIjRKeZm86C8BnyLrhyphenhyphen8NyeCKNqwh3tCgr_lh5XSkT6fTwb4K5Q_kKpdq_SaCMIcqNgtjXLAK6v8HNsgIRdg036JBMopC5AGy8xyXyJQqCVCHqVSHQ2Zw/w368-h455/1821%20Cosi.jpg" width="368" /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><br /></div><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgABgBZTU3445AMbOnwCjjywCLEF5DflMRlfu3gFY42i6_iF-0xRqnXNYEa1eRICaxybdygQYr09IvkxSxAhTnxnuABq6ck43pNyrwTv89Ajmehewml9Rl9OerIyR-2F-fzuU2wDN9clwA3xneVzSYzmMZ-AxsYeFhD84lKossBH0zs8WphlaCIvddoru4/s984/1860%20Cosi.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="984" data-original-width="607" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgABgBZTU3445AMbOnwCjjywCLEF5DflMRlfu3gFY42i6_iF-0xRqnXNYEa1eRICaxybdygQYr09IvkxSxAhTnxnuABq6ck43pNyrwTv89Ajmehewml9Rl9OerIyR-2F-fzuU2wDN9clwA3xneVzSYzmMZ-AxsYeFhD84lKossBH0zs8WphlaCIvddoru4/w394-h640/1860%20Cosi.jpg" width="394" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><br />Quelle: <a href="https://digital.blb-karlsruhe.de/download/webcache/2000/2970986" rel="nofollow" target="_blank">hier </a>und <a href="https://digital.blb-karlsruhe.de/download/webcache/2000/3027710" rel="nofollow" target="_blank">hier</a> bei der BLB</td></tr></tbody></table><br /></td></tr></tbody></table></div><b>Was ist zu sehen?</b><br />Die Inszenierung scheint an der Grenze der 1960er zu den 1970er zu spielen. Die Männer tragen zu Beginn Anzug, kurze Haare und Krawatte, als Soldaten im weißen US-Navy Stil ziehen sie ab, zurück kommen sie in karierten Schlaghosen bzw. Anzug mit Fellbesatz, Mesh-Shirt und Cowboy-Hut, Schnurrbärten und Perücken. "Selfies" werden noch mit einer Sofortbildkamera geschossen. Die eingesetzte Drehbühne bietet verschiedene Ansichten, zu Beginn ein asiatischer Schnellimbiß, bei dem die von einer Feier betrunkenen Männer ihre Schnapswette schließen. Ansonsten finden Szenen in, vor oder hinter einem schicken Apartment statt, stimmungsvoll beleuchtet von <b>Rico Gerstner</b>. Filmexperten werden manche Szenen identifizieren können: <i>Frühstück bei Tiffany</i> mit Audrey Hepburn wird zitiert (bspw. wenn Dorabella auf der Feuertreppe sitzt) , eine große Wassermelone soll aus <i>Dirty Dancing</i> stammen. Doch Zitate verpuffen, weil zu wenige die Assoziation herstellen.<div><b>Regisseurin Nilufar Münzing</b> hat für die Ouvertüre eine Handlung erfunden, die 18 Jahre nach der Oper einsetzt: die Kinder der beiden Paare werden beim Küssen von den entsetzten Eltern getrennt, denn - Überraschung! - beide sind Halbgeschwister. Der Sopran und Tenor sind in dieser Inszenierung das Paar, das zusammen gehört hätte, beide Kinder sind von Ferrando - eine Überraschung auch für Dorabella und Guglielmo. Die beiden Kinder dürfen ab uns zu auf der Bühne auftauchen, sie bekommen quasi die Geschichte ihrer Zeugung und der elterlichen Ehe erzählt. Tatsächlich hätte es dieser hinzuerfundenen Nebenhandlung gar nicht benötigt, die Pointe dieser Inszenierung hätte auch ohne sie funktioniert. Die Pointe dieser <i>Così fan tutte</i> ist, daß Fiordiligi die Wahrheit entdeckt und weiß, daß der fremde Tenor der Verlobte ihrer Schwester ist. Auch Ferrando weiß um Fiordiligis Entdeckung. Beide schweigen und machen weiter, weil eigentlich sie sich begehren. Doch Fiordiligi will Dorabella nicht den Verlobten wegnehmen, Ferrando fehlt der Mut - die falschen Paare werden heiraten. Am Ende setzt die Regisseurin weder ein Frage- noch ein Ausrufezeichen, weil sie zur inszenierten Ouvertüre Antworten gibt. Wo man sonst oft bei Inszenierungen von <i>Così fan tutte </i>Brechts Satz zitieren kann <i>"Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."</i> (Der gute Mensch von Sezuan), gibt es hier also eine Auflösung zur Handlung. Münzing zeigt ihre Variante der Geschichte mit Können and Gelassenheit in problemfreier Haltung, unterhaltsam, mit guten Einfällen und insbesondere im ersten Teil durchaus kurzweilig. Nur mit der Figur des Don Alfonso weiß die Regie wenig anzufangen, weder Charakterisierung noch Kostüme funktionieren.</div><div><div><br /></div><div><b>Was ist zu hören?</b><br />Bereits bei der Fanfare zu Beginn, der gefühlvollen Oboe und der in den tiefen Streichern aufkommenden Melodie zum später gesungenen Operntitel konnte man gestern erahnen, wohin die Reise geht. Die <b>Badische Staatskapelle</b>, dirigiert von <b>Johannes Willig</b>, betonte den Schönklang. Der Orchestergraben ist wie bei den Händel-Festspielen höher fixiert, der Dirigent betritt ihn von links oben. Wer nun aber wie so oft bei Händel einen forschen, vorwärtstreibenden oder auch kantigen Klang erwartet, wird überrascht. Willig glättete die Kanten, wählte eher ein beschauliches Tempo und ein ausgeglichenes Klangbild ohne Zuspitzungen, das virtuoses Musizieren und ein befreites, eloquentes Singen ermöglicht und das Bühnengeschehen zwischen Behaglichkeit und Betulichkeit positioniert. <br /><b>Eleazar Rodriguez</b> überzeugt als zögerlicher Ferrando mit geschmeidiger Stimme, <b>Ina Schlingensiepen</b> ist als scheue und ernste Fiordiligi wie gewohnt höhensicher und darstellerisch stark, <b>Florence Losseau</b> singt Dorabella mit sinnlich warmer Stimme, <b>Oğulcan Yılmaz</b> setzt als kerniger Guglielmo starke Akzente und ist die positive Überraschung des Premierenabends, <b>Uliana Alexyuk</b> singt eine durchtriebene Despina und <b>Renatus Mészár</b> Don Alfonso mit sonorer Mattigkeit.</div><div><br /><b>Fazit: Engagement und Spielfreude überzeugen.</b></div><div><br /><b>Besetzung und Team</b><br />Fiordiligi<span style="white-space: pre;">: </span>Ina Schlingensiepen<br />Dorabella: Florence Losseau<br />Despina: Uliana Alexyuk <br />Guglielmo: Oğulcan Yılmaz<br />Ferrando<span style="white-space: pre;"> </span>Eleazar Rodriguez<br />Don Alfonso: <span style="white-space: pre;"> </span>Renatus Mészár<br /><br />Musikalische Leitung: Johannes Willig<br />Chor: Marius Zachmann<br />Regie: Nilufar Münzing <br />Ausstattung: Britta Lammers <br />Licht: Rico Gerstner<br /></div></div>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-20506473388519019762024-01-14T01:28:01.095+01:002024-01-16T16:07:49.634+01:00Reza - Kunst, 13.01.2024<p><b>Die fragile Maskulinität der Memmen</b><br />Mann oder Memme? Es ist wenig überraschend, wie das Karlsruher Schauspiel die drei Protagonisten in Yasmina Rezas Erfolgsstück charakterisiert: Man bleibt überraschungsfrei in der eigenen Filterblase, nimmt sich viele Freiheiten am Text und verkrüppelt die Figuren zu politisch korrekt gewollten Klischees: statt Männer stehen Memmen auf der Bühne. Doch die gute Nachricht: Rezas <i>Kunst</i> hält die Reduzierung auf clownesk infantile Charaktere aus, wer sich an den grobmotorisch plumpen Humor gewöhnt, der kann der Regie durchaus eine ideenreiche Figurenentwicklung bescheinigen, die wahrscheinlich noch besser funktioniert hätte, wenn man bei dieser Inszenierung die Rollen mit drei Schauspielerinnen besetzt hätte. Was auf manche ein wenig wie eine unterbelichtete Selbstverramschung wirken könnte, ist dennoch durchaus zeitgemäß durch die Darstellung eines ins Lächerliche gezogenen, pseudomännlichen woke-soften Habitus.</p><p><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p><b>Worum geht es (1)? </b><br />Drei Freunde: Serge (Dermatologe), Marc (Luftfahrtingenieur) und Yvan (Textilvertreter, der im Papiergroßhandel arbeitet)<br />Serge hat sich für 200.000 Francs (ca. 30.000 €) ein Gemälde eines namhaften Künstlers namens Antrios gekauft. Das Gemälde ist weiß, Pinselstriche mit etwas Struktur, doch sonst eine gleichgültige Fläche ohne Raffinesse, ohne erkennbare künstlerische Expertise, wie untenstehend beschrieben ein Bild, das Jahrzehnte zu spät kommt. Marc kann diesen Kauf nicht nachvollziehen ("<i>Du hast diesen Dreck [cette merde] für 200.000 Francs gekauft!</i>"). Serge fühlt sich angegriffen und ist von der Wertkritik (für ihn: fehlende persönliche Wertschätzung) verletzt. Yvan wird hinzugezogen, der es sich mit niemandem verderben will und sich vielmehr um seine bevorstehende Hochzeit Sorgen macht. Man beginnt, sich die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen Serge und Marc, die allerdings Yvan körperlich verletzen. Yvan, der zur Psychotherapie geht, versucht den Konflikt zu lösen, dennoch spitzt sich die Situation zu; Die Freundschaft steht auf der Kippe. Doch es findet sich eine überraschende Lösung.<br /><br /><b>Worum geht es (2)?</b><br />In <i>Kunst</i> geht es um Freundschaft und einem aus einer Wertkritik entstandenem Streit. <i>Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis</i>, so nannte Karl Marx ein Kapitel in <i>Das Kapital</i>, in dem er untersucht, wie sich ein zur Ware gewordenes Arbeitsprodukt als Wert darstelle und sich die gesellschaftliche Beziehung in Tauschobjekten ausdrücke. In einem Gemälde verdinglicht sich die Arbeitskraft nicht, denn sie ist nicht abstrakt und austauschbar, sondern es ist gerade die Individualität des Künstlers, die sich darin ausdrückt. Doch wieso sollte man viel Geld für ein gegenstandslos monochrom weißes Bild bezahlen, das keine außergewöhnliche künstlerische oder handwerkliche Leistung erfordere? Wie kann man für den Besitz eines Kunstgegenstands aus der Hand eines namhaften Künstler zehntausende Euro ausgeben? Wo Freundschaften oft um unausgesprochene Leerstellen kreisen, bringt Yasmina Reza die Leere als Kunstwerk ins Leben dreier Freunde, die beim Streit über ein teures Bild das Bild, das sie sich voneinander gemacht haben und damit ihre Freundschaft hinterfragen.<br /><br /><b>Was ist zu beachten?</b><br />Die Welt war nie moderner, nie mehr Avantgarde als zu Beginn des 20. Jahrhunderts als man in verschiedenen Disziplinen Durchbrüche, neue Sichtweisen oder sogar Endzustände und Auflösungen erreichte. Die experimentelle Dekonstruktion erreichte ihre Höhepunkte, naturwissenschaftlich betrat man neue Wege, man spaltete Atome und verabschiedete lineare Raum-Zeit-Konzepte. Die Musik öffnete sich neuen atonalen Ordnungsprinzipien. In der deutschen Literatur stehen bspw. Dada und Gottfried Benn für die Avantgarde der Entformung und Auflösung, in Benns Gedichtsammlung <i>Morgue</i> werden Leichen seziert, später enttarnte er das soziale Ich als verkörperte Leere. Auch in der Architektur begann ein neues Bauen, das bis heute wirkt. Perfekt ist es bekanntlich, wenn man nichts mehr entfernen kann. Der Architekt Adolf Loos hielt einen Vortrag mit dem Titel <i> Ornament und Verbrechen</i>, in dem er glatte Oberflächen und leere Wände forderte (<i>"Evolution der Kultur ist gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornamentes. ... Man kann die Kultur eines Landes an dem Grade messen, in dem die Abortwände beschmiert sind". </i>Auch Tätowierungen sind ihm ein kultureller Rückschritt). Klare Formen, leere glatte Flächen als zukünftiges Evolutionsziel - noch heute bestimmen solche Vorstellungen bspw. Science Fiction Filme. <br />In der bildenden Kunst setzte sich die Abstraktion durch, Kasimir Malewitsch schuf 1915 mit seinem Bild <i>Schwarzes Quadrat </i>so eine letzte Abstraktionsform (später folgte u.a. auch ein <i>Weißes Quadrat</i>), die die Essenz der Epoche ausdrückt: analytisch, radikal, puristisch, eine reine Formalisierung. Das <i>Schwarze Quadrat </i>- eine monochrome Fläche - ist nihilistisch wie ein schwarzes Loch, das alles zurücknimmt und die Leere hinterläßt, die am Anfang stand. Das Ende des Experiments war erreicht, die Postmoderne setzte ein, ein Unternehmen, dessen Ziel es laut des Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk ist, die Inauthentizität und Lächerlichkeit zu rehabilitieren, die sich entwickelt, wenn sich das Individuum vom Sozialen her ein stabiles Selbst aufbauen will. Die identitären Barrikadenkonzepte vom rechten und linken politischen Rand, die heute die demokratische Mitte gefährden, sind ein Produkt dieser Rückkehr lächerlicher Fiktionen (Rasse, Gender, Religion, etc). (Abschweifung: Das neue Spießertum, das das letzte Jahrzehnt das Badischen Staatstheaters ideologisch und künstlerisch prägte, ist Teil dieser reaktionären Bewegung, die Barrikadendenken über Ideologiekritik stellt und glaubt, andere über ihre Fetischbegriffe belehren zu müssen.)<br />Wenn Yasmina Reza 1994 in <i>Kunst</i> ein weißes Gemälde ins Spiel bringt, dann ist das keine moderne oder avantgardistische Kunst, sondern eine mit achtzigjähriger Verspätung gemalte Nachahmung ohne künstlerischen Wert. In <i>Kunst</i> geht es also nicht um Kunst! Auch die aufgeblasene Wichtigtuerei des Kunstmarkts wird nicht thematisiert.</p><p><b>Was ist zu sehen?<br /></b>Die Halbwertszeit von Theaterstücken ist kurz, viele verschwinden nach wenigen Aufführungen und werden kaum einmal wieder hervorgeholt. Yasmina Reza ist vermutlich die in den letzten drei Jahrzehnten meistgespielte Theaterautorin. Ihr gelang das Kunststück, mit <i>Kunst</i> (UA 1994), <i>Drei mal Leben</i> (2000) und dem <i>Gott des Gemetzels</i> (UA 2006) drei vielgespielte Erfolgswerke geschrieben zu haben, die Bestand haben, und das -je nach Standpunkt- obwohl oder weil sie boulevardesk wirkendes Figuren- und Dialogtheater sind, das charismatische Schauspieler und treffsichere Inszenierungen benötigt. Das treffende Wort, der treffende Tonfall, die treffende Pause und das treffende Schweigen - das kennzeichnet <i>Kunst</i>, und <b>Regisseurin Annalena Köhne</b> löst das ordentlich, mit guten und weniger guten Momenten.<br />Das Bild ist nur eine symbolische Lichtinstallation. Das zentrale Bühnenelement sind tausende pinkfarbene Schaumstoffwürfel (Kantenlänge ca. 7 cm), die als Füllstoff der überdimensionierten Bildverpackung dienen und nach dem Öffnen am Boden liegen. Drei Stühle, eine Schippe und ein Laubbläser ergänzen das Geschehen. Die pinken Würfel erinnern ein wenig an <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2012/04/jurek-becker-jakob-der-lugner-27042012.html" target="_blank">Jakob der Lügner</a></i> aus der Spielzeit 2011/12, als es orangene Bälle waren. Nur die metaphorische Funktion unterscheidet sich: hier wird man an einen Kindergarten erinnert. Erwachsene Menschen, die sich mit etwas Infantilem auseinandersetzen. Das Motto der Inszenierung kann man auf der Bildverpackung lesen: <i>Fragile Masculinity - Handle with Care</i>. Drei Memmen, die zu Beginn als Boy-Band Playback singen und von der Regisseurin diffamiert werden: sie verwenden die Schaumstoffwürfel als Bauklötzchen, spielen wie im Kindergarten und agieren, quengeln, keifen und greinen in manchen Szenen kurzzeitig wie vierjährige Kinder. Die körperliche Auseinandersetzung des Stücks ist ein harmloses Schaumstoffwürfelwerfen. Yvans Verletzung rührt von keinem Schlag, sondern von einem ins Gesicht geworfenen Würfel und löst kindisch übertriebenes Brüllen aus. Man will in dieser Inszenierung die Figuren in manchen Szenen ins Lächerliche ziehen, doch was lächerlich ist, ist nicht automatisch lustig. Man muß die Ressentiments teilen und die Feindbilder pflegen, um an vielen Stellen den Humor dieser Inszenierung teilen zu können. Manches wirkt fehlplatziert und lächerlich, doch man ist geneigt zu behaupten, daß dies durchaus als Anspielung auf die desaströsen politischen Verhältnisse gedacht sein kann - überspitzt ausgedrückt scheint angesichts eines Kinderbuchautors, der die Rolle des Wirtschaftsminister zu spielen versucht und einer aufmerksamkeitsgierigen Diplom-Trampolinspringerin im Außenamt die Realität weiter als die Fiktion.<br />Alle drei Figuren wirken uniform: sie tragen Anzüge (in graublau, grün und beige), weiße Hightop-Sneaker, geschmacklos infantile Socken und weiße Oberteile. Mit <b>Gunnar Schmidt</b> (Marc), <b>Jannik Süselbeck</b> (Serge) und <b>Michel Brandt </b>(Yvan) hat man drei starke Schauspieler, die viele prägnante Momente haben. Bravo! Über die Besetzung kann man übrigens diskutieren. Wäre nicht Gunnar Schmidt der passendere (sich überlegen fühlende) Serge und Jannik Süselbeck der ideale (nervösere) Marc? </p><p><b>Fazit: Eine Inszenierung, deren Humor überwiegend ein pubertierendes oder adoleszentes Publikum ansprechen will. <br /><br />PS(1): </b>Wer erinnerst sich an die letzte Karlsruher Inszenierung von Kunst? Bei der Premiere am 06.04.1996 spielten <b>Peter Kollek (Marc), Bernd Wurm (Serge) </b>und<b> Michael Rademacher (Yvan) </b>in der Regie von<b> Sigrid Andersson </b>eine absurde Zimmerschlacht als einen erwachseneren Konflikt als die nun vorgestellte Produktion. <br /><b><br />PS(2): </b>Auch gestern gab es wieder ein Publikum, das weniger aus echten Besuchern und mehr aus Angehörigen und Freunden zusammengesetzt wirkte und claqeurhaft applaudierte. Der geschäftsführende Direktor saß sogar in der ersten Reihe mittig, ein Platz, den man locker verkaufen könnte.<b> </b>Aber ist der Ruf erst ruiniert, lebt's sich ziemlich ungeniert. Mal schauen, wie sich das ab 2024/25 entwickelt</p><p><b>Besetzung und Team:</b><br />Serge: Jannik Süselbeck<br />Marc: Gunnar Schmidt<br />Yvan: Michel Brandt<br /><br />Regie: Annalena Köhne<br />Bühne: Alex Gahr<br />Kostüme: Jakob Baumgartner</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-33014615390208887812023-12-29T02:24:00.743+01:002024-01-10T17:53:53.380+01:00Rokokotheater Schwetzingen: Keiser - Nebucadnezar, 28.12.2023<p><i><b>"So fährt unsre Zeit von hinnen"</b></i><br />Das Silvesterfest 2023 scheint in der Bundesrepublik einer der bisher feuerwerksintensivsten Jahreswechsel zu werden. Wie das statistische Landesamt im Südwesten <a href="https://www.sueddeutsche.de/panorama/jahreswechsel-stuttgart-suedwesten-importiert-so-viele-feuerwerkskoerper-wie-nie-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231227-99-417057" target="_blank">mitteilte</a>, hat die Importmenge an Feuerwerkskörpern im Land einen neuen Rekordwert erreicht und auch im Bund legte der Import deutlich zu. Wer sich bei der gestrigen Vorstellung von Reinhard Keisers <i>Nebucadnezar </i>mit einem Barockfeuerwerk auf den Jahreswechsel einstimmen wollte, wurde stattdessen Zeuge eines Zweikampfs: eine sehr gute Sängerriege kämpfte oft und vor allem gegen Ende vergebens gegen eine sich dahinziehende, ungewöhnlich langweilige Inszenierung.<br /></p><a name='more'></a><p></p><p>Die Heidelberger Oper widmet sich beim Festival Winter in Schwetzingen weiterhin der vernachlässigten deutschen Barockoper, deren bedeutendste Spielstätte an der Hamburger Oper am Gänsemarkt (1678 - 1738) war, der Wirkungsstätte von Reinhard Keiser, Georg Philipp Telemann, Johann Mattheson und auch des jungen Händel. Von dessen vier für den Gänsemarkt komponierten Opern ist nur <i>Almira</i> erhalten. Bei den Karlsruher Händel Festspielen 2024 widmet sich ein Konzert des Barockorchesters <i>La Stagione Frankfurt</i>.am 17.02.2024 den "Hamburger Freunden" Händels, das leider am Tag nach der Premiere von <i>Siroe</i> in dessen Schatten steht. Die Oper am Gänsemarkt war keine Hofoper, sondern wie auch die Oper in Venedig als Volksoper öffentlich zugänglich.<br /><br />Über Reinhard Keiser (*1674 †1739) ist nicht mehr viel bekannt. Bis 1717 war er der meistgespielte Opernkomponist am Gänsemarkt. Dann ging der Pächter bankrott, Keiser suchte u.a. in Kopenhagen sein Glück. Auch am Hof von Baden-Durlach soll er sich um eine Anstellung erfolglos beworben haben. Telemann wurde in Hamburg der tonangebende Mann, Keiser kehrte zwar 1721 zurück, wurde aber nur noch sporadisch aufgeführt. Besucher der Karlsruher Händel-Festspiele hatten bereits die Möglichkeit, zwei (der weniger als 20 von ca. 70 komponierten) erhaltenen Opern Reinhard Keiser kennenzulernen: 2004 gab es <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Octavia_(Oper)" rel="nofollow" target="_blank"><i>Die römische Unruhe, oder Die edelmütige Octavia</i></a>, 2007 als Gastspiel <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Octavia_(Oper)" target="_blank">Fredegunda</a></i>. <i>Der gestürzte und wieder erhöhte Nebucadnezar, König zu Babylon, unter dem großen Propheten Daniel </i>soll 1704 erstmals und 1728 revidiert mit Arieneinlagen von Telemann am Gänsemarkt gespielt worden sein. In Schwetzingen wird anscheinend auf die Erstversion gesetzt, die gekürzt und mit Musik von 1728 ergänzt sein könnte. Im Programmheft findet man dazu wenig Informatives. Keiser komponiert gerne lautmalerisch, das Libretto von Christian Friedrich Hunold hingegen funktioniert sprachlich nur eingeschränkt: weder Gleichnisse noch Metaphern und Lyrik überzeugen heute noch.<br /><br />Die Inszenierung wirkt, als ob ein Regieassistent kurzfristig eingesprungen wäre und sich retro-eklektisch im Fundus abgelegter Ideen bedient, denn ständig gezückte Schußwaffen und Oligarchen-High Society wirken inzwischen ziemlich ermüdend. Am Anfang funktioniert das ganz gut, später kapituliert die Regie, in der letzten halben Stunde passiert dann nichts mehr, Arie um Arie herrscht fast Stillstand und das Publikum wird durch langgezogene Ödnis gequält und ist erleichtert, wenn endlich der Schlußvorhang langsam(!) zugezogen wird. <i>Nebucadnezar</i> (italienisch: Nabucco) ist hier eine barocktypisch verwickelte Dynastien- und Familienoper in historisierendem Gewand, bei dem sich die Mitglieder eines Beziehungshexagons umwerben und bekämpfen. Die Regie macht daraus eine Seifenoper in einen lilafarbenen Einheitsraum mit zentralem Krankenbett hinter einem Vorhang als Thron-Ersatz. Der biblische Nebucadnezar, ein babylonischer König, wird bekanntlich von Gott gestraft, hier hat er im ersten Akt bereits Vorahnungen, konsultiert den Traumdeuter und Sklaven Daniel und entdeckt seine religiöse Seite. Im zweiten Akt sitzt die Titelfigur bald im Rollstuhl und seine Frau Adina übernimmt das Ruder. Es gibt verschiedene Liebesverwirrungen. Die Königin Adina begehrt den Prinzen Darius, der zwischen Adinas Tochter Barsine und seiner früheren Geliebten Cyrene steht, an der wiederum Königssohn Beltsazer Interesse zeigt. Es gibt Intrigen, Mordversuche und am Ende ist das Ende nicht erreicht, die Inszenierung endet im Stillstand. Strophen aus dem Choral <i>Ach wie flüchtig, ach wie nichtig </i>erklingen aus dem Hintergrund, wenn sich der Vorhang schließt. </p><p>Sehr gute Sänger hat diese Produktion zu bieten, insbesondere der junge (im Jahr 2000 geborene) Countertenor <b>Dennis Orellana</b>. Man merkte zu Beginn, wie das Publikum teilweise überrascht war, als sich die weiblich wahrgenommene Stimme als Countertenor entpuppte. Von dem aus Honduras stammenden Sopranisten wird man zukünftig noch hören.<br /><b>Shira Patchornik</b> als rücksichtslose, böse Königin Adina wird auch bei den Karlsruher Händel Festspielen 2024 in der Neuproduktion von <i>Siroe</i> singen, sehr koloratur- und höhensicher <b>Theresa Immerz</b> als ihre Tochter Barsine und auch die dritte Sängerin <b>Sara Gouzy</b> als Cyrene hinterließ einen starken Eindruck. Bei den Männern überzeugten Bariton <b>Florian Götz</b> als geplagter Nebucadnezar und Tenor <b>Stefan Sbonnik</b>, der als Beltsazer im zweiten Akt die längste und interessanteste Arie hat. Tadelos singen auch die Tenöre <b>Christian Pohlers </b>als Berater Cores und <b>João Terleira</b> als Daniel sowie Countertenor F<b>ranko Klisović </b>als Sadrach.</p><p>Wie üblich musiziert kein spezialisiertes Barock-Ensemble, sondern das Philharmonische Orchester Heidelberg, motiviert, mit schönen Soli, u.a. von Oboe, Fagott und Flöte, bis zu 24 Musiker sitzen im Orchestergraben. Über die Jahre ist man näher an die historisch orientierte Interpretationspraxis gerückt, Dirigent <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2015/12/rokokotheater-schwetzingen-vincihandel.html" target="_blank">Gerd Amelung</a> und die für die Einstudierung verpflichtete Dorothee Oberlinger sorgen für engagiertes Musizieren, das manchmal allerdings den Stillstand in der Handlung aufgreift, statt für Tempo zu sorgen. </p><p><b>Fazit:</b> <b>Als Einstimmung auf die Karlsruher Händel Festspiele erweist sich der Winter in Schwetzingen vor allem sängerisch als gute Wahl. Den Namen Dennis Orellana sollte man sich merken!</b></p><p><b>Besetzung & Team</b><br />Nebucadnezar: Florian Götz<br />Adina: Shira Patchornik<br />Barsine: Theresa Immerz<br />Cyrene: Sara Gouzy<br />Beltsazer: Stefan Sbonnik<br />Darius: Dennis Orellana<br />Cores: Christian Pohlers<br />Daniel: João Terleira<br />Sadrach: Franko Klisović<br /><br />Musikalische Leitung: Gerd Amelung<br />Regie: Felix Schrödinger<br />Bühne und Kostüme: Pascal Seibicke<br />Licht: Andreas Rehfeld</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-79384922600290130742023-12-19T01:33:00.457+01:002023-12-27T12:51:41.237+01:003. Symphoniekonzert, 18.12.2023<p>Russische Musik, die zu Beginn klingt, als ob man den Zaren begrüßen wollte, und polnische Musik, die einst die DDR-Diktatur in Schrecken versetzte, bildeten das 3. Symphoniekonzert der Saison, das mit knapp 65 Minuten reiner Spieldauer wieder einmal etwas zu klein dimensioniert, wenn nicht sogar knausrig wirkte. Doch dafür wurde dem Publikum mit den beiden Gästen -Pianistin und Dirigent- einiges geboten.</p><p><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p><b>Tschaikowsky</b> hat drei Klavierkonzerte komponiert, doch nur das<b> 1. Klavierkonzert</b> b-Moll op. 23 hat sich durchgesetzt. Pompös gleich zu Beginn, nach den grandiosen Akkordblöcken entwickelt sich ein typisches romantisches Klavierkonzert, vorwärtsdrängend und melodiös, mit einprägsamen Themen und virtuosen Kadenzen. Gestern hatte man das Glück, mit <b>Anna Vinnitskaya</b> eine Pianistin zu haben, der es hör- und sichtbar Spaß bereitete, dieses Konzert zu charakterisieren. Zum Glück wurde ihr ein Klavier modernster Bauart zur Verfügung gestellt. Es ist zu bezweifeln, ob ein historisches oder einsturzgefährdetes Modell ihrer vehementen, leidenschaftlichen Interpretation in den Ecksätzen stand gehalten hätte. Der ruhige 2. Satz klang bei Vinnitskaya heiter und schwärmerisch (wie auch später die Zugabe). Der lebhafte Schlußsatz überzeugte mit brillanten Klavierpassagen und orchestraler Leuchtkraft und endete mit einer unverkennbaren Tschaikowsky-typischen Melodie. "<i>Tchaikovsky. Was he the tortured soul who poured out his immortal longings into dignified passages of stately music, or was he just an old poof who wrote tunes?</i>", fragte einst frech Monty Python. Das Publikum war unmittelbar mitgerissen und spendete passend donnernden Applaus und Bravorufe. Man sollte Vinnitskaya unbedingt erneut nach Karlsruhe einladen, dann mit Rachmaninow 2 oder Prokofiew 2 oder 3!</p><p>Das <b>Konzert für Orchester </b>von <b>Witold Lutosławski</b> (*1913 †1997) lieferte einst die Erkennungssequenz des ZDF Magazin (1969-1987), das von Gerhard Löwenthal (*1922 †2002) geleitet und moderiert wurde. Löwenthal war als Jude Zwangsarbeiter in einem kriegswichtigen Betrieb, der durch die Rote Armee befreit wurde, und verlor Angehörige im Konzentrationslager. Als Journalist war er als unerbittlicher Gegner rechts- und linksfaschistoider Tendenzen bekannt, insbesondere die DDR-Diktatur stand in seinem Fokus, deren Machenschaften und Menschenrechtsverletzung er regelmäßig thematisierte und damit in den Fokus der Stasi kam, die versuchte, ihn zu diskreditieren. Löwenthal war ästhetisch gebildet, er verwendete einen einprägsamen Ausschnitt des 1954 uraufgeführten Konzerts als geniale Titelmelodie, die heute noch erkennt, wer sie damals hörte (1. Satz, nach ca. 2 Minuten). Der Blick aus der Demokratie auf die Diktatur war durch eine herabstürzende Tonfolge in den Streichern gekennzeichnet, die sich dramatisch verdichtete und im derben sozialistischen Alltag des Mangels, der Bespitzelung und des Bevölkerungsgefängnisses landete, in dem ein (g)rauer Gleichklang alles nivellierte. Viel blieb ansonsten nicht von Lutosławski<b> </b> in Erinnerung, es scheint, als ob er als One-Hit-Wonder die Zeiten übersteht, denn das Konzert für Orchester ist ein hochspannendes Werk, das an Bartóks <i>Konzert für Orchester</i> erinnert, aber im Gestus ähnlich wie die 5. Symphonien von Schostakowitsch oder Prokofjew die Zuhörer mitreißen kann. Die Paukentöne zu Beginn erinnern unmittelbar an Brahms 1. Symphonie, danach folgt viel rhythmische Energie, Farbwechsel, Ballungen und Ausbrüche. Die Badische Staatskapelle nutze das Stück, um sich solistisch sowie in den Gruppen virtuos zu präsentieren: Schlagzeuger, Holz- und Blechbläser zeigten sich imposant. BRAVO!</p><p><b>Früher war mehr Musik</b><br />Nur zwei Stücke und 65 Minuten Musik? Vielleicht lag es ja an den Kosten für den renommierten Gast-Dirigenten, denn <b>Michael Sanderling</b>, Sohn des Dirigenten Kurt Sanderling, ist Chefdirigent des Luzerner Symphonieorchesters, wird wahrscheinlich in stabiler Schweizer Währung bezahlt und blickt auf eine eindrucksvolle Karriere. Er wirkte bei beiden Stücken hochmotiviert und doch entspannt - er stand über den Schwierigkeiten der Partitur und dirigierte mit viel Sinn für Spannung. Ein souveräner Auftritt. Bravo!</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-33811264127429011392023-12-15T01:02:00.015+01:002023-12-18T18:16:04.587+01:00Jazz Night: Swinging Christmas<p>Ausverkauftes Haus bei der gestrigen Jazz Night, an deren Ende sich das Publikum erhob, um seine Ovationen stehend zu erbringen, die insbesondere <b>Jazz-Legende Sandy Patton</b> galten. <span></span></p><a name='more'></a>Die 75jährige Sängerin präsentierte sich mit einer alterslosen Stimme, deren Kraft, Wärme und Flexibilität begeisterte. <i>Feliz Navidad, Santa Claus is coming to towm, Santa Baby, Let it snow, Winter Wonderland, White Christmas, Have yourself a merry little Christmas</i> und noch wenige Songs mehr beinhaltete das gestrige Jazz-Konzert. Musikalisch hörte man das gewohnt freudvolle Musizieren mit <b>Tobias Altripp</b> am Piano, <b>Joel Locher</b> am Bass und Schlagzeuger <b>Oliver Strauch</b> sowie Moderator <b>Thomas Siffling</b> an der Trompete. Saxofonistin Kerstin Haberecht musste kurzfristig wegen einer die Lungenfunktion beeinträchtigenden Virusinfektion absagen. Um die dadurch wegfallenden Soli und Songs zu ersetzen, engagierte man Schauspieler <b>Reinhard Mahlberg</b>, der 16 Jahre in Mannheim als Schauspieler tätig war und seit 2018 am Staatstheater in Stuttgart engagiert ist. Mahlberg rezitierte <i>Advent</i> von Loriot, Gedichte von Ringelnatz, das Rezept <i>Truthahn mit Whisky</i> (<a href="https://www.janko.at/Humor/Kulinarisches/Truthahn%20mit%20Whisky.htm" rel="nofollow" target="_blank">mehr hier</a>) und einiges andere mehr, womit er dem Konzert einen launigen Charakter verlieh. <br /><br />Jede Zeit hat ihre Publikumslieblinge und Zugpferde, aktuell gehört dazu zweifellos Thomas Siffling, der es geschafft hat, den Jazz wieder populärer zu machen, und das nicht nur in der Region Karlsruhe-Mannheim. Man kann nur hoffen, daß auch der kommende Intendant diese Erfolgsserie aufrecht hält und dem Karlsruher Jazz-Club eine Bühne bietet. <i>Swinging Christmas </i>hielt, was es versprach: eine entspannte und freudvolle musikalische Einstimmung auf Weihnachten, bei dem Sandy Patton Star des Abends war.<p><br /></p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-29917661025266330042023-12-09T02:06:00.014+01:002024-01-17T17:56:35.846+01:00Strauss - Die schweigsame Frau, 09.12.2023<p><b>Die Karlsruher Rückkehr von Richard Strauss</b><br />Händel, Mozart, Wagner und Richard Strauss sind die Hausgötter des Badischen Staatstheaters, und spätestens als es 2014 zum 150. Geburtstag von Strauss keine einzige Neuinszenierung gab, mußte man sich Sorgen über die Karlsruher Oper machen. 2019 gab es dann eine wenig spannende <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2019/01/strauss-elektra-26012019.html" style="font-style: italic;" target="_blank">Elektra</a>, 2022 eine halbherzige <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2022/05/strauss-salome-14052022.html" target="_blank">Salome</a></i>, zwei großartige Opern wurden so inszeniert, daß man kaum Freude daran hatte, die Vorstellungen öfters zu besuchen. Doch mit der gestern bejubelten Premiere scheint man nun das Tal der Enttäuschungen verlassen zu haben. <i>Die schweigsame Frau</i><b> </b>ist eine hochengagiert musizierte, gespielte und gesungene Buffa-Oper mit vielen Höhepunkten.</p><p><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p><b>Worum geht es?<br /></b>Ort und Zeit: London um 1780<br />Der pensionierte Admiral Sir Morosus ist seit einer Explosion trommelfellgeschädigt, lärmempfindlich und stillebedürftig. Überraschenderweise kehrt sein Neffe Henry zurück nach England, er ist inzwischen Mitglied einer fahrenden Operntruppe. Für Morosus ist dies eine inakzeptable Berufswahl: er enterbt ihn und fordert seinen Barbier auf, eine schweigsame Braut für ihn zu finden, um selber einen Erben zu zeugen. Der Barbier verbündet sich mit Henry und seiner Truppe. Als ideale schweigsame Frau wird Morosus Henrys Ehefrau Aminta als Klosterschülerin Timidia präsentiert. Nach einer vorgetäuschten Hochzeit verwandelt sich die vermeintliche Klosterschülerin in Morosus Albtraum. Morosus fordert die Scheidung. Als die fingierte Scheidungskommission feststellt, daß kein Scheidungsgrund vorliegt, erlöst Henry seinen Onkel und offenbart die Posse. Als der anfänglich wütende Morosus erkennt, daß der Spuk vorbei und er glimpflich davongekommen ist, kommt es zur großen Versöhnung.<br /><br /><b>Was ist zu beachten?</b><br />Die Heiterkeit der schweigsamen Frau entstand vor bedrohlichem Hintergrund. Nach dem Tod von Hugo von Hofmannsthal (*1874 †1929) fehlte Richard Strauss (*1864 †1949) ein geeigneter Librettist. Zusammen schufen sie <i>Elektra</i> (UA 1909), <i>Rosenkavalier</i> (1911), <i>Ariadne auf Naxos</i> (1912), <i>Die Frau ohne Schatten </i>(1919) und <i>Die ägyptische Helena</i> (1928), nach Hofmannsthals Tod vollendete Strauss noch deren letzte Zusammenarbeit <i>Arabella </i>(UA 1933). Strauss und Stefan Zweig trafen sich erstmals 1931. In seinen lesenswerten Erinnerungen <i>Die Welt von gestern</i> beschreibt Zweig u.a. die Entstehung und Geschichte dieser nach vier Vorstellungen abgesetzten Oper, deren Uraufführung 1935 (Dirigent: Karl Böhm) trotz Zweigs jüdischer Abstammung von Goebbels erst persönlich erlaubt, in der Folge aber untersagt wurde. Strauss wollte weiter mit dem emigrierten Zweig arbeiten und trat als Präsident der Reichsmusikkammer zurück, als das Regime dies erfuhr und verhinderte. So blieben beide Opern <i>Arabella</i> und <i>Die schweigsame Frau </i>in gewisser Weise unvollendet, beiden fehlt die Revision durch Librettist und Komponist, insbesondere bei letzterer in Form von Straffungen und Strichen. <i>Die schweigsame Frau </i>wird üblicherweise nicht in Originallänge aufgeführt. Karl Böhm erarbeitete 1959 für die Salzburger Festspiele eine gekürzte Fassung, die sich seitdem quasi durchgesetzt hat. Die letzte Karlsruher Inszenierung von Wolfgang Quetes (1986/87) dauerte mit zwei Pausen ca. 200 Minuten, gestern erlebte man eine Pause bei uns setzte nach 180 Minuten zum Schlußapplaus an. Die anscheinend einzige ungekürzte Einspielung von Marek Janowski mit der Staatskapelle Dresden hat eine reine Spielzeit von 173 Minuten.<br />Strauss wünschte sich ein "geistvolles Intrigenstück" und eine weibliche Hauptrolle als Hochstaplerin, Zweig schlug Ben Jonsons <i>Epicoene or The silent woman</i> (1609) als Ausgangsstoff vor. 1932 erhielt der Musiker die ersten Szenen, 1934 war die Partitur vollendet, laut Strauss (damals 70 Jahre alt) soll die Komposition keiner seiner früheren Opern ihm so leicht gefallen sein. Man hört dabei den Komponisten gelegentlich auch als Routinier: unverkennbar in der melodischen Gestaltung, manchmal vielleicht altersbedingt etwas floskelhaft. Strauss schuf eine Potpourri-Ouvertüre, große Ensembles (die Zweig genial entwarf), anspruchsvolle Koloraturen und eine Buffa, die es lohnt zu kennen. </p><p><b>Was ist zu sehen?<br /></b>Arrangierte Ehen sind ein Relikt vergangener Zeiten, dennoch verlegt <b>Regisseurin Mariame Clément</b> die Handlung ins Heute, läßt die Bühnenfiguren Mobiltelefone zücken und Selfies machen. Die Regisseurin findet dabei allerdings keinen neuen Blickwinkel, ihre Inszenierung schert sich wenig um Kostüme und Zeiten, sie interpretiert die Handlung traditionell. Morosus ist hier nicht nur alt, sondern pflegebedürftig. Der Barbier ist eher Physiotherapeut, die Haushälterin wirkt als Pflegerin. Daß die kommende Maskerade überhaupt funktioniert, soll wohl am labilen Zustand der Hauptfigur liegen. Die Operntruppe ist ein Karikatur- und Kuriositätenkabinett, die zwar emotional tiefschürfend singt, aber oberflächlich agiert. Librettist Stefan Zweig zeigt keine vulgären Charaktere, er läßt die Figuren durch Strauss' Musik immer wieder von Freundschaft, Dankbarkeit und Glück singen und reflektieren, um der Maskerade und den beteiligten Intriganten die Boshaftigkeit zu nehmen. Die Regisseurin nimmt Morosus ernst, seine Verzweiflung im dritten Akt, der Wendepunkt, der Geständnis und Auflösung bewirkt, wird nicht leichtfertig verharmlost. Tragik und Komik liegen hier beieinander. Die Mitglieder der Operntruppe hingegen sind eher Witzfiguren und etwas zu flache Komödianten.<br />Das Bühnenbild zeigt einen großen, holzgetäfelten, fensterlosen Innenraum, der nach dem ersten Akt in drei Zimmer unterteilt wird. Die Kostüme sind wenig originell, Aminta im Blümchenkleid mit Schnürstiefeln wirkt bspw. so gar nicht wie eine Klosterschülerin, aber in der Summe sieht man eine werktaugliche und valide Umsetzung, der gelegentlich die Pointen fehlen. </p><p><b>Was ist zu hören?<br /></b><i>Die schweigsame Frau</i><b> </b>ist die Wunschoper von <b>Georg Fritzsch</b>, die die scheidende Operndirektorin Nicole Braunger dem Karlsruher GMD quasi zum Einstand schenkte und epidemiebedingt nun erst möglich wurde. Die Herzensangelegenheit hört man, Fritzsch dirigiert mit Hingabe, die <b>Badische Staatskapelle</b> musiziert perfekt balanciert, opulent, freudvoll und lebendig. Die Figuren verkleiden und verstellen sich, und auch die Musik schmückt sich mit Anleihen und Zitaten, von Monteverdi, Legrenzi bis Wagner, dazu wird im Orchestergraben organisierter Lärm entfesselt und geschwelgt. Strauss-Freunde kommen auf jeden Fall auf ihre Kosten!<br />Und auch Solisten und Chor ist die Spielfreude anzuhören. Großartige Ensembles, ob Septett, Nonett oder das Sextett nach der Trauung, der reich orchestrierte Sprechgesang oder der poetisch humorvolle traurig wirkende Schluß: virtuoser Gesang. Als Sir Morosus hat man mit <b>Friedemann Röhlig</b> einen Charakterbaß, der die Rolle singt, darstellt und verkörpert. BRAVO! Die anspruchsvolle Koloraturrolle der Aminta singt die griechische Sopranistin <b>Danae Kontora </b>- ein bemerkenswert schöne, klare und ätherisch schlanke Stimme, der es als gewitterziegrige Ehefrau etwas an Deftigkeit mangelte (trotz des schlechten Gewissens, das ihr Stefan Zweig schreibt). <b>Eleazar Rodriguez</b> hat schon im handlungsverwandten <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2022/01/donizetti-don-pasquale-22012022.html" target="_blank">Don Pasquale</a></i> die Rolle des Neffen interpretiert. Als Henry Morosus wirkte sein Strahlkraft dosierter als sonst, als ob seiner Stimme noch die langen Proben in den Bändern stecken würde. (Beide Kontora und Rodriguez zeigten vollen Einsatz: Kontora schien wegen Nasenbluten ab dem 3. Akt Papiertaschentücher zu benötigen, Rodriguez hatte sich den Daumen so verletzt, daß er einen Verband bekam). <b>Tomohiro Takada</b> überzeugt als eloquenter Barbier mit tadellosem Auftritt. In den kleineren Rollen ist man ebenfalls engagiert aufgestellt, es singen Henriette Schein (lsotta), Florence Losseau (als Carlotta), Konstantin Ingenpass (Morbio), Renatus Mészár (Vanuzzi), Gabriel Fortunas (Farfallo) sowie Christina Niessen als (zu Beginn etwas textunverständlich singende) Haushälterin.</p><p><b><br />Fazit: Endlich! Unterhaltsam, auf hohem Niveau, zum Wiederhören. Gratulation an alle Beteiligten für diese engagierte Produktion!</b></p><p><b>PS: </b>Die letzte Produktion der schweigsamen Frau blieb insbesondere wegen <b>Günter von Kannen</b> als Sir Morosus in Erinnerung (der übrigens auch Don Pasquale sang). Auch Mark Munkittrick sang die Hauptrolle. Anläßlich des 125. Geburtstages von Richard Straus gastierte die Badische Staatskapelle 1989 mit dieser Inszenierung an der Semperoper in Dresden -dem Ort der Uraufführung-, wenige Monate vor dem Fall der Mauer.<br /><br /><b>Besetzung und Team</b><br />Sir Morosus: Friedemann Röhlig<br />Der Barbier: Tomohiro Takada<br />Haushälterin: Christina Niessen<br />Henry Morosus: Eleazar Rodriguez<br />Aminta: Danae Kontora<br />lsotta<span style="white-space: pre;">: </span>Henriette Schein<br />Carlotta: Florence Losseau<br />Morbio<span style="white-space: pre;">: </span>Konstantin Ingenpass a. G.<br />Vanuzzi: Renatus Mészár<br />Farfallo: Gabriel Fortunas a. G.<br />Operntruppe: Harrie van der Plas, Manuel Oswald, Edgars Skarbulis, Lukasz Ziolkiewicz</p><p>Musikalische Leitung: Georg Fritzsch<br />Chor<span style="white-space: pre;">: </span>Ulrich Wagner<br />Regie<span style="white-space: pre;">: </span>Mariame Clément<br />Bühne & Kostüme: Julia Hansen<br /></p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com6tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-89578662549290118622023-11-19T02:20:00.578+01:002024-01-31T12:34:10.395+01:00Tschaikowsky: Der Nußknacker (Ballett), 18.11.2023<p><b>Wenig Flair und späte Steigerung</b><br />Wie war das noch mal mit der Handlung des <i>Nußknackers</i>? Ein Jahrzehntlang stand immer wieder <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/search/label/TSCHAIKOWSKY%20Nu%C3%9Fknacker%20%28Ballett%29" target="_blank">Youri Vámos beliebte Choreographie</a> auf dem Karlsruher Spielplan, die Dickens' Weihnachtsmärchen mit Tschaikowskys Musik verknüpfte. Bridget Breiner setzt nun mit einer Interpretation dagegen, die näher am Original ist, geographisch wechselt man von Dickens' England in die USA der 1920er und tropft ganz wenig Bitternis in die Weihnachtssüße des Balletts. Doch wie zu befürchten war, kann die neue Produktion die alte nicht umstandslos verdrängen, sie wirkt atmosphärisch weniger stimmig und szenisch nicht rundum überzeugend, erst Mitte des zweiten Akts springt der Funke über, als die <span>Schülerinnen des Otto-Hahn-Gymnasiums einen akrobatischen Auftritt haben und in der Folge die Tänzer zum Schluß umjubelte Tanzszenen bekommen. Viel und langer Applaus für einen Übergangs-Nußknacker, bei dem allerdings kaum jemand bedauern sollte, falls er nur eine Spielzeit gegeben wird.<span></span></span></p><a name='more'></a><p></p><b>Worum geht es?</b><br />Das auf E.T A. Hoffmanns Erzählung <i>Nußknacker und Mausekönig</i> beruhende Ballettmärchen handelt von einem Mädchen (bei Hoffmann namens Marie, im Ballett meist Klara), das am Weihnachtsabend von ihrem Onkel Droßelmeier einen Nußknacker geschenkt bekommt, der nachts zum Leben erwacht und mit anderen Spielzeugfiguren in die Schlacht gegen den Mäusekönig zieht. Dahinter verbirgt sich eine komplizierte Geschichte, der Nußknacker ist tatsächlich ein verzauberter Neffe Droßelmeiers, der sich nur dann zurückverwandeln kann, wenn er den Mäusekönig besiegt und jemanden findet, der ihn mit Liebe erlöst. So geschieht es mit Hilfe des Mädchens. Bei Tschaikowkys wird aus dem Neffen ein Prinz, das Mädchen träumt sich in ein märchenhaftes Abenteuer und feiert nach der Befreiung des Nußknackers ein Fest mit Tänzern aus aller Welt. <br /><br /><b>Was passiert in dieser Produktion?</b><br />Vorgeschichte: "<i>Wir befinden uns im Mittwesten der Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kurz vor der großen Wirtschaftskrise. </i><i>Es ist Weihnachten im Hause Stahlbaum, einer gutsituierten Bürgerfamilie. Die Eltern beschenken ihre beiden Kinder, Freddie und die kleine Clara Marie, mit wundervollen Spielsachen. Das Glück scheint ungetrübt, doch bald zeichnet sich ab, dass etwas dieses Idyll beeinträchtigen wird.</i>"<br />Dieses erste glückliche Weihnachten wird im 1. Akt durch ein zweites kontrastiert, das ein Jahr später zeigt, wie der Familienbesitz inklusive Weihnachtsgeschenke gepfändet und versteigert wird. Droßelmeier schenkt Klara einen Nußknacker. Nachts träumt das Mädchen: der Auktionator verwandelt sich in den Mäusekönig, der Nußknacker verwandelt sich nach gewonnenem Kampf in den Nachbarsjungen. Laut Programmheft hilft eine "Waldgöttin", beide steigen eine Strickleiter empor ins "Wolkenreich der Phantasie"<br />2. Akt: Im Wolkenreich der Phantasie feiern alle glückliche Weihnachten. Breiner will eine "<i>eine Art Übergangsritual von der Kindheit zum Erwachsenenalter</i>" zeigen, einen "<i>tiefgreifenden innere Wandel des Mädchens</i>". Dazu hat die Choreographin einen belanglosen Mutter-Tochter Konflikt hinzu erfunden. Erst lehnt Klara das Geschenk (ein Ballkleid) der Mutter ab, doch dann "<i>tanzt sie ihre ersten Schritte als heranreifende junge Frau"</i>. Wieso ein kleines Mädchen, das einen Nußknacker geschenkt bekommt und kindliche Märchenträume hat, auf einmal zur Frau werden muß und nicht Kind bleiben darf, sollte man nicht hinterfragen.<div><i>"Schließlich erwacht das Mädchen im Wohnzimmer, wo es eingeschlafen war. Dort findet sich die Familie zusammen, dankbar einander zu haben." </i> <br /><br /><b>Was ist zu sehen?<br /></b>Bühne und Kostüme stammen von <b>Jürgen Franz Kirner</b>. "<i>Eine der anfänglichen Inspirationen für die Gestaltung dieses Ballettabends war das amerikanische Filmmusical Meet Me in St. Louis (1944) – eine Produktion unter der Regie von Vincent Minnelli mit Judy Garland in der Hauptrolle</i>." Das amerikanische Flair bleibt eher folgenlos, es gibt einige Kostüme, nicht alle gelungen, der Mäusekönig wird eher zum Rattenkönig, seine Schar hat Skelettköpfe. Die Bühne ist variabel, aber ohne Zauber, insbesondere das "Wolkenreich der Phantasie" wirkt eher wie eine Sparversion, als ob man nach der aufwendig in Szene gesetzten <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2021/04/breiner-maria-stuart-ballett-17042021.html" target="_blank"><i>Maria Stuart</i> </a>einsparen müßte. Der 1. Akt wirkt überaus schleppend, die in die Länge gezogene Auktion zum berühmten Marsch des 1. Akts wirkt reizlos, ebenso die Szene mit Schäferin, Wolf und Schaf. Der Kampf gegen den Mäusekönig hat keinen Spektakelwert. Besonders enttäuschend am Ende des 1.Akts der Schneeflocken-Walzer, für den Breiner eine "Waldgöttin" erfindet. Wald? Göttin?? Heidnische Metaphern an Weihnachten, die nicht weiter ausgeführt werden. Egal, wäre da nicht eine angedeutete Schneelandschaft würde der unaufregende 1. Akt ungewöhnlich steril enden, denn tänzerisch überzeugt die Szene nicht.</div><div>Der 2. Akt: Wenig attraktive und unoriginelle Marmorwolken - mehr wird beim Bühnenbild nicht mehr passieren. Die Reihenfolge der Musikstücke ist stark verändert, die Divertissments (bspw. spanischer, arabischer, chinesischer und russischer Tanz) erfolgen nicht hintereinander. Auch der 2.Akt plätschert lange vor sich hin. Die Wende (auch zum Erfolg) erfolgt mit dem Auftritt von <b>Turnerinnen des Otto-Hahn-Gymnasiums</b>, deren Akrobatik den ersten begeisterten Applaus auslösen. In der Folge dreht die Produktion auf, gegen Ende kriegen die Hauptrollen große Szenen, die diesen Nußknacker retten.<br />Viele Bravos für die Tänzer: <b>Ledian Soto</b> dominiert als geheimnisvoller Droßelmeier, der Klara auch im Traum begleitet. <b>Sara Zinna</b> tanzt und mimt die Mädchenrolle zwischen Kind und Jugendlicher überzeugend. Der neu im Ensemble befindliche<b> Lucas Erni</b> ist ein Gewinn für das Staatsballett: der Figur des Vaters gibt er scheinbar mühelos ein starkes Profil, seine Frau wird von <b>Lucia Solari</b> als sorgengebeutelte, aber robuste Mutter dargestellt. Kraftpaket <b>Daniel Rittoles</b> als Nachbarsjunge und Nußknacker gewinnt beim Publikum mit Sprüngen und Drehungen und <b>Sophie Martin</b> nutzt ihren Auftritt als gute Fee ("Waldgöttin"?) für ausdrucksstarke Szenen. Insbesondere im zweiten Akt kommen Ballettfreunde auf ihre Kosten! Bravo!<br /><br /></div><div><b>Was ist zu hören?<br /></b>Aktuell ist eine Kapellmeisterstelle am Badischen Staatstheater unbesetzt, für den Nußknacker hat man einen Gastdirigenten engagiert. Der Österreicher <b>Walter E. Gugerbauer </b>studierte zum fünften Mal in seiner Laufbahn einen Nußknacker ein und stellt fest: "<i>mein fünfter Nußknacker und tatsächlich wird es das erste mal sein, dass die gesamte Musik von Tschaikowsky zum Erklingen kommt. Auch wenn der zweite Akt nicht die ursprüngliche Reihenfolge haben wird, so sind diesmal keine Sprünge oder Striche vorgesehen, was mich sehr freut. Tatsächlich wird es sogar noch eine Erweiterung durch einen Einschub aus seinem Ballett Dornröschen geben</i>". Gugerbauer ließ die <b>Badische Staatskapelle</b> differenziert, klangschön und opulent musizieren. Wenn auch beim Zusehen der Funke oft nicht überspringen mag, die Musik vermag das zu kompensieren. Ein Ballett, das auch ein wunderbares Konzert ist!<br /><br /><b>Fazit: Szenisch und choreographisch durchwachsen, bemerkenswert schön musiziert und im 2. Akt können die Tänzer auftrumpfen.</b><p><b>Besetzung und Team:</b><br />Clara Marie, das Mädchen: Sara Zinna<br />Ihre Mutter: Lucia Solari<br />Ihr Vater: Lucas Erni<br />Freddie, ihr Bruder: João Miranda<br />Betsy, Köchin der Familie: Alba Nadal<br />Hieronymus, Hausangestellter der Familie: Valentin Juteau<br />Droßelmeier, Clara-Maries Patenonkel: Ledian Soto<br />Nathan, der Nachbarsjunge: Daniel Rittoles<br />Der Auktionator/ Der Mäusekönig: Joshua Swain<br />Waldgöttin: Sophie Martin<br />Die vier Winde: Olgert Collaku, Joan Ivars Ribes, Leonid Leontev, Timoteo Mock<br />Schäferin: Francesca Berruto<br />Wolf: Geivison Moreira<br />Schaf: Carolin Steitz<br />Käufer / Mäuse / Zinnsoldaten / Schneesturm / Blumenwalzerball: Ensemble Staatsballett, Ballettstudio Akademie des Tanzes Mannheim, Gäste der Akademie des Tanzes Mannheim<br />Rabauken: Schülerinnen des Otto-Hahn-Gymnasiums </p><p>Choreografie & Inszenierung: Bridget Breiner<br />Musikalische Leitung: Walter E. Gugerbauer a. G.<br />Bühne & Kostüme: Jürgen Franz Kirner<br />Licht: Ingo Jooß a. G.</p></div>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-64387249632928349632023-11-16T11:55:00.014+01:002023-11-17T15:58:52.431+01:00 Gegen Antisemitismus – Kundgebung mit Mahnwache in Karlsruhe<p>Angesichts des erbärmlichen Schweigens des Badischen Staatstheaters nach dem Terrorangriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung (<a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/10/verdi-nabucco-21102023.html" target="_blank">mehr dazu hier</a>), kann man nur hoffen, daß die Intendanz jeglichen weiteren Anschein von Antisemitismus bzw. Israelfeindlichkeit vermeidet und Flagge zeigt. Am Sonntag, den <b>26.11.2023</b> besteht dafür Gelegenheit: die Deutsch-Israelische Gesellschaft organisiert eine <b>Kundgebung</b> auf dem Karlsruher Kronenplatz, Beginn 15.30h, mehr dazu hier: <br /><a href="https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/veranstaltungen/gegen-jeden-antisemitismus-kundgebung-mit-mahnwache-in-karlsruhe/" target="_blank">https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/veranstaltungen/gegen-jeden-antisemitismus-kundgebung-mit-mahnwache-in-karlsruhe/</a> <br />Traut euch, liebe Intendanz des Badischen Staatstheaters, es ist ganz einfach, den schlechten Eindruck vergessen zu machen und dort offiziell Solidarität zu zeigen! Denn wann ist "Nie wieder!", wenn nicht jetzt?<br />PS: Wer hart im Nehmen ist, kann in einer Auswertung des Journalisten Deniz Yücel nachlesen (<a href="https://www.welt.de/kultur/article248518628/Hamas-Massaker-Mutter-ich-habe-zehn-Juden-getoetet-Zehn.html?source=puerto-reco-2_ABC-V34.0.B_with_polys" target="_blank">und zwar aktuell hier</a>), wie bestialisch die Hamas gemordet hat. </p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-13963723206924910202023-11-12T01:06:00.003+01:002023-11-19T01:36:25.834+01:00Verdi - Nabucco, 11.11.2023<p>Mit <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/10/verdi-nabucco-21102023.html" target="_blank">Nabucco</a></i> scheint das Badische Staatstheater einen Volltreffer gelandet zu haben, alle fünf in diesem Jahr angesetzten Vorstellungen sind fast ausverkauft, nur wenige Plätze sind für November und Dezember überhaupt noch verfügbar. Die vermeintlich beliebtere <i><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/06/puccini-la-boheme-24062023.html" target="_blank">Bohème</a></i> hinkt trotz bevorstehender Weihnachtszeit in der Publikumsnachfrage hinterher. Was macht <i>Nabucco</i> so gefragt? <span></span></p><a name='more'></a>Die Inszenierung kann es nicht sein, denn die kommt über Ansätze nicht hinaus. Die Szenen vor und nach der Pause scheinen aus unterschiedlichen Konzepten zu stammen, die fremd wirkenden geflügelten Figuren am Ende des 1. und 2. Akts sind nach der Pause verschwunden, dafür ist man plötzlich in der heutigen arabischen Welt. Der starke rote Faden fehlt dabei, die Kompensation durch starke Einzelszenen wird nicht erfüllt. Auch der aktuelle Zeitbezug nach dem Terror der Hamas gegen die israelische Bevölkerung scheint kein Grund zu sein.<br />Musikalisch und sängerisch hingegen bleibt dieser <i>Nabucco</i> in Erinnerung, insbesondere Konstantin Gorny, der als Zaccaria die stärkste Bühnenpräsenz hat, sowie der großartige Staatsopernchor und das von Yura Yang mitreißend dirigierte Orchester. Als Fenena überzeugte gestern die mit schönem Timbre singende Florence Losseau, ansonsten<a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/10/verdi-nabucco-21102023.html" target="_blank"> gefiel erneut die Premierenbesetzung</a>.<br /><br />Wieso kommt also das Publikum aktuell zahlreich zu <i>Nabucco</i>? Eine kleine Umfrage mit zufälligen Sitznachbarn im Parkett ergab sich auf die Frage eines Zuschauers, in welchem Akt denn der Gefangenenchor zu hören sei. Die Neugierde auf <i>Nabucco </i>verdankte sich bei dieser statistisch nicht aussagekräftigen Besuchergruppe aus der Vorfreude auf den berühmten Chor sowie aus der Unbekanntheit der Oper: niemand hatte <i>Nabucco</i> zuletzt live erlebt, in Karlsruhe gab es 30 Jahre keine Aufführung, auch im Umland scheint es keine Inszenierung gegeben zu haben oder wenn, hat sie sich nicht aufgedrängt. <i>La Bohème</i> hingegen schienen viele noch im Ohr zu haben, das Interesse war geringer. Um das Publikum anzulocken, scheinen Experimente und Nebenwerke aktuell weniger erfolgsversprechend als der Fokus auf das fehlende Hauptrepertoire, also bspw. <i>Cavalleria Rusticana, Pagliacci, Lucia di Lammermoor, Troubadour </i>und<i> Die Macht des Schicksals</i>? Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-17997550301956487792023-10-31T01:47:00.004+01:002023-11-12T00:09:48.919+01:002. Symphoniekonzert, 30.10.2023<p>Drei Werke von drei Komponisten, drei Choräle, drei Solisten und eine dreisätzige Symphonie als drittes Werk, die der Autor dieses Besucher-Tagebuchs im dritten Jahrzehnt als Konzertabonnent zum dritten mal im Großen Haus erlebte, und -aller guten Dinge sind drei- beim dritten Hören engagierter und überzeugender musiziert wahrnahm als zuvor. Wenn es nun noch das dritte Symphoniekonzert der Saison gewesen wäre, hätte die auffallende Dreifaltigkeit als zahlenmystisches Zeichen Anlaß zu<i> transcendenten Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen</i> gegeben. So blieb es dann doch nur Zufall.<span></span></p><a name='more'></a><b>Ottorino Respighi </b>(*1879 †1936) hat die selten zu hörenden <b>Tre Corali di Johann Sebastian Bach</b> 1930 fertig gestellt. Drei Choräle von Bach, <i>Nun komm’ der Heiden Heiland</i> (Lento assai), <i>Meine Seele erhebt den Herrn </i>(Andante con moto e scherzando) und <i>Wachet auf, ruft uns die Stimme</i> (Andante) sind unterschiedlich für Orchester aufbereitet, düster zu Beginn, überraschend kurz in der Mitte und zum Abschluß dann mit bemerkenswerter, applauswirksamer Steigerung. Ein Einstieg, den man ähnlich, aber evtl. noch spannender hätte gestalten können: Leopold Stokowski war für seine Orchesterarrangements bekannt (und berüchtigt), seine Bearbeitung von BWV 565 wäre auch eine Idee für ein Karlsruher Symphoniekonzert.<p></p><p>Der US-amerikanische Komponist und Posaunist <b>Michael Svoboda</b> (*1960) hat 2014 ein originelles <b>Tripelkonzert für Trompete, Posaune und Tuba</b> geschaffen, das zwar leider wenig ins Ohr geht, aber unterhaltsam durch die vielfältigen Anforderungen an die Solisten wird, insbesondere weil man diese aus dem eigenen Orchester besetzte: <b>Jens Böcherer</b> an der Trompete, <b>Sándor Szabó</b> an der Posaune und<b> Dirk Hirthe</b> an der Posaune spielten dieses für Preisträger eines Blechbläserwettbewerbs geschriebene Konzert mit so hör- und sichtbarer Einsatzfreude, daß dem Publikum keine andere Wahl blieb, als herzlich zu applaudieren. Ein Konzert als außergewöhnliche Lauterzeugung und akademisches Tönespektrum, das live funktioniert, aber als Musikkonserve wohl wenig Zuhörer finden würde. Immerhin mag der eine oder andere danach unmittelbar den Wunsch verspürt haben, noch das Allegretto aus Janáčeks Sinfonietta zu hören. <br /><br />Nach der Pause dann <b>César Franck</b> (*1822 †1890). Der deutschstämmige Belgier, der in Paris lebte, hat ein vergleichsweise schmales Œuvre mit vielen gelungenen Besonderheiten hinterlassen, bspw. die herrliche Violinsonate A-Dur, das Klavierquintett f-Moll oder das Streichquartett D-Dur. Und dann ist da noch die großartige <b>Symphonie</b> des Belgiers <b>in d-Moll</b>, die Thomas Mann einst als eine seiner zwölf Lieblingsschallplatten erklärte, und zwar -noch ein Zufall- genau am Tag dieses Konzerts vor 75 Jahren: am 30. Oktober1948 in der <i>Saturday Review of Literature</i> nannte er die Aufnahme von Pierre Monteux mit dem San Francisco Symphony Orchester. Noch heute gilt eine Aufnahme des großen Pierre Monteux als das Maß, dem alle Einspielungen der Symphonie genügen müssen (und zwar 1961 mit dem Chicago Symphony Orchestra, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=V314pp_V12M" rel="nofollow" target="_blank">anzuhören bei youtube hier</a>).<br />Die d-Moll Symphonie von 1889 ist eine ganz eigene Mischung von (Wagner-)deutschen und französischen Elementen mit prägnanten Themen, reicher Harmonik, heftigem Modulieren und ungewöhnlicher Form, kombiniert zu grandioser Wirkung. Der erste Satz erklang gestern mit geheimnisvoll erregtem, fast drohendem Beginn, sehr schön kontrastiert von dem Aufschwung zu leuchtenden Farben und vielfältigen Herausforderungen für die klangschön aufspielenden Bläserinstrumente. Nach den Pizzicato-Akkorden von Streichern und Harfe zu Begin des Mittelsatzes war das von Dörthe Mandel gespielte Englischhorn mit elegischer Melodie bemerkenswert schön, Adagio und Scherzo sind hier von Franck zu einem ausdrucksreichen Satz kombiniert. Im Schlußsatz ging es dann energisch zu. Melodien und Motive werden wieder aufgenommen und zu einem stürmischen Finale geführt. <b>Johannes Willig</b> erwies sich als der richtige Dirigent (was man schon zuvor ahnen konnte, <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/05/7-symphoniekonzert-22052023.html" target="_blank">mehr hier</a>), um die Themen und ihre unwiderstehliche Binnenspannung in diesem Werk aufzubauen, sie zum Ausbruch zu bringen und zu versöhnen und das Werk der Apotheose zuzudirigieren. Willig dirigierte mit sehenswertem Elan und modellierte den erwünschten Klang mit viel Körpereinsatz. Die <b>Badische Staatskapelle</b> folgte diesem Einsatz und agierte voller Spielfreude BRAVO!</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-12788576037642699662023-10-26T15:01:00.018+02:002023-12-21T11:19:24.097+01:00Die neuen Direktoren ab 2024/25 sind nun bekannt<p>Diese Neuzugänge werden laut Pressemitteilung des Badischen Staatstheaters ab 2024/25 in Karlsruhe tätig werden:<span></span></p><a name='more'></a><p></p><p><b>OPER</b><br /><b>Operndirektor: Christoph von Bernuth </b><br />Christoph von Bernuth startete seine Karriere an der Kölner Oper, gefolgt von fünf Jahren als Spielleiter an der Hamburgischen Staatsoper. Er erarbeitete sich Expertise im Bereich Alte Musik bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Seit 2016 ist er in verschiedenen Positionen am Oldenburgischen Staatstheater (Betriebsdirektor, Chefdisponent und stellvertretender Intendant) tätig und führt auch Regie. Ab der kommenden Spielzeit wird er als Operndirektor und Künstlerischer Leiter der Händel-Festspiele sowie als Hausregisseur in Karlsruhe wirken. <br /><b>Stephanie Twiehaus</b> wird <b>Operndramaturgin und Konzertdramaturgin</b>, eine Position, die sie seit 2016/17 auch in Oldenburg inne hat.<br /><br />Die Händelfestspiele in Karlsruhe werden ab 2025 von Christoph von Bernuth, Stephanie Twiehaus und dem neuen Orchesterdirektor <b>Oliver Kersken</b> geleitet. </p><p><b><br />BALLETT<br />Ballettdirektor:</b> <b>Raimondo Rebeck</b><br />Der Tänzer und Choreograph Raimondo Rebeck war Erster Solotänzer der Berliner Staatsoper und der Deutschen Oper Berlin. Von prägendem und bedeutendem Einfluß für ihn waren die Zusammenarbeit mit Maurice Béjart und Rudolf Nurejew. Der gebürtige Ost-Berliner kommt vom Ballett Dortmund, an dem er seit 2011 tätig ist und zusätzlich seit 2014 das NRW Juniorballett leitet.<br />Als seine künstlerische Stellvertreterin stößt <b>Kristína Paulin</b> neu ins Team. Die Tänzerin und Choreographin wird zudem die Rolle der <b>Choreograpin in Residence</b> am Staatsballett Karlsruhe übernehmen. Paulin, geboren in Bratislava, tanzte viele Jahre als Mitglied des Hamburger Balletts von John Neumeier.<br /><br /><b><br />SCHAUSPIEL<br />Schauspieldirektor: Claus Caesar </b><br />Er kommt vom Deutschen Theater Berlin, wo er seit 2018/19 Chefdramaturg und stellvertretender Intendant von Ulrich Khuon war. Berufliche Stationen führten ihn zu Beginn ans Bayerische Staatsschauspiel in München, ans Schauspiel Frankfurt sowie an das Thalia Theater Hamburg. <br />Als Oberspielleiterin Schauspiel wechselt<b> Brit Bartkowiak</b> nach Karlsruhe. Seit Februar 2021 ist sie in gleicher Funktion am Theater und Orchester Heidelberg tätig. <br />Als Dramaturgen werden <b>Franziska Trinkaus </b>und <b>Bastian Boß</b> ins Schauspiel-Team stoßen.</p><p><br />Noch eine neue Sparte: <b>DIGITALTHEATER<br />Kevin Barz</b>, Schauspiel- und Opernregisseur mit einem besonderen Fokus auf Digitalisierung, wird als künstlerischer Leiter für das neue spartenübergreifende Projekt Digitaltheater verantwortlich sein. Seine aktuellen Arbeiten verfolgen den Anspruch, sich formell wie inhaltlich mit den Möglichkeiten und Fragestellungen der Digitalisierung auseinanderzusetzen, ohne den Kernmoment des Theaters aus den Augen zu verlieren. <br /><b><br /></b>Dafür scheint das glücklose <b>Volkstheater</b> passé und vorbei.<b><br /><br />ANSONSTEN:</b> Die Dreierspitze des Mehrspartenhauses besteht aus Intendant Christian Firmbach, die Künstlerische Betriebsdirektorin Uta-Christine Deppermann sowie den Geschäftsführenden Direktor Johannes Graf-Hauber, Georg Fritzsch bleibt Generalmusikdirektor, Nele Tippelmann bleibt Spartenleiter des Kindertheaters.<br /><br /><b>FAZIT: Spannende Namen, die eine gute Perspektive bieten und vor allem nicht im Windschatten die zweite Geige spielen. Im Opernbetrieb setzt Firmbach auf sein vertrautes Team aus Oldenburg, auch manche Sänger wechseln mit nach Karlsruhe. Im Schauspiel und Ballett übernehmen erfahrene Persönlichkeiten die Sparte. Jetzt heißt es abwarten, wie sich das Ensemble verändert und mit welchem Programm gestartet wird. </b></p><p><b>PS(1): </b>Biographien und Fotos finden sich aktuell hier in einem pdf auf den Seiten des Staatstheaters:<br /><a href="https://www.staatstheater.karlsruhe.de/media/docs/biografien_neues_kunstlerisches_team_2024-25_staatstheater.pdf" target="_blank">https://www.staatstheater.karlsruhe.de/media/docs/biografien_neues_kunstlerisches_team_2024-25_staatstheater.pdf</a></p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com17tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-53616285939457594362023-10-22T02:52:00.032+02:002023-10-27T21:31:32.123+02:00Verdi - Nabucco, 21.10.2023<p><b>Das Elend der Heuchelei</b><br />Die Handlung von Verdis <i>Nabucco</i> erzählt vom Leid des israelischen Volkes. Zwei Wochen vor der gestrigen Premiere wurde Israel angegriffen, hunderte Zivilisten -Säuglinge, Kinder, Frauen und Männer- durch ein an ein Pogrom erinnerndes Massaker der palästinensischen Terrormiliz Hamas teilweise bestialisch ermordet. Und das Badische Staatstheater schwieg dazu. Es ist schon seltsam und bezeichnend: Seit Jahren ist das Theater instrumentalisiert für politische Botschaften aus dem ideologischen Milieu; führende Mitarbeiter des Theaters, bspw. die künstlerische Betriebsdirektorin Uta-Christine Deppermann und der geschäftsführende Direktor Johannes Graf-Hauber, dürfen die Webpräsenz des Badischen Staatstheaters für persönliche Darstellungen instrumentalisieren und ließen sich bspw. letztes Jahr während der Fußballweltmeisterschaft (nach dem Eklat durch Innenministerin Nancy Faeser in Katar, als diese den Arabern mal so richtig zeigen wollte, auf welchem Niveau der deutsche Regenbogen-Moralhammer hängt) auf Social Media Seiten des Staatstheater wie Faeser mit Armbinde ablichten. Daß Deutsche, die ihre vermeintliche Überlegenheit wie in den 1930/40ern ausgerechnet mit Armbinde (und dann noch im Ausland) präsentieren, einen peinlich geschichtsvergessenen Eindruck abgeben, sei mal hintenangestellt. Doch wieso gab es nun keine Israel-Flaggen oder andere Solidaritätskundgebungen beim Badischen Staatstheater zu entdecken? Wenn Mitarbeiter sogar Solidarität mit einer wenig beliebten SPD-Ministerin zeigten, wieso dann nicht erst recht jetzt mit Israel? <br />"<i>Wo sind die israelischen Flaggen?</i>", fragte Simon Strauß bereits am 10.10. in der <i>Frankfurter Allgemeinen Zeitung </i>(<a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/angriff-auf-israel-woher-kommt-die-solidaritaetsscheu-19233621.html" target="_blank">und zwar hier</a>). "<i>Unsere kulturellen Institutionen halten sich mit Zeichen der Solidarität bislang auffallend zurück. Es ist, als ob man Hemmungen hätte, sich die israelische Flagge ins Haus zu holen. .... Wo sind die Banner, die Plakate, die Transparente? All die symbolpolitischen Aushängeschilder, die unsere kulturellen Institutionen sonst sehr gerne sehr schnell in ihre Schaufenster hängen .... Man kann das sehr gerne sehr kritisch sehen .... </i>". <br />Die <i>WELT</i> attestierte <a href="Https://www.welt.de/kultur/article247900902/Reaktionen-auf-den-Terror-Der-Israelhass-in-der-Kulturszene-ist-ein-strukturelles-Problem.html?source=puerto-reco-2_ABC-V32.7.C_already_read" target="_blank">(und zwar hier) </a>der Kulturszene im Land: "<i>Der Israelhaß ist ein strukturelles Problem</i>" und spielt damit auch auf das Versagen der "Kulturbeauftragten der Bundesregierung" Claudia Roth bei der letzten Documenta an, die im Frühsommer des Jahres dafür die Quittung bekam: bei einem vom Zentralrat der Juden in Deutschland organisierten Ereignis wurde die Grüne Politikerin beim Grußwortdreschen lautstark ausgepfiffen und ausgebuht. Der Berliner <i>Tagesspiegel</i> fand damals die richtigen Worte für die fehlende Solidarität mit jüdischen Mitbürgern: "<i>Es wird Zeit, mit Claudia Roth und denen, die ihres Geistes sind, Tacheles zu reden</i>" <a href="https://www.tagesspiegel.de/meinung/kulturstaatsministerin-roth-und-die-juden-sie-mussen-jetzt-tachles-reden-9852668.html" target="_blank">(mehr dazu hier)</a>. Daß Islamverbände keine deutlichen Worte gegen die Ermordung israelischer Zivilisten fanden und sich scheuen, Mörder als solche zu benennen oder bundesweit ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen, daß Menschen mit arabischen Wurzeln auf die Straße gingen und die wahllosen Morde an Frauen und Kinder feiern und doch nur geballten Haß ausdrücken wollen, mag nur die überraschen, die ein naives Verhältnis zu diesen Kreisen pflegen. Auch diesmal blieb der bemerkbare Aufstand der Anständigen im arabischen bzw. islamischen Kreisen aus.<br />"<i><a href="https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus248079192/Judenhass-und-No-Go-Areas-Wir-haben-alles-sehenden-Auges-zugelassen.html?" target="_blank">In Berlin</a> werden die Haustüren von Häusern markiert, in denen jüdische Familien leben. Es gibt versuchte Brandanschläge auf Synagogen. Jüdische Schulen und Kindergärten werden mit Dutzenden Polizisten bewacht. Das Holocaust-Mahnmal muss mit einer Hundertschaft Polizei geschützt werden.</i>" - das Badische Staatstheater schwieg, als ob dies ein hinzunehmender Tribut für "Vielfalt", "Diversität" und andere Sonntagswunschfloskeln aus dem Milieu sei. Ein Menschenalter war es undenkbar, daß es in Deutschland innerhalb von zwei Wochen 1100 antisemitische Straftaten geben könnte - nun wird jüdisches Leben wieder massiv bedroht. Es gab keine Solidaritätsbekundung von Seiten des Theaters.<br />Erst zehn Tage nach den Massakern erfolgte eine Reaktion. Das Badische Staatstheater machte sich aber lediglich die Erklärung des Deutschen Bühnenvereins zu eigen (<a href="https://www.staatstheater.karlsruhe.de/aktuell/news_id/14/" rel="nofollow" target="_blank">hier)</a>. Doch niemand aus dem Intendanz-Team oder eines anderen Gremiums gab seinen Namen oder sein Foto dazu. Bei der Vermutung von Mikroaggressionen gegen das eigene Klientelmilieu wird vermeintlich Haltung gezeigt, beim Judenhaß und Makroaggressionen wird geschwiegen. Dieses Schweigen des Badischen Staatstheaters und seines Top-Managements ist eine moralische Bankrotterklärung. Wer sich gerne als Moralapostel*ette und Vorzeigehaltungsclown*inchen präsentiert oder glaubt, das Theater für private Meinungen instrumentalisieren zu können und dann im entscheidenden Moment schweigt, der muß sich fragen lassen, was Heuchelei, was Doppelmoral und was gelebte Israelfeindlichkeit ist, und die vergangenen zwei Wochen waren eine Bloßstellung für eine kleine Minderheit im Theater, die sich sonst doch so gerne in Szene setzt und wohlfeil ablichten läßt. Wenn einzelne Mitarbeiter der Intendanz und anderer Gremien am Theater israelfeindlich bzw. antisemitisch sind oder es nicht für opportun halten, sich zu solidarisieren - bedauerlich, doch jeder darf seine Meinung haben; Aber wenn sich das Staatstheater einerseits für persönliche politische Botschaften kapern läßt (die nichts auf den Seiten eines Theaters verloren haben), dann aber als Theater es nicht hinbekommt, Antisemitismus zu verurteilen, dann ist das schon erbärmlich und lächerlich. </p><p><span></span></p><a name='more'></a><p></p><p></p><p></p><div class="separator" style="clear: both;"><b>Spannende Premiere</b><br />Chor und Orchester wurden nach der gestrigen Premiere bejubelt, die Sänger überzeugten mit guten bis sehr guten Leistungen und die Inszenierung hat Stärken und Schwächen und wurde vom Publikum tendenziell neutral aufgenommen: es wurde weder gebuht noch gebravot.<br /><br /><b>Worum geht es?</b><br />Ort und Zeit: Die babylonische Gefangenschaft der Juden im 6. Jahrhundert v. Chr. Die Handlung basiert auf der biblischen Geschichte (u.a. Buch Daniel und im 2. Buch der Könige, insgesamt über 90 Erwähnungen der Titelfigur, die im 4. Buch Daniel einen Traum erzählt) sowie historischen Überlieferungen zu Nebukadnezar II. (italienisch: Nabucco), der über 40 Jahre als babylonischer König herrschte. </div><div class="separator" style="clear: both;"><div class="separator" style="clear: both;"><br />Handlung: <br />1. Akt: Nabucco, König von Babylon, hat Jerusalem erobert und das jüdische Volk unterworfen. Seine Tochter Abigaille liebt den hebräischen Prinzen Ismaele und bietet ihm an, sein Volk zu verschonen, wenn er ihre Liebe erwidert. Ismale liebt jedoch Nabuccos jüngere Tochter Fenena, mit der er zusammen aus Babylon nach Jerusalem geflüchtet ist, und lehnt Abigailles Angebot ab. Als der jüdische Hohepriesters Zacharias Fenena als Geisel gegen die Invasoren nehmen will, wird sie von Ismaele befreit und ihrem Vater übergeben. Nabucco läßt den Tempel zerstören und nimmt die Hebräer in Gefangenschaft.</div><div class="separator" style="clear: both;">2. Akt: Abigail erfährt in Babylon, daß sie als Tochter einer Sklavin geboren wurde. Sie will sich rächen, ihre Halbschwester und rechtmäßige Thronfolgerin Fenena töten und selber die Krone an sich reißen. Sie wird dabei vom Hohepriester des Baal unterstützt.<br />Zacharis weiß inzwischen, daß Ismaele die zum Judentum konvertierte Fenena schützen wollte und entlastet ihn vom Vorwurf des Verrats.</div><div class="separator" style="clear: both;">Nabucco kehrt zurück und verkündet, daß er sich selbst von nun an als Gott verehren läßt. Ein übernatürliches Ereignis (quasi ein göttliches Blitz-Eingreifen) straft Nabucco für seinen Hochmut: er verliert den Verstand und wird von Abigaille entmachtet.</div><div class="separator" style="clear: both;">3. Akt: Abigail will Fenena und die gefangenen Juden töten lassen. Nabucco gewinnt seinen Verstand zurück und will seine einzige Tochter schützen. <br />Die Hebräer singen ihren Gefangenenchor.</div><div class="separator" style="clear: both;">4. Akt: Nabucco will Fenena retten und betet zum jüdischen Gott. Königstreue Soldaten erscheinen und stellen sich ihm zur Verführung. Nabucco läßt das Götzenbild des Baal stürzen und befreit Fenena. Er beugt sich Jahwe und beendet die Gefangenschaft des israelisches Volkes. Die sterbende Abigail bittet Fenena um Vergebung.<br /><div class="separator" style="clear: both;"><div class="separator" style="clear: both;"><br /></div></div><b>Was ist zu beachten?</b><br /><i>Nabucco </i>lässt sich politisch, religiös und psychologisch interpretieren. Im Zentrum der Oper steht einerseits eine dreifach gedemütigte Frau: Abigailles Liebe wird nicht nur zurückgewiesen, der Geliebte bevorzugt ihre Schwester Fenena, die die Erbin ihres Vaters Nabucco sein wird, da Abigaille entdeckt, daß sie das als Tochter angenommene Kind einer Sklavin ist. Die unscheinbare Fenena bekommt, was die ehrgeizige Abigaille sich wünschte. Eine Isolierung und Herabsetzung, die Abigaille extrem beantwortet: sie entmachtet den Vater und will Fenena und die Hebräer töten lassen, um ihre Demütigung in einen Sieg zu verwandeln.<br />Und dann gibt es die religiöse Komponente: erst als Nabucco sich zu Jahwe bekennt, kann er die Macht Abigailles und der Götzendiener überwinden. Zuvor, als er sich selber zum Gott erhebt, wird er gestraft. Der eine Gott und der Glauben daran ist es, der am Ende den Sieg davonträgt. Die Utopie des gestürzten Götzenbilds ist ein Sinnbild für den Sieg von universaler Menschlichkeit.<br />Die letzte Karlsruher Inszenierung (1990/91) von <b>Giancarlo del Monaco</b> versuchte sich an einer politischen Aktualisierung: Nabucco trat als Saddam Hussein auf. Am 2. August 1990 hatte Irak ihren Nachbarn Kuwait überfallen. Doch in der Neuzeit gab es weder göttliche Fügungen noch Reue und vor allem keine Abigaille, die als Bösewicht agierte. Die Regie blieb an der Oberfläche.<br /></div></div><p><b>Historisches <br /></b>Giuseppe Verdis (*1813 †1901) dritte Oper war auch 1842 sein erster großer Publikumserfolg und Beginn dessen, was er als Galeerenjahre beschrieb: die nächsten Jahre komponierte er ununterbrochen neue Bühnenwerke, bis 1853 waren es 16 weitere Opern. Danach folgten in den folgenden 40 Jahren noch acht weitere neue Opern sowie verschiedene Umarbeitungen.<br />Ursprünglich sollte Otto Nicolai das Libretto zu <i>Nabucco</i> vertonen, doch er lehnte ab und so wurde der junge Verdi zum Opern-Star. Insbesondere das patriotische Italien verleibte sich das berühmte Chorstück <i>Va, pensiero </i>ein, ähnlich wie ein Jahrzehnt zuvor Bellinis Druidenchor <i>Guerra! Guerra</i>! aus <i>Norma</i>. Verdis Referenz für <i>Nabucco</i> war eine andere biblische Oper: Rossinis <i>Moses und Pharao</i>.<br /><i>Ernani</i> (UA 1844) scheint die erste Oper Verdis gewesen zu, die in Karlsruhe aufgeführt wurde, zwischen 1849 und 1853 stand sie mindestens elfmal auf dem Programm. <i>Der Troubadour</i> folgte 1857/58 und wurde zum großen Erfolg, der über viele Jahre immer wieder gespielt wurde (über 150 dokumentierte Vorstellungen in den kommenden Jahrzehnten), ebenso <i>Aida </i>(über 100 mal), <i>La</i> <i>Traviata</i> (teilweise gespielt als "Violetta") und <i>Rigoletto</i> je ca. 70, <i>Maskenball</i> und Otello mehr als 30, <i>Falstaff</i> 20 mal. Andere Opern Verdis wurden sehr selten oder gar nicht ins Programm genommen. Der erste <i>Nabucco </i>scheint erst 1929 als Gastspiel des Nationaltheaters Mannheim in Karlsruhe aufgeführt worden zu sein.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhPxfhMX01aIzUkv_JXgreKNldVIMn1JnCPXY6ZlBCCk-fIUs2WzOiZGaeDhDC8IlrcvNbzRPmXxMhMfKyUdtIUmNV6Inx8XLbre0h7b8SHJDSPm4j52o037YXqGpy62jxswRyNc0ycTBs5E3ZzDBH3nyLgO-3dbtlcrm_ESnd_YOApIgOq85u3RC2c/s966/Nabucco1929.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="688" data-original-width="966" height="285" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhPxfhMX01aIzUkv_JXgreKNldVIMn1JnCPXY6ZlBCCk-fIUs2WzOiZGaeDhDC8IlrcvNbzRPmXxMhMfKyUdtIUmNV6Inx8XLbre0h7b8SHJDSPm4j52o037YXqGpy62jxswRyNc0ycTBs5E3ZzDBH3nyLgO-3dbtlcrm_ESnd_YOApIgOq85u3RC2c/w400-h285/Nabucco1929.jpg" width="400" /></a></div><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>Was ist zu sehen?</b></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div class="separator" style="clear: both;"><i>Nabucco</i> ist irgendwie immer aktuell, Araber und Israelis leben quasi seit Jahrtausenden im Konflikt, daß es zwei Wochen vor der Premiere zu Massakern kam ist ein Zufall, der keine direkte Auswirkung mehr auf die Inszenierung hatte, aber dennoch die Aktualität der Oper betont. Auch der neue Karlsruher <i>Nabucco</i> ist weder psychologisch, noch religiös, sondern politisch gedacht, und erneut passen Handlung und Szene nicht immer gut zusammen. Regisseur und Ausstatter <b>Thaddeus Strassberger </b>betreibt viel Aufwand zwischen Phantasie, Exotik und Moderne, der leider ein wenig uneindeutig und unpräzise ausgefallen ist. Die Bühnenbilder betonen den orientalischen Handlungsort, man sieht Pracht und Ornamentik, Schwerter und Sturmgewehre. Die Inszenierung scheint sich lange nicht festlegen zu wollen, was sie zeigen will: Zu Beginn Sirenenlaute und Lichteffekte, wie vor einem Raketenangriff anstelle der Ouvertüre, die vor dem zweiten Akt musiziert wird. Dann aber werden im ersten und zweiten Akt die Machtmomente Nabuccos und Abigaille durch eine Art geflügelte Dämonen aus dem Fantasy-Genre begleitet, die unheimlich wirken sollen, aber zwischen Kitsch und Komik keine Wirkung erzielen. Es gibt weitere wenig sinnvoll wirkende Verzögerungen, bspw. arabische Fernseheinspielungen, anscheinend während einer Umbauphase gönnt man sich ein wenig Komik: eine minutenlange, ungewöhnlich geschwätzig wirkende Wettervorhersage in Arabisch. Fürs Publikum hingegen sind das retardierende Momente ohne Mehrwert. Erst aus dem Schlußbild ergibt sich die Handlungszeit: man befindet sich kurz vor dem 2010 einsetzenden arabischen Frühling, von dem man hoffte, daß er dem Nahen Osten demokratische Zivilgesellschaften bringen würde. Stattdessen folgten Bürgerkriege, Putsche und fundamentalislamische Rückentwicklungen. Nabucco wird im 4. Akt nur befreit, um den neuen Machthabern als Marionette kurzfristig den Anschein von Legitimität zu geben; er wird an einem Kran brutal aufgehängt. Nicht das Standbild des Baal wird gestürzt, sondern das Familienregime Nabuccos. Am meisten muß die Regie das Schicksal Abigailles verbiegen: Die Diktatorentochter verfällt in seltsame Lethargie und wird so getötet, wie es die Scharia für unanständige Frauen vorsieht: sie wird gesteinigt. Dieser Nabucco endet also ungewöhnlich düster und brutal. <b>Rico Gerstner </b>schafft schöne Beleuchtungseffekte, das vierte Bild ist hingegen kalt und ohne Atmosphäre: die Hinrichtungsstätte wird wie von einem Scheinwerfer erhellt.</div><div class="separator" style="clear: both;">Die Kostüme von <b>Giuseppe Palella </b>spannen den Bogen von historisch-traditionellen Elementen bis zum Heute. Zwischen bunten Beduinenmantel und arabischer Folklore und Patronengurt, der Oberpriester des Baal ähnelt einem iranischen Ajatollah, der Hohepriester einem orthodoxen Juden. Der Baal-Kult wird nicht offen als Islam gezeigt, die geflügelten Dämonen erinnern an das geflügelte Symbol des Kults. Strassberger hat Scherben (auch als Symbol der Reichskristallnacht 1938) als die Inszenierung durchziehendes Motiv für den zerbrochenen Frieden gewählt, die insbesondere im Gefangenenchor Wirkung erzielen. </div><div class="separator" style="clear: both;"><div class="separator" style="clear: both;"><br /></div></div><div class="separator" style="clear: both;"><b>Was ist zu hören?</b></div><div class="separator" style="clear: both;"><b>Ulrich Wagner</b> hat den <b>Staatsopernchor</b> <b>und Extrachor </b>nicht nur für die schlichte Grandiosität des Gefangenchors optimal vorbereitet, sondern auch als Träger des dramatischen Geschehens. Der Chor ist ein Hauptdarsteller dieser Oper und ungewöhnlich oft auf der Bühne. Für die größte Rolle gebührt den Sängern ein herzliches BRAVO! für ihren mitreißenden Einsatz!</div><div class="separator" style="clear: both;"><div class="separator" style="clear: both;"><div class="separator" style="clear: both;">Dirigentin <b>Yura Yang</b> hat zum ersten Mal eine Oper von Verdi einstudiert. Sie hat den richtigen Schlüssel zu <i>Nabucco</i> gefunden, der Orchestergraben treibt das Geschehen unter Hochspannung voran, die Badische Staatskapelle musiziert leidenschaftlich erregte Steigerung, mitreißend und vorwärtstreibend. BRAVO!</div></div><div class="separator" style="clear: both;">Zwei Gäste singen babylonische Rollen. <b>Lucian Petrean</b> hat bereits als Amonasro in <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2022/06/verdi-aida-30062022.html" target="_blank"><i>Aida </i></a>seinen grandiosen Verdi-Bariton unter Beweis gestellt und erweist sich auch als stimmschöner Nabucco, der allerdings darunter zu leiden hat, daß die Regie keine Prägnanz bzw. Attribute für ihn findet - die Figur bleibt seltsam blaß. Auch für Abigaille hat man einen Gast engagiert: die australische Sopranistin<b> Rebecca Nash</b> singt in Karlsruhe ihr Rollendebüt im ersten Akt noch etwas zu stark auf Ausdruck konzentriert und spitz im Timbre. Sie liefert dann aber starke Szenen im 2. und 3. Akt, wo sie ihre Rolle unbeugsam und dominant zeigt. In der Tradition des Belcanto verhaftet gibt ihr Gesang dieser Figur Statur und stets auch eine gewisse Klasse - Nash schafft es, ihrer Figur diese Tiefe zu ersingen.<br /><b>Konstantin Gorny</b> zeigt sich wie erwartet als optimale Besetzung des Hohepriesters Zaccaria und dominiert mit ausdrucksstarken Auftritten. Auch in seinem dritten Jahrzehnt in Karlsruhe vermag er noch Paraderollen zu finden - Bravo!</div></div><div class="separator" style="clear: both;">Verdi - der <i>Altmeister der dramatischen Musik des Südens</i>, wie ihn Thomas Mann im <i>Zauberberg</i> nannte - treibt das Drama voran und spitzt die Situationen zu, es gibt bspw. kein Liebesduett zwischen Fenena und Ismaele. Der Tenor liebt hier den Mezzosopran, <b>Dorothea Spilger</b> als Fenena und <b>Nutthaporn Thammathi </b> als Ismaele sind nur Nebenrollen, doch man hätte sie gerne noch länger gehört. In den kleineren Rollen wissen <b>Liangliang Zhao</b> als auffällig klangschöner Oberpriester des Baal und <b>Klaus Schneider</b> als Abdallo zu gefallen </div><div class="separator" style="clear: both;"><b><br />Fazit: Bemerkenswert gut musiziert und gesungen! Die Regie ist zwar nicht der große Wurf, aber auch kein Hindernis.<br /><br />PS: </b><b>Liebe Kulturpolitiker im Aufsichtsrat</b>, <b>Antisemitismus muß man konsequent entgegentreten! </b>Das Badische Staatstheater braucht ein neues Führungstrio, der neue künstlerische Intendant reicht nicht aus, um das Theater und seine Außendarstellung aus der Peinlichkeit zurück zur Seriosität zu verhelfen. Insbesondere sollte sich das Theater zukünftig wieder Zurückhaltung auferlegen, politische Botschaften als vom Ministerium oder Stadtrat gewollte Aussagen kennzeichnen und wer persönlich für seine Überzeugungen einstehen will, der soll das gefälligst privat machen und nicht das Theater als Plattform mißbrauchen. Denn spätestens jetzt ist manches Führungspersonal nur noch eine Belastung für den Neuanfang.</div><div class="separator" style="clear: both;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both;"><b>Besetzung und Team:</b><div class="separator" style="clear: both;">Nabucco: Lucian Petrean a.G.</div><div class="separator" style="clear: both;">lsmaele: Nutthaporn Thammathi </div><div class="separator" style="clear: both;">Zaccaria: Konstantin Gorny </div><div class="separator" style="clear: both;">Abigaille: Rebecca Nash a. G.</div><div class="separator" style="clear: both;">Fenena: Dorothea Spilger</div><div class="separator" style="clear: both;">Oberpriester des Baal: Liangliang Zhao</div><div class="separator" style="clear: both;">Abdallo: Klaus Schneider</div><div class="separator" style="clear: both;">Anna: Aleksandra Domaschuk a. G. </div><div class="separator" style="clear: both;">Badischer Staatsopernchor und Extrachor<br /> </div><div class="separator" style="clear: both;">Musikalische Leitung: Yura Yang<br />Chor: Ulrich Wagner</div><div class="separator" style="clear: both;">Regie & Bühne: Thaddeus Strassberger</div><div class="separator" style="clear: both;">Kostüme: Giuseppe Palella<br />Stunt-Choreograph: Ran Arthur Braun</div><div class="separator" style="clear: both;">Licht: Rico Gerstner</div></div></div>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com8tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-3256180577574048422023-10-01T01:54:00.041+02:002023-10-07T01:24:50.533+02:00Shakespeare: Romeo und Julia, 30.09.2023<p><b>Die Abgedroschenheit des Selbstimitats</b><br />Anna Bergmanns Tage als Schauspieldirektor in Karlsruhe sind bekanntlich gezählt, nach dieser Spielzeit ist Schluß. Betrachtet man die abstürzenden Besucherzahlen in ihrer Sparte <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/07/zuschauerzahlen-202223.html" target="_blank">(mehr hier)</a>, kann man ihre Direktion als gescheitert betrachten, und nach der gestrigen Premiere scheint es, als ob ihr Abgang zu spät erfolgt. Ein Regisseur sollte wissen, wann der Vorhang zu fallen hat, denn sonst bekommt laut Oscar Wilde jede Komödie einen tragischen Schluß und jede Tragödie endet als Farce. Die gestrige Premiere von <i>Romeo und Julia</i> wirkte teilweise wie eine Farce. Bergmann kopiert sich selbst, sie kombiniert Ideen früherer Inszenierungen zu einem Flickenteppich aus Versatzstücken. Shakespeare, Romeo und Julia müssen nun einiges am Badischen Staatstheater aushalten. "<i>Anna Bergmann inszeniert die ... Liebesgeschichte ... in einer Musical-Version ... von hinten nach vorne. Die Inszenierung beginnt mit dem fünften Akt und endet mit dem ersten.</i>" Und da Shakespeares Text nicht zu dem paßt, was Bergmann inszenieren will, hat man noch belanglos flache Texte hinzuerfunden. Das Ergebnis wirkt auf gequirlte Weise abgedroschen. <span></span></p><a name='more'></a><p></p><div></div><div><p><b>Worum geht es?<br /></b>Romeo und Julia erzählt die Geschichte zweier junger Liebender, die aus verfeindeten Familien in Verona stammen, den Montagues (Romeo) und den Capulets (Julia). <br />1. Akt: Nicht nur die Familien sind verfeindet, auch deren Freunde und Angestellten teilen die Feindseligkeiten. Als ein Streit eskaliert, warnt der regierende Fürst von Verona beide Familienoberhäupter eindringlich: Er wird durch drakonische Strafen den Stadtfrieden bewahren, sollte es erneut zu Gewalt kommen. Graf Paris, Verwandter des Fürsten, spricht bei Capulet vor und bitte um die Hand von dessen vierzehnjähriger Tochter Julia. Capulet erlaubt ihm, um Julia zu werben. Abends, auf einem Fest der Capulets, sollen beide einander kennenlernen. Doch Romeo hat sich dort eingeschlichen und trifft Julia; Beide verlieben sich augenblicklich.<br />2. Akt: Romeo schleicht sich nachts in der Garten der Capulets. Als Julia am Fenster erscheint, können beide ihr Liebesduett sprechen. Sie entschließen, zu heiraten. Romeo weiht den Geistlichen Lorenzo ein. Er will das Paar unterstützen, um Frieden zwischen den Familien zu stiften. Julias Amme übermittelt die heimlichen Botschaften des Paares. Lorenzo traut das Liebespaar.<br />3.Akt: Zwei Hitzköpfe geraten aneinander; Tybalt, Cousin Julias, tötet Romeos Freund Mercutio, Romeo tötet Tybalt. Der Fürst greift durch: er verbannt Romeo aus Verona und verhängt die Todesstrafe bei Verstoß und Rückkehr. Romeo versteckt sich bei Lorenzo, die Amme bringt Julias Botschaft. Romeo schleicht sich nachts zu seiner Frau und verlässt sie beim Ruf der Lerche. Inzwischen hat Capulet den Entschluß gefasst, Julia an Paris zu verheiraten.<br />4. Akt: Um einer arrangierten Ehe mit Paris zu entgehen, akzeptiert Julia einen gefährlichen Plan Lorenzos, bei dem sie einen Trank trinkt, der sie scheinbar in den Tod versetzt. <br />5.Akt: Romeo kannte den Plan nicht, erfährt von Julias Tod und kehrt nach Verona zurück. Dort trifft er auf Paris, tötet ihn und betritt die Gruft, wo er die (schein)tote Julia sieht. Er nimmt Gift, um mit ihr zu sterben. Als Julia erwacht und Romeo tot findet, ersticht sie sich selbst mit seinem Dolch. <br /><br /><b>Historisches<br /></b>Schlegels Übersetzung gab es anscheinend 1822 zum ersten Mal am Großherzoglichen Hoftheater. "<i>Wegen Länge des Stücks</i>": die Aufführung ist 1822 mit 3,5 Stunden und 20 Schauspielern angesetzt - man trieb viel Aufwand, um Shakepseare zu genügen. (Quelle: <a href="https://digital.blb-karlsruhe.de/blbtheater/periodical/pageview/2971246" rel="nofollow" target="_blank">hier bei der BLB</a>). </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjr8ZBfGH7U9Y7l9jMyVBrVO5Xh09pc5RmdeE6fvE3XOeOK2u7Y67s9Y_BmcQZeQdNozigkp0SI5uU3YSne91mb14EhRKDPWG3AV3kJdxIjefPjavfc7g_9wvteZNzdYD0aeE4w4VQGiUXAvkdFdWba-2VMaxAAwnL15RJIXEefsNN850faCmjHozrhA7g/s877/Romeo1822.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="877" data-original-width="481" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjr8ZBfGH7U9Y7l9jMyVBrVO5Xh09pc5RmdeE6fvE3XOeOK2u7Y67s9Y_BmcQZeQdNozigkp0SI5uU3YSne91mb14EhRKDPWG3AV3kJdxIjefPjavfc7g_9wvteZNzdYD0aeE4w4VQGiUXAvkdFdWba-2VMaxAAwnL15RJIXEefsNN850faCmjHozrhA7g/w352-h640/Romeo1822.jpg" width="352" /></a></div><br /><p><b>Was ist zu sehen?<br /></b>Shakespeares <i>Romeo und Julia</i> ist eine Tragödie, deren beide zentralen Konflikte in der Moderne kaum noch existieren, da sie auf Wertvorstellungen beruhen, die man heute nur noch in düsteren Zivilisationen findet. Unerbittliche Stammes- oder Familenfehden scheinen ein Relikt, das es nur noch im kriminellen Clan-Umfeld gibt, und ein Liebespaar ist nicht mehr auf die Familie angewiesen, sondern kann einfach alles hinter sich zurücklassen und gehen. Die Möglichkeiten, <i>Romeo und Julia </i>aktualisiert auf die Bühne zu bringen, sind also begrenzt, und auch die Neuproduktion des Karlsruher Schauspiels verzichtet auf eine Umstellung der Handlung, bspw. in ein kriminelles oder religiöses Milieu. Für Bergmann stellte sich also die Frage, wie man die Tragödie umgehen kann. Bergmann kombiniert aus ihrem inzwischen hinlänglich bekannten Fundus und wiederholt sich selbst, indem sie auf Plakativität und Überzeichnung setzt. Sie greift einerseits auf einen Trick zurück, den sie bereits bei Tschechows <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2015/03/tschechow-drei-schwestern-20032015.html" target="_blank"><i>Drei Schwestern</i> </a>anwendete: Die Geschichte wird rückwärts erzählt und jeder Akt in einer anderen Epoche angesiedelt. Man beginnt mit dem 5. Akt in der Renaissance, der 4. Akt spielt im Rokoko, für den dritten und vierten springt man ins 20. Jahrhundert und man endet mit dem 1. Akt in einer dystopischen Zukunft. Was damals bei Tschechow einigen Schauwert hatte und originell wirkte, verliert hier stark an Reiz. Die Zeitensprünge wirken beliebig, zu oft setzt man auf Klamauk statt auf Ironie. Doch das große Thema dieser Inszenierung ist wie bereits angesprochen die Wiederholung bisheriger Regieeinfälle zu Szenen, die überreizt und zu grell wirken. Bergmann kopiert nicht nur sich selbst, im 3. Akt wird der Tod Mercutions und Tybalts zu einem Quentin Tarantino Verschnitt. Tybalt wirkt wie eine irre Mörderin aus <i>Kill Bill</i>. Mercutio muß einen minutenlangen Klamauktod sterben, der an eine Folge der Amazon-Serie <i>The Marvellous Mrs. Maisel</i> erinnert, in der eine Komikerin unbedingt eine ernste Theaterrolle am Broadway spielen will und die Premiere dadurch an die Wand fährt, weil sie plötzlich ihre Rolle als Komikerin spielt. Als gewollte Verfremdung quält sich die Mercutio-Szene durch den Bodensatz erzwungen wirkenden deutschen Humors.<br />Der Liebesgeschichte fehlt nicht nur der Zauber, manche Szenen wirken wie eine Fortführung von Bergmans Inszenierung <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2019/10/bergman-passion-sehnsucht-der-frauen.html#more" target="_blank">Passion - Sehnsucht der Frauen</a> in kitschig. Bei Shakespeare ist Romeo tot, als Julia aus dem Scheintod erwacht, Bergmann erfindet für beide eine Szene. Das Liebespaar (zwei Rollen für junge Schauspieler) altert, die sehr reif wirkende Julia ist zwei bis drei Jahrzehnte älter als bei Shakespeare und hat einen Migrationshintergrund: sie spricht mit Akzent und kämpft mit der Betonung. So mutig und bewundernswert es ist, daß Frida Österberg Julia spielt, so unverständlich und gezwungen wirkt auch teilweise ihr deutsch. Sie ist besetzt, um zu singen, aber eine Hauptrolle in einem Shakespeare-Stück sollte man nicht bekommen, weil man singen kann. Österberg wirkt wie eine Fehlbesetzung, <br />Andrej Agranovski spielt Romeo so, daß man ihm die Rolle in einer ordentlichen Inszenierung wünschen würde. Mercutio ist mit Leonard Dick richtig besetzt, darf aber die Rolle nicht ordentlich interpretieren. Mit der vierten wichtigen Rolle -der Amme- kann die Regie nicht viel anfangen, die Figur bleibt blaß. Bergmann unterfordert ihre Schauspieler, weil sie sich weder der Liebesgeschichte noch der Tragödie stellen will. </p><p><b>Fazit: Wer Anna Bergmanns Regiestil nicht kennt, der mag vielleicht reizvolle Momente finden. Bei allen anderen besteht die Gefahr, daß diese Inszenierung hilflos oder abgedroschen und desinteressiert wirkt. </b><br /><br /><b>Besetzung und Team<br /></b>Graf Montague: Timo Tank<br />Romeo, Montagues Sohn: Andrej Agranovski<br />Gräfin Capulet: Antonia Mohr<br />Julia, Tochter der Gräfin Capulet: Frida Österberg<br />Tybalt, Nichte der Gräfin Capulet: Anne Müller<br />Zofe: Claudia Hübschmann<br />Mercutio, Verwandter des Prinzen und Romeos Freund: Leonard Dick<br />Benvolio, Montagues Neffe und Romeos Freund: Jannik Görger<br />Pater Lorenzo: Sascha Goepel<br />Fürstin: Corinna Harfouch (im Video)<br />Graf Paris: Jannek Petri<br /><br />Regie: Anna Bergmann<br />Bühne: Jo Schramm<br />Kostüme: Lane Schäfer<br />Musik: Clemens Rynkowski<br />Sounddesign: Heiko Schnurpel<br />Video: Sophie Lux<br />Choreographie: Emiel Vandenberghe<br />Kampfchoreographie: Annette Bauer </p></div>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-51540917571061986712023-09-26T01:05:00.472+02:002023-10-07T00:30:45.799+02:001. Symphoniekonzert, 25.09.2023<p>Die neue Saison der Symphoniekonzerte startet mit einer sinnvollen Neuerung: die Konzerte beginnen nun nicht mehr um 20 Uhr, sondern um 19.30. Zuletzt begann gegen 22 Uhr oft bereits mitten im Konzert eine geringe, aber merkliche Abwanderung, da manche, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus dem Umland kommen, ansonsten aufgrund veränderter Fahrpläne bis zu einer Stunde länger warten müssen, wenn das Konzert kurz nach 22 Uhr endet. Auch sonst scheint es sinnvoll, die im Vergleich mit anderen Theatern späte Standard-Anfangszeit von 20 Uhr zukünftig einheitlich auf 19.30 oder sogar 19 Uhr zu verfrühen.<br />Reger, Schumann und Mozart und eine namhafte Solistin: GMD Georg Fritzsch eröffnete die Spielzeit mit einer klassischen, aber etwas drögen Programmauswahl mit Ouvertüre, Solistenkonzert und Symphonie<span></span></p><a name='more'></a><b>Max Reger</b> steht gerade anläßlich seines 150. Geburtstags und des in Karlsruhe ansässigen Max-Reger-Instituts zum wiederholten Male auf dem Programm und manche werden meinen, daß es nun mal wieder reiche. Doch es gibt noch das 1. Sonderkonzert am 08.10.23 als offizielles Jubiläumskonzert in der Schwarzwaldhalle, das als "großdimensionierte Werkschau" angekündigt ist. Ob man die Zugkraft Regers nicht doch ein wenig überschätzt? Ob Reger die große Schwarzwaldhalle füllen kann, darf man bezweifeln. Gestern erklang Reger, wie man es erwartet: die engagiert musizierte <b>Lustspiel-Ouvertüre</b> op. 120 verklang ohne bleibenden Eindruck.<p></p><p>Das späte, 1853 komponierte <b>Violinkonzert</b> d-Moll, op. 129 von <b>Robert Schumann</b> (*1810 †1856) ist nicht gerade populär. Es gehört zu den letzten Werken, die Schumann vor seinem Zusammenbruch und seinem Tod im Jahr 1856 geschrieben hat und wurde von Ehefrau Clara zurückgehalten. Nach einer Probe in Leipzig kamen der für die Uraufführung gewählte Violinist Joseph Joachim und Clara Schumann zum Entschluß, das Konzert nicht aufzuführen. Erst 1937 erfolgte eine Umarbeitung (das überwiegend in den tiefen Lagen erklingende Konzert wurde dabei angeblich von Paul Hindemith oft höher transponiert) als Uraufführung durch den Geiger Georg Kulenkampff und das Philharmonische Orchester Berlin (eine Aufnahme findet man <a href="https://www.youtube.com/watch?v=98IFkHG-KuY" rel="nofollow" target="_blank">bspw. hier auf youtube</a>). Das Konzert verdankt seine Wiederentdeckung einer unseligen Zeit, in der man das ungleich beliebtere Konzert des verfemten Mendelssohn nicht mehr spielen durfte. <br />Man rechtfertigt Schumanns letztes vollendetes Orchesterwerk oft, indem man es zum Schwanengesang stilisiert. Doch es fehlt dem Violinkonzert die konsistente Dichte und Stimmung, es ist weder dramatisch noch lyrisch, weder freudvoll noch seelenvoll oder qualvoll. Es wirkt schlicht und einfach wie ein Beispiel nachlassender Schaffenskraft. <b>Baiba Skride</b> ist eine durch CD-Aufnahmen bekannte Violinistin, die auch schon dieses Konzert eingespielt hat, und sich als richtige Wahl erwies, um es mit Leben zu füllen. Bei ihr erklang das Konzert mit schönem, behutsam tastenden Klang und fragiler Achtsamkeit. Im ersten Satz <i>In kräftigem, nicht zu schnellem Tempo (nicht zu schnell) </i>gelangen die Variationen und Wechsel zwischen Solistin und Orchester. Der langsame Satz klang bei Skride ganz introspektiv, melancholisch im Schatten singend in sehr behutsamer Resonanz. Schumann führt das im Schlußsatz <i>Lebhaft, doch nicht zu schnell </i>nicht überzeugend fort und kann die aufgebaute innere Stimmung nicht aufnehmen. Als eine stattliche Polonaise bezeichnete Joachim den darüber erfreuten Schumann gegenüber den würdevoll gemessen klingenden Schluß, und so klang es auch. Eine engagierte Interpretation der lettischen Violinistin, die man hoffentlich erneut und dann mit einem publikumswirksameren Konzert einladen sollte.</p><p>Nach der Pause dann <b>Mozart</b> mit der <b>Symphonie Nr. 41</b> C-Dur KV 551. GMD Fritzsch überzeugte insbesondere mit den vorbildlich transparent musizierten Ecksätzen. Zu Beginn gelang dem Dirigenten das Miteinander des Vorwärtsdrängenden und des Sinnierenden, des Dramatischen und es Heiteren als hörbares <i>Allegro vivace</i>. <i>Molto allegro</i> ging es dann im Schlußsatz zu, überbordend, gut gelaunt, kristallklar musiziert. Die beiden Binnensätze waren verschwommener. Die Bezeichnung des großdimensionierten zweiten Satzes wurde weniger sinnfällig interpretiert: die Badische Staatskapelle musizierte ein <i>Andante cantabile</i> als etwas zu amorphem Gesangsstrom. Das kurze <i>Menuett</i> klang als höfischer Tanz dann ungewöhnlich schwerfällig und ohne ausreichende Vorwärtsbewegung. Dennoch zeigte sich beim Applaus wieder einmal, wie publikumswirksam Mozart ist. Eine Konzertsaison ohne Symphonien und Konzerte von Mozart ist möglich, aber mangelhaft. Im 8. Symphoniekonzert folgt Mozarts Klavierkonzert d-Moll KV 466! <br /><br />Die Badische Staatskapelle musizierte in sehr guter Form und insbesondere die beiden Flötistinnen Tamar Romach und Carina Mißlinger verdienten sich gestern ein Extra-Bravo.</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com7tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-11383765688931393722023-09-12T00:05:00.010+02:002023-09-12T16:38:56.658+02:00Vorschau auf die Spielzeit 2023/24 (2)<p><b>Franco Fagioli </b>in <i>Polifemo</i>, <b>Michael Spyres</b> als Lohengrin und <b>Karine Deshayes</b> als Norma! Spannend, was die Oper in <b>Straßburg</b> für die bevorstehende Saison ankündigt. <b>Dem Badischen Staatstheater fehlt es dagegen weiterhin an Glanz und Charisma. </b>Die Freude am Theaterbesuch ist nicht nur dem Verfasser dieser Zeilen über ein Jahrzehnt merklich ausgetrieben worden. Manch einer bleibt lieber weg und ob diese Wegbleibenden 2024 einfach wieder ins Theater zurückkommen, steht auf einem anderen Blatt. Doch einiges kann nun endlich in absehbarer Zeit zum Orkus hinab gespült und hoffentlich vergessen werden. Manche werden <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/05/vorschau-auf-die-spielzeit-20232024.html" target="_blank">2023/24</a><a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/05/vorschau-auf-die-spielzeit-20232024.html" target="_blank"> (mehr auch hier)</a> lieber abwarten, was der kommende Intendant ab 2024/25 anbietet und den Eindruck haben, daß es sich nicht mehr lohnt, die Aporien von Schauspiel- und Operndirektorin zu ertragen. Über ein Jahrzehnt war es intendantengewollte Mode bei den Karlsruher Theaterverantwortlichen_innen, ein verklemmtes Verhältnis zur Erotik zu pflegen. Zu oft wurden Theater und Bühne zum Zwecke der Selbstbefriedigung instrumentalisiert, statt das Publikum zu beglücken. Eine unfreiwillige Komik liegt in Verhalten und Selbstdarstellung eines Theater mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung und einem onanistischen Sendungsbewußtseins, bei der man als Zuschauer nicht über Komödien auf der Bühne lachen durfte, sondern über das künstliche "Empowerment" des Führungspersonal, das sich ungewollt selber dekonstruierte. Als Höhepunkte in der langen Reihe unfreiwilliger Komik darf einerseits der Moment gelten, als der Intendant, der <i>Die Würde des Menschen ist unantastbar</i> kanzelhaft an die Brüstung pinseln ließ, wegen würdelosen Verhaltens gegenüber den Angestellten aus dem Theater geworfen wurde. Und daß die 100% Regie-Frauenquote im Schauspiel so in die Hose ging und lediglich zeigte, daß weibliche Regisseure genauso langweiliges ideologisches Theater machen können wie zuvor die ausgesuchten Männer, wird noch lange als Quelle von Komik dienen können. Doch abgesehen von den Konflikten und Ärgernissen, von Hybris und Heuchelei, wird 2011-2024 als eine Zeit in Erinnerung bleiben, die in Schauspiel und Oper nur sehr wenig erinnerungswürdige Produktionen und Publikumsdauerbrenner auf die Bühne und stattdessen Personen ins Amt brachte, denen es vorrangig darum zu gehen schien, sich selber und ihre Allüren in den Mittelpunkt ihres Klienteltheaters zu stellen, statt Theater für das Publikum zu machen. </p><p><span></span></p><a name='more'></a>Was passiert in der kommenden Spielzeit? Abgesehen vom freudig erwarteten Abgang der hoffentlich allerletzten Generation freudlos verklemmter Theatermacher_innen, stellt sich die Frage, ob man dem Publikum zum Abschied entspannt die Hand aus- oder ihm doch noch mal den Mittelfinger entgegen streckt. Insbesondere der Schauspieldrops ist seit Jahren gelutscht. Es bleiben Erinnerungen an schalen Geschmack. Es gibt kaum gute Gründe, dem letzten Jahr von <b>Anna Bergmann</b> im Schauspiel Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hat sich in eine enge Sackgasse manövriert und zu oft ein beengtes Theater gezeigt, dessen schlichten Weltbildern der doppelte Boden fehlte. Zu viel pampiges Erbsenpüree für Freunde zahnloser Schlichtheit und zu wenig Raffinesse und Vielfalt. Letzte Spielzeit wurde es zumindest entspannter, es gab deutlich mehr Abwechslung - doch zu spät. Der Abgang Bergmanns ist überfällig.<br /><br /><div>Verdi, Strauss, Mozart, Wagner - im Prinzip macht das Badische Staatstheater alles richtig, ob es zündet, bleibt abzuwarten. <b>Nicole Braunger </b>fehlte erst die Unterstützung, dann die Zeit, um ihren Job angemessen auszuüben, eine gewisse ausweglose Tragik läßt sich nicht verleugnen. Auch die Oper braucht dringend einen Neustart. Wer weiß, vielleicht überrascht Braunger noch mit spannenden Besetzungen, denn wer in Karlsruhe manche Hauptrollen singen wird, ist kurz vor Saisonbeginn oft noch unbekannt.</div><p></p><p>Im Ballett hatte <b>Bridget Breiner</b> und ihre Kompagnie durch drei Jahre Pandemie zu wenig Gelegenheit, sich zu präsentieren. Als letztes Handlungsballett choreographiert die Ballettdirektorin einen <i>Nußknacker</i>, der mit der noch klaren Erinnerung an die beliebten Vorgängerproduktion konkurriert. <i>Saiten/Sprünge</i> zu Kammermusik für Streichinstrumente ist dann die letzte Produktion. Insbesondere mit <i>Jazz</i>, <i>Maria Stuart</i> und <i>Per aspera ad astra</i> gibt es sehenswerte Wiederaufnahmen. Bridget Breiner übernimmt ab 2024/25 den Part als Chefchoreografin des Düsseldorfer Balletts. <br /><br />Immerhin: das Konzertpublikum wurde nicht vertrieben, es kommt <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/07/zuschauerzahlen-202223.html" target="_blank">unbeeindruckt äußerer Umstände</a> treu weiter und man muß keine Ausreden bemühen, um fehlende Zuschauer zu erklären. <b> Georg Fritzsch</b> bleibt bis 2027 GMD der Badischen Staatskapelle, weitere CD-Einspielungen sind angekündigt, mal schauen, was Fritzsch in den kommenden vier Spielzeiten vorhat und wie es ankommt. Die kommende Konzertsaison hat erneut viele spannende Momente. Etwas mehr zeitgenössische Klassik könnte es zukünftig aber schon sein, denn es gibt einiges Attraktives, was man in Karlsruhe bisher nicht zu hören bekam.</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-68710400371445947442023-07-21T16:06:00.037+02:002023-09-11T16:22:43.543+02:00Zuschauerzahlen 2022/23: Der große Publikumsschwund<p>Man kann Zuschauerzahlen des Badischen Staatstheater ja nur begrenzt trauen, bei ca. <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2023/07/ruge-des-rechnungshofes.html" target="_blank">20.000 Freikarten/Saison in der Vergangenheit </a>sind die offiziellen Zahlen verzerrt. Dennoch ist ein Vergleich mit früheren Spielzeiten von Interesse, um die eklatante Schwäche nach über einem Jahrzehnt der Instrumentalisierung zu belegen:</p><p><span></span></p><a name='more'></a><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjw1wq4qk5ktsP6Sp5eW-Vk4Far_f6nJPkUInzb8t6TKQ_py-cSpkL5zYGwkkXozOQQOG-5WqPfT6wr9nHSalv3d22esMCZHSy6agSdB7bD8hb2HxUAmhwj7545rp5M3_LeK-9plPh-vm4P2g6w08CeJWk-a-WNp9YlKgpvjuY9570P9vMuyu6Px1m9QBk/s741/Zuschauerzahlen%202022-23.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><br /><img border="0" data-original-height="432" data-original-width="741" height="234" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjw1wq4qk5ktsP6Sp5eW-Vk4Far_f6nJPkUInzb8t6TKQ_py-cSpkL5zYGwkkXozOQQOG-5WqPfT6wr9nHSalv3d22esMCZHSy6agSdB7bD8hb2HxUAmhwj7545rp5M3_LeK-9plPh-vm4P2g6w08CeJWk-a-WNp9YlKgpvjuY9570P9vMuyu6Px1m9QBk/w400-h234/Zuschauerzahlen%202022-23.jpg" width="400" /></a></div><br /><div>Man kann nicht alles auf die vergangene Pandemie schieben, das Publikum wurde durch knapp drei Jahre Covid entwöhnt, aber es ist schon auffällig, daß die Publikumszahl der Konzerte und des Kindertheaters weitgehend über ein Jahrzehnt konstant sind. Im Kindertheater hat man Zwangsbesucher, doch in den Konzerten ein typisches Publikum, was auch durch vermeintliche Alterung und Pandemie nicht geschrumpft ist. </div><div><br />Ca. 240.000 Besucher erreichte das Badische Staatstheater 2022/23. Ca. 40.000 Zuschauer fehlen, in den letzten beiden Jahrzehnten hatte man stets ca. 280.000 Zuschauer +/- 5%<br />Entsprechend ist auch die Auslastung gesunken, 2013/14 waren es ca. 85%, nun sollen es ca. 71% sein.<br />Es mag sich ein Fehler eingeschlichen haben, rechnet man die bekannten Zahlen für alle Sparten zusammen, kommt man auf ca. 225.000 Besucher, wo die übrigen abgeblieben sind (Jazz-Konzerte, Einführungsveranstaltungen) kann man nur spekulieren.<br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br />Eklatant der Einbruch im Schauspiel im letzten Jahrzehnt - man scheint sich mehr als halbiert zu haben; Anna Bergmann scheint ein Zuschauerschreck zu sein (was manche nicht überraschen wird). Man mag dennoch bezweifeln, ob die Zahlen stimmen können. Nur noch 40.000 Zuschauer?<br /><br />Zur weiteren Analyse fehlen beim aktuellen Wissensstand auch die Anzahl der Aufführungen und deren Auslastung für die einzelnen Sparten. Wie überhaupt der Tiefpunkt im Rahmen der Schadensbegrenzung in dieser und der kommenden Spielzeit erreicht sein dürfte. Die Schadensbehebung wird die Herausforderung für Christian Firmbach, dem alle Theater-Fans in und um Karlsruhe Erfolg wünschen werden. <br /><br />Nachtrag: Die Epidemie ist keine Ausrede, wie das Stuttgarter Staatstheater beweist. Dort gab es 2022/23 mehr Besucher als in der letzten Saison vor Covid (2018/19), wie die <a href="https://bnn.de/karlsruhe/karlsruhe-stadt/badisches-staatstheater-ein-viertel-weniger-zuschauer-als-vor-corona" rel="nofollow" target="_blank">BNN (aktuell hier) berichten</a>.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Das Badische Staatstheater erlebte einen Zuschauereinbruch von ca. 25%, für den insbesondere Nicole Braunger und Anna Bergmann die Verantwortung tragen - denn beide können sich nicht mehr hinter dem unseligen Einfluß des früheren Intendanten verstecken. Man kann nur hoffen, daß sich das Desinteresse des Publikums in deren letzter Spielzeit legt und angesichts des bevorstehenden Neustarts das Theater nicht noch mehr Zuschauer abschreckt. </div></div></div>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com23tag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-43315379204846494742023-07-17T14:45:00.011+02:002023-07-26T16:19:02.861+02:00Rüge des Rechnungshofes<p>Der Rechnungshof Baden-Württenberg hat 2022 die Haushalts- und Wirtschaftsführung und die Perspektiven des Badischen Staatstheaters geprüft. Prüfungszeitraum waren die Jahre 2016 bis 2021. Das Resultat ist für regelmäßige Besucher nicht überraschend und deutet nicht nur an, daß die gängige Praxis des Klienteltheaters nicht erfolgreich war, sondern zeigt sowohl die Tricks der Theaterleitung, mit denen Premieren manipuliert wurden, als auch die Ignoranz des Verwaltungsrats. Verbesserungspotentiale sieht der Rechnungshof auf der Einnahmenseite:<span></span></p><a name='more'></a><b>Künstliche Auslastungssteigerung</b><br />Man konnte sich in den letzten Jahren oft wundern: Bei Premieren am Badischen Staatstheater saßen im Publikum einige Mitarbeiter und offensichtlich noch mehr Angehörige, Resultat: es wurde beklatscht und bejubelt, was oft nur Mittelmaß war. Nun rügte der Rechnungshof das Badische Staatstheater: In den Spielzeiten 2016 bis 2019 wurden jeweils <b>zwischen 19.000 und 21.000 Dienst-, Frei- und Ehrenkarten jährlich</b> ausgegeben. "<i>Dies entspricht rechnerisch einem jährlichen Einnahmeverzicht von rund 340.000 Euro. Überdurchschnittlich hoch war der Anteil von Dienst-, Frei- und Ehrenkarten bei den ersten Vorstellungen einer Produktion in der Spielzeit. Bei solchen Vorstellungen mit einer hohen Auslastung bedeutet dies, daß Besucher mit Dienst-, Frei- und Ehrenkarten zahlende Besucher „verdrängen“ und damit beachtliche Einnahmeausfälle entstehen können. ... Die derzeitige Dienst- und Freikartenordnung stammt in ihren Grundzügen aus dem Jahr 1975. Die Theaterleitung des Badischen Staatstheaters hat in den vergangenen Jahren diese Ordnung in der Verwaltungspraxis erheblich ausgeweitet, ohne daß der Verwaltungsrat eine Änderung beschlossen hatte. Eine Neufassung durch den Verwaltungsrat ist daher geboten und sollte effektiv umgesetzt werden</i>."<p></p><p><b>Zu mageres Einspielergebnis</b><br />Die Anzahl der Abonnenten sinkt kontinuierlich, die Anzahl der Zuschauer scheint ebenfalls rückläufig, insbesondere auf die Zahlen der abgelaufenen Spielzeit darf man gespannt sein. Viele leere Vorstellungen und abgesagte Termine sind kaum zu übersehen. Die Ursachen - u.a. mangelnde Qualität des ideologisch eingefärbten Klienteltheaters - sind kein Thema des Rechnungshofes, die Konsequenzen schon: "<i>Nach der Umwandlung des Badischen Staatstheaters in einen Landesbetrieb formulierte der Verwaltungsrat 2014 die Erwartung, dass das Staatstheater während der Bauphase 12,5 Prozent und nach deren Abschluß 15 Prozent seines Ausgabenvolumens für Verwaltung und laufenden Betrieb aus eigenen Einnahmen finanzieren sollte („Einspielergebnis“). Dieses angestrebte Ergebnis orientiert sich an der bundesweit bei vielen Theatern üblichen Quote, mancherorts werden auch 20 Prozent oder mehr erzielt. Tatsächlich erreichte das Badische Staatstheater seither in keinem Jahr mehr als 14 Prozent.</i>"<br />Verbesserungspotenziale sieht der Rechnungshof also auf der Einnahmenseite: da die Höhe der Eintrittspreise regelmäßig angepaßt und gegenüber vielen Zuschauern eine weitere Steigerung kaum erklärbar sein wird, steht insbesondere die Auslastung der Veranstaltungen im Fokus. Und die kann erst steigen, wenn die Zuschauer wieder Vertrauen zu den Produktionen gewinnt. Es wird eine mühevolle Aufgabe für den designierten Intendanten Christian Firmbach, das seit 2011 verspielte Vertrauen halbwegs zurück zu gewinnen.</p><p><b>Publikumsarmes Klienteltheate</b>r<br />Zum Absturz durch ideologiegetriebenes Klienteltheater sowie Totgeburten wie das Volkstheater, bei denen für ein nicht vorhandenes Publikum produziert wird, stellt der Rechnungshof fest: "<i>Auf der Ausgabenseite sollte das Staatstheater stärker als bisher darauf achten, daß alle Veranstaltungen einen positiven Deckungsbeitrag erbringen. Der Rechnungshof hat dem Staatstheater empfohlen, seine Kosten- und Leistungsrechnung so zu verfeinern, daß eine betriebswirtschaftlich fundierte Steuerung des Veranstaltungsbetriebs möglich wird. Notwendig ist insbesondere eine detailliertere Kostenträgerrechnung</i>." Die Produktionen, die kaum Publikum anziehen, sollten also wegfallen oder günstiger werden. <br /><br /><b>Marketing aus der Steinzeit</b><br />Für manche überraschend: Das Badische Staatstheater soll ein Marketing haben, man bemerkt es nur nicht. Neugierde und Vorfreude werden ebenso wenig geweckt, wie Gründe geliefert, wieso man Vorstellungen besuchen soll. Eine Kunstvermittlung auf magerem sprachlichen und inhaltlichen Niveau - wer ein Theater als Wohnzimmer bezeichnet, betont nicht das Außergewöhnliche, weswegen man ins Theater kommen soll. "<i>Vor diesem Hintergrund sollte das Programmangebot überdacht und in Richtung eines attraktiven Gesamterlebnisses weiterentwickelt werden</i>." Das wird durch zehn Jahre Baustelle und Einschränkungen räumlich nicht gut funktionieren. Doch insbesondere bei der Neuausrichtung hat die Behörde wenig Ahnung und spekuliert. Zumindest eine Aussage stimmt: "<i>Notwendig ist eine Strategie zur Herausbildung eines eigenen öffentlich wahrnehmbaren Profils, an dem sich das potentielle Publikum, das kulturelle Netzwerk und die publizistische Wahrnehmung des Theaters orientieren können. Ohne ein solches Profil wird sich das Theater auch im Bereich des Sponsorings nicht weiterentwickeln können.</i>" <br /><br />Weiterhin gibt es Ratschläge zur Materialbeschaffung, zum Personaleinsatz im Schichtbetrieb und der notwendigen Gewinnung von technischen Fachkräften für die Theaterarbeit.</p><p><a href="https://rechnungshof.baden-wuerttemberg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/der-rechnungshof-sieht-verbesserungspotenziale-beim-badischen-staatstheater/" target="_blank">Die Pressemitteilung des Rechnungshofes findet sich als aktuell hier (Link)</a>.</p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3211005745307013193.post-50914229014677449512023-07-04T23:51:00.008+02:002023-07-26T16:19:25.602+02:00GMD Fritzsch bleibt bis 2027<p>Ein <a href="https://badisches-staatstheater-karlsruhe.blogspot.com/2022/10/ein-sturm-im-wasserglas.html" target="_blank">Sturm im Wasserglas</a> - so mag es weiterhin scheinen. Der kommende Intendant wollte ab 2024 nicht mit dem aktuellen GMD weitermachen, das Orchester sprach sich mit 85% Zustimmung für ihren Chef aus, Georg Fritzsch und/oder Mitglieder des Orchesters suchten die öffentliche Konfrontation, man empörte sich mittels der Presse, es wurde gepokert, die Politik scheint sich auf Wunsch des Orchesters für den GMD ausgesprochen zu haben, der kommende Intendant gehorchte, ließ sich aber Zeit zum Verhandeln, die Presse kolportierte meistens ziemlich spekulativ, nun steht der Kompromiß: Georg Fritzsch (*1963) bleibt, aber nur für drei Jahre bis 2027. Für Außenstehende in der freien Wirtschaft mag das Verwunderung ausgelöst haben, da werden Manager ausgewechselt bzw. versetzt, wenn ein neuer Verantwortlicher kommt und sich die Vertrauensfrage stellt. Im steuerfinanzierten Umfeld mußte die Presse hinzugezogen werden, weil zwei Führungskräfte im gehobenen Milieu nicht miteinander konnten. Nun ja, das Badische Staatstheater hat dringendere Probleme als den Posten des GMD, deswegen ist es gut, daß es nun wieder um den sonstigen künstlerischen Neustart ab 2024 gehen kann. Was der wahre Grund für den Konflikt zwischen Firmbach und Fritzsch ist, scheint aber weiterhin unbekannt und ist wahrscheinlich auch vertraulich und bilateral. </p>Honigsammlerhttp://www.blogger.com/profile/16696917665460258461noreply@blogger.com2