Die neue Karlsruher Salome wird beim zweiten Anschauen nicht besser. Bei der Premiere überwog die Erleichterung, daß Strauss' Oper nicht frontal gegen die Wand gefahren wurde, doch die Reduzierung der Titelfigur zu einem kindlichen Backfisch, die als entpersönlichte Symbolfigur noch etwas anderes erlebt als die Opernhandlung, ist zu wirkungsschwach und halbherzig dramaturgisch aufgesetzt, um lange als Inszenierung in Erinnerung zu bleiben. Sängerisch war gestern Miriam Clark in der Titelrolle eine hörenswerte Alternative, die der Aufführung eine andere Richtung gab.
Der Ansatz (mehr hier zur Premiere), Herodes als Ausgangspunkt zu nehmen und Salome als infantiles Opfer zu inszenieren, erweist sich in dieser Produktion als problematisch, da die Musik eine andere Geschichte erzählt. Bei Strauss ist Salome eine starke Figur mit eigener Persönlichkeit und Willen. Hier legt sich die kindliche Salome mal schnell Lippenstift auf und zieht ihren Slip aus, bevor sie sich an Jochanaan wendet, ihm den Slip wie eine Opfergabe darbietet und ihm eine Begierde gesteht, deren Leidenschaft sie nicht kennt. Ihre Keuschheit kann sie sich in einer sexualisierten Umwelt nicht bewahren, sie kann gezwungen werden, Jochanaan allerdings kann sich verweigern und die Erkennbarkeit seiner Unbezwingbarkeit setzt den Mord an ihm in ein anderes Licht: nicht Liebe oder Begierde ist das Motiv, sondern Ressentiment und quengeliger Trotz. Doch mit Text und Musik läßt sich das nicht vereinen. Eine infantile Salome mit Luftballon ist nicht frühreif, spätestens im Schlußmonolog über Liebe und Tod hat die Salome der Oper nichts mehr mit der Salome der Inszenierung gemein. Und wer ist überhaupt Jochanaan? Kommt er aus einem Verließ oder ist er Besucher des Sadomasostudios bei Herodes' Party? Wie paßt der Prophet in diese Inszenierung? Die Regisseurin verheimlicht ihre psychologischen Defizite durch eine halbherzig im Ungefähren belassene Symbolhaftigkeit, die andeutet, aber zum Glück für das Publikum nichts konsequent ausführt. Eine Uneindeutigkeit, die aus dramaturgischer Schwäche entstand, macht die Inszenierung erträglich.
Die Regisseurin ist abgereist, Miriam Clark nutzt ihre Chancen und legt ihre Interpretation der Salome nicht inszenierungsgerecht, sondern rollengerecht an: weiblich statt kindlich, begehrender, selbstbewußter. Und es gibt noch weitere Stars dieser Produktion: Kai Kluge als Narraboth, Thomas Hall als Jochanaan, Matthias Wohlbrecht als Herodes, GMD Georg Fritzsch und die Badische Staatskapelle und viel weitere Akteure in den kleineren Rollen oder als Bühnenarbeiter: BRAVOOO für diese spannende Aufführung!
Zum Anhören ist Salome ein spannender Genuß. Vielleicht sollte
Operndirektorin Nicole Braunger in den letzten zwei Jahren vor ihrem
Abgang doch stärker auf konzertante Aufführungen setzen. In gewisser
Weise ist die bevorstehende Aida-Premiere nicht wirklich ihre letzte
Chance, aber doch fast schon der letzte Versuch, den Auftakt für einen
würdigen Abgang 2024 hinzubekommen. Wenn nun noch eine narzisstische
Pseudoregie-Aida folgt, wird manchen der Geduldsfaden mit der
schwächelnden Karlsruher Oper und insbesondere der ihre Chance nicht
ergreifenden Operndirektorin reißen.
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