Befreiungsschlag: Musikalisches Spektakel mit dramatischer Energie
Über 20 Jahre sind seit der letzten Karlsruher Aida verstrichen. Höchste Zeit also, dem Publikum diese großartige Oper wieder vorzustellen und das Badische Staatstheater scheute das Spektakel nicht: Chor und Extra-Chor, Blechbläser auf der Bühne und im Zuschauerraum, eine grandios aufspielende Badische Staatskapelle und auftrumpfende Sänger. Dazu eine geradlinige Regie, die Aida im
pharaonischen Ägypten beläßt und sich damit begnügt, die Handlung dekorativ zu begleiten, - das mag szenisch nicht aufregend sein, es ist aber vor allem nicht aufdringlich. Die Inszenierung hält sich zurück und läßt die
Musik sprechen und der Abend wurde zum Befreiungsschlag: endlich wieder ein großer Erfolg!
Worum geht es?
Ort und Zeit: Ägypten zu Zeit der Pharaonen
Ägypten wird von den Äthiopiern unter Führung ihres Königs Amonasro überfallen. Radames, Hauptmann der Palastwache, wird durch ein Orakel zum Heerführer der Verteidigungstruppen ernannt. Doch zuvor muß er zu Beginn der Oper gleich eine anspruchsvolle Arie singen - in Celeste Aida besingt er eine äthiopische Sklavin in Diensten der Pharaonentochter Amneris, die wiederum in Radames verliebt ist. Keiner weiß, daß Aida tatsächlich die Tochter Amonasros ist und sich einer Zwickmühle befindet: sie will den Sieg Äthiopiens und liebt den Ägypter Radames.
Radames ist siegreich, in einem Triumphmarsch werden die siegreichen Ägypter gefeiert und die gefangenen Äthiopier vorgeführt. Amonasro hat überlebt, gibt sich aber als Offizier aus und berichtet vom Tod des äthiopischen Königs. Radames wird anders belohnt als erhofft: er darf Amneris heiraten.
Aida paßt nachts Radames ab, wird allerdings zuvor von ihrem Vater gestört, der militärische Informationen über den ägyptischen Feldzug gegen sein Land erhalten will. Aida macht Radames klar, daß Amneris ihre Liebe unterbinden wird, beide entscheiden zu fliehen, Radames offenbart dabei, wo die Ägypter aufmarschieren. Der lauschende Amonasro tritt auf und offenbart seine Herkunft. Um nicht als Verräter hingerichtet zu werden, willigt Radames in die gemeinsame Flucht ein. Doch die wird entdeckt, Radames läßt sich gefangen nehmen, Amonasro und Aida entkommen. Es gibt kein Pardon, Radames lehnt die Rettung durch Amneris ab und wird zum Tode verurteilt. Lebendig eingemauert, scheinbar allein und verzweifelt entdeckt er Aida im Grab, die sich versteckt hat und gemeinsam mit ihm sterben wird. Während beide in schönsten Tönen ihren gemeinsamen grausamen Tod verklärend besingen, bittet Amneris ihre Götter um Seelenfrieden für den verlorenen Geliebten.
Historisches (1)
Es heißt, die französische Kriegserklärung an Preußen und der deutsche Sieg mit der Reichsgründung 1871 trugen zum Erfolg Aidas bei. Verdi stellte die Komposition 1870 fertig, durch den französischen Krieg verzögerte sich die Uraufführung bis in den Dezember 1871. Verdi nutzte die Chance, überarbeitete die Partitur und gab bei einem Instrumentenbauer die im Triumphmarsch eingesetzten Trompeten nach altägyptischen Vorbild in Auftrag. Die Ägypten-Begeisterung der Europäer mischte sich mit dem
neuen Unabhängigkeitsstreben der ältesten Nation. Doch aus der
osmanischer Herrschaft wurde 1882 eine englische, erst 1936 wurde
Ägypten ein souveräner Staat.
Afrika ist in gewisser Weise noch immer der unentdeckte Kontinent: kulturell unbemerkenswert, ohne Strahlkraft und ohne Persönlichkeiten - ein Kontinent, der keinen Mozart, keinen Shakespeare, keinen Einstein besitzt. Nur die ägyptische Antike hat eine Hochkultur hervorgebracht, die weltweit fasziniert. Ägypten bildete ca. ab 3000 v.Chr. den ersten Nationalstaat, den man als
Erfindung der alten Ägypter bezeichnen kann. Die neue
Herrschaftsstruktur erwies sich als erfolgreich, bis heute funktionieren Solidargemeinschaften bevorzugt als Nationalstaaten, gemeinsame Sprache und Sitte ermöglichen Solidarität und Vertrauen, Großzügigkeit und Zusammenhalt im großen Verbund. Das Erschaffen eines Zusammengehörigkeitsgefühls erwies sich als zivilisatorischer Fortschritt, unter den unschönen Nebenwirkungen leidet man noch heute. Man baute symbolträchtige Bauten, die Größe und Macht darstellten, doch der pharaonische Staat sah das Land als sein Eigentum und erhob Pacht, die heutige Steuerkleptokratie nahm hier ihren Anfang. Das alte Ägypten als Staatsapparat war ein durch Organisation und Schrift systematisch und effizient vorgehendes Gebilde und umfaßte auch staatliche Betriebe und die Kontrolle der Märkte durch Eroberung von Handelsrouten und Verteilknoten, Grenz- und Zollposten. Regiert wurde Ägypten als Gottkönigtum, das brutale Gewalt verwendete, um sich nach innen und außen durchzusetzen. Staatliche Arroganz gegen die Bevölkerung, Anmaßung, Korruption und Machtmißbrauch untergraben früher oder später jeden Staat und führen zum Niedergang. Ägypten ist als Ursprung der Moderne ähnlich, aber auch ganz anders. Es war Europa, das den Ägyptern ihre Geschichte zurückgab und den Ausweg in die Moderne bringen sollte. Verdis Aida war ein Bestandteil dieser Bestrebungen, der Komponist bemühte sich, die Erkenntnisse der Ägyptologen einfließen zu lassen. Aida
hat allerdings nichts Authentisches, sondern ist erfundener Exotismus und
kulturelle Aneignung, kurz: Fiktion und Kunst. Die Handlung ist frei erfunden, ebenso die Namen (Radames klingt wie Ramses, mehr aber auch nicht. Einen Amonasro soll es in Nubien viel später gegeben haben) und die Rituale (weder wählte ein Orakel den militärischen Anführer noch wurde er geweiht, und lebendig Eingemauertwerden ist ebenfalls der Phantasie entsprungen).
Historisches (2)
oder
Als es noch zeitgenössische Opernkomponisten von Rang gab
Aida könnte das teuerste Auftragswerk der Operngeschichte sein. Verdi wollte erst nicht, doch sehr viel Geld und die Ankündigung, Gounod oder Wagner ansonsten zu beauftragen, verhalfen zu diesem Meisterwerk. Uraufgeführt wurde Aida im Dezember 1871 in Kairo, wenige Woche später folgte die Mailänder Produktion an der Sacla. Die erste Karlsruher Aufführung folgte nur drei Jahre später am 03.12.1874 - ein Beleg, wie schnell Aida ins Repertoire gelang. Der Troubadour und Aida waren in historischer Sicht Verdis
meistgespielten Opern in Karlsruhe, gefolgt von Rigoletto, La Traviata,
Maskenball, Otello, Falstaff und Ernani; Die Macht des
Schicksals erlebte nur wenige Aufführungen.
"Zur Feier des Allerhöchsten Geburtsfestes Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin. In festlich erleuchtetem Hause. Zum ersten Male: Aida" (Quelle: Badische Landesbibliothek (hier)). |
Was ist zu sehen (1)?
Verdi komponierte also nicht nur eine Oper. Der Schauplatz Ägypten ist in Aida Anlaß und Ausgangspunkt der
Komposition. Verdi beabsichtigte sogar zeitweise, daß die Inszenierung und Ausstattung, die 1872
in Mailand gezeigt wurde, als verpflichtender Standard gelten sollte (was man ja heute oft bei Musicals und Balletts antrifft, bei denen die Gesamtproduktion als Konzept vermietet wird). Eine Entägyptisierung widerspricht dem Zweck der Oper, ägyptische Geschichte fiktional in den Mittelpunkt zu stellen. Und auch die Karlsruher Inszenierung hält sich an diese Vorgabe, verweigert sich einer aufgesetzten Modernisierung und läßt Aida ihren Handlungsort und Epoche in einem pharaonischen Ägypten. Bühne und Kostüme sind von Christian R. Müller erschaffen, die sich durch eine betont altägyptische Bildsprache auszeichnet: es gibt eine karge Bühne mit Palme und
sandfarbenen Boden, ein pharaonisches Monument und Relief sowie in das
Konzept passende Kostüme mit modernen Anleihen. Farblich dominieren die
Farben Gold, Beige und viel Schwarz. Interessanterweise verzichtet man beim Licht auf Stimmungsfarben oder Teilnahme: man beleuchtet das Geschehen ohne zu interpretieren oder weitere Ebenen zu öffnen. Die
Ausleuchtung dieser dunkel eingefärbten Inszenierung liegt bei
Beleuchtungsmeister Rico Gerstner.
Was ist zu sehen (2)?
Der zentrale Konflikt in Aida ist aus heutiger Sicht komplett
veraltet und unbrauchbar für Aktualisierungen: Die Tochter des Pharao
ist in einen Offizier ihres Vaters verliebt, der wiederum eine Sklavin
der Pharaonentochter begehrt, die tatsächlich die Tochter des
verfeindeten äthiopischen Königs ist. Aida funktioniert nur in einer
politisch-gesellschaftlichen Situation, die der heutigen Zeit fremd ist. Aida ist auch eine Oper über die Herrschaftsklasse, das Volk hat darin nichts zu melden. Nur eine Botschaft bleibt: Das Politische tötet das Private, modern
an Aida ist, daß das Private dem Staat und seinem Klerus untergeordnet ist - der
autoritäre Staat hat das Schicksal des Einzelnen im Griff. In einem
liberalen Staat gilt es, dem Bürger größtmögliche Freiräume einzuräumen,
in einem illiberalen autoritären Staat geht das proklamierte gesellschaftliche Ziel über die Individualrechte. Verdi hatte dazu nicht immer würdige Librettisten, bei Aida sind es die
Musiknoten und nicht die Worte, die das Drama abbilden. Es lohnt nicht,
den Schablonenfiguren auf den Grund zu gehen. Aida ist keine
psychologische Oper, die Figurenkonstellation ist nicht ergiebig. Das Inszenierungsteam hat beides erkannt und liefert eine grundsolide, geradlinige und harmlose Umsetzung ohne doppelten Boden, ohne hinzu erfundene Elemente, ohne Überbietungen des Geschehens durch grelle Zuspitzungen. Die in Sarajewo geborene Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović ist seit der Spielzeit 2020/21 Oberspielleiterin und stellvertretende Operndirektorin am Staatstheater Cottbus und wechselt ab der Spielzeit 2023/24 ans Tiroler Landestheater in Innsbruck. Ihre erste Inszenierung am Badischen Staatstheater ist überraschend zurückgenommen, eine fast schon in Vergessenheit geratene Konzentration auf den Kern, die sich nicht an der Oper abarbeitet. Manch einer würde wahrscheinlich lieber von einer Bebilderung sprechen, bemerkenswerte theatralische Szenen sucht man vergebens, die Personenregie ist sparsam. Der Triumphmarsch ist ein pittoreskes Fähnchenschwingen, Mitglieder der Tanzstatisterie präsentieren einen Tanz der Gefangenen. Es fällt auf, daß das Programmheft auf ideologische Unterstellungen verzichtet, aber auch das Inszenierungsteam sich nicht zu Wort meldet. Sollte möglicherweise das Zeitalter der narzisstischen Inszenierungen mit Oberlehrerattitüde am Badischen Staatstheater vorbei sein? Diese Aida will vor allem publikumsfreundlich sein und Zuschauer gewinnen. Das sollte gelungen sein.
Was ist zu hören?
Aida ist pompös und innig und in jeder Szene theatralisch stark. Dirigent Johannes Willig und die Badische Staatskapelle unterstrichen dies eindrucksvoll, Aida klang in keiner Sekunde pauschal, sondern sehnsüchtig, feierlich, triumphal und prunkvoll, tragisch, unversöhnlich, hingebungsvoll, zärtlich und resigniert. Was für eine wunderbar musizierte Klangpalette! Insbesondere das gewaltige Finale des zweiten Akts mit Fanfarenaufzug auf der Bühne und im Zuschauerraum wirkte grandios und im Gerichtsakt tönten Baßklarinette, Posaunen und Kontrabässe in perfekten Zusammenspiel. Der von Ulrich Wagner einstudierte Staatsopernchor und Extrachor war stets zur Stelle, das Gloria all'Egitto schmetterten sie beeindruckend gut ins Publikum. Bravo!
Und auch Operndirektorin Nicole Braunger hätte sich gestern ein Bravo abholen dürfen, die Sängerauswahl überzeugte. Als Aida hat man als Gast Oksana Kramareva engagiert, die mit ihrem schönen Sopran sowohl ganz innig als auch hochdramatisch überzeugte. Auch Radames ist ein Gast: die Stimme des jungen Tenors Azer Zada aus Aserbaidschan hat Kraft und Klang, aber auch noch manch fahle Momente.
Der Star des Abend war die Dritte im Bunde. Besonders neugierig durfte man auf Dorothea Spilger sein. Sie ist neu im Ensemble und wird hier im Januar 2023 als Carmen debütieren. Ihr gestriger Auftritt als Amneris setzte ein Ausrufezeichen: mit ausdrucksstarker, farbiger Stimme sang sie eine hochdramatische Amneris. Der Beginn des vierten Akts gelang ihr außerordentlich intensiv. Amneris zeigte Charakter, Aida und Radames blieben hingegen eindimensional. BRAVO!
Überzeugend auch die tiefen Stimmen: Konstantin Gorny als Ramfis, Seung-Gi Jung als intriganter Amonasro und Yang Xu als Il Re.
Fazit: Musikalisch und sängerisch bemerkenswert gut, szenisch ordentlich - dem Publikum sollte diese Aida gefallen
PS (1): Es wird nun auch endlich mal Zeit für die andere Pharaonen-Oper in Karlsruhe: Philip Glass' Echnaton!
PS (2): Abschweifung: Ein anderes Dreiecksverhältnis aus der Spielzeit 1998/99
Woran erinnert diese neue Aida?
Ein Dreiecksverhältnis, zwei Frauen, ein Mann, historisch weit
zurückliegend, zwei Kriegsparteien, eine Inszenierung, die nichts
zwanghaft aktualisiert und sich auf die Figuren konzentriert? Ein Chor,
der bei den Kriegsrufen an die Rampe tritt? In der Spielzeit 1998/99
inszenierte der heutige Intendant Ulrich Peters am Badischen
Staatstheater Bellinis Norma und der Verfasser dieser Zeilen fühlte sich gestern bei Aida - Radames - Amneris ein wenig an Norma - Pollione - Adalgisa erinnert. Es
sangen damals u.a. Emil Ivanov, Gregory Frank, Ines Salazar, Pamela
Pantos,
Ewa Wolak, Kazushi Ono dirigierte, die Bühne von Heinz Balthes war
abstrakter, die Kostüme von Götz Lanzelot Fischer moderner, dennoch
spielte die Oper ebenso im druidischen Gallien wie nun Aida im pharaonischen Ägypten. Damals wie heute funktioniert das Rezept durch die packende musikalische Darstellung des Konflikts
PS (3): Viele beliebte Verdi-Opern haben sich in Karlsruhe rar gemacht, den Troubadour gab es zuletzt 1992/93, die Macht des Schicksals 1993/94 und Aida 2000/01. Wer auch immer 2024 neuer Operndirektor wird, der Trovatore wäre bspw. ein angemessener Start der neuen Intendanz.
Besetzung und Team:
Il Re: Yang Xu
Amneris: Dorothea Spilger
Aida: Oksana Kramareva a. G.
Radames: Azer Zada a. G.
Ramfis: Konstantin Gorny
Amonasro: Seung-Gi Jung
Un messaggero: Merlin Wagner
Sacerdotessa: Uliana Alexyuk
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: Jasmina Hadžiahmetović
Bühne & Kostüme: Christian R. Müller
Choreographie: Marcel Leemann
Chor: Ulrich Wagner
Licht: Rico Gerstner
Die grandiose Sängerriege ist natürlich schon bei den Proben aufgefallen. Im Zuschauerraum wurde von den Mitwirkenden aller Sparten oftmals begeistert Zwischenapplaus geboten - wie dankbar man ist, in der schwierigen Zeit der Pandemie so etwas Außergewöhnliches zu hören zu bekommen!
AntwortenLöschenDie Aida der leider erkrankten ursprünglichen Premierenbesetzung, Karina Flores, wird, sobald sie wieder singen kann, das Publikum an Nuancenreichtum und warmem Timbre schier umhauen, ebenso dürften Nikka Lopez (auch erkrankt) in der kleinen Nebenrolle der Sacerdotessa und der schlank und sorgfältig gesungene König von Nathanaël Tavernier ebenfalls positiv auffallen.
Dass die sympathische Dorothea Stilger bei ihrem Karlsruher Debut gleich so einen riesigen Erfolg verzeichnen konnte, freut mich riesig! Denselben hätte ich damals Nuttaporn Thammati bei seinem Faust-Debut gewünscht, der damals traurigerweise ungerechtfertigt zerrissen wurde und danach in Karlsruhe nicht wieder Fuß fassen konnte.
Vielen lieben Dank für Ihren Kommentar. Ich hoffe, heute die zweite Vorstellung besuchen zu können, in der Nathanaël Tavernier und Nikka Lopez sowie weitere neue Sänger angekündigt sind. Karina Flores höre ich leider erst nächste Spielzeit.
LöschenBzgl. Thammati: eine schlechte Pressekritik ist nicht alleine ausschlaggebend, ob jemand Fuß fasst. Auf diesen Seiten wurde er übrigens für seinen Faust nicht kritisiert und in der kommenden Spielzeit ist er ja noch im Ensemble. Mit La Bohème und Carmen gibt es zwei Opern, die einen Tenor brauchen und es ist zu vermuten, daß er mit Rodolfo und Don José attraktive Rollen bekommt.