Sonntag, 15. Mai 2022

Strauss - Salome, 14.05.2022

Die Karlsruher Oper hat über ein Jahrzehnt Vertrauen verspielt und Zuschauer verloren - die gestrige Premiere von Strauss' Salome war nicht ausverkauft, die Ballettpremiere am letzten Wochenende war beim Publikum deutlich begehrter und besser besucht. Donizettis Don Pasquale war ein Reinfall und wird am Ende der Saison wieder abgesetzt, Rossinis Barbier von Sevilla wurde kurz vor der Premiere abgesagt. Kurz: man braucht endlich wieder attraktive Neuproduktionen. Gestern nun Strauss' Salome, bei der die Erwartungshaltung niedrig war und die Erleichterung beim Schlußapplaus um so größer: Musikalisch und sängerisch erlebte man eine sehr gute und intensive Aufführung und die harmlose Inszenierung gewann durch Halbherzigkeit und Zurückgenommenheit: sie trug zwar kaum zur Spannung bei, sie sabotierte sie aber auch nicht.

Worum geht es?
Prinzessin Salome verschwindet von einem Bankett ihres Stiefvaters Herodes Antipas, dem Tetrarchen von Galiläa, und trifft auf dessen Gefangenen, den sie lüstern begehrt. Doch ihr offen gezeigtes Verlangen wird vom Propheten Jochanaan (Johannes der Täufer) nicht nur brüsk zurückgewiesen, er verflucht die "Tochter einer blutschänderischen Mutter" (Herodes trennte sich von seiner ersten Frau, um Herodias zu heiraten, die zuvor seine Schwägerin war und sich von Herodes' Halbbruder trennte. Herodes ist der Onkel von Herodias' Tochter Salome). Die buchstäblich tödlich beleidigte Salome will Rache. Sie bietet Herodes an, für ihn zu tanzen, wenn er ihr einen Wunsch erfüllt. Dieser willigt ein, Salome zeigt den Tanz der sieben Schleier, Herodes ist entzückt, Salome fordert den Kopf des Jochanaan, Herodes ist entsetzt, muß aber seinen Schwur halten und gibt widerwillig den Befehl zur Enthauptung. Salome nimmt den abgeschlagenen Kopf entgegen, hält Zwiesprache mit ihm und küsst ihn auf den Munde. Herodes befiehlt, Salome zu töten.

Was ist zu beachten?
Salome zeigt den Beginn einer Zeitenwende (das Wort des Jahres 2022). Eine dekadente Antike trifft auf religiösen Fundamentalismus in Form des entstehenden Christentums, das Entsagung predigt und in den nachfolgenden Jahrhunderten viele friedliche Märtyrer hervorbringt, die sich ihres Jenseitsglaubens so sicher waren, daß sie den Tod nicht scheuten. Jochanaan war ein jüdischer Bußprediger, sein Auftritt und Fluch in Strauss' Oper kennt keine christliche Barmherzigkeit, er verkündet zwar die Ankunft des einen, der Sünden vergeben kann, er selber verflucht Salome schnell.
Salomes Widerwille gegen ihre Umgebung läßt sie zu Beginn der Oper ausweichen und Jochanaan finden, dessen jenseitszugewandte Religiosität sie oberflächlich fasziniert. Sie kann sie allerdings nicht spirituell nachvollziehen, sondern nur erotisch. Jochanaan verweigert ihr die Erfüllung ihrer Begierde, nach einem gescheiterten Kommunikationsversuch und einem hysterischen Fluch will Salome ihren Willen durchsetzen. Nach der vollzogenen Rache folgt die perverse Wende. Der enthemmten Gesellschaft wird der Spiegel vorgehalten auf den sie bigott mit Empörung reagiert. Die faulige Erotik der Dekadenz reagiert auf die Fäulnis beim Küssen des abgehackten Kopfs so angewidert, daß Herodes den schnellen Tod befiehlt.

Was ist zu sehen?
Bei jeder Inszenierung stellt sich die Frage, wer Salome ist: eine starke oder eine schwache Figur? Im ersten Fall ist sie oft eine rücksichtslose, verzogene und verwöhnte Prinzessin aus einer Machtdynastie, die gewohnt ist zu bekommen, was sie verlangt und weiß, wie sie Männer zu manipulieren hat (bspw. mittels eines erotisches Versprechen an Narraboth und ihrem Tanz für Herodes). Die Karlsruher  Inszenierung wählt die zweite Option, genauer: sie ist ein Opfer sexueller Übergriffe. Salome ist gekleidet wie eine Puppe, hat einen Luftballon und wirkt wie ein kleines Kind ohne erotische Ausstrahlung. Genauer gesagt: ihre erotische Wirkung soll in ihrem kindlich-frühjugendlichen Alter liegen. Im Programmheft wird als Inspiration für Herodes der verurteilte Sexualstraftäter Jeffrey Epstein (*1953 †2019) genannt, ein superreicher Amerikaner, der eine sexuelle Vorliebe für Teenager hatte und sich lange fast alles erlauben konnte, weil er sich finanziell leisten bzw. sich freikaufen konnte. Epstein scheint eine sympathisch wirkende bzw. charismatische Person gewesen zu sein, der laut Programmheft ein "Pyramiden-System des Mißbrauchs" errichtet hatte, bei dem ihm u.a.  junge Mädchen als Zuhälterinnen andere Minderjährige zuführten. Auch Herodias hat ein real existierendes Vorbild namens Ghislaine Maxwell (*1961), die Ende 2021 in den USA verurteilt wurde, weil sie ebenfalls als Zuhälterin für Epstein tätig war und für ihn Minderjährige verführte, rekrutierte und trainierte. Diese Geschichte paßt allerdings nicht zur Handlung der Oper und diente weitgehend als Inspiration für Bühne und Kostüme: Die Oper spielt auf einer Party in der "prachtvollen Stadtvilla der oberen Zehntausend", Salome wird zum Beispiel eines mißbrauchten Mädchens, das von ihrer Mutter nicht beschützt wird. Sie ist als Puppe Gegenstand der männlichen Begierde und deren seelenloses Spielzeug. Ihr Begehren gegen Jochanaan erkennt ebenfalls nicht den Menschen, sondern nur den Körper als Gegenstand und Spielzeug. Der abgehackte Kopf hängt an einem Seil und wird von Salome wie zuvor der Luftballon mit sich geführt. Als sie den toten Propheten küßt, entledigt sie sich ihrer weißen Sneaker und zieht sich kurz rote Stöckelschuhe an. Für einen kurzen Moment wird Salome zur jungen Frau, bleibt aber ein junges Mädchen. Der Tod, zu dem sie verurteilt wird, ist dann auch nicht körperlich, sondern psychisch-seelisch als Mißbrauchsopfer.
Der Tanz der Salome findet ohne Sängerin statt und ist jugendlichen Tänzerinnen anvertraut, die das Objekt der Begierde für eine Horde Männer darstellen. Wer vermuten würde, daß das Thema sexueller Mißbrauch von Minderjährigen explizite Übergriffe bedeutet, der wird angesichts des harmlosen Ringelpiez überrascht sein, wie überhaupt die szenische Umsetzung halbherzig im zu Vagen verortet ist und dem ernsten Hintergrund nicht gerecht wird. Für Salome als Figur ist diese Deutung sehr einseitig und reduzierend, die Musik eröffnet Salome mehr Möglichkeiten als ihr die Personenführung zugestehen möchte. Ihr Begehr gegenüber Jochanaan bleibt Behauptung, die Wirkung des Aufeinanderpralls dieser beider Figuren ist der Inszenierung genommen. Musikalisch hat Strauss sowohl Salomes Verlangen als auch Jochanaans Glauben eindeutig komponiert, szenisch bleiben Salome und ihr Antrieb ist dieser Szene blass.
Das theologische Streitquintett, bestehend aus fünf Juden, zeigt Vertreter verschiedener Religionen (Moslem, Jude, Christ, Buddhist und Hindu), die nun allerdings eine sinnentleerte Diskussion über jüdische Auslegungen führen, und später in der Tanzszene den Mädchen hinterher rennen. Hier greift man auf das billige Klischee zurück, daß zölibatär lebende Gläubige verklemmte Päderasten sind: "Hier wird der sexuelle Mißbrauch minderjähriger Mädchen zum kollektiven Verbrechen, an dem auch die religiösen Vertreter zahlreicher Religionen beteiligt sind, angelehnt an die Mißbrauchsskandale, die nahezu alle großen Kongregationen in den letzten Jahren erschütterten."
Szenisch schwebt ein großer, keuscher Mond über der Bühne. Eine von Bühnenarbeitern verschiebbare, fünfteilige Bühnenkonstruktion mit Vorder- und Rückseite ermöglicht ein variables, überzeugendes  Bühnenbild, das wie immer gut ausgeleuchtet ist. Die Kostümsprache verwirrt ab der Tanzszene, in der die orgiengierigen Männer ihre weibliche Seite betonen, Herodes sogar in einem roten Kleid auftritt, als ob effeminierte Männer und Transsexuelle besonders zu Mißbrauch neigen.

Exkurs: "einvernehmlich", "freiwillig" und die "Entkriminalisierung der Pädosexualität"
Für diesen Inszenierungsansatz hätte man nicht in die Ferne schweifen müssen. Noch immer haben die Grünen bei langjährig politisch interessierten Zeitgenossen den Ruf einer Schmuddelpartei, weil sie dafür eintrat, Sex mit Minderjährigen zu legalisieren. Alice Schwarzer erinnerte 2013 an dieses Kapitel der Grünen: "Doch es sind die 68er und ihre Erben, die Grünen, die in den ihnen nahestehenden Publikationen nicht nur das Recht der Kinder auf eine eigene Sexualität propagierten, sondern auch das Recht der Erwachsenen (sprich: Männer) auf die Sexualität mit Kindern. Die Grünen waren es, die gleich 1980 auf ihrem zweiten Parteitag die Streichung des § 176 debattierten, der die Sexualität mit Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellt, sowie den § 174 (sexueller Missbrauch von minderjährigen Schultzbefohlenen). Fünf Jahre später winkte der Landesparteitag der Grünen in NRW den ... Antrag durch. Mit 76 zu 53 Stimmen wurde die Legalisierung von Sex Erwachsener mit Kindern unter 14 beschlossen, sofern es sich um "einvernehmlichen Sex" handele."
In der Türkei können Imame minderjährige Mädchen verheiraten. Wer je den Leidensbericht einer Türkin gehört hat, die mit 14 Jahren verheiratet, vergewaltigt, geschwängert und mit 16 Jahren amtlich verheiratet mit Kind(ern) nach Deutschland zum Ehemann gebracht wurde, der weiß, daß auch die deutsche Politik ihrer Aufgabe zum Schutz Minderjähriger nicht wirklich nachkommt und das Thema von Medien und Öffentlichkeit ignoriert und unter den Tisch gekehrt wird.

Was ist zu hören?
Endlich wieder ein richtig voller Orchestergraben! Von den ersten Tönen des Klarinettenlaufs, die die Sehnsuchtsszene des Narraboth einleitet, bis zu dem akustischen Totschlag Salomes erklang eine Interpretation, die den Reichtum an Klangfarben Rechnung trug. GMD Georg Fritzsch und die Badische Staatskapelle musizierten eine hochspannende Aufführung, die man gerne öfters hören will. BRAVO!
Karlsruhe hat keine Sängerin für Salome im Ensemble, deshalb hat man als Gäste Ensemblemitglieder des Saarländischen Staatstheater (Pauliina Linnosaari) und des Nationaltheater Mannheim (Miriam Clark) geborgt. Die gestrige Premiere sang Pauliina Linnosaari, die inszenierungsbedingt die kindliche Salome nicht zu stimmlich aufreizend oder verführerisch charakterisieren durfte und dennoch gestalterisch überzeugte und eine gute, hörenswerte Salome sang.
Einen Jochanaan hat Karlsruhe nicht mehr im Ensemble (Nicholas Brownlee hat diese Rolle nach seinem Wechsel in Frankfurt gesungen, wo er nächste Saison als Hans Sachs in den Meistersingern debütieren wird). Als Gast hat man den amerikanischen Heldenbariton Thomas Hall engagiert - ein Glücksfall! Ein mächtiger, geradliniger und unbeirrbarer Jochanaan - BRAVO!
Charaktertenor Matthias Wohlbrecht zeigt eine neue Paraderolle, als Herodes lohnt es sich, ihm jederzeit zuzuhören und zuzusehen. BRAVO!
Eine dramatische Mezzosopranistin für die Rolle der Herodias fehlt  im Karlsruher Ensemble. Man hat sich dafür einen Gast von der Leipziger Oper geliehen: Karin Lovelius zeigt eine gute Leistung in der kleinen Rolle.
Viele Bravos verdiente sich Kai Kluge als Narraboth mit offener, männlicher Tenorstimme und viel Applaus gab es auch für die weiteren zehn Sänger.

Fazit: Ein spürbar zufriedenes Publikum, eine Inszenierung, die wenig stört, aber auch nicht wirklich überzeugt, die Stars sind das Orchester und die Sänger.

Historisches
Salome scheint erst im März 1919 in den Nachwirren des ersten Weltkriegs zum ersten Mal in Karlsruhe aufgeführt worden zu sein. Das Badische Landestheater musizierte im Städtischen Konzerthaus.

Personenzettel der ersten Karlsruher Salome
(Quelle: Badische Landesbibliothek (hier))


Besetzung und Team:
Herodes: Matthias Wohlbrecht
Herodias: Karin Lovelius a. G.      
Salome: Pauliina Linnosaari a. G.
Jochanaan: Thomas Hall a. G.
Narraboth: Kai Kluge a. G.       
Page der Herodias: Ariana Lucas
1. Jude: Paul Kaufmann a. G.
2. Jude: Merlin Wagner
3. Jude: Harrie van der Plas
4. Jude: Eleazar Rodriguez
5. Jude: Yang Xu
1. Nazarener: Vazgen Gazaryan
2. Nazarener: Uğur Atasoy
1. Soldat: Nathanaël Tavernier
2. Soldat: Yang Xu
Cappadocier: Vazgen Gazaryan
Sklavin: Henriette Schein a.G.

Musikalische Leitung: GMD Georg Fritzsch
Regie: Sláva Daubnerová
Bühne: Boris Kudlička
Kostüme: Cedric Mpaka
Licht: Christoph Pöschko
Choreographie: Tomek Wygoda
Videodesign: Bartek Macias

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