Viel zu viel Zeit ist verflossen seitdem in Karlsruhe zuletzt in der Spielzeit 1989/90 Verdis Meisterwerk Rigoletto zu hören war. Entsprechend hoch war gestern die Erwartungshaltung des Publikums bei der Premiere, die allerdings nur die Neuinszenierung einer Produktion war, die fast genau zwei Jahre zuvor in Heidelberg erstmalig gezeigt wurde. Leider blieb es unverständlich und rätselhaft, aus welchen Gründen diese Inszenierung in Karlsruhe wieder belebt wurde.
Rigoletto ist auf Kostümebene in die 1980er Jahre versetzt worden. Der Bühneninnenraum ist dreieckig begrenzt durch helle Lamellenvorhänge, die zwei Hinterräume und eine Empore vom Innenraum abgrenzen und automatisch auf- und zufahren, um den Zuschauern Einblicke zu gewähren. Dazu kommen variabel positioniert Stuhlreihen, die der Bühne den Reiz eines Warte- oder Seminarraums geben und gelegentlich ein Bett im Hintergrund. Daraus ergibt sich ein Bühnenbild von selten gesehener, unattraktiver Beliebigkeit, das so unspezifisch, ja charakterlos ist, daß man darin genauso gut andere Opern oder Theaterstücke spielen könnte. Der Regisseur Jim Lucassen hatte gute Ideen, findet dafür aber nur selten gelungene Lösungen; die Personenregie kommt über gutes Mittelmaß nicht hinaus. Die Chorregie ist dilettantisch: so vermittelt das erste Bild das Flair eines Kegelvereins auf Kaffeefahrt; in der Gewitterszene des dritten Akts, bei der Verdi die Windmaschine durch einen wortlos summenden Männerchor ersetzt, gerät die Ermordung Gildas zu einer unfreiwillig komischen Halloween Farce.
Musikalisch ist diese Produktion dagegen gelungen. Der Bariton Jaco Venter, der seit dieser Spielzeit vom Mannheimer Nationaltheater nach Karlsruhe wechselte, hatte bei seinem ersten Auftritt vor neuem Publikum anfänglich mit seiner Nervosität zu kämpfen, fing sich aber und sang einen guten Rigoletto. Ina Schlingensiepen schien man ebenfalls die Aufregung anzumerken: zu Beginn war sie nicht mit der Selbstverständlichkeit und Selbstsicherheit auf der Bühne, mit der sie vor fast einem Jahr in La Traviata begeisterte. Dies gelang dafür dem neuen Tenor Andrea Shin als Duca, der vom ersten Moment an bühnenpräsent war und schauspielerisch und sängerisch durchgängig überzeugte. In der Rolle des Sparafucile zeigte Konstantin Gorny erneut seine große Klasse; Stefanie Schaefer dagegen nutze ihren kurzen Auftritt als Maddalena nicht und blieb hinter ihren Möglichkeiten. Die kleineren Rollen waren bei Edward Gauntt, Andrew Finden und Eleazar Rodriguez in sehr guten Händen. Johannes Willig dirigierte sängerfreundlich und packend.
Die Zuschauer spendeten dem Quartett Schlingensiepen – Venter – Shin – Gorny einhellig Jubel und viele Bravos, die Inszenierung wurde stark ausgebuht.
Fazit: die schwächste Inszenierung seit einiger Zeit: oft zum Wegschauen, aber immer zum Hinhören!
PS: Im Publikum waren u.a. Achim Thorwald, Thomas Brux, Walter Donati, Mario Muraro und H.J. Weinschenk anzutreffen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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