Montag, 24. November 2014

Theo van Gogh - Das Interview / Lot Vekemans - Gift, 23.11.2014

Ein zweifaches Doppel: zwei spannende Stücke holländischer Autoren für jeweils zwei Schauspieler an einem Abend, die zukünftig auch einzeln gezeigt werden. Das Ergebnis ist höchst unterschiedlich: Das Interview ist geglücktes Theater, Gift hingegen enttäuscht auf ganzer Linie!


(Un-)Ähnliches
Das Interview
zeigt zwei Medienexperten: eine Konfrontation zweier Fremder in verbaler Auseinandersetzung. Man täuscht sich, um Vorteile zu erringen, man forscht nach den Schwachpunkten und seelischen Verwundbarkeiten des anderen. Das Stück ist geprägt durch überraschende Wendungen und eine grobe und herzlose Komik, bei der man entsetzt und amüsiert sein kann.
Gift zeigt ein früheres Ehepaar: zwei unaufgeregte Alltagsmenschen, Vertraute, die sich fremd geworden sind und nach bitteren Krisen und jahrelanger Funkstille endlich Unaufgearbeitetes klären. Hier dominieren Rücksichtnahme und Schweigen, das durchbrochen werden will. Es geht um Ursachenforschung und um die Therapie seelischer Verletzungen. Gift ist ernst und gelegentlich melancholisch komisch.
Kurz: Das Interview sucht und erforscht Abgründe, in Gift will man Brücken über Gräben bauen.

THEO VAN GOGH - DAS INTERVIEW
Der Journalist, Regisseur und Provokateur Theo van Gogh wurde im November 2004 auf einer Straße in Amsterdam ermordet: acht Kugeln trafen ihn, dann wurde ihm die Kehle durchgeschnitten und ein Bekennerschreiben mit zwei Messerstichen auf seine Brust geheftet. Was hatte van Gogh getan, um so bestialisch hingerichtet zu werden? Er hatte die Unterwerfung und Beschneidung von Frauen im Islam kritisiert und mißbrauchte muslimische Opfer zu Wort kommen lassen. Ein in Holland geborener islamischer Fundamentalist afrikanischer Herkunft richtete ihn hin. Seitdem sind weltweit Morddrohungen und Ermordungen nicht rückgängig. Das dunkle Herz des religiösen Fanatismus wütet weiterhin gegen Toleranz, Aufklärung und Freiheit. Sich mit künstlerischen Mittel zur Wehr zu setzen, ist gefährlich. (Nur auf Kosten des Papstes und der katholischen Kirche wagen viele, Kritik zu zeigen. Der Scheiterhaufen hat ja bereits lange ausgedient und schüchtert niemand mehr ein). Zehn Jahre nach seiner Ermordung erinnert man nun zumindest im Karlsruher Schauspiel an den ermordeten van Gogh und seinen Willen zur Unbequemheit.

Worum geht es?

Ein Kriegsreporter und Politjournalist bekommt die überraschende und für ihn lächerlich wirkende Aufgabe, eine Soap Opera Darstellerin zu interviewen. Doch die lässt nicht zu, daß der unvorbereitete Interviewer sich über sie lustig macht und als massenverblödendes Dummchen darstellt. Es wird ein Duell unter Ebenbürtigen, ein Nahkampf mit vergifteten Komplimenten und gespielter Anteilnahme, gezielten Provokationen und instrumentalisierten Gefühlen. Was ist Berechnung und Täuschung? Was ist authentisch, welches Bekenntnis wahr? Wer gewinnt die Oberhand? Das ursprüngliche Drehbuch zum  Stück wurde zwei mal verfilmt, das amerikanische Remake ist mit Steve Buscemi und Sienna Miller prominent besetzt.
              
Was ist zu sehen?
Erneut liefern Regisseur Dominique Schnizer und seine Ausstatterin Christin Treunert (beiden verdankt man in Karlsruhe auch Richtfest und Der einsame Weg) eine ausgezeichnete Arbeit ab: sehr gut balanciert, jederzeit spannend und ohne Durchhänger und mit Schauspielern, die stets überzeugen und die Spannung gekonnt aufrecht erhalten. Schnizer legt seine Figuren dabei anders an als bspw. die amerikanische Verfilmung. Jannek Petri spielt den Kriegsreporter Pierre nicht als abgestumpften und herablassenden Zyniker, sondern als stark traumatisierten Choleriker. Joanna Kitzl kontert als vielleicht sogar zu eloquente und selbstbewusste Katja. Das Gleichgewicht wird dadurch verschoben, der Duellcharakter geht etwas verloren. Dennoch wird man durch die Wendungen immer wieder überrascht und wird vor allem der Doppelanforderung zwischen Komik und Entsetzen hochwertig gerecht.

Fazit: Bravo! Eine sehr gute Leistung aller Beteiligten, die auch dann überzeugt, wenn man die Verfilmung (und damit die Pointe) bereits kennt.
   

LOT VEKEMANNS - GIFT
Die holländische Autorin Lot Vekemanns (*1965) hat für ihre Stücke bereits einige Auszeichnungen erhalten und ist aktuell angesagt auf deutschen Bühnen: Wer Gift im November 2014 sehen wollte, der könnte das auch in Zürich, München, Aachen, Düsseldorf, Hamburg und Berlin. Wieso der Text so attraktiv ist, erschließt sich in der komplett mißglückten Karlsruher Inszenierung nicht. Frau Vekemanns mußte die Einladung zur Karlsruher Premiere aus Termingründen absagen - zum Glück blieb ihr diese uninspirierte Aufführung erspart.

Worum geht es?

Ort: das Büro eines Friedhofs. Aufgrund einer scheinbar notwendig geworden Umbettung ihres verstorbenen Sohns trifft sich zum ersten Mal seit der Trennung ein früheres Ehepaar wieder, deren Ehe durch den Unfalltod des gemeinsamen Kinds auf eine zu harte Probe gestellt wurde. Er zog einen radikalen Schlußstrich, ging am Abend des 31.12.1999 (in Karlsruhe wird daraus der weniger symbolische 31.12.2005) fort, um zu verdrängen, neu anzufangen ohne den Kontakt aufrecht zu erhalten und ist nun in der Zwischenzeit wieder verheiratet und werdender Vater. Seine frühere Frau blieb alleine und verzweifelt zurück, verstand die Trennung nicht und kämpft immer noch gegen Resignation und Schmerz. In Vekemans Dialog bewegen sich die beiden Figuren langsam aufeinander zu und verarbeiten, was ungesagt blieb. Es gibt Vorwürfe und Streit, bittere Erinnerungen, aber auch der Wille zur Versöhnung und Rücksichtnahme.

Was ist zu sehen?
Das Bühnenbild ist dem Thema entsprechend karg: eine Wand, Stühle, ein Getränkeautomat und Wasserspender. Die junge Regisseurin Marlene Anna Schäfer schafft es, fast jede Binnenspannung aus dem Stück zu eliminieren, ihre Inszenierung kommt über Allgemeinplätze und Offenkundiges nicht hinaus. Kaum eine Szene, in der man von einer Idee sprechen kann, von Originalität ganz zu schweigen. Sie folgt dem Text ohne die Situationen auszuloten, gleich zu Beginn wird bei ihr bspw. bereits aus kalter Glut unbeteiligte Lakonik und zu schwache Charakterisierung. Gift zieht sich langweilig dahin und bleibt stets an der Oberfläche. Doch nicht nur die Regie weiß wenig mit dem Stück anzufangen, auch die Schauspieler nutzen diese Chance der fehlenden Regie nicht; sie schaffen keine Spannung und machen fast nichts aus ihrem Text. Antonia Mohr enttäuscht mit einer seltsam unbeteiligt und ohne Nachdruck wirkenden Charakterisierung. Ihre Figur bleibt komplett blaß und konturenlos. Frank Wiegard schien als Experte für einfache Charaktere und niedrig dimensionierte Figuren seine Position im Karlsruher Ensemble gefunden zu haben; mit der (Fehl-)Besetzung dieser Rolle hat man ihm und dem Publikum keinen Gefallen getan. Wiegard zeigt keine Entwicklung und macht fahrlässig wenig aus seinem Text. Seine Rollendarstellung erinnert leider unweigerlich daran, welche Verluste das Ensemble des Karlsruher Schauspiels erlitten hat. Im Programmheft stellt man Gift in eine Reihe mit Wer hat Angst vor Virginia Woolf? und Der Gott des Gemetzels. Zwei Stücke, die im letzten Jahrzehnt in Karlsruhe zu sehen waren und wer sich an die damaligen Aufführungen zurückerinnert, dem wird angesichts dieser lauwarmen schauspielerischen Leistungen das Herz bluten.

Fazit: Leider ein erneuter Beweis: es fehlen Hauptrollenschauspieler. Eine schwache Leistung, die man wahrscheinlich/hoffentlich bald aus dem Spielplan nehmen wird!


Team und Besetzung:

Das Interview
Katja: Joanna Kitzl
Pierre: Jannek Petri
Regie: Dominique Schnizer
Bühne & Kostüme: Christin Treunert

Gift
Sie: Antonia Mohr
Er: Frank Wiegard
Regie: Marlene Anna Schäfer
Bühne & Kostüme: Christin Treunert