Die gestrige Wiederaufnahme bestätigte den großen Eindruck der letzten Spielzeit (mehr dazu hier, hier und hier). Eine besondere Stärke der Oper ist die Berlioz'sche Orchesterbehandlung, von der man nur schwärmen kann. Wollte man die vielfältigen Klangfarben beschreiben, müsste man die ganze Oper erzählen. Berlioz' Orchester ist vital und abwechslungsreich, seine Figuren hingegen blass: in nur wenigen Szenen werden sie lebendig. Aeneas bleibt dem Publikum fremd, Dido und Kassandra gehen nur selten zu Herzen. Das große Liebesduett im 4. Akt ist ein Juwel, doch die Musik ist mehr Konzertstück als Oper. Opernhaft gelingen vor allem die Chorszenen und Ensembles. Bei Richard Wagner gelang, wo Berlioz kämpfte: das Zusammenspiel von Darstellung und Charakterisierung zu finden. Les Troyens ist dennoch eine große Oper, deren Schwächen keine Fehler sind, sondern faszinierende Eigenart.
Chor, Orchester, Bühnentechnik und Sänger - Die Trojaner sind in jeder Hinsicht eine Produktion auf sehr hohem Niveau. Bei den Sängern ist es weiterhin eine homogene und starke Gesamtleistung, bei der viele in Erinnerung bleiben: Christina Niessen und Armin Kolarczyk als starkes Paar in der Einnahme Trojas. Die Trojaner in Karthago glänzten wie erwartet durch Heidi Melton, John Treleaven (der im 5. Akt Szenenapplaus und spontane Bravos für seine große Arie bekam), Konstantin Gorny, Eleazar Rodriguez und Sebastian Kohlhepp. Ewa Wolak debütierte gestern als Didos Schwester Anna und bewies eindrucksvoll (wie schon in den Gurreliedern), daß sie unbedingt wieder öfters zu hören sein muß.
Das gestrige Publikum gab langen und enthusiastischen Applaus - Les Troyens ist eine grandiose Vorzeigeproduktion, auf die man am Badischen Staatstheater stolz sein darf!
Einen Wermutstropfen gab es:
Statt diese für Karlsruhe so wichtige und besondere Oper an möglichst volle Abonnements zu verteilen, gibt es vier Aufführungen vor relativ leeren Abos, die durch den freien Verkauf aufgefüllt werden müssen und so vor einem etwas zu mager gefüllten Opernhaus präsentiert werden. Schade, die Trojaner hätten mehr verdient.
Ein wenig kann man den Eindruck gewinnen, also ob in diesem Jahr die Sparte Oper im Vergleich bspw. zum Schauspiel weniger Planungsaufmerksamkeit erhalten hat. [Im Schauspiel achtet man anscheinend diese Spielzeit besonders darauf, möglichst viele Abonennten, organisierte Besuchergruppen mit reduzierten Eintrittskartenpreisen und Schulklassen bei seinen Vorstellungen zu haben, um nicht wie im letzten Jahr (und in dieser Saison bei den Wiederaufnahmen im Studio) meistens vor halbleeren oder leeren Zuschauerrängen spielen zu müssen. So waren schon frühzeitig Schauspielvorstellungen von Stücken sehr gut belegt, die noch nicht einmal Premiere hatten - also eine erzwungene Kehrtwende, um das Sprechtheater aus der Kritik zu holen.]
Für die Trojaner hat man anscheinend nicht dieselbe Sorgfalt walten lassen.
PS(1): Die Uraufführung erfolgte in Karlsruhe am 5. und 6. Dezember 1890. Im Dezember 2015 ist also 125 Jahre später der richtige Zeitpunkt für die Karlsruher Gedenkaufführung und ein guter Grund für eine Wiederaufnahme!
PS(2): Die Reihe der großen französischen Opern wird am 26.01.2013 mit Spontinis La Vestale forgesetzt. Man kann nur hoffen, daß die Karlsruher Opernleitung genug Atem hat, um Karlsruhe als Zentrum französischer Opernpflege langfristig zu re-etablieren.
Wie könnte es weiter gehen?
- Gerade weil das letzte Jahrzehnt in Karlsruhe viel Puccini gebracht hat, wäre als Alternative Jules Massenet angebracht: seine Zauberoper Esclarmonde (wirkt ein wenig wie eine französische Frau ohne Schatten) oder Thaïs (ich kann schon Armin Kolarczyk als Athanaël vor meinem inneren Ohr hören).
- Der große Karlsruher Hofkapellmeister Felix Mottl leitete nicht nur die Uraufführung der Trojaner, sondern bemühte sich auch um die Opern Emmanuel Chabriers, dessen Gwendoline und Le Roi malgré lui in Karlsruhe ihre deutsche Erstaufführung erlebten. Mottl beabsichtige auch die Uraufführung von Ernest Chaussons Le roi Arthus, die dann doch nicht gelang.
- Eine Oper von Meyerbeer oder La Juive von Halévy sollte nicht fehlen.
- Es fehlt in Karlsruhe auch Louise von Gustave Charpentier. Die damals als epochal empfundene Erfolgsoper des Jahres 1900, die in ihrem Uraufführungsjahr 100 mal an der Opera-comique gespielt wurde und in Charpentiers Todesjahr 1956 ihre 1000. Aufführung in Paris erlebte.
- Die namhaften Italiener, die für Paris komponierten umfassen neben Spontini auch Cherubini (z.B. Medée oder Lodoïska), Rossini (z.B. Le comte Ory oder Il viaggio à Reims), Donizetti (z.B. La Favorite oder Dom Sébastien (2009 vom Trojaner-Inszenierungsteam David Hermann/Christof Hetzer mit Christoph Gedschold als Dirigent an der Nürnberger Oper gespielt)) oder auch Verdi (z.B. Les vêpres siciliennes).
- Weitere schöne Raritäten für diese Reihe: Dukas - Ariane et Barbe-Bleu, Debussy - Pellléas et Mélisande, d'Indy - L'etranger, Fauré - Pénélope, Roussel - Padmâvatî (auch weil Delibes Lakmé noch nicht lange genug her ist) oder Poulencs Dialog der Karmeliterinnen.
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