Montag, 1. April 2024

Wagner - Tannhäuser, 31.03.2024

Nach der enttäuschenden Premiere des Fliegenden Holländers vor 16 Monaten (mehr hier) ließ es sich die zum Spielzeitende scheidende Operndirektion gestern nicht nehmen, einen dramaturgisch ungewöhnlich dürftigen Tannhäuser in einer ambitionslosen, visionslosen und funkenlosen Inszenierung hinterher zu knebeln. Dennoch gab es mehr Lichtblicke als zuvor, insbesondere Armin Kolarczyk und Pauliina Linnosaari wurden mit tosendem Jubel belohnt und Staatskapelle und Staatsopernchor trugen wie gewohnt zum Publikumsglück bei.

Worum geht es?
Ort und Zeit: Thüringen im 13. Jahrhundert
Der Minnesänger Tannhäuser ist zwischen sinnlicher Lust und religiöser Reinheit hin- und hergerissen. Er verlässt den Venusberg (quasi ein heidnisches Scheinschlaraffenland), wo er mit der Göttin Venus lebt, weil er sich nach Schmerzen sehnt ("nicht Lust allein liegt mir am Herzen, aus Freuden sehn' ich mich nach Schmerzen: aus deinem Reiche muß ich fliehn, - o Königin, Göttin! Laß mich ziehn!").  Er kehrt zu den Menschen zurück, die nicht wissen, wo er war, und ihn durch den thüringischen Landgraf Hermann willkommen heißen. Elisabeth, Nichte des Landgrafen, erlebt angesichts Tannhäusers Gesang ihre erste Verliebtheit  ("Doch welch ein seltsam neues Leben rief Euer Lied mir in die Brust! ... bald drang's in mich wie jähe Lust: Gefühle, die ich nie empfunden! Verlangen, das ich nie gekannt!" - der Backfisch himmelt quasi den Pop-Star an).  Tannhäuser nimmt an einem Minnesang-Wettbewerb teil, doch er wird von den besungenen gültigen Moralvorstellungen abgestoßen und provoziert die Anwesenden. Es kommt zum Eklat, Tannhäuser wird von der empörten Wartburggesellschaft als Sünder entlarvt, er will deshalb büßen und pilgert nach Rom, doch der Papst gewährt ihm keine Vergebung: Erst wenn sein Priesterstab neue Triebe bekommen würde, könnte ihm Gottes Verzeihung gewährt werden. Tannhäuser kehrt verzweifelt zurück, Venus will ihn zurück zu sich locken, aber die  aus Verzweiflung inzwischen gestorbene Elisabeth läßt auch Tannhäuser verzweifeln: er stirbt ihr nach. Doch es ist ein Wunder geschehen: der päpstliche Priesterstab trägt neue Knospen. Musikalisch läßt Wagner keine Zweifel an Wunder und glücklichem Ausgang. Gott hat Tannhäuser vergeben: "Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, er geht nun ein in der Seligen Frieden!".

Historisches
Die Uraufführung fand  1845 in Dresden statt, die erste Karlsruher Aufführung am 28.01.1855


Was ist zu beachten?
Tannhäuser ist als Oper einerseits die Verherrlichung der Buße, in dem die Titelfigur ihr Fehlverhalten und das daraus entstandene Leid bereut und stirbt und doch gerettet wird, denn ein Zeichen von oben -ein christliches Wunder- belegt die göttliche Vergebung, mit der die Oper musikalisch unüberhörbar  jubelnd endet. Der wieder begrünte Hirtenstab des Papstes, totes Holz, das wieder lebt - das ist die Osterbotschaft: das Grab ist leer. Bei einer Tannhäuser-Premiere am Ostersonntag ist die christliche Botschaft der Musik unüberhörbar. Andererseits ist Tannhäuser eine (Anti-)Thesen-Oper: Demut gegen Sinnenfreudigkeit, Frommheit gegen Rauschhaftigkeit, Mittelalter gegen Renaissance, Christentum gegen Heidentum, Venus gegen Christus. Dazu das romantische Motiv der Erlösung: die göttliche Liebe der Sterblichen hilft gegen die irdische Liebe der Göttin - Wagners Opern sind so reich an Metaphern, daß Regisseure sie trotz der antiquierten Konflikte immer wieder neu interpretieren können. 
Die von Tannhäuser begangene Sünde, die Buße erfordert, ist heutzutage nicht mehr existent, die seelische Fassung ist eine andere. Man kennt es von der Börse: Werte unterliegen einem Auf und Ab. Was gegenwärtig wertvoll erscheint, ist dereinst genau so veraltet und wertlos wie heute das Dazumal. Und gerade Tannhäuser erscheint als Oper längst vergangener Konflikte. Tannhäuser steckt fest zwischen Gebet und Orgie, doch was soll das noch bedeuten? Die meisten sterben heute weder hinauf noch hinab, sondern verschwinden in einer Horizontalen, die kein Seelenheil kennen will. "Gott wird mir verzeihen, das ist sein Beruf" ("Dieu me pardonnera, c'est son metier!"), soll Heinrich Heine auf dem Sterbebett optimistisch gesagt haben. 
Tannhäuser ist ein Frevler und Abtrünniger, doch dem entspricht heute kein religiöser Skandal mehr, am ehesten findet sich eine Entsprechung in politischen Phänomenen. Die manichäisch anmutende Unbedingtheit der Trennung in klare Gegensätze (gut-böse, hell-dunkel) findet man derzeit noch bei medialen Hysterikern von Political Correctness und Cancel Culture oder bei Verzichtspredigern und Klimafanatikern. Die Wartburg-Gesellschaft kann man heute bspw. als esoterisch-spiritistischen Flügel von Bündnis 90/Grüne (Älteren noch als  Evangelische Kirche bekannt) darstellen, nur daß der religiöse Dogmatismus durch moralisierende Spießigkeit, Ausgrenzungs- und Verurteilungsphantasien ersetzt wurde. Doch das alles scheint zum Scheitern verurteilt angesichts der christlichen Botschaft zu Buße und Vergebung, die im 3. Akt musikalisch triumphiert. Viele Interpretationsansätze gelingen nur gegen das Finale und befriedigen bestenfalls oberflächlich. 

Was ist zu sehen?
Die gestrige Premiere hatte quasi zu allen obigen Fragestellungen in doppelter Hinsicht keine Lösungen: nicht nur hat man keine Entsprechungen oder Interpretation der Konflikte gefunden, die Fragen und Konflikte an sich werden gar nicht inszenatorisch aufgenommen. Die Inszenierung ist visionslos und ohne tragenden roten Faden. Regisseurin Vera Nemirova inszeniert von Szene zu Szene, und das teilweise durchaus handwerklich gekonnt, aber die Szenen stehen nebeneinander ohne tragenden Spannungsbogen. Die Gegensätze der Ouvertüre sind mit wenig gekonnt agierenden Statisten in Szene gesetzt, die erst fromm ein Kreuz tragen (was Religiosität bedeuten soll, wird ansonsten nicht hinterfragt) und dann eine blümerante Verruchtheit als herumhopsende Nachthemden darstellen. In den 1950ern wäre das vielleicht originell gewesen, heute wirkt es aus der Zeit gefallen. Sinnlichkeit szenisch mit Ballett-Tänzern darzustellen ist zweifellos die geschmackvollere Variante.
Die Einheits-Bühne von Paul Zoller ist unattraktiv und ohne Erinnerungswert: "Wir haben das Stück in einer dystopischen Landschaft angesiedelt, die nach einem Krieg oder einer Katastrophe in Trümmern liegt. Die prachtvolle Kastendecke eines Konzertsaales ist eingestürzt." Man sieht zwar eine kaputte Welt, bevölkert sie ab ohne erkennbare Folgerichtigkeit. Der Sängerstreit im zweiten Akt wirkt wie eine Parodie auf die Fernsehunterhaltungsshows früherer Jahrzehnte. Durchaus amüsant in Szene gesetzt, aber ohne Anhaltspunkt, wie dies mit Dystopie und Religiosität zusammen hängen soll. 
Im dritten Akt schien der Regisseurin dann selber aufzufallen, wie visionslos und unambitioniert sie inszeniert. Doch noch nicht einmal der Versuch einer Sinnlosigkeit aus heiterem Himmel mag irgendwie für Aufregung beim Publikum zu sorgen:  Elisabeth läßt sich überraschenderweise von Wolfram erwürgen. Wieso und warum? Irgendwie muß sie ja sterben und irgendwas muß man halt inszenieren. Kurz vor Schluß darf sie sogar noch auferstehen und den Chor dirigieren. Was als Provokation aus Leere und Hilflosigkeit gedacht war, erregte vielmehr Mitleid mit der Regisseurin, die sogar den Knalleffekt versemmelte - der Mord an Elisabeth wirkte abgeschmackt und verzweifelt. Im kaum lesenswerten Programmheft stammelt sich die Regie noch eine Interpretation zurecht: "Im Mittelpunkt steht der Niedergang von Kultur und Kunst als Warnsignal für die Gesellschaft." Ach jehchen.

Was ist zu hören?
Georg Fritzsch dirigierte einen sehr gut einstudierten Tannhäuser ohne Schnörkel, der gelegentlich ein wenig zurückhaltend wirkte und nicht alles auskostete. Die Partitur existiert in verschiedenen Versionen und Varianten, im Programmheft erklärt man grob, eine "späte Bearbeitung" gewählt zu haben. Insbesondere die Bläser beglückten mit wundervollem Klang und Zusammenspiel. Der von  Ulrich Wagner einstudierte Staatsopernchor steigerte sich zu imposanter Eindringlichkeit.
Der schwedische Tenor Michael Weinius litt vielleicht unter der Umstellung auf Sommerzeit: es fehlte etwas am gestrigen Ostersonntag, er wirkte nicht textsicher mit manchen Fehlern und litt unter der Personenregie. Umso dramatischer die Anforderung, umso besser konnte er sich mit kraftvoller Stimme in Szene setzen, die Zwischentöne und die Zerrissenheit seiner Figur wollten ihm gestern allerdings nicht recht über die Stimmbänder bekommen. Auch Dorothea Spilger hat ihre Stärke in dramatisch zugespitzten Szenen, wie sie gestern (und zuvor als Amneris in Aida) eindrucksvoll bewies. Ihrem Auftritt als Venus fehlte gestern (wie zuvor als Carmen) die Verführungskraft. Die finnische Sopranistin Pauliina Linnosaari war die positive Überraschung am Premierenabend: als Elisabeth sang sie eindrucksvoll und scheinbar mühelos, mit offener, warmer  Stimme. Als Wolfram von Eschenbach war Armin Kolarczyk erneut der Star des Abends. Wie schon bereits bei der letzten (und deutlich gelungeneren und intensiveren Tannhäuser Inszenierung 2012 - mehr hier) ist sein nobler und kraftvoller Barition ideal für diese Rolle. In den kleineren Rollen bekamen insbesondere  Konstantin Gorny und Nutthaporn Thammathi sowie Henriette Schein als Hirte herzlichen Beifall.

Fazit: Keine Inszenierung, die sich lange im Repertoire halten wird. Der kommende Operndirektor wird nur wenig Produktionen erben, die bereichern. Vielleicht läßt sich das Desinteresse bei dieser Regiearbeit damit erklären, daß die Inszenierung sowieso am Ende der Spielzeit klanglos zum Orkus hinabgeht.

Besetzung und Team
Venus: Dorothea Spilger
Tannhäuser: Michael Weinius a. G.  
Elisabeth: Pauliina Linnosaari
Wolfram von Eschenbach: Armin Kolarczyk 
Walther von der Vogelweide: Nutthaporn Thammathi
Landgraf Hermann: Konstantin Gorny
Biterolf: Ralf Lukas a.G.
Heinrich der Schreiber: Klaus Schneider
Reinmar von Zweter: Manuel Winckhler a. G.
Ein junger Hirt: Henriette Schein

Musikalische Leitung: Georg Fritzsch
Chor: Ulrich Wagner
Regie: Vera Nemirova
Bühne: Paul Zoller
Kostüme: Marie Thérèse Jossen-Delnon
Licht: Rico Gerstner

2 Kommentare:

  1. Ich möchte an dieser Stelle ein gutes Wort für Michael Weinius einlegen:
    Er ist ein international gefragter Heldentenor, der sein Debüt
    in dieser Rolle gab,
    Er war nicht textunsicher, nur weil an 3 Stellen ein winziger Fehler
    auftat. Er ist Schwede und musste innerhalb von 6 Monaten diese Mammutrolle neu lernen, dafür hat er höchsten Respekt und Dank verdient!!!
    Zumal es aktuell nur ca.10 Tenöre gibt, die einen Tannhäuser singen können. In der Tat hat ihm die Regie auch einiges zugemutet, ein Sänger seiner Statur sollte nicht der Lächerlichkeit ausgeliefert werden.
    Ich danke diesem ausgesprochen sympathischen Sänger für sein Debüt im Karlsruhe!

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    1. Vielen Dank für Ihre Anmerkung. Mir hat Weinius' Stimme gefallen, insbesondere in den dramatischen Momenten. Daß es sich um sein Rollendebut handelte, mag manche Unsicherheit erklären. In den kommenden Vorstellungen wird das zweifellos noch runder und selbstverständlicher. Auch bei Spilger handelte es sich um ein Rollendebut, auch bei ihr wird die Interpretationsreife zunehmen. Künstlerische Eindrücke wie in diesem Tagebuch sind nur Momentaufnahmen. Erst eine Summe davon erlaubt einen zuverlässigen Mittelwert - einmal hören gilt nicht wirklich. Weinius habe ich zum ersten mal, aber hoffentlich nicht zum letzten mal gehört.

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