Von Mitläuferinnen und Mittäterinnen
Mephisto ist ein Roman, dessen Geschichte spannender ist als seine Handlung und dessen Thema oft mißverstanden wird: Mephisto ist vor allem ein Roman über Gustav Gründgens (*1899 †1963). Autor Klaus Mann (*1906 †1949), der nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 ins Exil ging, verbarg nicht den Haß, den er auf den in Berlin bleibenden Gründgens (seinen ehemaligen Kollegen, Freund und Schwager, der 1926-1929 mit Erika Mann verheiratet war) verspürte. Der Konflikt von Kunst und Macht wird anhand Gründgens Karriere vor und im Nationalsozialismus aufgezeigt.
Das Programmheft zu Mephisto gibt mit einem Zitat von Arthur Schopenhauer vor, was auch für Führungspersonal am Theater gilt: "Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen." Und das gilt gerade für das eigene nächste Umfeld und nicht für Probleme jenseits der eigenen Einflußsphäre, wo man lediglich symbolisch protestiert, um seinen Narzissmus in Szene zu setzen! Aus Sicht des Karlsruher Staatstheaters ist Mephisto hinsichtlich des Schuldigwerdens durch Schweigen und Mitwirken besonders interessant. Immerhin hatte man einen 2020 erfolgreich geschassten Generalintendanten, der über beste Kontakt zur zuständigen Ministerin verfügte, am Badischen Staatstheater eine toxische Arbeitsatmosphäre geschaffen und "viele Menschen mit seinem Kontrollzwang und cholerischen Verhalten sehr verletzt" hatte, wie Schauspieldirektorin Anna Bergmann erklärte (hier der Link zum Artikel im VAN Magazin von 2020). Wie laut Bergmann über die Verhältnisse schwieg, konnte man nach der Rebellion der Operndramaturgen gegen den Intendanten bemerken, denn erst dann traute sie sich, die Dinge beim Namen zu benennen. Sie räumte "neofeudale Machtstrukturen im Theater" ein: "Diese Strukturen sitzen uns allen so tief in den Knochen, daß man auch selbst nicht davor gefeit ist, diese zu reproduzieren – egal ob man ein Mann oder eine Frau ist. .... Ich kann mich da nur in aller Form entschuldigen, wenn ich mich mal im Ton vergriffen oder zu starken Druck ausgeübt habe, weil ich zu sehr wollte, daß alles funktioniert." Bergmann hatte schweigend in einem repressiven Umfeld ihre eigene Mephisto-Erfahrung und macht 2024 Platz für einen unbelasteten Neuanfang im Karlsruher Schauspiel.
Schwerwiegend scheint auch der Fall der Künstlerischen Betriebsdirektorin Uta-Christine Deppermann, die für Außenstehende unverständlich über 2024 hinaus am Badischen Staatstheater im Amt bleibt. Die 2020 zur Entlassung des Intendanten führende Eskalation begann mit der Beschwerde der damaligen Chefdramaturgin, die sich Rat suchend an die Karlsruher Kulturamtsleiterin wendete und verraten wurde. Als der Intendant von der Kritik an seinem Führungsstil erfuhr, ließ er ein Exempel statuieren. Der damalige Operndramaturg Patric Seibert beschrieb im VAN wie folgt die Vorkommnisse: "»Das war seelische Gewalt der besten Sorte ..... Das war einer meiner schlimmsten Tage im Haus.« Auf einem anschließenden Treffen der Spartenindanten sei die Künstlerische Betriebsdirektorin Uta-Christine Deppermann [der Chefdramaturgin] gegenüber »ausgerastet«. Für Patric Seibert, der daran ebenfalls teilnahm, war es »eine Art Tribunal«. »Sie musste sich erklären, warum sie das getan habe, daß es ein theaterschädliches Verhalten gewesen sei … «". Es gibt keinen Hinweis auf eine Gegendarstellung Deppermanns zu diesem Vorkommnis auf der obigen Webseite. Das Verhalten der Betriebsdirektorin scheint aber keine Konsequenzen gehabt zu haben. Und auch der Geschäftsführende Direktor Johannes Graf-Hauber fiel öffentlich nicht durch Zivilcourage auf. Beide bleiben trotz Intendanzwechsel im Amt. Beide reihen sich in die lange Liste des Problempersonals am Badische Staatstheater ein. Beide fielen unangenehm dabei auf, wie sie das Theater instrumentalisierten, um ihre ideologische Selbstdarstellung und private Meinungen über die sozialen Kanäle des Theaters zu verbreiten. Beide haben zwar keine Außenwirkung, doch als Bürokraten in Führungsebene liegt der Verdacht der Kollaboration nahe. Der Intendant trägt nun nur noch Verantwortung für die künstlerische Seite des Staatstheaters, intern -da wo man vom "Reformprozeß" des Theaters spricht- haben Deppermann und Graf-Hauber das Sagen. Und man hört immer noch von Ärger und Prozessen vor dem Arbeitsgericht. Beide verhindern einen unbefleckten Neustart, beide sollten nur als Interimslösung geduldet werden und bald gehen.
Gestern nun also die Premiere. Erneut arbeitet man einen Roman in ein Bühnenstück um, und das gelingt diesmal bemerkenswert überzeugend und stimmig! Schauspieldirektorin Anna Bergmann, sonst stets bemüht, eine weibliche Perspektive einzunehmen, verweigert sich einer Modernisierung der Vorkommnisse. Im Zentrum steht keine Hendrike Höfgen, sondern der historische Gustav Gründgens als Hendrik. Klaus Mann als Theaterfigur tritt in der Bühnenfassung seines Romans auf - man inszeniert historischen Zeitkolorit ohne Anklänge an das eigene Fehlverhalten. Doch der Premierenabend war spannend, abwechslungsreich und nah am Roman! Lange Jahre leidete man am Karlsruher Schauspiel unter Mangelerscheinungen, ein Skorbut durch Fehlen von ausreichend guter Ideen. Diese Spielzeit ist, was die Premieren im Kleinen Haus angeht, die beste Saison seit langer Zeit.