Sonntag, 1. Januar 2012

Kleist - Amphitryon, 31.12.2011

Thomas Mann bezeichnete Kleists Amphitryon als das “witzig-anmutsvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspiel der Welt“. Kleist war bei der Übersetzung der gleichnamigen Komödie von Molière auf den griechisch-mythologischen Stoff aufmerksam geworden und deutete ihn neu als die tragisch-komische Geschichte eines unfrivolen Ehebruchs. Jupiter nimmt die Gestalt des thebanischen Feldherrn Amphitryon an und verbringt mit dessen Frau Alkmene eine göttliche Liebesnacht. Als am Morgen der echte Amphitryon  erscheint und Alkmene von der Nacht mit ihm schwärmt, beginnen die Verwirrungen. Amphitryon  fühlt sich betrogen, Alkmene, die ihrem Gatten subjektiv treu ist, weiß nicht, wie ihr geschieht und der Betrüger Jupiter muß letztendlich erkennen, daß Alkmene nur Amphitryon  liebt und ihre gemeinsame Nacht nicht als göttliche Ehre beurteilt. Der demaskierte Jupiter verkündet letztendlich, daß Alkmene einen Sohn erwartet. (Daß das von ihm gezeugte Kind Alkmenes ein Halbgott namens Herkules sein wird, ist in der Karlsruher Inszenierung gestrichen). Alkmenes Sprachlosigkeit angesichts dieser Aussichten beendet das Stück mit einem bedeutungsvollen „Ach!“. In einer Parallelhandlung nimmt Jupiters göttlicher Helfer Merkur die Gestalt von Amphitryons Diener Sosias an. Merkur weigert sich allerdings Sosias Gattin Charis zu beglücken, die wiederum den echten Sosias dafür bestraft.


Kleists Lustspiel ist ein komplexes Spiel um Identität und Identitätsverlust und besteht aus lauter Paradoxien: Alkmenes göttliche Erwählung als göttlicher Frevel und von ihr gefühlte Strafe, die die Integrität ihrer Liebe in Frage stellt. Die Täuschbarkeit der eigenen Gefühle, deren Zuverlässigkeit Alkmene als Grundlage ihrer Selbstvergewisserung benötigt und für die sie lieber sterben oder sich in die Isolation zurückziehen möchte als unwissend untreu zu sein. Der betrügende, eifersüchtige Gott als selber Betrogener, der Mensch werden muß, um geliebt zu werden und erkennt, daß Alkmene doch nur Amphitryon liebt. Der Gegensatz narzistisch-mythologischer Gotteslust und christlich interpretierter Empfängnis. Unmittelbarkeit als Trug und die Einsicht, daß Wahrhaftigkeit und Wahrheit nicht deckungsgleich sind. Der tragische Gegensatz von objektiver Schuld und subjektiver Unschuld. Kurz: die Verwirrung aller Gefühle als Grundlage dieser gedankenreichsten deutschen Komödie, bei der das Tragische dem Komischen entspricht.

Die Inszenierung, die an Silvester erstmals in Karlsruhe gezeigt wurde, ist eine Übernahme der  Heidelberger Schlossfestspiele aus dem Jahre 2009. Die Regisseurin Simone Blattner hat zu Beginn dieser Spielzeit mit Minna von Barnhelm bereits bewiesen, daß sie klassische Komödien erfolgreich inszenieren kann. Amphitryon kommt bei ihr jedoch nur schwer in Gang: nach schwachem Beginn ohne Zauber und ohne Komik steigert sich das Tempo, doch dauert es lange, bis das Publikum zum ersten Mal etwas zum Schmunzeln bekommt. Der Humor wirkt leider über weite Strecken angestrengt und erzwungen, nur selten ergeben sich die komischen Situationen harmonisch aus dem Spielfluß.

Matthias Lamp spielt den Amphitryon, Susanne Buchenberger die Alkmene, Paul Grill den Jupiter: alle drei machen zu wenig aus ihren Rollen und charakterisieren sie eher undifferenziert in einer Tonart. Für die Figur des Dieners Sosias, gespielt von Frank Wiegard, fiel der Personenregie deutlich zu wenig ein: die eigentlich komische Figur des Stücks ist viel zu einseitig angelegt und vor allem: nicht witzig. Ute Baggeröhr als Charis und Matthias Rotts Merkur in den Nebenrollen füllten diese gut aus, doch ebenfalls ohne zu glänzen. Für die Schauspieler eine vertane Chance, doch nicht, weil sie nicht können, sondern weil die Regie es nicht hergab.

Anna Rudolph hat ein sehr karges Bühnenbild geschaffen, das mit einer Besonderheit aufwartet: das Publikum sitzt bei freier Platzwahl auf einer die Bühne sechsseitig umstellenden Zuschauertribüne, die auch von den Schauspielern genutzt wird. Einen Vorteil hat das Konstrukt für die Zuschauer nicht, die Hälfte der Zeit sieht man dadurch leider nicht die Gesichter der Schauspieler, sondern nur deren Seitenansicht oder den Rücken. Die überwiegend in blau-grau gehaltenen Kostüme von Claudia González Espíndola sind eher unauffällig und transportieren die Figuren in ein unbestimmtes militärisches Heute. Ein sehr sachliche Umsetzung, die auf Zauber und Verzauberung fast durchgängig verzichtet

Fazit: die Inszenierung ist o.k. und zum Kennenlernen bedingt empfehlenswert, wird aber kein großer Publikumserfolg werden. Sie ist defizitär und hat von allem zu wenig: zu wenig Charakterisierung, zu wenig Schwung und vor allem zu wenig Witz und Inspiration. Man langweilt sich nicht in den 90 Minuten Aufführungsdauer, doch Amphitryon kann deutlich mehr Spaß, Freude und Nachhall bewirken. Schade!

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