Sonntag, 20. Januar 2013

Schnitzler - Der einsame Weg, 19.01.2013

Die neuste Schauspielproduktion des Badischen  Staatstheaters wurde gestern verdient mit lang anhaltendem Applaus belohnt. Der einsame Weg erlebte seine Uraufführung im Januar 1904 im Deutschen Theater in Berlin und bewies auch bei der Premiere in Karlsruhe eindrucksvoll die Aktualität und Größe Arthur Schnitzlers. Als Zuschauer wird man geradezu in den Spannungs-Sog des Dramas gezogen.


Schnitzler und Freud 

Arthur Schnitzler (*1862 †1931) war ein Zeitgenosse von Sigmund Freud (*1856 †1939): beide waren Mediziner, beide lebten in Wien, beide waren auf unterschiedliche Weise Psychoanalytiker und Deterministen: bei beiden gibt es die für manche tröstliche Einsicht, daß nichts einfach nur geschieht und es für alles einen Grund gibt.
Freud beglückwünschte Schnitzler zu dessen 60. Geburtstag 1922 schriftlich mit einem Geständnis, denn er hatte ihn "gemieden aus einer Art von Doppelgängerscheu" und bezeichnete ihn als "psychologischen Tiefenforscher", der "durch Intuition oder besser feiner Selbstwahrnehmung" das wusste, was Freud durch mühselige Arbeit aufgedeckt hatte: „Seit vielen Jahren bin ich mir der weitreichenden Übereinstimmung bewusst, die zwischen Ihren und meinen Auffassungen mancher psychologischer und erotischer Probleme besteht. Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis nehmen konnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objekts erworben habe, und endlich kam ich dazu, den Dichter zu beneiden, den ich sonst bewundere.“
Die Scheu Freuds gegenüber Schnitzler war die des Wissenschaftlers, der entdeckte, daß der Schriftsteller keine Couch für seine psychoanalytischen Erkenntnisse benötigte.

Worum geht es? 

Schnitzlers Figuren können mit anderer Umgangssprache heute noch leben; was ihnen widerfährt sind existentielle Probleme: unerfüllte Liebe und Sehnsucht, Begierden und Enttäuschungen, Sinnsuche und Zukunftsungewißheit, Fernweh und Fluchtwunsch, Kinderwunsch und Abtreibung, falsche Vaterschaft, Altern und Einsamkeit, Krankheit und Tod. Der einsame Weg zeigt verschiedene Lebensentwürfe, die die Akteure im Stück frei wählten oder gezwungenermaßen nehmen mussten.
Zur Vorgeschichte: Der Maler Julian Fichtner hatte vor 24 Jahren eine kurze Affäre mit Gabriele, der Verlobten seines Freundes Wegrat, die mit ihm durchbrennen wollte. Fichtner hatte sie unwissentlich geschwängert und sitzen gelassen. Wegrat zog Fichtners Sohn Felix unwissentlich als seinen eigenen auf. Gabriele hatte ihr Geheimnis nur zwei Menschen offenbart: ihrem Arzt Reumann und Fichtner. Sala, Fichtners Freund, hat es erraten.
Fichtner versucht Felix nach dessen Mutters Tod aus eigennützigen Gründen für sich zu gewinnen, offenbart sich ihm als biologischer Vater und stößt bei ihm auf Ablehnung - Felix wendet sich von ihm ab und hält zu seinem Ziehvater Wegrat. Fichtner trifft auch auf seine frühere Geliebte Irene Herms, die ebenfalls von ihm schwanger war und abtreiben ließ. Sie erkennt, daß Fichtner ein Egoist ist, an den sie ihre Liebe verschwendet hat. Parallel liebt Felix' Schwester Johanna den Schriftsteller Sala, der todkrank ist und ihre Gefühle nicht erwidern kann. Johanna wählt den Freitod angesichts der unerfüllten Liebe zu Sala. Sala erkennt seine Verantwortung und folgt Johanna in den Tod.
Am Schluß steht ein versöhnlicher Moment: die Verbindung von Felix zu seinem Ziehvater vertieft sich.

Was ist zu sehen? 
Auch bei der Inszenierung des Badischen Staatstheaters spielt die Doppelgängerschaft Schnitzler / Freud eine Rolle: "Immer wieder verbleibt Schnitzler geheimnisvoll im Vagen" wird im Programmheft analysiert. "Ganz der schnitzlerschen Seelen-Verwandtschaft zu Sigmund Freud verpflichtet, ist das Bühnenbild eine surreale Traumlandschaft." Es "streifen alle Figuren traumwandlerisch über die Szene und es bleibt geheimnisvoll unbestimmt, was sie von den Gesprächen der anderen hören und was nicht." Die Bühne zeigt  einen Wohn-Wald: ein Zimmer mit Stühlen und Bäumen; alle Schauspieler sind ständig auf der Bühne und gehen erst ab, wenn sie sterben.
Der österreichische Regisseur Dominique Schnizer und seine Ausstatterin Christin Treunert bieten eine atmosphärisch dichte und spannende Inszenierung, die auf Requisiten und Effekte verzichtet und nur von starken Schauspielern getragen wird, die auf selten gesehene Weise innerlich spielen: subtil und tastend und sich selbst ergründend.

Sensationell in dieser Spielzeit ist erneut die Wandlungsfähigkeit von Timo Tank. Gestern spielt er Stephan von Sala als von sich selbst überzeugten, selbstkontrollierten, intellektuellen Lebemann und Großbürger: zackig und distanziert, müde und mürbe und innerlich erstarrt wendet er sich den erstarrten Formen der Archäologie und Architektur zu. Tank findet für den komplexen Charakter, der seinen eigenen Gesundheitszustand verdrängt, eine ganz neue Stimmfarbe und Haltung und auch nach einem Jahrzehnt in Karlsruhe ist er ein Chamäleon, daß immer wieder neue Ausdrucksfarben zeigt (da ist bald eine Hommage fällig). Eine ganz starke Leistung. Bravo!
Ronald Funke spielt den egozentrischen Maler Julian Fichtner als Triebnatur, der rücksichtslos nur seine Selbstverwirklichung im Blick hatte. Er ist die eigentlich unsympathische Figur des Stücks, der immer nur nimmt, aber nichts gibt und dabei aber nur selten arrogant und überheblich auftritt, sondern genau weiß, wie er wirkt und wirken will.
Lisa Schlegel zeigt eine großartige Studie der Irene Herms, die frühere Freundin Fichtners, die jetzt im Haushalt ihrer Schwester als Haushilfe arbeiten muß. Latent verzweifelt und äußerlich um kokette Gelassenheit ringend, innerlich nagt das Wissen an ihr,  eine alternde, verlassene Frau zu sein, die sich durch die Liebe zu Fichtner ihre Zukunftswünsche nicht erfüllen konnte - sie ist unverheiratet, kinderlos und allein. Ihr Wunsch als Frau und Mutter geliebt zu werden, hat sich nicht erfüllt.
Cornelia Gröschel
spielt eine kühle und unnahbare Johanna - die rätselhafteste Figur bei Schnitzler: verschlossen, unergründlich und stark auf ihre innere Stimme hörend, überspannt-phantasievoll und mit so starken inneren Überzeugungen, daß sie dafür den Freitod wählt.
Die sympathischsten Figuren sind Felix -Jan Andreesen spielt ihn als reifen, aufmerksamen und stets bestimmten Sohn zwischen zwei Vätern, der sich seiner Situation fast immer gewachsen zeigt- und sein Ziehvater Wegrat, den Georg Krause als einen bemühten und grundanständigen Akademieprofessor zeigt. Abgerundet und ergänzt in den kleinen Rollen wird der Abend durch Frank Wiegard als Arzt Reumann sowie Ursula Grossenbacher als Gabriele.

Fazit: 100 Minuten dichter Text und konzentrierte Hochspannung sowie herausragende Schauspieler sollte man nicht verpassen.


PS: Haltungsfehler - Schnitzler als Antimodernist   
Liest man das Programmheft des Badischen Staatstheaters, kann man den Eindruck erhalten, daß man es bei den Figuren dieses Stückes rundweg mit Monstern zu tun hat. Pauschal wird dort abgewertet: die "Unfähigkeit aller Personen zur zwischenmenschlichen Beziehung" und es seien "Bindungsunfähigkeit und Egoismus, die die Figuren untereinander verbinden." Es sind nur Fichtner und Sala, denen dieses Attribut zusteht. Die Opfer in Schnitzlers Stück sind die Frauen: sie werden nicht geliebt und sterben. Gabriele und Irene begegnen ihren Partnern nie auf Augenhöhe; die eigenwillige und starke Johanna will sich in die patriarchalische Welt nicht einordnen.

Äußerst fragwürdig ist die antimodernistische Haltung, die man Schnitzlers Stück unterlegt: Der einsame Weg lasse sich "als bis heute gültige Tragödie der Individualisierung auffassen", Einsamkeit, Vereinsamungsangst und Orientierungslosigkeit als "Kehrseite der Individualisierung" und als "Preis, der für diese Moral gezahlt werden muß", ja mehr noch: Einsamkeit als "dekadente Schwäche".  Im Programmheft wird Schnitzlers Stück also mit einer einseitigen und diskutablen Bedeutung aufgeladen und bei den vielen hochtrabenden Begriffen muß man deutlich widersprechen: Der einsame Weg ist nicht die Tragödie der Individualisierung, sondern die Tragödie der nicht zu Ende geführten, patriarchalischen Individualisierung, die Tragödie des Wunsches nach Selbstbestimmung, nach Freiheit und Gleichberechtigung, nach Unabhängigkeit und nach Liebe im Spannungsfeld des Fin de Siècle.

Der einsame Weg als "das Porträt einer orientierungslosen Gesellschaft" - eine wenig hilfreiche Charakterisierung.  Man fertigt damit einen Zustand zu  leichtfertig ab, als ob damit ein Vorwurf oder zumindest ein Anspruch ausgesprochen wäre. Aber Orientierungslosigkeit ist kein zeitspezifisches Gesellschaftsphänomen, sondern der Dauerzustand einer freien und pluralistischen Gesellschaftsordnung, die Optionen und Wahlmöglichkeiten bietet. Umso mehr Ziele offen stehen, um so unbestimmter und unterschiedlicher sind die Wege, die man beschreiten kann. Schnitzler schreibt folgerichtig in seiner Autobiographie, daß der Grundirrtum darin besteht, daß es ein falscher Glaube ist, daß man irgendwelchen klar gesetzten Ziele zuzustreben habe. Schnitzler hält es mit Goethes "Es irrt der Mensch, solang' er strebt" und entkräftet den Vorwurf der Orientierunglosigkeit.

Was kann man ihm Leben nicht alles verpassen!?! Man macht das, was eigener Wille, Zufall, Fügung oder Schicksal als Richtung vorgeben und doch haben rückblickend viele das Gefühl, etwas Wichtiges unterlassen zu haben: Karriere, Familie, Kinder, Freundschaft Sport, Freizeit, Urlaub, …. Man vergleicht sich mit anderen und entdeckt scheinbare Defizite und schließt von anderen Schicksalen auf das eigene. Keinem kann man es recht machen, am wenigsten sich selber, wenn man nicht lebensförderliche Illusionskonstrukte erbaut, die einem das Gefühl von Sinnhaftigkeit und Folgerichtigkeit geben. Wo endet das Konstrukt und wo beginnt die Lebenslüge? Dort, wo Konstrukte ins Wanken und zum Einsturz gebracht werden oder als Fassade ohne Substanz erkannt werden. Die Bewertung ist erfolgsabhängig. Bei Schnitzler fällt der Satz: "Eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, daß sie den Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so verehrungswürdig als eine Wahrheit, die nichts anderes vermöchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der Zukunft zu verwirren." Es geht nicht um Lügen, sondern um richtige und falsche Entscheidungen, es geht nicht um Radikalität, sondern darum, das richtige Maß zu finden.

Das Programmheft ist also bei seiner Beschreibung von "Individualisierungstragödien", "Orientierungslosigkeit" und "Lebenslügen" zu einseitig und pauschal und nicht  immer hilfreich.

Tipp: Wer nach dem Stück auf den Geschmack gekommen ist: Es gibt zwei hochinteressante DVDs von Arthur Schnitzlers Drama: eine historische Produktion von 1962 aus Wien, bei der Schnitzlers Sohn Regie führte (mit Leopold Rudolf, Vilma Degischer, Michael Heltau, Erik Frey) und eine Aufzeichnung von den Salzburger Festspielen 1987 mit großen Schauspielern (u.a. Heinz Bennent, Helmuth Lohner, Christoph Waltz (inzwischen bei Quentin Tarantino zum Weltstar geworden), Cornelia Froboess, ...sowie der Austattung von Jürgen Rose, der in Stuttgart für Crankos Ballette Bühne und Kostüme entwarf). Beide bei entsprechenden Internet-Anbietern erhältlich.

2 Kommentare:

  1. @CK
    Für die Mitarbeiter des Karlsruher Schauspiels will ich Sie gerne zitieren: "Es geht wieder aufwärts mit dem Schauspiel." Als Optimist glaube ich gerne an positive Trends.
    Vielen Dank für den freundlichen Kommentar, die Kontaktaufnahme und bis zum nächsten Mal.

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  2. @anonym
    Vielen Dank für den Hinweis bzgl. TT. Ich habe bereits etwas zu ihm geschrieben.

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