Viktor Ullmann erlitt das gleiche Schicksal wie Hans Krása: er starb in Auschwitz. Auch Ullmanns Werke werden heute wieder neu entdeckt und gespielt, z.B seine Oper Der Kaiser von Atlantis hat es wieder zu gewisser Bekanntheit gebracht. Das gestern gespielte Don Quixote tanzt Fandango ist ein nicht fertig gestelltes Werk. Die Ouvertüre für Orchester wurde wenige Monate vor Ullmanns Tod komponiert und erst nach dessen Tod instrumentiert. Wie oder ob es so klingen sollte bleibt spekulativ. Man hört ein interessantes Musikstück mit leichten Anklängen an Mahler. Ein netter musikalischer Aperitiv.
Eine weitere deutsche Erstaufführung beschloß den ersten Teil des Konzerts. Thomas Larcher ist österreichischer Komponist. Sein ca. 22minütiges Konzert für Violine, Violoncello und Orchester wurde 2011 in London uraufgeführt. Zu Beginn hört man eine Collage: Musik vor Hintergrundtönen - "ein Knacksen, ein Flimmern" laut Programmheft. Doch diese entwickelt sich zu etwas Besonderem. Larcher konstruiert keine Klangmassen ohne bedeutende Form, sondern erschafft eine spannende Architektur, der die Hörer gestern teilweise gebannt folgten bis das meditativ-sphärische Ende das Werk glücklich abrundet. Ein gelungenes und individuelles Werk mit Charakter und eine Entdeckung zum Wiederhören und Weitererkunden - kurz: für ein zeitgenössisches Werk hervorragende Eigenschaften!
Die Solisten der Uraufführung spielten auch gestern in Karlsruhe: Die durch zahlreiche CD-Einspielungen bekannte Violinistin Viktoria Mullova und ihr Ehemann Matthew Barley am Cello, den das Programmheft etwas zu flapsig als "verrückter Grenzgänger zwischen Klassik und Weltmusik" beschreibt, wobei unklar bleibt, ob verrückt als Warnung, Lob oder im Sinne einer mentalen Unordnung gemeint ist. Beide spielten ausgezeichnet mit warmen Klang in harmonischer Ergänzung und leisteten mit Justin Brown ihren Beitrag zum gestrigen Erfolg, der durch herzlichen Applaus belohnt wurde.
Richard Strauss als Komponist zweifelhafter Musik???
Dieses Jahr feiert man den 150. Geburtstag von Richard Strauss und gerade in Karlsruhe gehören Strauss' Opernwerke zum relevanten Kanon. Umso überraschter mußte man sein, daß die Operndirektion keine Jubiläumsinszenierung auf die Bühne brachte. Hat man ihn schlicht vergessen? Es drängt sich der Verdacht auf, daß man ihn aus persönlichen Gründen nicht haben wollte. Das Programmheft ordnet das gestern zu hörende Ein Heldenleben als ideologisch belastet ein: Richard Strauss hat diesen "fatalen Zug des deutschen Bürgertums, der nicht nur in den Ersten Weltkrieg, sondern letztlich auch zu Hitler führte, in seinem Heldenleben auf den Punkt gebracht". Was will man damit behaupten? Ein Heldenleben als Programm-Musik für Kriegstreiber? Musik, die 1898 uraufgeführt wurde, als Ausdruck von Größenwahn? Also bitte! Wer in den 1950ern Rock'n'Roll Musik machte, war auch nicht im Auftrag Satans unterwegs. Musik Gesinnungsdefizite oder Haltungsschäden nachweisen zu wollen, ist Spekulation ohne Mehrwert. Da macht man es sich sehr einfach, um ein Werk oder den Komponisten zu diskreditieren. Unterlegt wird diese Behauptung im Programmheft durch das Zitat eines Zeitgenossen von Strauss: "Es gibt ferner im Heldenleben eine geißelnde Verachtung, ein böses Lachen, ..... Wenig Güte. Es ist das Werk des heroischen Ekels". Ok, nicht jeder mag die Musik Richard Strauss'. Aber "böses Lachen" und ein "Werk des heroischen Ekels", wie das Programmheft zitiert? Nur dann, wenn heroischer Ekel die Umschreibung für Satire ist oder ein Synonym für die Kombination aus Selbstbewusstsein und Humor. Und anstatt Verachtung ist Spott das bessere Wort. Strauss' Gegner sind satirisch dargestellt - dies als Charakterdefizit einer Epoche zu stigmatisieren, lässt eher vermuten, daß die "geißelnde Verachtung" bei anderen Personen als dem Komponisten oder einer Epoche zu suchen sein könnte.
Auch der besprochene (und nicht neue) Vergleich mit Beethovens Eroica ist nur begrenzt zielführend. Das relevante Gegenstück zu Strauss' Heldenleben scheint mir eher Gustav Mahlers 6. Symphonie zu sein. Strauss beschreibt den positiven Helden, der gegen Anfeindungen kämpft und über seine Gegenspieler triumphiert. Bei Mahler triumphiert das Schicksal über den Helden: Ein "negativer" Held, dessen Heldentum darin besteht, daß er nach jedem Sturz wieder aufsteht. Beide ereilt das Schicksal schließlich fatal: verklärend bei Strauss, scheiternd bei Mahler. Beider Werke sind die Ergebnisse unterschiedlicher Charaktere, die sich zeitgebunden entwickelt haben.
Nun denn, man hat sich in Karlsruhe doch dazu durchgerungen, Ein Heldenleben zu spielen. Irgendwie muß man ja dieses lästige Jubiläum begehen, um nicht die Stammbesucher weiter zu verärgern. Die scheinbaren Zweifel am Werk scherten Justin Brown zum Glück wenig und er zeigte, daß diese Musik weder böse, noch geißelnd oder arm an Güte ist, sondern spannend, witzig und musikalisch grandios. Strauss konzipierte für opulent besetztes Orchester: Dirigent Justin Brown, Violinist Janos Ecseghy und die Badische Staatskapelle spielten das Heldenleben so überzeugend, daß es fast 10 Minuten Applaus gab! Was für eine gelungene und schöne Symphoniekonzertsaison bisher!