Eine Rarität mit großer Geschichte hatte gestern (fast genau 205 Jahre nach der Uraufführung in Paris in Anwesenheit Napoleons) Premiere am Badischen Staatstheater: La Vestale - die Vestalin von Gaspare Spontini. Und wie schon bei Berlioz' Trojanern handelt es sich um eine wertvolle Wiederentdeckung mit einigen musikalischen Höhepunkten, sehr guten Sängern und einer guten Inszenierung. Alle Beteiligten bekamen viel Applaus und Zustimmung.
Geschichtliche Besonderheit
Spontini (*1774 †1851) kam 1803 nach Paris, wo er nach Napoleons Selbstkrönung zum Kaiser von dessen Gattin Josephine zu ihrem Privatkomponisten ernannt wurde. La Vestale feierte seine triumphale Premiere im Dezember 1807 in Anwesenheit Napoleons und wurde auch 1814 gegeben, als in Anwesenheit des russischen Zaren und preußischen Königs in Paris Napoleons Niederlage gefeiert wurde. La Vestale war zur Triumphoper ihrer Epoche geworden. Der preußische König holte Spontini als Generalmusikdirektor nach Berlin: von 1820 bis 1841 leitete er das preußische Opernleben und trug auch zur deutschen Operngeschichte bei: sein Werk Agnes von Hohenstaufen ist in Vergessenheit geraten, obwohl Richard Wagner dort wohl eine Inspirationsquelle zu den ersten Tönen der Rheingold-Ouvertüre fand und einige musikalische Schönheiten darin enthalten sind.
Spontini und Richard Wagner
1844 besucht Spontini Dresden, wo Richard Wagner als Dirigent die Vestalin einstudierte. Durch Wagner -einen Anhänger von Spontinis Opernschaffen- erfährt man, was man Spontini verdankt: den Zusammenhang von Musik, Handlung und den passenden Bühneneffekten, die wohlüberlegt und wirkungsdramatisch eingesetzt werden. Wagner notierte, daß Spontini für La Vestale in Handlungsszenen auf energisches Geschehen und "äußerste Drastik" abzielte. Wagners Vorstellung des Gesamtkunstwerks hat seine Anregungen auch vom italienischen Kollegen bekommen.
Zwischen den Zeiten
Spontini ist heute keine feste Größe im Opernalltag. Er repräsentiert den Zeitabschnitt nach Ende des Rokoko bzw. Mozarts Tod (†1791) und dem Beginn von Rossinis Siegeszug um 1815, dessen große Namen (Cherubini, Méhul, Boildieu) heute alle nur noch sehr selten zu hören sind. Nur Beethovens Fidelio (1805) ragt aus dieser Zeit hervor. Spontini steht am Beginn einer Epoche, die die Errungenschaften seines Werks übernehmen, perfektionieren und ihn dann vergessen sollte.
Worum geht es?
Die Oper spielt im antiken Rom: der
Feldherr Licinius kommt nach langen Feldzügen siegreich nach Rom zurück und will seine
Jugendliebe Julia heiraten. Diese ist aber nach dem Tod ihres Vaters zur
Vestalin bestimmt wordem. Die Vestalinnen (Priesterinnen der Göttin
Vesta) waren "antike Nonnen", deren Aufgabe in der rituellen Wache
des ewigen Feuers bestand. Bei einem heimlichen Treffen zwischem
Licinius und Julia erlischt das Feuer - eine "antike Todsünde".
Julia soll (wie später Verdis Aida) lebendig begraben werden. Licinius
will sie befreien oder mit ihr in den Tod gehen und versucht einen Aufstand anzuzetteln. Doch es gibt ein
Happy-End - ein "antikes Wunder": Ein Blitz entzündet das ewige Feuer erneut und das Paar darf heiraten. Die Karlsruher Inszenierung findet für das vordergründige Wunder ein modifiziertes Ende.
Was ist zu sehen?
Im Programmheft des Badischen Staatstheaters wird La Vestale in einer historischen Doppelbedeutung beschrieben: einerseits als "revolutionäres, aufklärerisches Befreiungsstück", das die "antiklerikale Stoßrichtung" der französischen Revolution aufgreift, andererseits als "propagandistisches Werkzeug Napoleons, mit dem der Souverän sich als siegreicher Militärführer feiern lassen konnte."
Der Regisseur Aron Stiehl verlegt die Handlung in ein militaristisches Regime, in dem Macht und Religion Seite an Seite agieren und alles totalitär überwachen. Doch schnell entlarvt der Regisseur geschickt die bigotte Allianz, indem er die sittenstrenge Oberpriesterin und den Pontifex beim frivolen Rendezvous zeigt. Es ist auch kein göttliches Wunder, das am Ende der Oper das ewige Feuer entzündet, sondern ein Täuschungsmanöver des Pontifex, um seine Herrschaft zu sichern und den schwelenden Aufstand zu unterdrücken. Das Happy-End findet in Karlsruhe nicht statt. Die Unruhestifter werden schnell aus dem Weg geräumt und hingerichtet - die Diktatoren, hier der Pontifex und die Oberpriesterin, erhalten ihre Macht.
Die Personenführung bleibt bei Stiehl etwas zu steif und gestellt, dennoch kann man dem Regisseur nur dafür danken, daß er in einer Zeit, in der Religionen wieder verstärkt dafür mißbraucht werden, politische Machtansprüche zu rechtfertigen, die Scheinheiligkeit und Rücksichtslosigkeit dieser Verbindung offenlegt.
Die Vestalinnen sind einheitlich in orangenen Nonnengewändern, alle anderen tragen graue Uniform militärischen Zuschnitts oder Anzüge (Kostüme: Franziska Luise Jacobsen). Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann zeigt totalitäre Enge, hohe Wände und typische Architekturelemente von Diktaturen.Wie schon bei Delius' Romeo und Julia auf dem Dorfe setzt er dabei geschickt die Drehbühne ein.
Zusammengefasst eine sinnfällige Inszenierung, die beim Abschlußapplaus stark applaudiert und von einigen wenigen, anscheinend älteren Zuschauern leidenschaftlich ausgebuht wurde - anscheinend war die vom Regisseur übernommene "antiklerikale Stoßrichtung" nicht jedermanns Sache.
Was ist zu hören?
Der Premierenabend war hochklassig und spannend. Barbara Dobrzanska (mehr zu ihr findet sich hier) in der Hauptrolle als Julia ist für diese Rolle prädestiniert und bewies eindrucksvoll ihre Stärken: zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Trauer und Freude blieb bei ihr keine Nuance ungenutzt. Als sie zum Schlußapplaus auf die Bühne kam, wurde sie vom Publikum mit Applaus und Zurufen zu Recht überschüttet. Brava!
Vor Konstantin Gorny kann ich ebenfalls nur den Hut ziehen und Bravo!
rufen. Als Pontifex Maximus stand er mit soviel Lässigkeit und
Selbstverständlichkeit auf der Bühne, sein sonorer Baß tönte voll,
klangschön und sicher und begeisterte das Publikum. Nochmals: Bravo! Es wundert nicht, daß er im Frühling als Gremin zusammen mit Anna Netrebko in Wien in Tschaikowskys Eugen Onegin auftreten wird.
Andrea Shin als Licinius hat eine wenig dankbare Rolle: viele Rezitative und nur zwei Arien, aber dafür diverse Duette und Terzette, in denen er den Wohlklang seiner Stimme zeigte. Katharine Tier zeigte als Großvestalin nicht nur ihre großen stimmlichen Qualitäten, sondern auch, daß sie eine sehr starke Bühnenpräsenz hat. An alle Sänger, auch an die von Staatsopernchor und Extrachor: Bravo!
Wenn man in die wenigen existierenden Aufnahmen von La Vestale kennt, dann merkt man, wie spannend, durchsichtig und leidenschaftlich
Dirigent Johannes Willig die Partitur interpretiert.
Fazit: Glückwunsch an das Badische Staatstheater! Nicht nur für Opernliebhaber ist diese selten gespielte Oper eine lohnenswerte Entdeckung auf sehr hohem musikalischen Niveau.
Premierenbesetzung:
Julia: Barbara Dobrzanska
Grande Vestale: Katharine Tier
Licinius: Andrea Shin
Cinna: Steven Ebel
Grand Prêtre: Konstantin Gorny
Oberster Haruspex: Florian Kontschak
Ein Konsul: Wolfram Krohn
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
@anonym
AntwortenLöschenVielen Dank, aber eine Inszenierung ist nicht zynisch, weil sie etwas Zynisches offenbart. Ganz im Gegenteil: Aron Stiehl präsentiert ja fast schon eine plakative "Aufklärung" im besten Sinne des Wortes. Der aufklärerische Impetus passt auch sehr gut zur antiklerikalen Stimmung der Revolutionszeit und ist gut in dieser Inszenierung übersetzt.
Bzgl. Kostüme/Bühnenbild: Geschmackssache, aber mich hat es nicht gestört.