Operndirektor Michael Fichtenholz verläßt nach vier Jahren Karlsruhe und hinterläßt nach seiner letzten Saison nicht nur die schlechteste Zuschauerbilanz der letzten Jahrzehnte, sondern einen regelrechten Absturz: 14.000 Karten wurden weniger verkauft als in der Saison zuvor, es sind sogar knapp 27.000 Karten weniger als 2012/13. Das sind keine normalen Fluktuationen, sondern Fluchterscheinungen. Der Intendant verweigerte in der Saisonbilanz eine Aufarbeitung und Erklärung - aus guten Grund, die Verantwortung für diese katastrophale Bilanz trägt nicht der Operndirektor, der doch vor allem ein Casting-Direktor war, sondern der Generalintendant, der jahrelang die größte, wichtigste und teuerste Sparte als Stiefkind lieblos behandelte. Mit der Verharmlosung der vorgelegten Zahlen verliert der Intendant der falschen Wertigkeiten nun weiter an Seriosität und man kann nur hoffen, daß der Verwaltungsrat doch noch ein Einsehen hat und den längst überfälligen Neustart angeht. Das Badische Staatstheater braucht 2021 einen neuen Intendanten, der wieder die Oper zur Chefsache macht und ein Signal des Aufbruchs vermittelt!
Fichtenholz war stets bemüht und besser, als es die Zahlen vermuten lassen. Sich Spielraum schaffen, innovativ das Ruder übernehmen und den Kurs signifikant wechseln konnte er nicht. Dafür verstärkte er das Ensemble durch neue Sänger und hatte bei manchen Inszenierungen eine glückliche Hand: Simon Boccanegra, Anna Bolena und Lucio Silla waren bspw. spannende Produktionen, vor allem auch dank der Sänger. Tatsächlich war die Saison 2017/18 besser als die Zuschauerzahlen es vermuten lassen. Das wegbleibende Publikum bestrafte jahrelange Vernachlässigung. Deswegen hat die Karlsruher Oper vorübergehend einen Tiefpunkt erreicht. In der kommenden Spielzeit spricht einiges dafür, daß man nicht weiter abrutscht, die Talsohle wieder verlassen kann und daß man beginnen könnte, verloren gegangenes Publikum wieder zurück zu gewinnen. Es wird ein schwieriger Weg, dem der unbeliebte Intendant entgegen steht.
Schauspieldirektor Axel Preuß verläßt nach zwei Jahren ebenfalls bereits wieder Karlsruhe. Nach den fünf peinlich desaströsen Jahren mit dem abgesetzten Schauspielleiter Jan Linders, hat es Preuß geschafft, das Schauspiel zu beruhigen und ein gutes Ensemble zusammenzustellen. Nur leider wählte er überwiegend wenig interessante Stücke und/oder uninteressante und kurzsichtige Interpretationsansätze, die selten unter die Oberfläche tauchten. Aber die Schauspieler überzeugten, die Spielfreude war wieder deutlich spürbar. Belohnt wurde das mit guten Zuschauerzahlen. Weniger Zeigefinger, weniger Gesinnungshudelei, weniger Projekttheatergelaber und stattdessen wieder mehr Mut, mehr Offenheit und mehr Fokus auf die Schauspieler - dann hätte man wieder ein richtig gutes Schauspiel. Auf die kommende Saison darf man sehr gespannt sein.
Der Intendant der falschen Wertigkeiten
Seit wann wackelt der Schwanz mit dem Hund? Gab es Harems, damit ein Eunuch als Haremswächter ihn bewachen konnte? Ist das Badische Staatstheater nur dazu da, dem Intendanten eine Bühne zur Selbstauslebung zu geben?
Intendant Spuhler wird Ballettdirektorin Birgit Keil und GMD Justin Brown auf den Knien gedankt haben (zumindest im übertragenen Sinn). Die steigenden Zuschauerzahlen im Ballett und Konzert retteten das durchschnittliche Gesamtergebnis und die Bilanz des Intendanten vor dem Absturz. Gut geht es dem Badischen Staatstheater dort, wo Intendant Spuhler nichts entscheiden kann. Dabei gab es im Ballett keine einzige Premiere und nur Wiederaufnahmen. Die Zuschauer kommen, wenn der Intendant seine Finger nicht im Spiel hat.
Unbedingt bemerkenswert und herausragend waren in der abgelaufenen Spielzeit:
- Chor, Orchester, Dirigenten und die Ensembles in einer qualitativ sehr guten Saison (Das Team war der Star!)
und insbesondere - Konstantin Gorny als Hagen und Armin Kolarczyk als Gunter in der Götterdämmerung
- Konstantin Gorny als Jacopo Fiesco in Simone Boccanegra
- Seung-Gi Jung als Simone Boccanegra
- Rodrigo Porras Garulo als Gabriele Adorno in Simone Boccanegra
- Nicholas Brownlee -DIE Neuverpflichtung der Spielzeit- als Heinrich VIII. in Anna Bolena
Übersicht:
Oper
Götterdämmerung
Die lustigen Nibelungen
Simon Boccanegra
Roméo et Juliette
Alcina
Semele
Wahnfried
Anna Bolena
Lucio Silla
Schauspiel
Safe Places
Judas
Faust
Meisterklasse
Bestätigung
Der goldene Topf
Afzals Tochter
Willkommen
Agnes
Tiger und Löwe
Musical
Hair
Konzert
7 Symphoniekonzerte
Klavierrezital Lucas Debarque
Konzert Valer Sabadus
Konzert Franco Fagioli
Festkonzert der Deutschen Händel-Solisten
Ballett
Carmina Burana
PS: Nur zum privaten Gebrauch / persönliche Statistik für die Spielzeit 2017/2018:
14 Opernbesuche / 9 Produktionen
11 Konzertbesuche / 11 Konzerte
13 Schauspielbesuche / 10 Produktionen
1 Ballettbesuch (im Rahmen eines Konzerts)
1 Musical
1 Theaterfest
Fazit: 40 Vorstellungen, so wenig Oper als kaum je zuvor, Schauspiel mit überwiegend geringem Erinnerungswert und schöne Konzerte. Dazu kommen in der abgelaufenen Saison 13 Vorstellungsbesuche in anderen Städten bzw. Theatern - so viele wie lange nicht mehr. Als Kultur-Flüchtling votiere ich für die Bekämpfung von Fluchtursachen und folglich für einen neuen Generalintendanten.