Seit 2007 gab es keine neue Operetteninszenierung des Badischen Staatstheaters. Hat jemand die Sparte Operette vermisst? Offensichtlich schon, das Karlsruher Publikum scheint ungeduldig darauf gewartet zu haben: schon vor der Premiere waren die Tickets für die fünf bereits annoncierten Termine zu über 90% verkauft, nur die überteuerte Silvesteraufführung ist (bisher) geringer gebucht.
„Aufmüpfig, bissig und frech“ wolle man den Schwerpunkt Operette in den nächsten fünf Jahren gestalten ließ die Opernleitung verbreiten, denn diese „Werke haben nicht nur musikalisch noch immer viel zu sagen, auch die Geschichten, und vor allem wie sie erzählt werden, haben kaum an Sprengkraft verloren.“ Das ist leider in jeder Hinsicht zu hoch gegriffen. Die Operette kämpft gegen den Verdacht eine verstaubte, betuliche und nicht wirklich modernisierbare Kunstform zu sein, die bestenfalls gute Unterhaltung ohne Nach- und Tiefenwirkung bietet.
Der Karlsruher Blaubart ist Operette auf der Höhe ihrer Möglichkeiten: Carsten Golbeck hat den Text des 1866 uraufgeführten Werks für die Karlsruher Aufführung neu angepasst und aktualisiert, und zwar gekonnt, witzig und intelligent. Regisseur Aron Stiehl, Bühnenbildner Jürgen Kirner und Kostümbildnerin Franziska Jacobsen liefern eine sehr einfallsreiche Arbeit ab, mit vielen amüsanten und liebevollen Details; eine durchweg unterhaltsame Inszenierung mit wenig Durchhängern, die Tagespolitik, Satire und Klamauk gekonnt kombiniert. Es herrscht ein wilder Stilmix auf der Bühne vor: die Schäferidylle des ersten Bildes spielt in der Bergwelt der Alpen und erinnert an die Idylle der Heimatfilme der 1950er Jahre. Blaubarts erster Auftritt erfolgt in mittelalterlicher Rüstung. Der Königspalast und seine Personen kombiniert Queen Mum, Charlie Chaplin und Sissi Filme. Für die Zuschauer gibt es viel zu sehen.
Zu hören gibt es eine sehr gute Ensembleleistung: Blaubart sang als Gast Carsten Süß, an den sich eventuell noch einige durch seine Karlsruher Auftritte in Verdis Falstaff und Puccinis Gianni Schicchi erinnern. Außerdem Stefanie Schaefer (Boulotte), Ina Schlingensiepen (Fleurette/Hermia), Sebastian Kohlhepp (Prinz Saphir), Armin Kolarczyk (Oscar), Gabriel Urrutia Benet (Popolani) und Sarah Alexandra Hudarew (Königin Clémentine). Kammersänger Hans-Jörg Weinschenk (König Bobèche) war schon im letzten Karlsruher Blaubart in der Spielzeit 1990/1991 dabei (damals in der Inszenierung von Wolfgang Quetes), ebenfalls in dieser Rolle und überzeugte wie gewohnt als Komödiant und Schauspieler.
Überhaupt: Alle Akteure zeigten sehr hohe Spielfreude. Man konnte ihnen ansehen, daß ihnen ihre Rollen Spaß machten. Schon im Vorfeld der Premiere hatte der Regisseur den Karlsruher Chor in höchsten Tönen gelobt und hatte verlauten lassen, daß dieser mit seinem Engagement und seiner Professionalität einen wesentlichen Beitrag zur Inszenierung geleistet hat. Das bewies der Chor auch eindrucksvoll. Sogar die mitspielenden Statisten durften ihr schauspielerisches Talent beweisen.
Beim Publikum kam die Premiere sehr gut an. Unter den Abonnenten und dem Opern-Stammpublikum gab es allerdings auch einige ältere Zuschauer (ob nun an Jahren oder nur im Kopf), die den Humor der Aufführung unter ihrer Würde fanden und indigniert den Eindruck vermittelten, daß sie lieber Wagners Götterdämmerung gehört hätten. Diese Sicht wurde von der großen Mehrheit des Publikums allerdings nicht unterstützt: es gab berechtigterweise viel, langen und starken Applaus für alle Beteiligten. Den Operettenfans wird diese Inszenierung gefallen!
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.