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Donnerstag, 12. Juli 2012

Tüür - Wallenberg, 11.07.2012

Es gibt kein Ende der Geschichte und auch die knapp 400-jährige Operngeschichte geht weiter. Es ist die Aufgabe eines guten Opernhauses, gerade auch die eines Staatstheaters, sich mit allen Epochen auseinanderzusetzen und moderne Opern gehören wie Barockopern zu den festen Bestandteilen eines guten und ausgewogenen Spielplans. In den letzten Jahren gab es in Karlsruhe übrigens Opern wie Gottfried von Einems Dantons Tod (Uraufführung 1947), Bohuslav Martinůs Die griechische Passion (UA 1961), Sandor Szokolays Blutzhochzeit (UA 1964) und Benjamin Brittens Tod in Venedig (UA 1973) mit durchweg beachtlichem und großem Erfolg zu hören. Und auch Tüürs Wallenberg (UA 2001) sollte man sich als Opernliebhaber nicht entgehen lassen.

Freitag, 25. Mai 2012

Erpulat / Hillje - Verrücktes Blut, 24.05.2012

Das Magazin Der Spiegel nannte Verrücktes Blut im Herbst 2010 den "Hit der Saison" , bei dem sich die Zuschauer "bogen vor Lachen und vor Grauen". Gestern hatte Verrücktes Blut nun auch Premiere in Karlsruhe und unterhielt sein Publikum bestens. Aber es ist ein perfides Spiel, das sich der  Regisseur Dominik Günther mit seinen Zuschauern erlaubt, denn er hält ihnen einen Spiegel vor: Sage mir, an welchen Stellen du lachst, und ich sage dir, welche Vorurteile dir gefallen!

Freitag, 27. April 2012

Jurek Becker - Jakob der Lügner, 27.04.2012

Die literarische Woche geht weiter: nachdem es am Samstag eine getanzte Momo gab, folgte eine weitere Romanadaption: Jurek Beckers Roman Jakob der Lügner in einer Theaterfassung.

Die Geschichte von Jurek Beckers Roman über Jakob, der während des zweiten Weltkriegs in einem polnischen Juden-Ghetto vorgibt, eine Radio zu haben und erfundene Berichte darüber verbreitet, daß die rote Armee im Anmarsch sei und der Krieg sich wende, ist so einfach und eingänglich, aber auch exemplarisch und überzeitlich, daß es sich vom Buch löst und in einen Kanon des Wissens und der Verständlichkeit eingegangen ist.
Manche Bücher verselbständigen sich: sie werden erst gerühmt, besprochen und gelegentlich von einem größeren Publikum gelesen, dann in Schulen zur Lektüre, irgendwann verfilmt (sogar ein Remake aus Hollywood ist für Beckers Roman vorhanden) und da liegt es nicht fern, sie auch in Theaterfassung zu bringen. Der Nachteil solcher verfilmten und medial verbreiteten Stoffe ist, daß sie thematisch bekannt sind, daß man oft feste Vorstellungen dazu hat. Schon im Voraus weiß man zumindest so ungefähr, was passiert und wie es zu geschehen hat. Das kann ein Vorteil sein, wird sich aber auch oft nachteilig auswirken. In Karlsruhe unterläuft der Regisseur die Erwartungen auf ebenso geschickte wie überraschende Weise: er setzt auf Komik und ein erinnerungswürdiges Bühnenbild!

Bereits im April 2011 brachte der Regisseur Martin Nimz die Uraufführung einer Theaterfassung in Heidelberg auf die Bühne. Gestern nun eine neue Version im Badischen Staatstheater, die im Vergleich zu Heidelberg um einen namenlosen Erzähler erweitert ist (ein Kunstgriff, der zur Zeit in Mode zu sein scheint und auch bei Handkes Immer noch Sturm erfolgreich ist). Dieser schildert rückblickend die Ereignisse und sieht sich beim Erinnern und Selbstbefragen mit dem eigenen inneren Schrecken konfrontiert; als Überlebender konnte er sich nie vom Grauen des Ghettos befreien. Seine Schilderungen vom dortigen Leben sind anfänglich hoch amüsant, zeigen sie doch, wie man sich mit dem Leben in ständiger Ausnahmesituation arrangierte. So sind die ersten Szenen voller Situationskomik; der Schrecken schleicht sich nur unterschwellig hinein und die Beklemmung wächst langsam. Zum ersten Mal in dieser Spielzeit wird wieder im Zuschauerraum oft gelacht, der Kontrast zum starken Schlußbild ist dann umso schärfer. Die Bedrohlichkeit der Lage ist anfänglich fast zu stark zurückgenommen: die Komik angesichts der trostlosen Lage wird nicht jeder für angemessen und nachvollziehbar halten und sich vielleicht nur jenen ganz erschließen, die auch in einer verzweifelten Lage noch optimistisch bleiben und denken, daß es hätte schlimmer kommen können. Rückblickend fällt es schwer zu glauben, daß es in dieser Situation Humor überhaupt geben konnte. Es ist damit zu rechnen, daß der teilweise vordergründige Witz einigen zu weit geht und ihnen den hintergründigen Ernst zu stark verstellt.
Der Zwiespalt des fröhlichen Ghettos wird bei einigen Irritationen auslösen und Beckers Geschichte als Tragikomödie erscheinen lassen. Hier liegt das größte Diskussionspotential dieser Inszenierung.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befürchtete im Juli 2011, daß mit der vermehrten Präsentation nicht für die Bühne geschriebener Texte die Entdramatisierung der Theater endgültig dramaturgisch beschlossene Sache zu sein scheint. Wenn man die Karlsruher Inszenierung betrachtet, möchte man der FAZ teilweise Unrecht geben: Es ist zwar ganz und gar nicht garantiert, daß man man einen guten Roman gewinnbringend auf die Bühne bringen kann (vor einigen Jahren war Hesses Steppenwolf ein Beispiel dafür, daß es nicht funktioniert), aber in Karlsruhe gelingt die Adaption. Obwohl die Szenen überwiegend episodisch sind, es Durchhänger gibt (ca. 30 Minuten des dreistündigen Abends hätte man verlustfrei kürzen können) und nicht jede Balance austariert ist, ergibt sich doch ein fast durchgängiger Spannungsbogen, der in einem beeindruckendem Schlußbild seinen Höhepunkt findet.

Das psychologische Destillat dieser Handlungskonstellation -eine Gruppe Menschen in beklemmender existentieller Ausnahmesituation- bietet auf den ersten Blick wenig Spielraum für Überraschungen. Es wurde vor allem in Filmen hinreichend konjugiert, da in solchen Situationen exemplarische Persönlichkeiten gezeigt werden. Für Regie und Schauspieler besteht die Herausforderung darin, daß die Individuen zu Typen, die Typen zu Individuen geworden erscheinen. Der Karlsruher Regie gelingt das leider nicht durchgehend, einige der Figuren bleiben einfach zu blaß und wirken fast wie Statisten, aber es entwickelt sich trotz weniger darstellerischer Schwachpunkte eine dichte Aufführung.

Viele Zuschauer werden bei Jakob der Lügner erleichtert aufatmen: endlich dürfen die Schauspieler zeigen, was sie können und -überraschend genug bei diesem Thema- darf auch gelacht werden. Dafür ist hauptsächlich Frank Wiegard verantwortlich, der als Friseur Kowalski seine bisher stärkste Rolleninterpretation in Karlsruhe zeigt.
André Wagner als namenloser Erzähler zeigt das, was er am besten kann: er überzeugt als traumatisierte, zerissene, sich im Zwiespalt befindende Person. Er ist die tragische Hauptfigur dieser Inszenierung.
Unter den sehr guten Schauspielern haben vor allem Cornelia Gröschel, Ute Baggeröhr (beide ein klarer Gewinn für das Karlsruher Ensemble!) Timo Tank (großartig, wie er mit minimaler Mimik seine Rolle verkörpert und doch seine Figur unverwechselbar macht) und Gunnar Schmidt  die Chance, ihr Können zu zeigen.

Nach der kurzfristigen Erkrankung des Hauptdarstellers Georg Krause (hier mehr zu ihm), wurde die für letzten Freitag angesetzte Premiere um zwei Tage auf Sonntag verschoben, nachdem man ebenfalls kurzfristig mit Axel Sichrovsky einen Ersatzschauspieler gefunden hatte, der nur wenige Tage intensiv geprobt hatte, um die ersten Termine zu retten. Sichrovskys Rollenporträt des Jakob als die des kleinen Manns von der Straße ist hauptsächlich der Anknüpfpunkt für die Betrachtungen des Erzählers und nicht, wie vielleicht von einigen erwartet, die eigentliche Hauptfigur im Zwiespalt. Sichrovskys Jakob ist einer unter vielen, ein unauffälliger Durchschnittsmann, den der Zufall als Held auserwählt. Jakob wird bei ihm nicht zum unverwechselbaren Charakter. Dem Zwiespalt seiner Figur als Lügner und Hoffnungsträger wird er nicht ganz gerecht. Ob das die Regie vorgab oder dem kurzfristigen Einspringen geschuldet ist, bleibt vorerst unklar. Sichrovsky spielt sehr gut und doch wird sich der eine oder andere gefragt haben, wie Krause die Rolle gespielt hätte oder bald spielen wird.


Die sehr kreative und intelligente Bühne von Bühnenbildner Sebastian Hannak (der auch am Samstag die Bühne zum Ballett Momo entworfen hat) ist massiv orange und gibt dieser Produktion eine unverwechselbare Form: Unmengen an kleinen orangefarbenen Bällen, die wie Orangen-Berge wirken, sollen zwei metaphorische Funktionen erfüllen. Sie verbergen Latentes, Verschüttetes und Vergessenes und sind gleichzeitig ein Bild für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Fazit (1): Eine gute, interessante und originelle Inszenierung, die im positiven Sinne an gute Produktionen unter Knut Weber anknüpft.

PS (1): Das Karlsruher Schauspiel benötigte im Vorfeld dringend einen Erfolg, um die bisher magere Bilanz zu verbessern. Jakob der Lügner ist bis zum Spielzeitende zwölf mal im Spielplan vorgesehen. Viele populäre Schauspieler des Ensembles werden aufgeboten. Schon vor der Premiere waren nur noch wenige Plätze für die folgenden Aufführungen erhältlich. Anscheinend hat man darauf geachtet, daß möglichst viele Abonnenten dieses Stück zu sehen bekommen, damit die Zuschauerstatistik am Saisonende halbwegs ordentlich aussieht. Zu oft hatte man bisher zu wenig Publikum. Der Plan sollte aufgehen:  Im Detail mag die Inszenierung diskutabel sein, aber es handelt sich durchweg um eine legitime Sicht, die diesem schwierigen Stoff trotz oder gerade wegen des Humors angemessen ist.

PS(2): Man sieht dem lustigen Treiben auch deshalb verwundert zu, weil es das Gegenteil der bisherigen Spielzeit ist. Man könnte den Verdacht äußern, daß hier Wiedergutmachung betrieben wird und einige Schauspieler die Chance ergreifen, daß sie etwas aus ihren Rollen machen dürfen und endlich Theater spielen können. So sieht man gelegentlich etwas zu viel, die Möglichkeit zum Klamauk wird etwas zu stark ausgereizt, die Balance dadurch etwas verschoben. Ich habe mich als Zuschauer ebenfalls gelegentlich daran gestört, aber mich dann mehr darüber gefreut, daß man endlich etwas gezeigt bekommt.

Fazit (2): Und sehr spät nachts noch eine letzte Erkenntnis: man kann über diese Inszenierung in einem konstruktiven Sinne viel diskutieren und nachdenken. Und deshalb ist das Ergebnis meiner nächtlichen Selbstbefragung angesichts der Vielschichtigkeit dieser Produktion eine Empfehlung: Jakob der Lügner ist in dieser Spielzeit die bisher beste Inszenierung im Kleinen Haus. Ich werde sie -nicht nur wegen Georg Krause- ein zweites Mal anschauen. Ich bin gespannt, wie dann mein Urteil ausfällt.


Besetzung: Erzähler: André Wagner; Jakob Heym: Georg Krause/Axel Sichrovsky; Lina: Cornelia Gröschel; Kowalski, Frisör: Frank Wiegard; Mischa, Boxer: Benjamin Berger; Herr Frankfurter: Klaus Cofalka-Adami; Frau Frankfurter: Ursula Grossenbacher; Rosa Frankfurter: Ute Baggeröhr; Prof. Kirschbaum: Timo Tank; Elisa Kirschbaum: Eva Derleder; Herschel, der Fromme: Jonas Riemer; Fajngold: Hannes Fischer; Preuß: Gunnar Schmidt; Meyer: Robert Besta; Kostüme: Ricarda Knödler; Video: Manuel Braun

Sonntag, 22. April 2012

Momo (Ballett Uraufführung), 21.04.2012

Es war perfekt! Um den Triumph der gestrigen Ballettpremiere gerecht zu werden, müsste man eine Sprache der aufrichtigen Superlative finden, bei der es keine Zweifel gibt, daß Wörter wie großartig, berührend oder Meisterwerk ihrem wahren Sinn nach verstanden werden. Mit Momo gelingt dem Ballett des Badischen Staatstheaters eine Sternstunde und das Kunststück, eine rundum geglückte Romanadaption in Form eines philosophischen Balletts für unsere Zeit zu präsentieren, das vielleicht nur eine Hürde für sein Publikum stellt: es ist von Vorteil Momo zu kennen.

Freitag, 23. März 2012

Sophokles/Rihm - Auf Kolonos, 22.03.2012

Ausnahmsweise ein erstes Fazit zu Beginn: ABSOLUT NICHT EMPFEHLENSWERT! Wer in Auf Kolonos will, dem kann man nur guten Herzens empfehlen, die Karten umzutauschen oder an jemanden mit einer Schlafstörung weiterzugeben. Es handelt sich um eine von jenen Inszenierungen, bei der man voller Verzweiflung darauf wartet, daß Hape Kerkeling erscheint und "Huuurz" ruft oder ein Moderator der versteckten Kamera  auf die Bühne kommt und das Geschehen mit der Bemerkung "Verstehen Sie Spaß?" enttarnt. Vielleicht passierte das sogar und der Abend wurde nach der Pause als das Werk eines Scharlatans offenbart. In über zwanzig Jahren als Theaterbesucher in Karlsruhe bin ich gestern zum zweiten Mal in der Pause vorzeitig gegangen. Warum? Es war unglaublich langweiliges Theater zum Abgewöhnen bei dem bereits nach ca. 30 Minuten eingeschlafene Zuschauer zu entdecken waren und nach ca. 45 Minuten die ersten Frustrierten das Theater verließen. Das Karlsruher Schauspiel ist mit dieser Produktion da angekommen, wo sich die Fußballer des Karlsruher SC schon seit einiger Zeit befinden: im Abstiegskampf. Man darf sich nicht wundern, wenn die Trainerfrage gestellt wird.

Samstag, 18. Februar 2012

Händel - Alessandro (Premiere), 17.02.2012

Nach der Generalprobe standen bei der Premiere vor allem die Sänger im Mittelpunkt. Betrachtet man die Struktur von Händels Alessandro fällt ein Ungleichgewicht auf. Die Oper benötigt sieben Sänger und enthält 25 Arien und drei Duette. Drei der sieben Sänger singen 20 Arien und alle Duette, die übrigen fünf Arien verteilen sich auf die restlichen vier Sänger.
Doch dafür gibt es einen guten Grund: Händel schrieb für ein berühmtes Sängertriumvirat. Bei der 1725 uraufgeführten und von Händel selber dirigierten Oper sangen zum ersten Mal drei der damals größten Gesangstars zusammen: der Kastrat Senesino, der als Alessandro acht Arien zu singen hat, sowie die beiden Sängerinnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni mit jeweils sechs Arien. Händel achtete auf eine gerechte Rollenverteilung zwischen den beiden Primadonnen, die auch dadurch berühmt wurden, daß sie sich bald als Konkurrentinnen sahen und sich später, während einer Aufführung von Giovanni Bononcinis Oper Astianatte, auf der Bühne prügelten.

Die Hauptrollen Alessandro, Rossane und Lisaura werden bei den Händel Festspielen gesungen von Lawrence Zazzo, Yetzabel Arias Fernandez und Raffaella Milanesi.

Lawrence Zazzo war bereits 1998 und 1999 bei den Karlsruher Händel Festspielen als Unulfo in Händels Oper Rodelinda zu hören (damals großartig dirigiert von Trevor Pinnock und gespielt vom Freiburger Barockorchester). Inzwischen  gehört er zu den großen Namen der Countertenor-Szene, doch war sein gestriger Auftritt etwas zu glanzlos und unspektakulär. Stimmlich konnte er z.B. Franco Fagioli nicht vergessen machen. Seine Figur leidet allerdings unter der Karlsruher Regie: diese weiß mit ihm weniger anzufangen als mit den beiden Darstellerinnen. Seine Auftritte bleiben eher unbestimmt. Er stand dadurch letztendlich im Schatten der beiden Sängerinnen. Alessandro ist in dieser Inszenierung weniger die zentrale Rolle, als man erwarten konnte.

Wie schon im Jahr 1725 lieferten sich auch gestern  die Sängerinnen ein Kopf an Kopf Rennen um die Gunst des Publikums und lagen gleichauf. Beide erhielten sehr viel Applaus, Bravas und Zustimmung und es ist eine Frage  persönlicher Vorlieben, welche der beiden der Vorzug zu geben ist. Im Verlauf des Abends hörte man von beiden sehr gut gesungene und auch gespielte Arien. Milanesis Lisaura macht im Verlauf des Abends mehr Veränderungen durch, Fernandez' Rossane hat das wärmere Timbre und die konstantere, sympathischere Rolle. Milanesi kann man deshalb hervorheben, weil sie erst vor wenigen Wochen engagierte wurde und aufgrund einer Erkrankung im Ensemble spät in die Produktion einstieg. Davon ist allerdings absolut nichts zu merken.

In den Nebenrollen gibt es ebenfalls Gutes zu berichten: Der argentinische Countertenor Martin Oro als Tassile (er sang bereits 2000 in Karlsruhe in Händels Messias), Andrew Finden (Clito), Sebastian Kohlhepp (Leonato) und nicht zuletzt die auch schauspielerisch wunderbare Rebecca Raffell (Cleone) sangen, agierten und tanzten(!) überzeugend. Schade, daß Sie aus oben genannten Gründen nur so wenige Arien haben.

Händels Sängerin Faustina Bordoni überlieferte, daß das typische Händel Orchester ca. 45 Instrumentalisten umfasste. In Karlsruhe waren es weniger. Die 36 Händel-Solisten spielten wie gewohnt großartig und klangschön. Der neue Dirigent Michael Form hinterließ einen sehr guten Eindruck. Man kann in Alessandro viel wunderschöne und abwechslungsreiche Musik entdecken!

Die Inszenierung ist nach Karlsruher Maßstäben Händel-gerecht und unterstützt die Sänger. Regisseur Alexander Fahima hat seine Ideen sehr gut umgesetzt: jeder Akt hat eine andere Atmosphäre, die Sänger agieren unterschiedlich und passend zum musikalischen Ausdruck der Arien. Allerdings ist die handlungsarme Oper bei ihm auch handlungsfrei erzählt. Es passiert wenig und ein bißchen mehr Erzählfreude und Ironie hätte der Inszenierung gut getan. Die Schlußszene ist ebenfalls diskutabel: das typische Verzeih- und Glücksfinale gönnt Fahima seinen Figuren weder musikalisch (die beiden schönen Duette am Ende des 3. Akts wurden gestrichen und dem Publikum vorenthalten) noch szenisch: Alessandro bleibt alleine zurück. 

Claudia Doderer
hat passende Kostüme geschaffen. Ihr Bühnenbild ist allerdings zu steril: die geometrisch abgestimmte, zweiteilige Seiten- und Rückbegrenzung wirkt unattraktiv.
Im 1. Akt passiert nach starkem Beginn lange wenig auf der Bühne. Erst gegen Ende des 1. Akts wird dem Publikum dann wieder etwas zum Hinschauen geboten. Der 2. Akt lebt von der emotionalen Atmosphäre, die in einigen Arien durch 4 (sehr gute und sehr synchrone) Tänzer sowie über Projektionen bildlich verstärkt wird. Nicht immer hat man dabei den Eindruck, daß man die optimale Lösung sieht, manche Bildeffekte wirken austauschbar. Im 3. Akt hat man das Bühnenbild etwas erweitert, ohne daß damit etwas gewonnen ist. Etwas zu karg, etwas zu einfach, etwas fehlt, um in Erinnerung zu bleiben  ...

Fazit: ein gelungener und schöner Festspieleinstieg, der musikalisch viel zu bieten hat. Ganz klar muß man auch feststellen, daß die neue Festspielleitung bemüht ist das künstlerische Niveau der letzten Jahre zu halten, doch mit dieser Produktion ist man noch nicht auf Augenhöhe der Vorjahre angekommen!
Die Premiere war restlos ausverkauft mit ca 1100 Zuschauern auf allen Sitz- und Stehplätzen und wurde vom Publikum stark applaudiert uns sehr wenig ausgebuht. Wer sich im Publikum genau umschaute, konnte dort zwei weitere Adressaten des Jubels entdecken. Gemäß dem Karlsruher Spielzeitmotto könnte man die beiden als Helden bezeichnen, denn es war der frühere Intendant Günther Könemann, der vor 34 Jahren Karlsruhe zur Händel-Stadt machte und der ehemalige Opernleiter Thomas Brux (und der nicht gesichtete Achim Thorwald), die für die Beliebtheit und Akzeptanz Karlsruhes als Händel-Stadt in den letzten 10 Jahren -und damit auch für den Zuschauerandrang in diesem Jahr- einen wesentlichen Beitrag geleistet haben!

Sonntag, 29. Januar 2012

Delius - Romeo und Julia auf dem Dorfe, 28.01.2012

Wo immer man versucht sich über Delius‘ Oper Romeo und Julia auf dem Dorfe zu informieren, findet man die Beschreibung unbekanntes Meisterwerk. Die Musik der Oper changiere stilistisch zwischen Grieg, Wagner und Debussy, ist harmonisch vielfältig mit stark impressionistischen Zügen. Delius‘ reife Werke seien von überwältigender Klangschönheit. Am Badischen Staatstheater kann man nun überprüfen, wie Delius klingt. Knapp 105 Jahre nach der Uraufführung in Berlin ist Romeo und Julia auf dem Dorfe zum ersten Mal in Karlsruhe zu hören.

Freitag, 27. Januar 2012

Tennessee Williams - Orpheus steigt herab, 26.01.2012

Tennessee Williams (1911-1983) ist ein Klassiker des 20. Jahrhunderts. Das 1957 am Broadway uraufgeführte Werk Orpheus steigt herab (Orpheus descending) steht in einer Reihe mit seinen berühmten Werken Die Glasmenagerie (1944), Endstation Sehnsucht (1947), Die Katze auf dem heißen Blechdach (1955), Süßer Vogel Jugend (1959), … Berühmte Verfilmungen (mit Schauspielern wie Elizabeth Taylor, Richard Burton, Paul Newman, Kirk Douglas) trugen zu Williams‘ Ruhm bei. Anna Magnani und Marlon Brando übernahmen die Hauptrollen in der Verfilmung dieses Stoffes. Wer diese Filme kennt, weiß um den speziellen Stil von Williams für den man starke Schauspieler benötigt, um die Rollen typgerecht auszufüllen.

Montag, 23. Januar 2012

Handke - Immer noch Sturm, 22.01.2012

Peter Handkes neustes (und vielleicht altersbedingt letztes) Theaterwerk Immer noch Sturm wurde im August 2011 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. In Karlsruhe erfolgte nun die zweite Inszenierung. Nach den vorangegangenen, eher durchwachsenen und mäßigen Reaktionen des Karlsruher Publikums auf die beiden Handke Stücke  Das Spiel vom Fragen (2008) und Die Stunde da wir nichts voneinander wussten (2011) ist das eine mutige und verdienstvolle Entscheidung des Schauspielchefs Jan Linders, die -so viel schon vorab- durch viel Premierenapplaus belohnt wurde.

Sonntag, 1. Januar 2012

Kleist - Amphitryon, 31.12.2011

Thomas Mann bezeichnete Kleists Amphitryon als das “witzig-anmutsvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspiel der Welt“. Kleist war bei der Übersetzung der gleichnamigen Komödie von Molière auf den griechisch-mythologischen Stoff aufmerksam geworden und deutete ihn neu als die tragisch-komische Geschichte eines unfrivolen Ehebruchs. Jupiter nimmt die Gestalt des thebanischen Feldherrn Amphitryon an und verbringt mit dessen Frau Alkmene eine göttliche Liebesnacht. Als am Morgen der echte Amphitryon  erscheint und Alkmene von der Nacht mit ihm schwärmt, beginnen die Verwirrungen. Amphitryon  fühlt sich betrogen, Alkmene, die ihrem Gatten subjektiv treu ist, weiß nicht, wie ihr geschieht und der Betrüger Jupiter muß letztendlich erkennen, daß Alkmene nur Amphitryon  liebt und ihre gemeinsame Nacht nicht als göttliche Ehre beurteilt. Der demaskierte Jupiter verkündet letztendlich, daß Alkmene einen Sohn erwartet. (Daß das von ihm gezeugte Kind Alkmenes ein Halbgott namens Herkules sein wird, ist in der Karlsruher Inszenierung gestrichen). Alkmenes Sprachlosigkeit angesichts dieser Aussichten beendet das Stück mit einem bedeutungsvollen „Ach!“. In einer Parallelhandlung nimmt Jupiters göttlicher Helfer Merkur die Gestalt von Amphitryons Diener Sosias an. Merkur weigert sich allerdings Sosias Gattin Charis zu beglücken, die wiederum den echten Sosias dafür bestraft.

Montag, 19. Dezember 2011

Offenbach - Ritter Blaubart, 17.12.2011

Seit 2007 gab es keine neue Operetteninszenierung des Badischen Staatstheaters. Hat jemand die Sparte Operette vermisst? Offensichtlich schon, das Karlsruher Publikum scheint ungeduldig darauf gewartet zu haben: schon vor der Premiere waren die Tickets für die fünf bereits annoncierten Termine zu über 90% verkauft, nur die überteuerte Silvesteraufführung ist (bisher) geringer gebucht.

Aufmüpfig, bissig und frech“ wolle man den Schwerpunkt Operette in den nächsten fünf Jahren gestalten ließ die Opernleitung verbreiten, denn diese „Werke haben nicht nur musikalisch noch immer viel zu sagen, auch die Geschichten, und vor allem wie sie erzählt werden, haben kaum an Sprengkraft verloren.“ Das ist leider in jeder Hinsicht zu hoch gegriffen. Die Operette kämpft gegen den Verdacht eine verstaubte, betuliche und nicht wirklich modernisierbare Kunstform zu sein, die bestenfalls gute Unterhaltung ohne Nach- und Tiefenwirkung bietet. 

Der Karlsruher Blaubart ist Operette auf der Höhe ihrer Möglichkeiten: Carsten Golbeck hat den Text des 1866 uraufgeführten Werks für die Karlsruher Aufführung  neu angepasst und aktualisiert, und zwar gekonnt, witzig und intelligent. Regisseur Aron Stiehl, Bühnenbildner Jürgen Kirner und Kostümbildnerin Franziska Jacobsen liefern eine sehr einfallsreiche Arbeit ab, mit vielen amüsanten und liebevollen Details; eine durchweg unterhaltsame Inszenierung mit wenig Durchhängern, die Tagespolitik, Satire und Klamauk gekonnt kombiniert. Es herrscht ein wilder Stilmix auf der Bühne vor: die Schäferidylle des ersten Bildes spielt in der Bergwelt der Alpen und erinnert an die Idylle der Heimatfilme der 1950er Jahre. Blaubarts erster Auftritt erfolgt in mittelalterlicher Rüstung. Der Königspalast und seine Personen kombiniert Queen Mum, Charlie Chaplin und Sissi Filme. Für die Zuschauer gibt es viel zu sehen.

Zu hören gibt es eine sehr gute Ensembleleistung: Blaubart sang als Gast Carsten Süß, an den sich eventuell noch einige durch seine Karlsruher Auftritte in Verdis Falstaff und Puccinis Gianni Schicchi erinnern. Außerdem Stefanie Schaefer (Boulotte), Ina Schlingensiepen (Fleurette/Hermia), Sebastian Kohlhepp (Prinz Saphir), Armin Kolarczyk (Oscar), Gabriel Urrutia Benet (Popolani) und Sarah Alexandra Hudarew (Königin Clémentine). Kammersänger Hans-Jörg Weinschenk (König Bobèche) war schon im letzten Karlsruher Blaubart in der Spielzeit 1990/1991 dabei (damals in der Inszenierung von Wolfgang Quetes), ebenfalls in dieser Rolle und überzeugte wie gewohnt als Komödiant und Schauspieler.

Überhaupt: Alle Akteure zeigten sehr hohe Spielfreude. Man konnte ihnen ansehen, daß ihnen ihre Rollen Spaß machten. Schon im Vorfeld der Premiere hatte der Regisseur den Karlsruher Chor in höchsten Tönen gelobt und hatte verlauten lassen, daß dieser mit seinem Engagement und seiner Professionalität einen wesentlichen Beitrag zur Inszenierung geleistet hat. Das bewies der Chor auch eindrucksvoll. Sogar die mitspielenden Statisten durften ihr schauspielerisches Talent beweisen.

Beim Publikum kam die Premiere sehr gut an. Unter den Abonnenten und dem Opern-Stammpublikum gab es allerdings auch einige ältere Zuschauer (ob nun an Jahren oder nur im Kopf), die den Humor der Aufführung unter ihrer Würde fanden und indigniert den Eindruck vermittelten, daß sie lieber Wagners Götterdämmerung gehört hätten. Diese Sicht wurde von der großen Mehrheit des Publikums allerdings nicht unterstützt: es gab berechtigterweise viel, langen und starken Applaus für alle Beteiligten. Den Operettenfans wird diese Inszenierung gefallen!

Freitag, 25. November 2011

Schiller – Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, 24.11.2011

Der frühere FAZ Theaterkritiker Georg Hensel hat die alte Schauspielerweisheit überliefert, daß der Fiesco gerne dazu verwendet wird, einen Regisseur zu verheizen, und meistens bleiben dabei auch Schiller, die Schauspieler und das Publikum auf der Strecke. All jene, die sich noch an den letzten Karlsruher Fiesco erinnern, der in der Spielzeit 1992/1993 im Großen Haus präsentiert wurde, können das wahrscheinlich aus leidvoller Erinnerung bestätigen: damals ein grandioses Fiasko, bei dem die Zuschauer in der Pause des 3,5 stündigen Abends in Scharen das Theater verließen. Einige erinnern sich eventuell noch deshalb an die Inszenierung von Paolo Magelli, weil er bei vielen Szenenwechseln durch Einsatz einer ohrenbetäubend lauten Fliegeralarmsirene jeden Theaterschlaf unterband.

Montag, 21. November 2011

Siegfried (Ballett Uraufführung), 19.11.2011

Seitdem Birgit Keil 2003 die Leitung des Karlsruher Balletts übernommen hat, ist die große Handlungsballett-Premiere im Herbst zu einem der Prestige-trächtigsten Premierenabende der Spielzeit geworden und viele erinnern sich gerne an die umjubelten Aufführungen von Giselle, Coppelia, Les Sylphides, Anna Karenina, Prokofiews Romeo und Julia, Schwanensee, Nußknacker und anderer Ballette in den letzten Jahren. Siegfried reihte sich am Samstag erfolgreich in diese Liste ein.

Montag, 7. November 2011

Verdi - Rigoletto, 06.11.2011

Viel zu viel Zeit ist verflossen seitdem in Karlsruhe zuletzt in der Spielzeit 1989/90 Verdis Meisterwerk Rigoletto zu hören war. Entsprechend hoch war gestern die Erwartungshaltung des Publikums bei der Premiere, die allerdings nur die Neuinszenierung einer Produktion war, die fast genau zwei Jahre zuvor in Heidelberg erstmalig gezeigt wurde. Leider blieb es unverständlich und rätselhaft, aus welchen Gründen diese Inszenierung in Karlsruhe wieder belebt wurde.
Rigoletto ist auf Kostümebene in die 1980er Jahre versetzt worden. Der Bühneninnenraum ist dreieckig begrenzt durch helle Lamellenvorhänge, die zwei Hinterräume und eine Empore vom Innenraum abgrenzen und automatisch auf- und zufahren, um den Zuschauern Einblicke zu gewähren. Dazu kommen variabel positioniert Stuhlreihen, die der Bühne den Reiz eines Warte- oder Seminarraums geben und gelegentlich ein Bett im Hintergrund. Daraus ergibt sich ein Bühnenbild von selten gesehener, unattraktiver Beliebigkeit, das so unspezifisch, ja charakterlos ist, daß man darin genauso gut andere Opern oder Theaterstücke spielen könnte. Der Regisseur Jim Lucassen hatte gute Ideen,  findet dafür aber nur selten gelungene Lösungen; die Personenregie kommt über gutes Mittelmaß nicht hinaus. Die Chorregie ist dilettantisch: so vermittelt das erste Bild das Flair eines Kegelvereins auf Kaffeefahrt; in der Gewitterszene des dritten Akts, bei der Verdi die Windmaschine durch einen wortlos summenden Männerchor ersetzt, gerät die Ermordung Gildas zu einer unfreiwillig komischen Halloween Farce.

Montag, 17. Oktober 2011

Berlioz – Les Troyens, 15.10.2011

Große Erwartungen und viel Vorfreude lagen bei der ersten Opernpremiere der neuen Intendanz in der Luft und es wurde ein langer (ca 5 Stunden, 20 Minuten), abwechslungsreicher, spektakulärer und sehr spannender Abend.

Die fünfaktige Oper ist zweiteilig. Der erste Teil Die Einnahme Trojas umfasst die ersten beiden Akte. Die Trojaner in Karthago die Akte drei bis fünf.

Die Einnahme Trojas beginnt mit schweren Atemstößen. Der Geist des trojanischen Helden Hektor steht auf dem leeren Schlachtfeld, schwer atmend als ob auch die Geister noch Troja verteidigt hätten,  und nun nach dem scheinbaren Abzug der Griechen erschöpft den Horizont absuchend. Bühnen- und Kostümbildner Christoph Hetzner hat für den ersten Teil eine karge, archaisierende Bühne geschaffen. Die vorherrschende Kostümfarbe ist weiß, die nur kurz vor Ende auftretenden Griechen sind in Schwarz. Die Farbe des Blutes und der Toten ist blau. Die zentrale Rolle ist Hektors Schwester Kassandra, die die Trojaner vergeblich vor dem griechischen Pferd warnt und am Ende des zweiten Aktes die trojanischen Frauen anführt, die den Freitod wählen, um der griechischen Gefangenschaft zu entgehen. Regisseur David Hermann hat für den ersten Teil der Oper eine durchweg überzeugende und spannende Inszenierung geliefert, die auf spektakuläre Publikumswirkung setzt. Um die räumliche Wirkung der Chormassen zu verdeutlichen, lässt Hermann den Zuschauerraum bespielen: der Chor geht über die Zuschauertüren ein und ab und singt teilweise in den Gängen zwischen den Zuschauern. Das trojanische Pferd, dargestellt durch einen anthrazitfarbenen, zeppelinförmigen Ballon, schwebt am Ende des 1. Aktes wie eine dunkle, unheilbringende Wolke über den Trojanern.
Christina Niessen als Kassandra wurde vom Publikum einhellig bejubelt; ihr Partner Chorebus, gesungen von Armin Kolarczyk sowie Chor und Orchester und alle anderen Sänger, die im ersten Teil nur kleinere Rollen haben, ebenso. Als nach ca 90 Minuten der erste Teil vorüber war, ging das Publikum sehr zufrieden, teilweise euphorisch in die einstündige Pause.

Die Trojaner in Karthago ist der Titel der Akte drei bis fünf. Die Szenerie ist modernisiert: wohlhabende, blühende Landschaften, moderne Architektur versinnbildlichen den Aufstieg der Stadt. Die vorherrschende Kostümfarbe ist grün mit gelegentlichen Blütendrucken. Die Trojaner kommen in einer Wohlstandswelt an. Das erste Bild des dritten Aktes, eine jubelnde Massenszene wird komplett im Zuschauerraum gesungen. Die sich nun entwickelnde, tragisch endende Liebesgeschichte zwischen dem Anführer des Trojaner Aeneas und der karthagischen Königin Dido fällt in der Inszenierung leider ab. Große Szenen, wie das Septett und Liebesduett im 4. Akt sind routiniert umgesetzt, doch ohne den Zauber der Faszination zu vermitteln, die die Musik bereithält. Größter Schwachpunkt die letzte halbe Stunde: Didos Freitod wird trotz guter Bühnenidee und großartiger Sängerin von der Personenregie verschenkt und statt zum tragischen Ende zum inszenatorischen Langeweiler. Die Trojaner in Karthago kommen über gute Ansätze nicht hinaus, zu unbestimmt und beliebig geraten viele Szenen.
Als Dido ist die neu in Karlsruhe engagierte Sängerin Heidi Melton zu hören – sie ist der Star des Abends: eine große, wunderschöne Stimme. Frau Melton singt so souverän, so scheinbar mühelos, daß es ein Vergnügen ist, ihr zuzuhören. Das Publikum überschüttete sie am Ende mit Brava-Rufen.
John Treleaven als Aeneas war an diesem Abend leider indisponiert. Man hätte ihm einen Gefallen getan, wenn man zu Beginn des Abends angekündigt hätte, dass er gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe ist. So wurde einer der Höhepunkte der Oper, das Liebesduett im 4. Akt  zur Qual, bei der man, statt das Duett zu genießen, angespannt abwartete, ob Treleaven alle Passagen singen kann. Das Publikum reagierte etwas ungehalten auf diese Einbuße und 2-3 Buh-Rufer störten die gute Atmosphäre des Abends. Eine Ansage hätte das deutlich gemildert.
Doch der Abend hatte neben Heidi Melton noch andere große Stimmen. Konstantin Gorny und die beiden neuen Tenöre Eleazar Rodriguez und Sebastian Kohlhepp, der zu Beginn des 5. Aktes die schönste und anrührendste Arie der Trojaner bravourös sang, begeisterten. Der neue Bassist Avtandil Kaspelli als Hektor überzeugte stimmlich und mit großer Bühnenpräsenz. Alle weiteren Sänger in den kleineren Rollen ebenso.

Überhaupt war es musikalisch ein Triumph: 13 Sänger des Ensembles und 3 kleinere Rollen wollten besetzt sein. Berlioz Monumentaloper verlangt ein sehr gutes Orchester und großen Chor: Dirigent Justin Brown und der von Ulrich Wagner einstudierte Chor (ca. 90 Sänger) gehörten zu den klaren Gewinnern des Abends!

Fazit: Die Einnahme Trojas ist kurzweilig, auf sehr hohem musikalischem Niveau und uneingeschränkt empfehlenswert! Die Trojaner in Karthago hat zwar inszenatorische Längen, dafür aber die fesselndere Musik und großartige Sänger. Der komplette Abend ist so eindrucksstark, dass man die Bilder und Szenen noch lange gegenwärtig hat. Ein geglücktes, spektakuläres Ereignis – unbedingt anhören!

Freitag, 7. Oktober 2011

Kleist – Die Hermannsschlacht, 06.10.2011

Kleists Hermannsschlacht ist in unserer Zeit ein selten gespieltes Stück, daß den Worten des Autors folgend „mehr als irgendein anderes für den Augenblick berechnet war“ und den Zweck hatte, Preußen und Österreich zum gemeinsamen Kampf gegen Napoleon aufzurufen. Er thematisiert darin die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9. n.Chr. bei dem die Römer vernichtend geschlagen wurden als Vorbild für den Widerstand gegen Frankreich. Erst 10 Jahre nach Kleists Tod gedruckt, fast 30 Jahre nach seinem Tod uraufgeführt, wurde das Stück im Kaiserreich und durch die Nationalsozialisten vereinnahmt. Heute findet man das Stück oftmals nicht mehr in Theaterführern beschrieben.

Gestern wurde nun ein Wiederbelebungsversuch gestartet. Der Regisseur Simon Solberg hat mehr als die Hälfte der Personen gestrichen (sechs Schauspieler spielen neun Rollen) und den Text stark gekürzt. Die größte Überraschung: er spielt Kleists Hermannsschlacht als Komödie. Allerdings wirkt der Humor meistens sehr deutsch: erzwungen und angestrengt komisch wirken die Schauspieler wie weichgespülte Spätpubertierende. Das ist nicht wirklich lustig, aber wer sich darauf einlässt erlebt einen amüsanten Abend. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist hoch: das Stück wird entpolitisiert und jede tragische Fallhöhe minimiert. Hermann wird im Beiheft zwar als „machiavellistisch geschulter Taktiker“ definiert, auf der Bühne wirkt er aber mehr als ein Clown, der mit platten Albernheiten zwischen Germanen und Römern jongliert.

Als Pseudo-Bedeutsamkeit wird das Stück aus der Zeit gehoben und als zeitenübergreifendes Partisanenstück präsentiert. Als Germane bekämpft man die Römer, als Azteke die Spanier, man kämpft gegen die Inquisition, als Herero gegen die deutschen Kolonialisten, man empört sich gegen den Vietnamkrieg, ein Hakenkreuz darf auch nicht fehlen. Dabei wird Jugendtheater-gerecht auf niedriger pädagogischer Flughöhe präsentiert.

Trotzdem erlebt das Publikum einen kurzweiligen und unterhaltsamen Abend. Alle sechs Schauspieler (vier neue und zwei alte Ensemblemitglieder) zeigten so viel Spielfreude und Engagement, dass das Publikum ihnen auch die albernen Passagen verzieh. Die Bühnenbildnerin Maike Storf hat dazu ein wunderbar abwechslungsreiches Bühnenbild entworfen, das mit vielen Überraschungen aufwartet.

So machte sich eine ambivalente Stimmung breit. Der Regisseur zeigt uns einen anspruchslosen und unpolitischen Wohlfühl-Hermann, der aber unterhaltsam und spannend ist.
Der Schlußapplaus begann freundlich-zurückhaltend. Sehr schön war zu beobachten, wie die Schauspieler ratlos ins Publikum schauten: war die Premiere ein Erfolg oder eine Pleite? Die Zuschauer entschlossen sich mehrheitlich, es zum Erfolg werden zu lassen und verstärkten ihren Applaus bis die Erleichterung und die Freude auf den Gesichtern der Schauspieler zu erkennen war.

Fazit: eingeschränkt empfehlenswert. Als Theaterfan aber unbedingt anschauen!

Thusnelda: Cornelia Gröschel, Ventidius: Simon Bauer, Aristan: Robert Besta, Varus/Marbod/Thuskar: Hannes Fischer, Hermann: Paul Grill, Selgar: Thomas Halle

Dienstag, 4. Oktober 2011

Peter Sloterdijk - Du musst dein Leben ändern, 03.10.2011

An diesem Wochenende nahm auch das Schauspiel des Karlsruher Staatstheaters Fahrt auf: neben der sympathischen Produktion 100% Karlsruhe und dem ersten Karlsruher Dramatikerfestival startete auch die erste Repertoire-Inszenierung, die keinen für die Bühne geschriebenen Text zum Thema hatte, sondern das Buch des Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk: "Du musst dein Leben ändern". Der Buchtitel ist wiederum aus Rilkes Gedicht "Ärchäischer Torso Apollos" entnommen.
Es handelt sich bei Sloterdijks Buch um eine Ethik, das über einen Zeitraum von über 2000 Jahren die Geschichte des Menschen als Geschichte eines übenden und sich künstliche und symbolische Immunsysteme schaffenden Wesens beschreibt und analysiert.

Damit stellen sich vorab folgende Fragen: Wie und wieso inszeniert man eine philosophisch-ethische Geschichtsanalyse? Wie vermittelt man einen über 700 Seiten langen philosophischen Text? Wie spricht man ihn, damit das Publikum den Thesen folgen kann? Wie trifft man den Tonfall des Autors?
So viel vorab: der Regisseur Patrick Wengenroth konnte keine dieser Fragen zufriedenstellend beantworten.

Zum Wieso: Sloterdijk stellt das Motto für die Spielzeit und hat die Schirmherrschaft für die Karlsruher Bühne übernommen. Als bekanntester Karlsruher Bürger, international renommierter Philosoph, Essayist und ZDF Moderator ist er prädestiniert, um ihn einem größeren Karlsruher Publikum vorzustellen.

Zum Wie: jede Aufführung wird an einem anderen Ort stattfinden. Die Premiere war in der alten Oberpostdirektion in den Räumen der Volkswohnung und hatte Seminarcharakter. Das Publikum sitzt an U-förmig aufgestellten Tischen.
Vier Schauspieler (Antonia Mohr, Lisa Schlegel, Klaus Cofalka-Adami, Stefan Viering) lesen und spielen Ausschnitte von Sloterdijk (nicht nur aus seinem Buch) und kontrastieren diese mit Texten von Beckett (Endspiel),  Nietzsche (Zarathustra), Goethe (Prometheus), Eva Hermann und eventuell anderen, die ich nicht identifizieren konnte. Im Tonfall wird variiert zwischen Seminar, Vorlesung, Selbsthilfegruppe, Krisen- und Katastrophenwarnungen, Pathos, Ironie, Rührseligkeit und Geschwätz.

Schnell zeigte sich das Hauptproblem des Abends: einen philosophischen Text nicht nur zu sprechen, sondern Inhalte auch zu vermitteln oder sie durch ergänzende Autoren erfolgreich einzuordnen.
Als reines Schauspiel betrachtet ist der Text meistens zu spröde und erschließt sich nicht auf Anhieb und aus dem Zusammenhang gerissen. Eine zentrale und am leichtesten lesbare Passage aus Sloterdijks Buch, die Gedichtinterpretation Rilkes, deutete an, zu was eine überlegtere Textvermittlung fähig gewesen wäre, doch Wengenroth vergab die Chance, indem er das Pathos übertrieb und die Aussage zur Nebensache machte. Ein kurzer Höhepunkt schlich sich ein als Lisa Schlegel einen Text (m.E. von) Eva Hermanns sprach und Text und Interpretation auf der Höhe ihrer Möglichkeit zeigte.
Obwohl der Regisseur versuchte, witzig zu sein, war der Abend verkrampft und durchweg nicht amüsant. Zu oberflächlich die ironische Distanz, zu aufgesetzt die nachdenklichen Passagen, unerträglich die zur Entspannung geträllerten Selbsthilfe-Lieder, zu rührselig und inauthentisch die Pathos-Verdichtungen, zu platt die regelmäßig eingebauten Versprecher, zu unüberlegt und inhomogen also die Textvermittlung.

Resultat: Sloterdijks Thesen kamen nur selten an, das Publikum konnte den Argumentationen nur schwer folgen. Schnell machten sich Langeweile und Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Es lag nicht an den Schauspielern, die einen sehr guten und engagierten Eindruck hinterließen, dass man durchweg den Eindruck hatte an einem belanglosen und überflüssigen Abend teilzunehmen.
Wer Sloterdijks Buch nicht kennt, wird es an diesem Abend nur sehr begrenzt kennenlernen und sehr wahrscheinlich einen falschen Eindruck davon bekommen. Wer es kennt, erfährt nichts Neues. Der Abend wird dem Buch weder inhaltlich noch als Rezension gerecht.

Zum Glück gab es nach einer Stunde Rotwein für das Publikum; der half die zweite Hälfte zu überstehen.
Fazit: nicht empfehlenswert.