Samstag, 16. Dezember 2017

Straus - Die lustigen Nibelungen, 15.12.2017

"Politische" Operette als moralinsaure Belehrung mit Holzhammerhumor
Die Karlsruher Neuinszenierung der Lustigen Nibelungen hat ein typisch deutsches Problem: Regisseur Johannes Pölzgutter hat es nicht so mit dem Humor. Die Musik ist zwar von eleganter Komik, das Libretto ist beim Lesen witzig, Musiker und Sänger sind hochmotiviert - der Neuproduktion fehlt es hingegen zu oft an Esprit und Leichtigkeit, sie kommt über tumbe Vordergrundklischees nicht hinaus. Nach einem langatmigen Beginn gibt es einen durchaus kurzweiligen und amüsanten ersten Akt, doch nach der Pause verödet und verdurstet die Operette, weil der Regisseur sich und seine Befindlichkeiten zu ernst nimmt und sich selber im Weg steht. Er versucht oberflächliche geschichtliche Parallelen zu konstruieren und künstliche aktuelle Zeitbezüge herzustellen und als Zuschauer stellt man sich die Frage, wieso man am Badischen Staatstheater dem Regisseur nicht beim Verständnis zeitgeschichtlicher Zusammenhänge geholfen hat, um die Produktion wieder ins Gleis zu bekommen. Schon im Vorfeld raunte es unzufrieden aus dem Umfeld des Theaters, daß die neue Operettenproduktion nicht zünden wird. Als hätte es sich schnell herumgesprochen, war die Premiere überraschend schlecht besucht und auch für die nächsten Vorstellungen sind viele Karten noch erhältlich. Das ist leider verdient und doch schade, musikalisch und sängerisch gibt es einige gute Momente, doch die platte Regie nimmt dem Werk die Leichtigkeit und Eleganz, die aus dem Orchestergraben ertönt.

Worum geht es?
Gunther hat ein Problem - er hat versehentlich Interesse an der falschen Frau gezeigt. Brunhild ist auf dem Weg nach Worms. Sie will den Mann heiraten, der sie besiegen kann, Gunther fehlen dazu die körperlichen und mentalen Fähigkeiten. Gunthers Eltern (Ute und Dankwart) und seine Geschwister (Kriemhild, Giselher und Volker) sowie sein Onkel Hagen suchen nach einem Weg, die Familienehre zu wahren und finden eine zufällige Lösung: Siegfried von Niederland ist ein bekannter Held, Drachentöter, schwerreicher Unternehmer und Selbstdarsteller, sein Geld hortet er bei der Rheinischen Bank, und er ist zufällig gerade vor Ort. Kriemhild ist schon lange ein Fan von ihm, Siegfried verfällt ihr schnell, die Hochzeit wird beschlossen. Siegfried hat eine Tarnkappe und hilft dem Schwager bei Brunhild. Eine Doppelhochzeit steht an. In der Hochzeitsnacht allerdings wird der Schwindel enthüllt, die Familie schiebt alle Schuld auf Siegfried. Hagen will das Problem lösen und durch Siegfrieds Ermordung kommt die Familie auch an Siegfrieds Geld. Doch der ist inzwischen pleite, Hagen findet die verwundbare Stelle nicht, auch sonst läuft einiges schief. Ein musikalisches Potpourri beendet die Operette.

Was ist zu beachten?
Richard Wagner war vielleicht der wirkungsmächtigste Künstler der Moderne, sein Schaffen inspirierte zu allen Formen der Bezugnahme, musikgeschichtlich gibt es eine Zeit vor und nach ihm, ohne ihn geht es nicht. Schillers Satz über Immanuel Kant "Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung setzt! Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu tun" scheint wie für Wagner erdacht. Oscar Straus war so ein Windschattenfahrer, der sich Wagners Wirkung bediente als man Wagner nach seinem Tod zum Haus- und Hofkomponisten deutsch-imperialer Größe ernannt hatte und sein Werk als germanische Heldenverherrlichung  instrumentalisierte. Die lustigen Nibelungen waren einst eine Parodie auf das Nibelungenlied, Wagners Ring (Beispielhafte Wagner-Parodien aus dem Libretto: "Lodernde Liebe liegt in den Lüften! Mächtige Minne saust durch den Saal! Sehrende Sehnsucht! Reichliche Rente! Mächtige Mitgift! Brüllende Brunst!" oder "Hüpfendes Herz! Brausende Brust! Voll und ganz! Jederzeit! Unentwegt! Lieb’ ich Dich! Du mich! Ich Dich! Er sie! Sie ihn! Ihr Euch! Wir uns! Sie sich! Heil!") und den Wilhelminismus - und das ist eine Epoche, die heute nirgendwo mehr bemerkbar nachwirkt und in ihrer Darstellung heute kaum differenziert wird. Denn das, was viele heute mit Wilhelminismus verbinden wollen und die Figuren, die als Prototyp für diese Zeit gezeichnet werden, sind Klischees. Heinrich Manns Untertan ist nur ein sehr schmaler satirischer Ausschnitt der Epoche, Theodor Fontanes späte Romane und Thomas Manns Werke aus der Zeit zeichnen ein anderes Bild der Menschen. Wer heute Wilhelminismus nur noch als Karikatur mit Pickelhaube betrachtet, zielt zu kurz und huldigt der banalen Vereinfachung. Über was soll man also heutzutage bei dieser Operette lachen? Aktuelle und historische Zeitbezüge fehlen, bzw. wo man sie -wie nun in Karlsruhe- mühsam konstruieren will, kratzt man naiv an Oberflächen. Im Programmheft driftet der Regisseur ins politische Geschwafel ab, um eine Parallele zur Entstehungszeit der Operette vor 100 Jahren zu ziehen, und kreiert anscheinend aus Ahnungslosigkeit den Neubegriff „abendländische, deutsche Werte“, deren Wert er nicht versteht. Was er damit meint, sind vermutlich Kampfbegriffe wie Liberté, Égalité, Fraternité - Life, Liberty and the pursuit of Happiness - Einigkeit und Recht und Freiheit. Alle drei Beispiele nennen Freiheit. Die daraus abgeleitete Demokratie als Regierungsform sowie die Selbstbestimmung des Staatsbürgers sind diese gescholtenen abendländischen Werte, die der Regisseur anscheinend nicht positiv besetzen kann. Was also machen, wenn man den Staatsbürger denunzieren will? Pölzgutter fallen nur Klischees ein, er läßt Pegida-Demonstranten über die Bühne laufen, die er in einer imaginären germanisch-wilhelminischen Tradition verortet und fällt damit auf die Falle herein, die in Frankreich den Front National als Erbe der französischen Revolution darstellt. Statt politische und soziale Ursachen zu erforschen und behauptete Traditionslinien zu enttarnen und zu kappen, reduziert die Regie das Problem auf den renitenten Staatsbürger und Charakterfragen und zeigt politische Operette auf Basis unreflektierter Klischees.

Was ist zu sehen?
Die Bühne zeigt erst dicke romanische Mauern, die an die Nibelungen-Stummfilme von Fritz Lang erinnern, dann Bühnenelemente aus der Kaiserzeit und den 50er Jahren, man sieht Germanen in Fellen und groben Sackleinen, Siegfried trägt einen Frack und Fliege, es gibt Uniformelemente aus dem Kaiserreich und Burschenschaftler. Die Walküren sind bunter. Im dritten Akt wird es dem Publikum auf der Bühne erklärt: es sind Untote, die man zeigen will. Regisseur Johannes Pölzgutter versucht sich damit in Bürgerbeschimpfung. Dreckige Germanen, verkommene Deutsche des Kaiserreichs und protestierende Pegida-Sachsen sollen in eine Traditionslinie gestellt werden und das anscheinend für doof gehaltene Karlsruher Publikum sowie die Germanen der Operette (im 3. Akt sitzen sie auf Schulstühlen) werden diesbezüglich belehrt. Nur wieso? Die Bundesrepublik hat kein entsprechendes Problem. Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat im Sommer 2017 die Ergebnisse von Studien und repräsentativer Befragungen veröffentlicht und kam zu dem Schluß: "Populisten in Deutschland sind häufig enttäuschte Demokraten – aber keine radikalen Feinde der Demokratie", sie vertreten "eher moderate und keine radikalen Ansichten", "sie lehnen demnach demokratische Institutionen oder die EU nicht grundsätzlich ab, sondern kritisieren ihr Funktionieren", die Bundesrepublik ist in "ihrer großen Mehrheit weltoffen ..., tolerant und liberal .... Viel inklusiver kann eine Gesellschaft kaum sein".
So schön und einfach ein vermeintlich drohendes politisches Feindbild für die Karlsruher Intendanz auch sein mag, es entspricht nur der Vorstellung, nicht der Realität. Entsprechend der Karlsruher Logik  darf es für die "lustigen Nibelungen" auch kein Happy-End geben, sondern nur ein schnelles Abwickeln der Schlußszene. Der Spaß muß dran glauben, damit der Regisseur den selbstgerechten Besserwisser und moralinsauren Moralprediger geben kann.

Was ist zu hören (1)?
Die Badische Staatskapelle und Dirigent Dominic Limburg gelingt es, die Musik anregend und leicht klingen zu lassen, der Orchestergraben macht Freude.Es gibt Walzer, Märsche, Anklänge an Wagner und viel Parodie: Musik und Text widersprechen sich oft. Dazu Limburg im Programmheft: "Die Musik ist immer humorvoll und ironisch, aber nie ehrlich. Selbst ein Marsch erklingt mit einem Augenzwinkern. Liebesduette sind überschwänglich, aber nie wirklich bewegend. Eine Liebesszene wird behauptet und findet dann als Karikatur statt. Alles wird groß angekündigt und aufgeblasen, um anschließend parodiert zu werden. Dabei ist allerdings wichtig, dass wir die Musik mit größter Überzeugung und Ernsthaftigkeit spielen, denn nur dann wird sie lustig. Wir versuchen, die Parodie möglichst auszudehnen, indem wir mit bedeutungsschwerem Gestus und viel Pathos musizieren und ernste musikalische Mittel wie Rubati (frei im Tempo, verlängertes oder verkürztes Spiel von Tönen) überdimensional oft verwenden".

Was ist zu hören (2)?
Sänger und Gäste wurden für die Premiere sehr gut ausgesucht: Michael Dahmen hat für die Rolle des Gunther fast schon eine zu schöne und elegante Stimme, ihm möchte man gerne öfters zuhören.  Auch Daniel Pastewski als Hagen sowie Klaus Schneider, der als Siegfried starke Bühnenpräsenz zeigt, vereinen vorbildlich Stimme, Ausdruck und Aussprache.  Wie gewohnt unüberhör- und sehbar ist Rebecca Raffell, die stets eine Bereicherung für die Bühne ist und Ina Schlingensiepen darf als Kriemhield nicht nur ihre schöne Stimme, sondern auch ihr komödiantisches Gespür unter Beweis stellen. Edward Gauntt hat als Dankwart nur wenig zu tun, Christiana Niessen hat als Brunhild eine dankbare Rolle, die stimmlich bei ihr nicht immer rund klang. Ob Solosänger oder Chor: das Zuhören machte Freude, das Engagement stimmte.

Fazit: Eine Operette, die traurigerweise nicht primär aus dem Geiste der Komik, sondern dem der Niedertracht und Diffamierung inszeniert wurde. Schade, da wäre mit einem Konzept, das statt den Zeigefinger zu heben lieber den Spaß der Handlung betont hätte, sehr viel mehr drin gewesen. 

Besetzung und Team:
Gunther, König von Burgund: Michael Dahmen
Ute, seine Mama: Rebecca Raffell
Dankwart, sein Papa: Edward Gauntt  
Volker, Held; Volker Hanisch
Giselher, Recke:  Tiny Peters
Kriemhild, minnige Maid: Ina Schlingensiepen
Hagen, sein Onkel: Daniel Pastewski
Siegfried von Niederland, Drachtöter: Klaus Schneider
Brunhilde, Königin von Isenland: Christina Niessen
Ein Vogel: Sophie Bareis
  
Musikalische Leitung: Dominic Limburg
Chor: Ulrich Wagner
Regie: Johannes Pölzgutter
Bühne: Nikolaus Webern
Kostüme: Janina Ammon
Licht: Rico Gerstner