Betrachten wir mal die Momentaufnahme, die das Badische Staatstheater heute veröffentlicht hat:
"Die Bilanz der ersten Monate, September bis Dezember, der Spielzeit 2012/13 kann sich sehen lassen. Ein Vergleich mit den letzten sechs Spielzeiten zeigt, dass in diesem Zeitraum erstmals mit 103.643 Besuchern die 100.000er Marke überschritten wurde. Der entsprechende Durchschnitt der letzten sechs Spielzeiten lag bei rund 93.000 Besuchern"
Nur gab es in den vergangenen Jahren bis 2010/2011 noch kein Kinder- und Jugendtheater. In der Saison 2011/2012 hatte man laut Staatstheater über 50.000 Kinder und Jugendliche erreicht, also ca 5000 pro Monat. Wenn sich diese Rate gehalten hat, kann man wohl mindestens 10.000 Besucher von der offiziellen Statistik der ersten drei Monate abziehen und liegt damit (bestenfalls) auf dem Niveau der Vorjahre.
Glückwunsch! Das Badische Staatstheater ist auf Kurs und hält im Erwachsenenbetrieb die Zuschauerzahlen der letzten Jahre ungefähr konstant, kann sich aber durch seine bravouröse organisatorische Leistung im Kindertheater ein Publikumsplus erarbeiten.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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@AS
AntwortenLöschenVielen Dank für den Hinweis.
Wie groß ist denn die Steigerung der Besucherzahlen im Kinder und Jugendbereich im Vergleich zur Thorwald-Zeit?
Meines Wissens (den Eindruck hatte ich zumindest erhalten) sind dort seit Ulrike Stöck die Leitung übernahm die Besucherzahlen steil gestiegen, oder?
Die Pressemeldung des Badischen Staatstheater spricht über die Zuschauerzahlen der letzten 6 Jahre. Dieser Vergleich ist m.E. erst dann korrekt, wenn man die neu gegründete Sparte des Jungen Staatstheaters abzieht und gesondert ausweist.
Vielen Dank für die Bestätigung, daß die Steigerung von 2011/12 zu 2012/13 durch Zugewinne im Schauspiel (+6500) erreicht wurde.
Sehr geehrter Honigsammler,
AntwortenLöschenich möchte, wenn auch sehr verspätet, auf diese gerade erste gefundene Statistik der Stadt Karlsruhe hinweisen. Sie zeigt mehr als alle Rauchbömbchen der Theaterleitung wie sehr doch das Publikum
dahinschwindet.
Um die zwei markantesten Zahlen zu nennen:
Besucher 1989: 390.168
Besucher 2011: 281.380
Da sind also rund 110.000 Besucher ( ein Drittel!!) einfach so verschwunden
http://www1.karlsruhe.de/Stadtentwicklung/siska/sgt/sgt10010.htm
Im Gegenzug verlangt nun Herr Spuhler, folgt man seinen Ausführungen vor der Piraten-Partei,
einen Neubau von 11.000 qm für 120.000.000 Euro um neu zu gewinnenden Publikumsschichten
ein attraktives Haus zu bieten.
http://www.piraten-karlsruhe.de/blog/2013/03/17/bericht-von-der-gespraechsrunde-zur-situation-badisches-staatstheater-karlsruhe.html
Mit besten Grüßen
Leo Scheinet
Guten Tag Herr Scheinet,
Löschenvielen Dank für den Hinweis. Die Zahlen sind mir bekannt. Da ich dieses Wochenende viel vor habe, werde ich Ihnen am Montag oder Dienstag hier ausführlicher antworten.
Ein schönes Wochenende und mit freundlichen Grüßen
Honigsamler
Guten Tag Herr Scheinet,
AntwortenLöschenwarum sind in ca. 25 Jahren 100.000 Eintrittskarten/Spielzeit weniger verkauft worden? Im Rahmen meiner Möglichkeiten ergreife ich die Möglichkeit zur oberflächlichen Analyse und will versuchen, die mir bekannten Gründe aufzuzeigen. Es sind nicht Qualitätsgründe, sondern Ursachen sind:
1) eine veränderte Medienlandschaft
Wenn ich mich richtig erinnere, führten ARD und ZDF so ungefähr 1988 das Mittagsfernsehen ein (erst später folgten 24h/Tag-Programme). Bis dahin sendete man ca 10-12 Stunden am Tag, die Privatsender (Start 1984) waren noch in den Kinderschuhen. In einer Zeit, als es abends nur öffentlich-rechtliches Fernsehen oder primitiv-vulgäres Privatfernsehen gab, war man dankbar für ein Staatstheater, das ca 500-600 Vorstellungen in drei Sparten gibt und auch ein gesellschaftlicher Treffpunkt ist. Die Abonnentenzahl war viel höher.
In der Zwischenzeit hat sich das Unterhaltungsangebot radikal geändert. Die Krise der Theater liegt auch darin, daß das Phänomen „Live“ rezessiv war.
1995 (Windows 95) begann der Siegeszug des PC und des Internets – eine weitere Konkurrenz und ideal für Couch-Potatoes.
Parallel lief die Krise der Kinos (in den 1980er kamen Videotheken auf). Viele kleine Kinos verschwanden. Das Kulturangebot Kino schien zu verschwinden. Es kam zur Verschmelzung von Film und Fernsehproduktionsfirmen und der TV-Medienlandschaft. Seitdem gibt es oft keine Filmkritiken mehr, sondern nur als Besprechung getarnte Werbung für Filme im Privatfernsehen. Diese Gesellschaften bauten die großen Kino-Zentren auf, um für Besucher ein attraktives Ambiente zu bieten.Der Neubau des Schauspielhauses ist für mich nur aus diesem Grund erklärbar.
Neue Medien und eine veränderte Medienlandschaft haben also das Freizeitverhalten neu gestaltet
2) ein Mentalitätswandel
Kultur wurde zum Konsumgut. Wirtschaftsdenken setzte sich im Privaten durch und hier vor allem im Anspruch der Zuschauer. Die grundlegende Frage "Was will eine Inszenierung und ein Werk mir sagen?" wurde ersetzt durch "Was bietet mir ein Besuch?". Eine passive Erlebnisorientierung ersetzte bei vielen die aktive Inspirationsfrage und das aktive Sich-Einlassen-auf-Themen.
Hochkultur an sich wurde diffamiert: Kunst, die Ansprüche an den Rezipienten stellt, ist nicht egalitär. Heute vermitteln Casting Shows, daß es leicht ist ein Star zu werden, während Hochkultur jahrelange Ausbildung als Musiker, Sänger, Tänzer oder Schauspieler erfordert, um den Ansprüchen und den Schwierigkeiten des Metiers gerecht zu werden. Dadurch der Ruf der anti-egalitären und elitären Hochkultur.
Ergänzt wird das durch eine Mentaltät, die ich gerne das neue Spießertum nenne und deren Motto in Anlehnung an Peter Sloterdijks Buch "Du mußt dein Leben ändern" man mit den Worten "So, wie ich bin, bin ich schon o.k." beschreiben kann. Im Sloterdijkschen Sinne alsi der Verzicht auf Vertikalspannung und die Furcht, an Ansprüchen zu scheitern. Für diese Leute ist nichts gefährlicher als künstlerischer Ausdruck.
Mehr dazu auch im nächsten Kommentar
(Fortsetzung)
LöschenZur Zuschauerentwicklung
Schauen Sie sich die Medienlandschaft heute an: die ewige Wiederkehr des Gleichen (Wiederholungen, die gleichen Formate auf allen Sendern, ....) - das Phänomen "Live" wird meines Erachtens wieder deutlich gewinnen. Es ist auch für mich der richtige Zeitpunkt, um aktiv diesen Umschwung zu unterstützen - die Maßnahmen zur Gewinnung von neuem und jungem Publikum sind richtig. Ob die Qualität stimmt, wird die Zukunft zeigen, aber der Zeitpunkt ist richtig gewählt.
Wieso der Neubau?
Erst mal: Die Sanierung und der Bau der Probenbühne sind eine bautechnische Notwendigkeit. Das Badische Staatstheater bietet regelmäßig kostenlose Führungen an, in denen der Baureferent die schweren Mängel zeigt. Eine sehr lobenswerte Transparenzmaßnahme. Daß dann auch ein Neubau des Schauspiels integriert wurde, ist mir persönlich nur aus dem oben genannten Grund verständlich. Aber die Mehrkosten der neuen Bühne in Ergänzung zu den Probebühnen und der Sanierung sind für mich tragbar.
Schon beim Bau des Hauses vor 40 Jahren wurde gespart. Was man nicht von Anfang an richtig macht, benötigt später -in diesem Fall JETZT- mehr Aufmerksamkeit.
Mit besten Grüßen
Honigsammler