Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Montag, 17. Juli 2017
Verlust eines Publikumslieblings
Das Badische Staatstheater verliert mit Flavio Salamanka seinen profiliertesten Tänzer, er geht zusammen mit Reginaldo Oliveira und Larissa Mota ans Landestheater Salzburg, wo Oliveira Ballettdirektor und Hauschoreograph wird. Da weder die Internetpräsenz des Badischen Staatstheaters noch das aktuelle Theatermagazin die Tänzer würdigt, sei auf den Blog von Harriet Mills verwiesen. Die Erste Solistin des Badischen Staatsballetts hat für Salamanka einen sehr schönen, in Englisch geschriebenen Abschied verfaßt, der sich hier findet: https://aballetoflife.com/2017/07/16/goodbye-my-friend/#more-7776
Sonntag, 24. April 2016
Anne Frank (Ballett), 23.04.2016
Viel Applaus gab es gestern nach der Premiere von Anne Frank von einem sehr wohlwollenden Publikum, es gab beeindruckende Leistungen, vor allem und erneut von der grandiosen Bruna Andrade in der Titelrolle. Und doch ..... einiges ist an dieser Ballettproduktion problematisch, teilweise ungeschickt, teilweise oberflächlich durch eine hollywoodeske Dramaturgie ohne innere Wahrhaftigkeit, die es dem Publikum leicht machen will und doch nur zeigt, daß die historische Distanz inzwischen so groß geworden ist, daß es kaum noch jemanden negativ auffällt, daß Tod und Grauen des Holocaust routiniert ästhetisiert werden können und sich Tänzerinnen im KZ vor dramatischem Wolkenhimmel bewegen. Die Choreographie hat keine Höhepunkte, sie bemüht sich erfolglos darum, der Geschichte jenseits der Chronistenpflicht bemerkenswerte Konturen zu geben. Unappetitlicher Tiefpunkt ist die von Moralschmalz triefende Schlußszene, die die Ermordung der Juden als Flüchtlingsdrama verharmlost und heutige Kriegsflüchtlinge mit den verfolgten Juden vergleicht und damit einen unsäglichen Kitsch fabriziert. So ergibt sich ein ambivalenter Eindruck: engagiert und gut getanzt, aber klar konzeptionell gescheitert. Anne Frank wird hier lediglich zum Ballett verwertet.
Montag, 1. Dezember 2014
Mythos, 30.11.2014
Geteiltes Glück ist doppeltes Glück - Hommage an Bruna Andrade
Da konnte man als regelmäßiger Ballettzuschauer kaum nein sagen: eine besondere Vorstellung, um die ausgezeichnete Bruna Andrade und das Badische Staatsballett für ihre Preis-Würdigkeit zu ehren. Seit Jahren beglückt das Ballett das Karlsruher Publikum und da ist es doch schön, wenn man als Publikum etwas zurückgeben kann und so gab es dann nach Der Fall M. stehende Ovationen für Andrade, die die Tänzerin tief bewegten: von Schluchzern geschüttelt konnte sie kaum die Tränen zurückhalten, dazu Blumen aus dem Publikum, langer Applaus und Bravos - es war eine bemerkenswerte und herzliche Stimmung zur Pause. Und Der Fall M. mit seinem zentralen Pas de deux ist auch das spannende Herzstück des Abends und ein intensiv getanztes Drama, für das Andrade und das Karlsruher Staatsballett völlig verdient überregionale Aufmerksamkeit bekommen haben.
Wie überhaupt diese Ballett-Trilogie unter dem Namen Mythos (mehr dazu hier) noch mehr Zuschauer verdient hätte und etwas darunter zu leiden scheint, daß das Karlsruher Ballett-Publikum verwöhnt ist und die großen Handlungsballette mit Live-Musik bevorzugt. Doch schon Birgit Keil stand als Tänzerin auch immer für das Neue, das Experiment und Modernität. Das Karlsruher Ballett-Publikum scheint jedoch in dieser Hinsicht zweigeteilt: es gibt Ballett-Fans und es gibt strikter klassische Ballett-Fans, sonst wäre Mythos genauso oft ausverkauft wie Dornröschen oder Der Widerspenstigen Zähmung
Fazit: Viel verdienter Jubel für Bruna Andrade, Flavio Salamanka, den Choreographen Reginaldo Oliveira im Fall M. sowie für Blythe Newman und Pablo dos Santos in Orpheus und das komplette Badische Staatsballett für einen beeindrucken Mythos-Abend.
Da konnte man als regelmäßiger Ballettzuschauer kaum nein sagen: eine besondere Vorstellung, um die ausgezeichnete Bruna Andrade und das Badische Staatsballett für ihre Preis-Würdigkeit zu ehren. Seit Jahren beglückt das Ballett das Karlsruher Publikum und da ist es doch schön, wenn man als Publikum etwas zurückgeben kann und so gab es dann nach Der Fall M. stehende Ovationen für Andrade, die die Tänzerin tief bewegten: von Schluchzern geschüttelt konnte sie kaum die Tränen zurückhalten, dazu Blumen aus dem Publikum, langer Applaus und Bravos - es war eine bemerkenswerte und herzliche Stimmung zur Pause. Und Der Fall M. mit seinem zentralen Pas de deux ist auch das spannende Herzstück des Abends und ein intensiv getanztes Drama, für das Andrade und das Karlsruher Staatsballett völlig verdient überregionale Aufmerksamkeit bekommen haben.
Wie überhaupt diese Ballett-Trilogie unter dem Namen Mythos (mehr dazu hier) noch mehr Zuschauer verdient hätte und etwas darunter zu leiden scheint, daß das Karlsruher Ballett-Publikum verwöhnt ist und die großen Handlungsballette mit Live-Musik bevorzugt. Doch schon Birgit Keil stand als Tänzerin auch immer für das Neue, das Experiment und Modernität. Das Karlsruher Ballett-Publikum scheint jedoch in dieser Hinsicht zweigeteilt: es gibt Ballett-Fans und es gibt strikter klassische Ballett-Fans, sonst wäre Mythos genauso oft ausverkauft wie Dornröschen oder Der Widerspenstigen Zähmung
Fazit: Viel verdienter Jubel für Bruna Andrade, Flavio Salamanka, den Choreographen Reginaldo Oliveira im Fall M. sowie für Blythe Newman und Pablo dos Santos in Orpheus und das komplette Badische Staatsballett für einen beeindrucken Mythos-Abend.
Sonntag, 16. November 2014
John Cranko - Der Widerspenstigen Zähmung, 15.11.2014
Jubel und Applaus
Birgit Keil und das Badische Staatsballett bringen mit Der Widerspenstigen Zähmung einen Klassiker des Balletts von Keils Mentor und Ballettlegende John Cranko auf die Karlsruher Bühne - und es ist gekommen, wie es kommen mußte: alle jubeln und strahlen und sind begeistert. Ein durch und durch humorvolles Ballett, das viel zu schnell vorüber ist. Und wer schon immer wissen wollte, wieso Premierenkarten ein besonderes (und etwas kostspieligeres) Vergnügen sind, der konnte gestern anhand der Vorfreude, Spannung, der wunderbaren Stimmung und dem Enthusiasmus beim Publikum unmittelbar mitverfolgen, wie viel Glück und Harmonie gelungene Premierenstimmung in sich trägt. (Zumindest etwas von diesem Erfolg wünscht man in Karlsruhe auch Oper und Schauspiel, aber da liegt noch ein langer Weg mit viel Änderungsbedarf vor diesen Sparten, bevor man wieder annähernd diese Akzeptanz und Zuneigung des Publikums erringen kann. Doch auch die Schwäche der Oper hat anscheinend ihre Auswirkung aufs Ballett: wenn sich die Anzahl der spartenübergreifenden Abonnements verringert, bleiben auch öfters Karten im Ballett übrig.)
Birgit Keil und das Badische Staatsballett bringen mit Der Widerspenstigen Zähmung einen Klassiker des Balletts von Keils Mentor und Ballettlegende John Cranko auf die Karlsruher Bühne - und es ist gekommen, wie es kommen mußte: alle jubeln und strahlen und sind begeistert. Ein durch und durch humorvolles Ballett, das viel zu schnell vorüber ist. Und wer schon immer wissen wollte, wieso Premierenkarten ein besonderes (und etwas kostspieligeres) Vergnügen sind, der konnte gestern anhand der Vorfreude, Spannung, der wunderbaren Stimmung und dem Enthusiasmus beim Publikum unmittelbar mitverfolgen, wie viel Glück und Harmonie gelungene Premierenstimmung in sich trägt. (Zumindest etwas von diesem Erfolg wünscht man in Karlsruhe auch Oper und Schauspiel, aber da liegt noch ein langer Weg mit viel Änderungsbedarf vor diesen Sparten, bevor man wieder annähernd diese Akzeptanz und Zuneigung des Publikums erringen kann. Doch auch die Schwäche der Oper hat anscheinend ihre Auswirkung aufs Ballett: wenn sich die Anzahl der spartenübergreifenden Abonnements verringert, bleiben auch öfters Karten im Ballett übrig.)
Dienstag, 11. November 2014
Bruna Andrade als FAUST-Preisträgerin
Alle freuen sich mit Bruna Andrade, die letztes Wochenende den FAUST-Preis als beste Tänzerin im Fall M. des Mythos-Ballettabends hochverdient gewonnen hat. Sogar die Frankfurter Allgemeine hat das im Internet kommentiert:
"FAUST-Preis für die brasilianische Ballerina Bruna Andrade
...die zum Glück in Karlsruhe tanzt, und nicht in Rio de Janeiro. Warum sie den Preis als "Beste Darstellerin Tanz" so verdient."
Mehr hier: http://blogs.faz.net/tanz/2014/11/10/faust-preis-fuer-die-brasilianische-ballerina-bruno-andrade-645/
Und ebenso preiswürdig und nicht zu vergessen: Die Choreographie, die es Bruna Andrade ermöglichte, den Preis zu gewinnen, ist vom Karlsruher Tänzer und Hauschoreographen Reginaldo Oliveira.
"FAUST-Preis für die brasilianische Ballerina Bruna Andrade
...die zum Glück in Karlsruhe tanzt, und nicht in Rio de Janeiro. Warum sie den Preis als "Beste Darstellerin Tanz" so verdient."
Mehr hier: http://blogs.faz.net/tanz/2014/11/10/faust-preis-fuer-die-brasilianische-ballerina-bruno-andrade-645/
Und ebenso preiswürdig und nicht zu vergessen: Die Choreographie, die es Bruna Andrade ermöglichte, den Preis zu gewinnen, ist vom Karlsruher Tänzer und Hauschoreographen Reginaldo Oliveira.
Sonntag, 23. März 2014
Mythos (Ballett), 22.03.2014
Sehr spannend, beeindruckend und abwechslungsreich - die gestrigen drei Ballett-Uraufführungen bekamen für alle Teile viel Applaus und Bravos und sollten ein weiterer Hit beim Karlsruher Publikum werden!
Thema Mythos - Ausbruch oder Ausdruck?
Die diesjährige Frühjahrspremiere im Badischen Staatsballett zeigt drei Choreographen mit Uraufführungen unter der thematischen Überschrift Mythos - wobei mythisch an diesem Ballettabend eine diskutable und damit interessante Zuordnung ist, denn ist die heutige Verwendung eines Mythos nun ein Ausbruch aus der Moderne oder doch viel mehr ihr Ausdruck? Der Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung Peter Sloterdijk kam einst in einem Gespräch zu der überraschenden Einsicht, daß wir heute 'wieder in einem mythologischen Horizont leben': "Der Mythos ist eine Methode, die Welt so zu beschreiben, daß in ihr nichts Neues passieren kann." Und was produzieren unsere Medien, Zeitungen und Nachrichtensender anderes als Wiederholungen! "In diesem Sinne wirkt die Summe aller Nachrichten und Geschichten mythologisch ... die Nachrichten bringen die immergleichen Themen, die immergleichen Unfälle, lauter Urszenen im Gewand von Neuigkeiten. ... Aufs ganze gesehen erzeugen auch unsere Medien eine überraschungsfreie Welt, und dadurch wird sie wieder mythologisch." Die thematische Überschrift dieser Ballette ist also auf der Höhe der Zeit, "weil eine präsentische Kultur wie die unsere sich von zeitlosen Themen ernährt, die sie durch die Medien zirkulieren lässt."
Ob nun wie im Programmheft beschrieben Mythen durch Umkreisung der Welten- und Lebensrätsel entstehen, wobei der Tanz sprachlos Dinge in ein neues Licht zu rücken vermag oder ob der Mythos auf symbolische Weise das Zeitlose umkreist und die Welt in ihrer Unfassbarkeit und Unausweichlichkeit deutet, jeder Choreograph näherte sich seinem Mythos auf sehr unterschiedliche Weise:
DER FALL M., das ist der Medea Mythos, also die Frau, die aus Liebe zu Jason und dann aus Rache für das Liebesende radikal alle Brücken hinter sich abbricht und ihre eigenen Kinder und ihre Rivalin ermordet. Die Konstellation "alle gegen eine" war dabei für Choreograph Reginaldo Oliveira ein Entscheidungskriterium, um sich Medea zuzuwenden; Schuld, Sühne und Vergebung sind Themen des Balletts. Oliveira ist seit 2006 Tänzer der Karlsruher Compagnie und hatte bisher mit einigen originellen Choreographien auf sich aufmerksam gemacht. Der Fall M. ist konkret gedeutet und erzählt, Oliveira gelingt dabei eine gelungene Aktualisierung des Mythos als Psychothriller. Nach einem surreal anmutenden Beginn folgt das Herzstück des Balletts (und vielleicht sogar des ganzen Abends): die intensive Beziehungsbeschreibung einer erkalteten Liebe - großartig getanzt von den beiden ersten Solisten Bruna Andrade und Flavio Salamanka, die ihren Figuren durch Oliveiras intelligente Choreographie ein starkes Profil verleihen und eine packende Auseinandersetzung darstellen. Es ist schon eine besondere Aura, die Andrade ihrer Meda verleiht, besser kann man es nicht machen. Salamanka ergänzt sie als Jason kongenial - Bravo!
Diskutabel ist Oliveiras Schlußbild, und zwar musikalisch und szenisch, wenn er Medea ein versöhnliches und für einige vielleicht utopisch wirkendes Quasi-Happy-End schenkt, daß sich vielleicht ein wenig zu unecht und überraschend anfühlt. Dennoch ein besonderes Ballett: 50 Minuten Hochspannung und ein sehr zufriedenes Publikum zur Pause.
ORPHEUS
Tim Plegge, der in Karlsruhe gefeierte Choreograph von Momo, wählte Orpheus als Mythenfigur und machte aus ihr "die Geschichte eines Mannes...., der sich in erster Linie über seine Erinnerungen definiert, der sich im innerlichen Durchleben des Vergangen selbst am besten spürt, und der schließlich einen Moment erlebt, in welchem die Grenzen zwischen seiner eigenen Gegenwart und der Vergangenheit auf magische Weise aufgehoben werden." Dazu holt Plegge neben den sehr guten Haupttänzern Blythe Newman und Pablo dos Santos einen Schauspieler auf die Bühne, der als alter Mann Verlusterfahrung und Erinnerungswillen verkörpert. Es geht Plegge um die "Überwindung der Grenzen von Leben und Tod". Sein Interpretationsansatz ist suggestiv und poetisch mit starken und einprägsamen Bildern und Videoeinspielungen.
SPIEGELGLEICHNIS
Choreograph Jörg Mannes verwendet für sein Ballett keinen bestimmten Mythos, sondern "sucht in seiner Kreation nach dem Mythos als Gleichnis" und choreographiert ein Ballett in einem Spiegelkabinett. Eingeschlossen in einem Spiegelkabinett zu sein, ist eine Metapher für Erkenntnisfähigkeit: ob Metaphysik, ob Astrophysik - alles was sich nicht mit Innenarchitektur befasst, ist reine Spekulation und ohne Verifikationsmöglichkeit. Letztendlich wird man durch den Spiegel nur reflektiert - Mannes Choreographie ist entsprechend selbstbezogen, verspielt und endet mit einem lauten Lachen. Der Mythos ist nur noch eine lose Klammer in ironischer Haltung. Alle Tänzer dürfen dabei auf die Bühne und zeigen beeindruckende Gruppenszenen.
Sebastian Hannak, in Karlsruhe bekannt als Bühnenbildner von Momo und Jakob der Lügner, hat einen variablen Einheitsraum in ovaler Form geschaffen, der sich für die drei unterschiedlichen Mythos-Deutung perfekt eignet und durch die Kostümbildner sehr schön unterstützt wird.
Fazit: Ausdrucksstark, bildstark, abwechslungsreich, viele Eindrücke und spannende Momente in drei ganz unterschiedlichen und sich ergänzenden Choreographien - der lange Jubel des Publikums für das Ballett-Tryptichon war hoch verdient. Die ca 30 Tänzer des Badischen Staatsballetts zeigten eine beeindruckende Leistungsschau. Die guten Karten sollten dafür bald vergriffen sein!
Team
BÜHNE: Sebastian Hannak
KOSTÜME: Judith Adam, Heidi de Raad (bei Jörg Mannes)
LICHT: Stefan Woinke
Musikzusammenstellung laut Programmheft:
DER FALL M.
Alberto Iglesias - "Una patada en los huevos“ aus der Filmmusik La piel qué habito
Alberto Iglesias - "Some craziness is good“ aus der Filmmusik Ché
Lera Auerbach - Sogno di Stabat mater
Lera Auerbach - Präludium Nr. 1 aus 24 Präudien für Violine und Klavier op. 46
Alberto Iglesias - "Duelo final“ aus der Filmmusik La piel qué habito
Lera Auerbach - Präludium Nr. 5 aus 24 Präudien für Violine und Klavier op. 46
Alberto Iglesias - The Dancer Upstairs 3“ aus der Filmmusik Pasos de baile
Max Richter - „She finds the child“ aus der Filmmusik The Congress
Max Richter - „Beginning and ending“ aus der Filmmusik The Congress
ORPHEUS
Philip Glass - Double Concerto for Violin, Cello and Orchestra (2010)
SPIEGELGLEICHNIS
Giovanni Sollima - Tree Raga Song
Giovanni Sollima - Violoncelles, vibrez!
Thema Mythos - Ausbruch oder Ausdruck?
Die diesjährige Frühjahrspremiere im Badischen Staatsballett zeigt drei Choreographen mit Uraufführungen unter der thematischen Überschrift Mythos - wobei mythisch an diesem Ballettabend eine diskutable und damit interessante Zuordnung ist, denn ist die heutige Verwendung eines Mythos nun ein Ausbruch aus der Moderne oder doch viel mehr ihr Ausdruck? Der Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung Peter Sloterdijk kam einst in einem Gespräch zu der überraschenden Einsicht, daß wir heute 'wieder in einem mythologischen Horizont leben': "Der Mythos ist eine Methode, die Welt so zu beschreiben, daß in ihr nichts Neues passieren kann." Und was produzieren unsere Medien, Zeitungen und Nachrichtensender anderes als Wiederholungen! "In diesem Sinne wirkt die Summe aller Nachrichten und Geschichten mythologisch ... die Nachrichten bringen die immergleichen Themen, die immergleichen Unfälle, lauter Urszenen im Gewand von Neuigkeiten. ... Aufs ganze gesehen erzeugen auch unsere Medien eine überraschungsfreie Welt, und dadurch wird sie wieder mythologisch." Die thematische Überschrift dieser Ballette ist also auf der Höhe der Zeit, "weil eine präsentische Kultur wie die unsere sich von zeitlosen Themen ernährt, die sie durch die Medien zirkulieren lässt."
Ob nun wie im Programmheft beschrieben Mythen durch Umkreisung der Welten- und Lebensrätsel entstehen, wobei der Tanz sprachlos Dinge in ein neues Licht zu rücken vermag oder ob der Mythos auf symbolische Weise das Zeitlose umkreist und die Welt in ihrer Unfassbarkeit und Unausweichlichkeit deutet, jeder Choreograph näherte sich seinem Mythos auf sehr unterschiedliche Weise:
DER FALL M., das ist der Medea Mythos, also die Frau, die aus Liebe zu Jason und dann aus Rache für das Liebesende radikal alle Brücken hinter sich abbricht und ihre eigenen Kinder und ihre Rivalin ermordet. Die Konstellation "alle gegen eine" war dabei für Choreograph Reginaldo Oliveira ein Entscheidungskriterium, um sich Medea zuzuwenden; Schuld, Sühne und Vergebung sind Themen des Balletts. Oliveira ist seit 2006 Tänzer der Karlsruher Compagnie und hatte bisher mit einigen originellen Choreographien auf sich aufmerksam gemacht. Der Fall M. ist konkret gedeutet und erzählt, Oliveira gelingt dabei eine gelungene Aktualisierung des Mythos als Psychothriller. Nach einem surreal anmutenden Beginn folgt das Herzstück des Balletts (und vielleicht sogar des ganzen Abends): die intensive Beziehungsbeschreibung einer erkalteten Liebe - großartig getanzt von den beiden ersten Solisten Bruna Andrade und Flavio Salamanka, die ihren Figuren durch Oliveiras intelligente Choreographie ein starkes Profil verleihen und eine packende Auseinandersetzung darstellen. Es ist schon eine besondere Aura, die Andrade ihrer Meda verleiht, besser kann man es nicht machen. Salamanka ergänzt sie als Jason kongenial - Bravo!
Diskutabel ist Oliveiras Schlußbild, und zwar musikalisch und szenisch, wenn er Medea ein versöhnliches und für einige vielleicht utopisch wirkendes Quasi-Happy-End schenkt, daß sich vielleicht ein wenig zu unecht und überraschend anfühlt. Dennoch ein besonderes Ballett: 50 Minuten Hochspannung und ein sehr zufriedenes Publikum zur Pause.
ORPHEUS
Tim Plegge, der in Karlsruhe gefeierte Choreograph von Momo, wählte Orpheus als Mythenfigur und machte aus ihr "die Geschichte eines Mannes...., der sich in erster Linie über seine Erinnerungen definiert, der sich im innerlichen Durchleben des Vergangen selbst am besten spürt, und der schließlich einen Moment erlebt, in welchem die Grenzen zwischen seiner eigenen Gegenwart und der Vergangenheit auf magische Weise aufgehoben werden." Dazu holt Plegge neben den sehr guten Haupttänzern Blythe Newman und Pablo dos Santos einen Schauspieler auf die Bühne, der als alter Mann Verlusterfahrung und Erinnerungswillen verkörpert. Es geht Plegge um die "Überwindung der Grenzen von Leben und Tod". Sein Interpretationsansatz ist suggestiv und poetisch mit starken und einprägsamen Bildern und Videoeinspielungen.
SPIEGELGLEICHNIS
Choreograph Jörg Mannes verwendet für sein Ballett keinen bestimmten Mythos, sondern "sucht in seiner Kreation nach dem Mythos als Gleichnis" und choreographiert ein Ballett in einem Spiegelkabinett. Eingeschlossen in einem Spiegelkabinett zu sein, ist eine Metapher für Erkenntnisfähigkeit: ob Metaphysik, ob Astrophysik - alles was sich nicht mit Innenarchitektur befasst, ist reine Spekulation und ohne Verifikationsmöglichkeit. Letztendlich wird man durch den Spiegel nur reflektiert - Mannes Choreographie ist entsprechend selbstbezogen, verspielt und endet mit einem lauten Lachen. Der Mythos ist nur noch eine lose Klammer in ironischer Haltung. Alle Tänzer dürfen dabei auf die Bühne und zeigen beeindruckende Gruppenszenen.
Sebastian Hannak, in Karlsruhe bekannt als Bühnenbildner von Momo und Jakob der Lügner, hat einen variablen Einheitsraum in ovaler Form geschaffen, der sich für die drei unterschiedlichen Mythos-Deutung perfekt eignet und durch die Kostümbildner sehr schön unterstützt wird.
Fazit: Ausdrucksstark, bildstark, abwechslungsreich, viele Eindrücke und spannende Momente in drei ganz unterschiedlichen und sich ergänzenden Choreographien - der lange Jubel des Publikums für das Ballett-Tryptichon war hoch verdient. Die ca 30 Tänzer des Badischen Staatsballetts zeigten eine beeindruckende Leistungsschau. Die guten Karten sollten dafür bald vergriffen sein!
Team
BÜHNE: Sebastian Hannak
KOSTÜME: Judith Adam, Heidi de Raad (bei Jörg Mannes)
LICHT: Stefan Woinke
Musikzusammenstellung laut Programmheft:
DER FALL M.
Alberto Iglesias - "Una patada en los huevos“ aus der Filmmusik La piel qué habito
Alberto Iglesias - "Some craziness is good“ aus der Filmmusik Ché
Lera Auerbach - Sogno di Stabat mater
Lera Auerbach - Präludium Nr. 1 aus 24 Präudien für Violine und Klavier op. 46
Alberto Iglesias - "Duelo final“ aus der Filmmusik La piel qué habito
Lera Auerbach - Präludium Nr. 5 aus 24 Präudien für Violine und Klavier op. 46
Alberto Iglesias - The Dancer Upstairs 3“ aus der Filmmusik Pasos de baile
Max Richter - „She finds the child“ aus der Filmmusik The Congress
Max Richter - „Beginning and ending“ aus der Filmmusik The Congress
ORPHEUS
Philip Glass - Double Concerto for Violin, Cello and Orchestra (2010)
SPIEGELGLEICHNIS
Giovanni Sollima - Tree Raga Song
Giovanni Sollima - Violoncelles, vibrez!
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