Steril und humorfrei
Wie kann man eine so schöne Oper wie Don Pasquale nur so uninspiriert, so ganz ohne Komik, ohne Tempo, ohne Pointen und ohne Charme inszenieren? Die gestrige Premiere zeigte, daß für die heruntergewirtschaftete Karlsruher Oper das letzte Jahrzehnt bedauerlicherweise immer noch nicht beendet ist, noch immer spuken die Gespenster des Intendanten umher, dessen Namen hier nicht mehr genannt werden soll. Dabei hat das vergangene Jahrzehnt am Badischen Staatstheater einige schöne Produktionen von Donizetti-Opern hervorgebracht, die dramatischen Werke Roberto Devereux (der ja auch am Ende der Spielzeit berechtigterweise wieder aufgenommen werden soll) und Anna Bolena, zuvor auch die fröhlichen Opern Der Liebestrank und die Die Regimentstochter. Dieser Erfolg Donizettis auf der Karlsruher Bühne ist auch mit
Künstlern eng verbunden, insbesondere Ina Schlingensiepen und Eleazar
Rodriguez sowie Armin Kolarczyk sind die Stars dieser geglückten Reihe. Nun also endlich mal wieder Donizettis heiteres Meisterwerk Don Pasquale in einer Übernahme aus Montpellier. Doch obwohl es ein auftrumpfendes Sängerquartett und dazu agile Musizierfreude aus dem Orchestergraben zu hören gab, wollte der Funke szenisch nicht überspringen.
Worum geht es?
Die für die Bühne oft bearbeite Handlung beruht auf Ben Johnsons The Silent Woman. Stefan Zweig verfaßte bspw. mit Die schweigsame Frau diesen Stoff für Richard Strauss' gleichnamige Oper, die als Wunschoper von GMD Georg Fritzsch auch bereits letzte Saison geplant war und durch die Virus-Epidemie (hoffentlich nur vorläufig) verhindert wurde.
Don Pasquale, ein wohlhabender älterer Junggeselle, will auf seine alten Tage noch heiraten. Doch zuvor schmeißt er seinen Neffen Ernesto aus dem Haus, der eine für ihn arrangierte lukrative Ehe ablehnt, da er in die nicht finanziell sonderlich liquide Witwe Norina verliebt ist, die er allerdings ohne das Vermögen des Onkels kaum heiraten kann. Don Pasquales Freund und Hausarzt Malatesta ist scheinbar auf Brautschau für Don Pasquale gegangen, doch er ist der Bruder Norinas und heckt mit ihr einen Plan aus. Sie soll eine Scheinehe mit dem Alten eingehen, um ihn zu ärgern und zu quälen, und um dann den Jungen doch noch zu bekommen. Malatesta vermittelt Norina an Don Pasquale als im Kloster erzogene Sofronia. Don Pasquale ist begeistert, ein falscher Notar setzt den Ehevertrag auf, der noch nicht eingeweihte Ernesto ist entsetzt. Doch die schüchterne Klosterschülerin Sofronia entpuppt sich nach der Heirat als Hausdrachen, schmeißt sein erspartes Vermögen aus dem Fenster und macht dem Gatten das Leben zur Hölle. Durch eine weitere List der Intriganten erlaubt Don Pasquale seinem Neffen, mit seiner Verlobten Norina ins Haus zu ziehen, da Sofronia sich weigert, mit einer anderen Frau zusammen im Haus zu leben und mit der von Don Pasquale erhofften Scheidung droht. Matatesta offenbart schließlich die Zusammenhänge. Don Pasquale macht gute Mine zum bösen Spiel, um endlich wieder Ruhe einkehren lassen. Ernesto und Norina können heiraten.
Historisches (1)
Donizettis (*1797 †1848) späte (seine drittletzte vollendete) Oper hat sich stets auf der Bühne gehalten. Andere seiner Opern verschwanden und wurden wiederentdeckt, der Liebestrank und Don Pasquale hatten andauernden Erfolg, zusammen mit Rossinis Barbier von Sevilla, Verdis Falstaff und Puccinis Gianni Schicchi bilden sie das Erfolgsquintett der italienischen Opera Buffa. Die Uraufführung von Don Pasquale erfolgte 1843, bereits im Jahr darauf gab es Donizettis Meisterwerk am Großherzoglichen Hoftheater zum ersten Mal. Das Hoftheater war damals also auf der Höhe der Zeit und brachte schnell, was neu und gut war. Heute sieht das etwas anders aus, über die Gründe kann man diskutieren.
Don Pasquale, zum ersten Mal am 29.08.1844 in Karlsruhe (Quelle: Badische Landesbibliothek (hier)), neu einstudiert dann 1850, 1856, 1873, 1892, 1894, 1898, 1917, 1925 und 1929. Es wurde viel Donizetti in Karlsruhe gegeben, besonders beliebt waren Die Regimentstochter und Lucia di Lammermoor, mit Abstand folgen La Favorite, Liebestrank, Don Pasquale und Belisario. Weniger Resonanz und geringe Aufführungszahlen erlebten Lucrezia Borgia, Dom Sébastien, Linda di Chamounix, Anna Bolena und Maria di Rohan. |
Was ist zu sehen?
Regisseur Valentin Schwarz (*1989) gewann mit diesem Konzept für Don Pasquale beim Internationalen Regiewettbewerb "Ring Award" 2017 in Graz. Nun hat man mit dem "Ring Award" in Karlsruhe schon üble Erfahrungen gemacht, die desaströse Inszenierung des Freischütz (mehr hier) gewann 2014 diesen "Preis". Der Karlsruher Don Pasquale scheint also noch in der Verantwortung des früheren Intendanten zu liegen, doch wieso hat Operndirektorin Braunger dieses Vorhaben nicht gestoppt? Es ist doch offensichtlich, daß diese Inszenierung eines noch jungen, wenig erfahrenen und nicht komikaffinen Regisseurs nicht die Qualität hat, die man an einem Staatstheater erwarten kann. Regisseur Schwarz fehlt jegliche Idee, was denn die Komik in dieser Oper ausmachen soll, man findet in dieser Inszenierung wenige gute Ideen und weder bemerkenswerten Humor noch Pointen, es fehlt an Tempo, Steigerungen und Zuspitzugen; Stattdessen plätschert es vor sich hin. Die Regie kombiniert bei Don Pasquale unterschiedliche Stile und Genres, und zeigt die Seele der Figuren durch Gegenstände, doch wirklich schlüssig und rund sind diese Charakterisierungen nicht. Don Pasquale ist ein Eigenbrötler, ein Kopfmensch im Elfenbeinturm, der in seinem Leben primär nicht gestört werden will. Sein Haus ist eine Mischung aus Bibliothek und Museum, vollgestopft mit Büchern, Kuriositäten und Fossilien, am Ende des zweiten Akts hängt er dann selber hilflos von der Decke herab. Don Pasquale trägt im zweiten Akt eine Rüstung, wirkt wie ein gegen die Außenwelt gerüsteter, wunderlicher Don Quichotte und spielt Violine - sein Seelenobjekt, daß zu Beginn des 3. Akts von Sofronia zerstört wird. Als Vergeltung fährt er buchstäblich die Artillerie auf: er will sich mit einer Kanone verteidigen (ein Einfall, den man in Karlsruhe bei den Händel Festspielen 1999 viel witziger gesehen hat: in Scarlattis Trionfo dell'onore, die der Verfasser dieser Zeilen mit einem deutlich höheren komödiantischen Niveau in Erinnerung hat).
Malatesta ist kein Hausarzt, sondern trägt das frühere sinnbildliche Kostüm der Scheinheiligkeit und Strippenzieher: er ist Priester. Auch Ernesto ist weltfremd. Er campiert in Don Pasquales Haus im Zelt, ein gerade so geduldeter Eindringling. Ernesto ist ein großes Kind in T-Shirt und kurzen Hosen, ein Versager, der sich seinen Lebensunterhalt nicht selber verdienen kann. Was Norina an ihm findet, erschließt sich in dieser Interpretation nicht, bzw. wird dadurch erklärt, daß Norina selber eine Mischung aus kleinkriminellen und asozialem Verhalten unterstellt wird. Zu Beginn ist sie mit langen blauen Haaren und grünschillernden Leggins verkleidet und droht gerne mit einem Messer. Die Figurenzeichnung will nicht funktionieren, das Bühnengeschehen drang nicht in das Herz der Musik vor. Bühne und Kostüme hingegen sind mit einem gewissen Aufwand gestaltet, der aber auch nicht wirken will. Bühne und Figuren bleiben steril.
Was ist zu hören?
Bereits die Ouvertüre mit dem schön gespielten Klarinettensolo stimmt motivisch auf die Oper ein, die Musiker der Badischen Staatskapelle unter Johannes Willig musizieren ein stetes Lächeln auf die Lippen. Ob nun charmant und munter in den entspannten Momenten (bspw. der dahinschmelzenden Serenade des Schlußbilds) oder funkelnd und prickelnd in den turbulenten Szenen - Donizettis wunderbare melodische Eingebungen und sein stets vorhandener diskreter Humor verzaubern den Zuhörer (sofern er nicht vom Zusehen eingeödet ist). Als Don Pasquale hörte man gestern einen Gast, der auch im März in Rossinis Barbier von Sevilla als Bartolo zu hören sein wird. Tiziano Bracci überzeugt nicht durchgehend als Basso Buffo parlante, stimmlich bleibt er ein wenig zu blaß. Sein Don Pasquale hat immerhin noch Kraft und Saft, sein Ah! Un Foco Insolito zu Beginn klingt nicht alt oder lüstern. Schade, daß die Regie ihn im Stich läßt. Am Ende liegt er in einer Zwangsjacke auf der Bühne - ein Happy End wird ihm in dieser Inszenierung verweigert.
Wenn Armin Kolarczyk singt, wird es nie langweilig, seiner eleoquenten und farbenreichen Stimme will man immer noch länger zuhören. Als Malatesta gelingt ihm zu Beginn Bella siccome un angelo verführerisch und trügerisch und auch sonst ist er stets großartig präsent. Um eine solche Stimme und einen Charakterdarsteller wie Kolarczyk bauen clevere Theater ein Repertoire.
Das zukünftige Ehepaar Norina - Ernesto wurde gestern von einem tatsächlichen Ehepaar gesungen. Uliana Alexyuk singt als Norina mit gestischen Kontrasten, manchmal zart, oft bestimmt oder kratzbürstig und immer mit viel Wärme in der Stimme. Das schöne Duett Tormami a dir che m’ami mit ihrem Mann klang ergreifend liebevoll, und wenn die Worte alles ausgedrückt haben, erklingen die Vokalisen zärtlich ineinander verwebend. Sogno soave e casto ist für Eleazar Rodriguez ein gelungener Einstieg. Sein Ernesto ist vielleicht etwas zu hemdsärmlig und liebeskrank, seine agile Stimme elegisch gefärbt, doch stets offen und mit viel Schmelz. Das Povero Ernesto mit der Trompetenbegleitung zu Beginn des zweiten Akts war ein Höhepunkt des Abends. Die chorbegleitete Romanze Com'è gentil, dessen Melodie auch in der Ouvertüre verwendet wird, mußte er sinnloserweise hinter der Bühne singen, obwohl vorne fürs Publikum nichts passiert. Aber über die überflüssige Inszenierung muß man nichts weiter schreiben.
Der Badische Staatsopernchor darf übrigens ebenfalls auftrumpfen, die wenigen Szenen sind auf den Punkt und bereiten Freude
Fazit: Gute Sänger, sehr schön musiziert, doch der Funke sprang spürbar nicht über, im Publikum gab es weder Gelächter noch Szenenapplaus für diese öde Inszenierung. Es wird Zeit für die Karlsruher Opern, die Regievorlieben des früheren Intendanten nun endgültig zu überwinden und hinter sich zu lassen.
PS: Und es wird nun auch mal wieder Zeit für eine Lucia di Lammermoor! Die unter Karlsruher Opernbesucher fast schon legendäre Produktion von Giancarlo del Monaco mit Kathleen Cassello ist nun auch über drei Jahrzehnte her. Tempus fugit! Die seltsamerweise nicht mehr im Karlsruher Ensemble singende (wieso eigentlich?) junge Sopranistin Sophia Theodorides sang gestern ihre allererste Lucia - in Osnabrück statt in Karlsruhe.
Historisches (2): Erinnert sich noch jemand an den letzten Don Pasquale in Karlsruhe? Vor 45 Jahren (Premiere 10.09.1977) sang man diese Oper noch in einer deutschen Fassung. Don Pasquale war der großartige Günter von Kannen, Malatesta war Bruno Pola (der insbesondere in seiner Paraderolle als Figaro im Barbier von Sevilla hunderte Male weltweit auf der Bühne stand), Ernesto wurde vom jungen John Pickering gesungen, Norina war Julie Griffeth, es dirigierte der junge Adam Fischer, Regie: Ferruccio Soleri.
Karlsruher Programmheft und Besetzungszettel der Premiere vom 10.09.1977 |
Besetzung und Team
Don Pasquale: Tiziano Bracci a. G.
Malatesta: Armin Kolarczyk
Ernesto: Eleazar Rodriguez
Norina: Uliana Alexyuk
Notar: Merlin Wagner
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Regie: Valentin Schwarz
Ausstattung: Andrea Cozzi
Licht: Christoph Häcker
Chor: Ulrich Wagner