Sonntag, 11. Dezember 2022

Wagner - Der fliegende Holländer, 10.12.2022

Thema verfehlt
oder
Das Märtyrermärchen als Außenseitertragödchen
Richard Wagner gilt als der Erfinder der Schwertransporte, seine Opern schicken ganze Lastzüge in Richtung Erlösung. Doch was ist diese Erlösung? Wer sich ihrer annimmt, muß dem musikalischen Charakter des Schwertransports entsprechen oder es droht, am Läppischen zu scheitern. Letzteres geschah gestern. Wie bereits vor drei Wochen bei Giselle im Ballett weiß man mit dem Romantik-Element im Geschehen nichts anzufangen, ersetzt Transzendenz durch Immanenz und Geheimnis durch Lappalie. Das sich ergebende szenische Ergebnis ist ungewöhnlich reizlos und belanglos. Für eine banale Inszenierung ohne Triftigkeit erhielt die Regie verdientermaßen Ablehnung und Buh-Rufe, doch auch musikalisch und sängerisch war die gestrige Holländer-Premiere nicht zufriedenstellend.

Worum geht es?
Vorgeschichte: Einst hatte ein Schiffskapitän, der an der Umseglung einer stürmischen Küste scheiterte, einen furchtbaren Fluch ausgesprochen und der Teufel nahm ihn beim Wort: Schiff und Seemann müssen bis zum jüngsten Tag auf den Weltmeeren dahinsegeln, nur alle sieben Jahre darf der Kapitän an einem Tag an Land. Der Weg zur Erlösung führt nicht über seglerische Taten, sondern über Beziehungserfolg. Sollte der Holländer eine Frau finden, die ihm Treue gelobt und mit ihm sein Schicksal teilt, wird der Fluch aufgehoben. 

Handlung: Ort und Zeit: an der norwegischen Küste im 17. Jahrhundert. Vor einem Sturm flüchtet Daland kurz vor seinem Heimathafen mit seinem Schiff in eine Bucht. Dort trifft er auf den Holländer, der ihm aus Verzweiflung viel Geld für seine Tochter bietet. Die Heirat wird schnell arrangiert. Doch der Zufall will es, daß Dalands Tochter Senta die geborene Märtyrerin ist und ihr Weg vorgezeichnet erscheint. Sie hat sich längst dafür entschieden, ihr Leben zugunsten des Holländers zu opfern, wenn sich die Möglichkeit dazu ergeben sollte. Alles scheint bereits im zweiten Akt auf ein Happy-End hinzudeuten. Ein dramaturgisch wenig ergiebiges Mißverständnis läßt den Holländer im 3.Akt fliehen. Senta stürzt sich für ihn ins Meer und erlöst ihn aus seiner Verdammnis.

Was ist zu beachten?
Der Fliegende Holländer ist ein Märtyrermärchen. Des Holländers Sehnsucht nach einem Ende und Sentas Sehnsucht nach der Aufopferung bestimmen ein seltsames Paar, das einander benötigt, aber sich weder kennt noch liebt. Beide sind dem anderen nicht Zweck, sondern Mittel. Senta ahnt ihr Los, das Schicksal hat sie vorbestimmt: sie will den Verdammten erlösen. Es geht dabei nicht um Liebe. Daß ein dünnes Mißverständnis im Dreieck Senta - Erik - Holländer (Erik ist quasi der Lückenbüßer, dessen Existenz benötigt wird, um das theatralische Ende zu ermöglichen) die Titelfigur fliehen läßt und die Apotheose durch  unchristlichen Selbstmord beim Sturz von der Klippe ermöglicht wird, gehört zu den dramaturgischen Schwachpunkten einer Geschichte, die durch die Musik zusammengehalten und veredelt wird. 

Historisches
1843 erfolgte die Uraufführung am Königlichen Hoftheater in Dresden. Karlsruhe wartete bis 1857. Die gestrige Aufführung erfolgte 165 Jahre und eine Woche nach der damaligen Premiere.


Zur Feier
des
Allerhöchsten Geburtsfestes
Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin
Luise
bei festlich beleuchtetem Hause
... zum Erstenmale
Der fliegende Holländer

(hier bei der BLB)


Was ist zu sehen?
Die Karlsruher Oper scheint kapituliert zu haben. Wer nach der gestrigen Pleite das Programmheft zur Hand nahm, um zu verstehen, was diese Inszenierungen beabsichtigte, konnte amüsiert feststellen, daß man zur Inszenierung kein Wort geschrieben und nur produktionsunabhängige historische Informationen zusammengestellt hat. Mehr durfte oder konnte der Operndramaturg nicht leisten, doch aus gutem Grund: es steckt nichts Bemerkenswertes in dieser Inszenierung, sie zu analysieren hätte albern und gekünstelt geklungen. 
Während der Ouvertüre wird eine Vorgeschichte gezeigt, ein Klavier als Symbol für Kunst steht im Mittelpunkt der Bühne, zwei Kinder umkreisen es unabhängig voneinander: Senta und der Holländer sind Seelenverwandte und Außenseiter, der Holländer zieht in die Welt und kommt im 1. Akt als Mann zurück. Senta hat ein Bildband über ihn als Künstler. Beide sind ernst in Schwarz gekleidet, quasi die existentialistische Außenseitertracht, der Chor als Masse ist dagegen bunt und plump. Das scheint auch schon der ganze Konflikt zu sein. Jegliche Dramatik wird dem Stück verweigert. Um das musikalische Erlösungsdrama drückt man sich herum. Die Inhaltsangabe des Programmhefts beschreibt die Schlußszene: Der Holländer und Senta bleiben allein zurück." Das ist die Lösung des inszenatorischen Knotens: die nervenden anderen sind weg, die beiden haben sich in diesem Außenseitertragödchen gefunden. Gääähn .....

Was ist zu hören?
GMD Georg Fritzsch dirigierte zum ersten Mal Wagner in Karlsruhe - das Ergebnis war ordentlich. Fritzsch gelang es bei der Premiere (noch) nicht, einen starken dramatischen roten Faden zu knüpfen, die Aufführung hatte gute, aber auch unauffällige und blasse Momente. Eine Aufführung wie aus einem Guß, wie man die zuletzt bei Fritzschs Vorgänger immer hörte, gelang gestern nicht. Der Ouvertüre fehlte bereits der innere Zusammenhalt als symphonische Dichtung, auch manche lautmalerische Stellen gingen ein wenig unter. Das Potential von tiefen Trompeten, Posaune und Tuba, Pauken und tiefe Streicher, Holzbläser oder der gespenstischen Hörner schien nicht ganz ausgereizt.
Der Holländer ist eine Choroper und die von Ulrich Wagner einstudierten Staatsopernchor und Extrachor konnten insbesondere am Ende des 2. Akts auftrumpfen - sängerisch und darstellerisch. Bravo!

Man befindet sich in der Schlußphase einer Intendanz, in knapp 1,5 Jahren ist Schichtende für viele Künstler. Bei der Oper bemerkt man das jetzt schon. Bei der gestrigen Premiere war nur eine von sechs Rollen mit einem Ensemblesänger besetzt, ansonsten hörte man nur Gäste. Die Grübeleien des Holländers sind beim stimmmächtigen  Thomas Hall bestens aufgehoben. Er überzeugte bereits als Jochanaan in Salome, auch gestern war er der Lichtblick in der Titelrolle. Dorothea Herbert  konnte als Senta nicht durchgängig gefallen, beim Schlußapplaus sah sie unzufrieden aus, sie schien sich in der Rolle unwohl zu fühlen, ihrer Ballade zu Beginn des zweiten Akts fehlt der dramatische Nachdruck, und auch sonst schien ihre sängerische Interpretation öfters etwas nuancenarm. Insbesondere im Duett mit dem Holländer konnte sie gefallen.
Konstantin Gorny zeigte als Daland, daß er auch einer Nebenrolle Charakter verleihen kann. Mirko Roschkowski sang den Erik zu Beginn sehr lyrisch, man merkte, daß er ein Mozart-Tenor ist, erst später gewann er an dramatischem Profil hinzu, doch er leidete noch an den Nachwirkungen einer Erkältung und war nicht ganz auf der Höhe. Julia Faylenbogen ist Ensemble-Mitglied in Mannheim und sang als Mary so unscheinbar, daß sie nicht auffiel. Als Steuermann sprang Michael Porter kurzfristig als Ersatz ein.

Fazit: Eine der nichtssagendsten und flachsten Inszenierungen der letzten Jahre, die so reizlos war, daß der Verfasser dieser Zeilen nicht die geringste Lust verspürt, sich für eine zweite Vorstellung Karten zu besorgen. Am besten setzt man diese Inszenierung schnell wieder ab.

Besetzung und Team: 
Der Holländer: Thomas Hall a. G. 
Daland: Konstantin Gorny  
Senta: Dorothea Herbert a. G.
Erik: Mirko Roschkowski a. G. 
Mary: Julia Faylenbogen a. G.
Steuermann: Michael Porter a.G.

Musikalische Leitung: GMD Georg Fritzsch
Chorleitung: Ulrich Wagner

Regie: Ludger Engels
Bühne: Volker Thiele
Kostüme: Heide Kastler
Licht: Stefan Woinke

12 Kommentare:

  1. Lieber Honigsammler,

    genau das waren meine Gedanken, als ich gestern das Staatstheater verließ. Beim säuerlichen Damenchor wäre ich etwas kritischer, aber sei's drum.

    Was mich verstört: ich bin mittlerweile schon erleichtert, dass die Inszenierung über weite Strecken nur langweilig, aber nicht blöd war.
    Schlimm, dass sich die Maßstäbe in Karlsruhe derart verschoben haben. Dass von sechs Hauptpartien fünf mit Gästen besetzt werden müssen, ist dann eigentlich nicht mehr der Rede wert - früher wäre es noch ein Offenbarungseid gewesen.


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    1. Vielen lieben Dank Herr Kaspar für Ihren Kommentar, dem ich nichts hinzu- oder entgegensetzen kann. Ich warte auf 2024 und rede mir ein, bald Licht am Ende des Tunnels sehen zu können.

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  2. Ja, warum??Ewig Gäste, das ist nicht mehr das Bad.Staatstheater, das ich kenne

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    1. Vielen Dank! Wie Ihnen geht es m.E. nicht wenigen, denen das Badische Staatstheater am Herzen liegt. Man hat viel Vertrauen des Publikums verspielt.

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  3. Es können am Badischen Staatstheater ja nichtmal mehr ein Papageno und eine Papagena aus dem Ensemble besetzt werden. Dass der Großteil mit Gästen besetzt wird ist leider mittlerweile seit Jahren so. Deshalb wurden wohl auch die Galaabende abgesetzt, damit das Budget dann für Gäste für Repertoirevorstellungen eingesetzt werden kann.

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  4. Gala- Vorstellungen....Bitte nicht! In die Jahre gekommene, abgespielte Sänger mochte ich ungern sehen. Für mich reine Geldverschwendung! Zum Binden- Beitrag: Da haben sich leider einige publikumswirksam in Szene setzen lassen. Initiator war aber der Verwaltungsdirektor, der hiermit seiner sozialen und künstlerischen (In)Kompetenz gewaltigen Nachdruck verliehen hat.

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  5. Vielen Dank für die obigen Kommentare.
    Daß es keine Opern-Galas mehr gibt, ist meines Erachtens noch eine Spätfolge der Covid-Epidemie.
    Im letzten Jahrzehnt hat das Format stark gelitten, da war dann der Top-Gast bspw. Ensemble-Mitglied eines anderen Staatstheaters. Erst unter Nicole Braunger war es wieder besser geworden, bswp. Elena Mosuc (Anna Bolena, 12.01.2019), Catherine Foster und Waltraud Meier (Elektra, 16.03.2019) und Joyce El-Khoury (Roberto Devereux, 04.05.2019) - innerhalb von vier Monaten waren das drei aufregende Galas. Vielleicht ist es gut, daß die Pflichttermine im Abo entfallen, aber ich wäre trotzdem dankbar, wenn man gelegentlich Galas ansetzt. Benjamin Bernheim sang gerade in Saarbrücken, den würde ich gern mal in KA in einer französischen Rolle hören, ebenso Elsa Dreisig oder Bruno de Sá bei den Händel-Festspielen, die ja quasi immer auch Gala-Abende sind

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    1. Ich erinnere mich an eine makellose, berührende Mimí einer Frau Gallardo-Tomas vor vielleicht 15 Jahren in der alten Bohème- Inszenierung von del Monaco. Galavorstellungen mir solchen Gästen bitte sehr gerne wieder!!
      Die Senta von Frau Herbert hat mir persönlich ausgezeichnet gefallen. Meiner Meinung nach die klangschönste Senta, die je in Karlsruhe zu hören war.

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  6. @anonym: Der "Binden-Beitrag" ist das P.S. zu Rezas Gott des Gemetzels vom 14.12.22

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  7. Ich habe in den 90ern und 2000ern in den Operngalas viele Stars in Karlsruhe gesehen, auf dem Zenit ihres Könnens. Die Galaabende waren für viele, die aus welchen Gründen auch immer nicht reisen konnten, eine einmalige Chance, Weltstars in Karlsruhe zu erleben, die sonst an der Met, Scala, in Paris oder San Francisco gesungen haben. Diese Abende waren in Karlsruhe, als sie noch wirklich hochkarätig besetzt wurden oft ausverkauft. Klar, damals war das Opernpublikum auch noch ein anderes und vor allem zahlreicher, da noch nicht von der Ära Spuhler und post Spuhler vergrault. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass diese Abende ihren alten Glanz wiedererlangen könnten. Es müssen dann eben wirklich erstklassige Gäste sein.

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    1. Vielen lieben Dank für Ihren Kommentar. Das Festspielhaus Baden-Baden hat aber auch zum Niedergang beigetragen. Die Stars sind eher dort, mancher Euro, der früher am Badischen Staatstheater ausgegeben wurde, landete im Festspielhaus. Netrebko und Damrau habe ich dort gehört, obwohl Konstantin Gorny mit Netrebko in Eugen Onegin sang, ist sie nie in Karlsruhe aufgetreten, was ein Coup gewesen wäre. Bevor es wieder in Karlsruhe Galas geben kann, muß erstmal das Vertrauen wieder hergestellt werden und man muß in wirkliche Stars investieren, die das Publikum anlocken. Es gibt Hochs und Tiefs, gute und schlechte Zeiten. Es sollte auch den Theaterverantwortlichen in Karlsruhe klar sein, daß man immer noch ein Tief erlebt und man nicht so weiter machen kann wie bisher. Ich befürchte allerdings, daß das Führungspersonal in Karlsruhe aktuell an akuter Selbstüberschätzung leidet und nicht bemerkt, daß es Teil des Problems ist.

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  8. Ich kann mich auch noch sehr gut und begeistert an Cristina Gallardo-Domâs erinnern, sie begann ihre Karriere in den 90ern und sang die Mimi u.a. an der MET, in Paris und München ... und in Karlsruhe.
    Frau Herbert allerdings hat bei mir leider keine Begeisterung ausgelöst.

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