Ab zum Psychiater
Der 1925 uraufgeführte Wozzeck ist quasi Carmen im prekären Milieu, wobei der aus Eifersucht und Zurücksetzung tötende Mann oberflächlich betrachtet ein Opfer sein könnte, zermürbt durch den Zynismus seiner Umwelt. Die neue Karlsruher Inszenierung interpretiert die Handlung nicht aus einer sozialen bzw. gesellschaftlichen Perspektive, sondern als psychische Krankheitsgeschichte - dieser Wozzeck gehört in die geschlossene Psychiatrie. Der Regisseur nutzt dieses Konzept, um eine visuell ungewöhnliche und sehenswerte Produktion auf die Beine zu stellen, die mit surrealen Szenen in die imaginäre Zwangswelt ihrer Titelfigur abtaucht und für jede der 15 Szenen bemerkenswerte Bildwelten erschafft, deren Sinn man jedoch nicht zu stark hinterfragen sollte. Justin Brown und die Badische Staatskapelle musizieren unter Hochspannung und das homogene Sängerensemble kann auftrumpfen - eine spröde und sperrige Oper wurde gestern zu einem Erlebnis. Es gab zu recht viel Applaus und teilweise stehende Ovationen.