Wie immer endete die große Ballett-Premiere mit vielen freudig strahlenden Gesichtern, nicht enden wollendem Applaus und heißgeklatschten Händen.
Die Tschaikowsky-Trilogie ist komplett
Nach Schwanensee und Nußknacker erfolgte nun gestern das in der Entstehungsgeschichte mittlere Dornröschen und Birgit Keil hat mal wieder bewiesen, daß das große Handlungsballett das publikumswirksamste Aushängeschild in Karlsruhe ist. Welches der drei Ballette nun die schönste und gelungenste Inszenierung in Karlsruhe hat, darüber lässt sich trefflich diskutieren - und das beweist nur mal wieder, mit wie viel qualitativer Kontinuität das Karlsruher Staatsballett nun schon über ein Jahrzehnt tanzt und sich seine große Popularität verdient hat.
Worum geht es?
Wie schon bei seinem Nußknacker erzählt Choreograph Youri Vámos eine neue Geschichte und zwar diesmal die der Zarentochter Anastasia, die vermeintlich die Hinrichtung durch die Bolschewisten überlebt haben soll. Eine Frau namens Anna Anderson behauptete in den 1920ern in Berlin von sich, die einzige überlebende Zarentochter zu sein, und viele glaubten ihr. Heutzutage ist sie als Hochstaplerin überführt, aber das spielt für Vámos' Geschichte keine Rolle - es bleibt in der Schwebe, wer die Unbekannte ist. Das Drama der Zarentochter, die durch die russische Revolution alles verliert wird zur Drama einer einsamen Frau, die sich in Erinnerungen und Phantasien flüchtet. Das Ballett ist eine kontrastierende Vermischung von Zeitebenen - ein in Rückblenden verpacktes inneres Puppenspiel der vermeintlichen Anastasia.
Dennoch ist diese Geschichte von Youri Vámos nur eine sehr lose Klammer, die das Ballett gerade so zusammenhält. Schon das Original-Dornröschen galt als handlungsschwaches Ballett und auch Vámos schafft es nur, dem Geschehen eine geringe Handlungsdichte zu geben. Der große Jubel für die gestrige Premiere hatte andere Gründe.
Was ist zu sehen?
Dornröschen ist ein abwechslungsreiches und bildstarkes Ballett. Michael Scott hat wieder ein schönes Bühnenbild und viele Kostüme entworfen. Die Nähnadeln müssen geglüht haben bei der hohen Anzahl an Kostümen, die benötigt werden. Der Zarenpalast mit seinem prunkvollen Ballsaal steht im Gegensatz zu einer kargen, dunklen Welt der einsamen Anastasia. Licht spielt hier eine wichtige Rolle und Klaus Gärditz' gelungene Lichtregie ist ein wichtiger Bestandteil, der zentrale Spannungsmomente bewirkt.
Für die Tänzer hat Youri Vámos eine sehr ausgeglichene und anspruchsvolle Choreographie mit regelmäßigen Höhepunkten geschaffen, die die komplette Kompagnie gleichermaßen fordert, auch wenn es nur wenig individuelle Charakterzeichnungen gibt. Nur Bruna Andrade als Anastasia wird nicht nur tänzerisch gefordert, sondern auch als Darstellerin. Wie immer tanzt und spielt sie mit hoher Souveränität und viel Ausdruck. Bravo! Doch wirklich alle Tänzer hatten den Applaus gestern verdient, für viele gibt es Gelegenheit sich auszuzeichnen: Flavio Salamanka, Admill Kuyler, Sabrina Velloso und Pablo Dos Santos (er entwickelt sich immer mehr zum Nachfolger von Diego de Paula) haben dabei die größten Rollen. Ergänzt wird das Karlsruher Ballettensemble wieder durch Tänzer des Ballettstudios, der Mannheimer Akademie des Tanzes und durch Kinder der Ballettschule Lagunilla & Reijerink - dem Auge wird viel geboten.
Was ist zu hören?
Christoph Gedschold und die Badische Staatskapelle spielen einen opulenten Ohrenschmaus, der auch als Symphoniekonzert gelten kann: ob nun Janos Ecseghy als Soloviolinist oder das ganze Orchester im akustischen Breitwandformat - immer wieder ergeben sich große Höreindrücke und der Schluß ist überwältigend pompös und schön. Bravo!
Hommage an das Karlsruher Ballett
Kann man etwas Kritisches anmerken? Bestimmt. Aber nicht heute! Der Erfolg und die überragende
Beliebtheit des Karlsruher Balletts sowie ein Blick auf das letzte
Jahrzehnt sprechen eine klare Sprache. Die erfolgreichste Sparte des Badischen Staatstheaters hat die höchste Zuschauerauslastung und das im Durchschnitt jüngste Publikum. Birgit Keil hat so viel Interessantes und Erinnerungswürdiges auf die Bühne gebracht: Don Quijote, Liaisons Dangereuses, Giselle, Coppélia, Romeo und Julia, Les Sylphides, Carmen, Tschaikowsky, La Fille mal gardée, Ein Sommernachtstraum, Schwanensee, Nußknacker, nun Dornröschen, dazu die großartigen Neuschöpfungen des Glanzjahres 2011/12: Siegfried und Momo
und zuvor Anna Karenina. Auch wer Handlungsballett weniger schätzt wird daran erkennen, daß Birgit Keil dem Karlsruher Publikum ein goldenes
Jahrzehnt beschert hat und viele neue Anhänger gewonnen wurden, die in die Vorstellungen pilgern. Besser und geglückter konnte sich das Karlsruher Ballett nicht entwickeln.
Fazit: Das komplette Ballettensemble glänzt in einem visuell prachtvoll umgesetzten, aber inhaltlich wenig ergiebigen "Handlungs"ballett, das musikalisch zelebriert wurde von der Badischen Staatskapelle und Christoph Gedschold am Dirigentenpult.
PS: Ein Kamerateam begleitete gestern Birgit Keil bei der Premiere. Hallo liebes Staatstheater, meldet rechtzeitig, wann und wo der Bericht gesendet wird!
Team & Besetzung
Zar - Eric Blanc
Zarin - Hélène Dion
Anastasia - Bruna Andrade
Der Unbekannte - Admill Kuyler
Alexei - Kammertänzer Flavio Salamanka
Anastasia als Kind - Sabrina Velloso
Olga als Kind - Shiri Shai
Tatjana als Kind - Kyoko Watanabe
Maria als Kind - Moeka Katsuki
Olga als Erwachsene - Blythe Newman
Tatjana als Erwachsene - Elisiane Büchele
Maria als Erwachsene - Patricia Namba
3 Adelige - Juliano Toscano, Louis Bray, Bledi Bejleri
Rasputin - Andrey Shatalin
Blauer Vogel - Sabrina Velloso, Pablo dos Santos
Katzen - Blythe Newman, Arman Aslizadyan
3 Russen - Brice Asnar, Pablo dos Santos, Ed Louzardo
Musikalische Leitung - Christoph Gedschold
Choreografie - Youri Vámos
Einstudierung - Joyce Cuoco, Filip Veverka
Einstudierung der Kinder - Leon Kjellsson
Bühne & Kostüme - Michael Scott
Licht - Klaus Gärditz
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Sonntag, 17. November 2013
Mittwoch, 12. Dezember 2012
Tschaikowsky - Der Nußknacker, 11.12.2012
Auch im dritten Jahr ist Youri Vámos' Choreographie des Nußknackers als dekorreiches Weihnachtsmärchen ein Zuschauermagnet und gerade in der dunklen Jahreszeit scheinen Giselle und Nußknacker genau das richtige Programm, das man öfters und immer wieder gerne als Stimmungsaufheller präsentiert bekommt. Ständig mehr als ausverkaufte Vorstellungen (bei denen es schon schwer wird, einen guten Stehplatz zu ergattern) sprechen dafür.
Vor den Augen der Ballettdirektoren Birgit Keil und Vladimir Klos gab es eine sehr gute Aufführung, bei der einige hervorzuheben sind: wie immer und vor allem die Kindergruppe, deren Spiel- und Tanzszenen jedem ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Beeindruckend waren gestern die Solotänzer: Flavio Salamanka (wie immer mit großer Sicherheit, Souveränität und Eleganz), Sabrina Velloso, für die die Rolle der Clara ideal erscheint, dazu Bruna Andrade als strahlende Weihnachtsfee und Admill Kuyler als anfangs mürrischer und dann glücklich geläuterter Scrooge. Vergleicht man die diesjährige Wiederaufnahme (die 25. Aufführung) mit der des letzten Jahres, fällt Zhi Le Xu auf, der als Todesgeist deutlich an Ausstrahlung hinzugewonnen hat und der zusammen mit der gewohnt sicheren Barbara Blanche im arabischen Tanz einen starken Auftritt hat. Auch Jussara Fonseca im Tanz mit den Harlekinen hinterließ einen sehr guten Eindruck. Daß Ballett Hochleistungssport ist, war im russischen Tanz zu merken: Reginaldo Oliveira schien verletzungsbedingt gehandicapt und konnte nicht jede Bewegung ausführen. Dafür, daß er trotzdem auftrat bzw. die Zähne zusammenbiss und zu Ende tanzte: Bravo!
Der australische Dirigent Steven Moore hat von Christoph Gedschold die musikalische Leitung übernommen.
Die Karten für die Nußknacker-Vorstellungen verkaufen sich schnell und tatsächlich kann man feststellen, daß diese Produktion das ist, was Giancarlo del Monacos Inszenierung von Puccinis La Bohème früher einmal war: eine atmosphärisch dichte Aufführung, die man einfach nicht verpassen sollte. Schon gar nicht in der Weihnachtszeit.
PS1: Nach den großen Erfolgen der Tschaikowsky-Ballette Schwanensee und Nußknacker fehlt nun eigentlich noch Dornröschen (z.B. auch in der Choreographie von Youri Vámos, bei dem die Handlung ebenfalls umgedeutet wird und die Geschichte Anastasias, der vermeintlich letzten Zarentochter erzählt wird. Aber auch Vámos' Choreographie zu Khatschaturians Spartacus wäre eine spannende Wahl für Karlsruhe).
PS2: Im Publikum waren u.a. Heidi Melton und Katharine Tier sowie Justin Brown als Zuschauer anwesend.
Vor den Augen der Ballettdirektoren Birgit Keil und Vladimir Klos gab es eine sehr gute Aufführung, bei der einige hervorzuheben sind: wie immer und vor allem die Kindergruppe, deren Spiel- und Tanzszenen jedem ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Beeindruckend waren gestern die Solotänzer: Flavio Salamanka (wie immer mit großer Sicherheit, Souveränität und Eleganz), Sabrina Velloso, für die die Rolle der Clara ideal erscheint, dazu Bruna Andrade als strahlende Weihnachtsfee und Admill Kuyler als anfangs mürrischer und dann glücklich geläuterter Scrooge. Vergleicht man die diesjährige Wiederaufnahme (die 25. Aufführung) mit der des letzten Jahres, fällt Zhi Le Xu auf, der als Todesgeist deutlich an Ausstrahlung hinzugewonnen hat und der zusammen mit der gewohnt sicheren Barbara Blanche im arabischen Tanz einen starken Auftritt hat. Auch Jussara Fonseca im Tanz mit den Harlekinen hinterließ einen sehr guten Eindruck. Daß Ballett Hochleistungssport ist, war im russischen Tanz zu merken: Reginaldo Oliveira schien verletzungsbedingt gehandicapt und konnte nicht jede Bewegung ausführen. Dafür, daß er trotzdem auftrat bzw. die Zähne zusammenbiss und zu Ende tanzte: Bravo!
Der australische Dirigent Steven Moore hat von Christoph Gedschold die musikalische Leitung übernommen.
Die Karten für die Nußknacker-Vorstellungen verkaufen sich schnell und tatsächlich kann man feststellen, daß diese Produktion das ist, was Giancarlo del Monacos Inszenierung von Puccinis La Bohème früher einmal war: eine atmosphärisch dichte Aufführung, die man einfach nicht verpassen sollte. Schon gar nicht in der Weihnachtszeit.
PS1: Nach den großen Erfolgen der Tschaikowsky-Ballette Schwanensee und Nußknacker fehlt nun eigentlich noch Dornröschen (z.B. auch in der Choreographie von Youri Vámos, bei dem die Handlung ebenfalls umgedeutet wird und die Geschichte Anastasias, der vermeintlich letzten Zarentochter erzählt wird. Aber auch Vámos' Choreographie zu Khatschaturians Spartacus wäre eine spannende Wahl für Karlsruhe).
PS2: Im Publikum waren u.a. Heidi Melton und Katharine Tier sowie Justin Brown als Zuschauer anwesend.
Donnerstag, 15. Dezember 2011
Tschaikowsky - Der Nußknacker, 14.12.2011
Auch ein Jahr nach der Karlsruher Premiere des im Jahre 1988 in Bonn uraufgeführten Balletts „Der Nußknacker – Eine Weihnachtsgeschichte“ , indem die Geschichte des Nußknackers mit der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens kombiniert wird, strömen die Zuschauer zu den Vorstellungen, die frühzeitig ausverkauft waren. Der Choreograph Youri Vámos hat zusammen mit seinem Ausstatter Michael Scott, der in den letzten drei Jahrzehnten in Karlsruhe immer sehr gute Arbeit abgeliefert hat, ein generationenübergreifendes Familien- und Weihnachtsballett geschaffen, das kitschig schön und etwas altmodisch inszeniert, aber als harmonisches und glücklich machendes Weihnachtsballett auch mehrheits- und konsensfähig ist.
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