Kleists Hermannsschlacht ist in unserer Zeit ein selten gespieltes Stück, daß den Worten des Autors folgend „mehr als irgendein anderes für den Augenblick berechnet war“ und den Zweck hatte, Preußen und Österreich zum gemeinsamen Kampf gegen Napoleon aufzurufen. Er thematisiert darin die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9. n.Chr. bei dem die Römer vernichtend geschlagen wurden als Vorbild für den Widerstand gegen Frankreich. Erst 10 Jahre nach Kleists Tod gedruckt, fast 30 Jahre nach seinem Tod uraufgeführt, wurde das Stück im Kaiserreich und durch die Nationalsozialisten vereinnahmt. Heute findet man das Stück oftmals nicht mehr in Theaterführern beschrieben.
Gestern wurde nun ein Wiederbelebungsversuch gestartet. Der Regisseur Simon Solberg hat mehr als die Hälfte der Personen gestrichen (sechs Schauspieler spielen neun Rollen) und den Text stark gekürzt. Die größte Überraschung: er spielt Kleists Hermannsschlacht als Komödie. Allerdings wirkt der Humor meistens sehr deutsch: erzwungen und angestrengt komisch wirken die Schauspieler wie weichgespülte Spätpubertierende. Das ist nicht wirklich lustig, aber wer sich darauf einlässt erlebt einen amüsanten Abend. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist hoch: das Stück wird entpolitisiert und jede tragische Fallhöhe minimiert. Hermann wird im Beiheft zwar als „machiavellistisch geschulter Taktiker“ definiert, auf der Bühne wirkt er aber mehr als ein Clown, der mit platten Albernheiten zwischen Germanen und Römern jongliert.
Als Pseudo-Bedeutsamkeit wird das Stück aus der Zeit gehoben und als zeitenübergreifendes Partisanenstück präsentiert. Als Germane bekämpft man die Römer, als Azteke die Spanier, man kämpft gegen die Inquisition, als Herero gegen die deutschen Kolonialisten, man empört sich gegen den Vietnamkrieg, ein Hakenkreuz darf auch nicht fehlen. Dabei wird Jugendtheater-gerecht auf niedriger pädagogischer Flughöhe präsentiert.
Trotzdem erlebt das Publikum einen kurzweiligen und unterhaltsamen Abend. Alle sechs Schauspieler (vier neue und zwei alte Ensemblemitglieder) zeigten so viel Spielfreude und Engagement, dass das Publikum ihnen auch die albernen Passagen verzieh. Die Bühnenbildnerin Maike Storf hat dazu ein wunderbar abwechslungsreiches Bühnenbild entworfen, das mit vielen Überraschungen aufwartet.
So machte sich eine ambivalente Stimmung breit. Der Regisseur zeigt uns einen anspruchslosen und unpolitischen Wohlfühl-Hermann, der aber unterhaltsam und spannend ist.
Der Schlußapplaus begann freundlich-zurückhaltend. Sehr schön war zu beobachten, wie die Schauspieler ratlos ins Publikum schauten: war die Premiere ein Erfolg oder eine Pleite? Die Zuschauer entschlossen sich mehrheitlich, es zum Erfolg werden zu lassen und verstärkten ihren Applaus bis die Erleichterung und die Freude auf den Gesichtern der Schauspieler zu erkennen war.
Fazit: eingeschränkt empfehlenswert. Als Theaterfan aber unbedingt anschauen!
Thusnelda: Cornelia Gröschel, Ventidius: Simon Bauer, Aristan: Robert Besta, Varus/Marbod/Thuskar: Hannes Fischer, Hermann: Paul Grill, Selgar: Thomas Halle
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.