Bereits in der vergangenen Spielzeit gab es am Karlsruher Schauspiel ein Werk des britischen Autors Chris Thorpe zu sehen: Möglicherweise gab es einen Zwischenfall erwies sich als belanglos, unergiebig und ziemlich langweilig und verschwand schnell vom Spielplan. Nun folgt Bestätigung und dieses Werk ist definitiv nicht belanglos, doch schlicht und schlecht konstruiert, unverständlich vordergründig und sprachlich nicht auf den Punkt formuliert. Mit knapp einer kurzen Stunde Spieldauer geht es zumindest schnell vorbei. Und wieder mal gilt: wer's nicht sieht, hat nichts verpaßt.
Die Wirklichkeit ist nicht die Wahrheit und die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners
Sympathy for the devil heißt ein Song der Rolling Stones, im Karlsruher Schauspiel läßt man gerade den Verräter Judas sich rehabilitieren und in Bestätigung will der Autor Verständnis für einen Holocaust-Leugner wecken, der sich sozial
engagiert und irgendwie ein anständiger Kerl ist. „Wie umgehen mit politischen Haltungen, die einem zuwider sind?“ frägt das Programmheft des Badischen Staatstheater zu Chris Thorpes Bestätigung. Thorpes Antwort besteht darin, den Balken vor dem eigenen Auge zu entfernen. Gegnerschaft hat ihre Ursachen in der
Kategorie der Objektivität, Feindschaft beruht auf Subjektivität -
Thorpe will aus der Falle der Subjektivität entkommen, um zur
Objektivität zurückkehren zu können und traf sich deshalb mit einem
Extremisten, um eine gemeinsame Basis zu entdecken. Der 2014 geschriebene Monolog versucht sich an einer
Lektion in Zurückhaltung und Toleranz, "ein nach eigener Aussage Linker sucht bewußt auf Augenhöhe das Gespräch mit jemandem, dessen Meinungen er absolut nicht teilt",
erläutert das Programmheft. Wer seine Meinung äußern will, sollte erst
mal damit anfangen, die redlichen Gründe für die gegenteilige Sicht zu
verstehen. Thorpe treibt diese grundlegende und heute anscheinend in
Vergessenheit geratene demokratische Übung auf die Spitze und interessiert sich für die unredlichen Gründe. In Bestätigung
beschreibt er sein Zusammentreffen mit Glen, der sich selber als
Rassist bezeichnet, die weiße Vorherrschaft postuliert und zusätzlich
ein bekennender Holocaust-Leugner ist - Glen ist ein britischer Nationalsozialist. Ein einzelner Schauspieler wird für diese Solo-Performance benötigt, der erläutert, was ein Bestätigungsfehler ist (hier der Eintrag bei Wikipedia), aufgrund dessen Thorpe seine eigenen Ansichten auf den Prüfstand stellt. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht unzufriedenstellend.
Warum funktioniert Bestätigung nicht?
Das Problem
liegt in der unfruchtbaren Versuchsanordnung: Glens politische Haltung
ist noch nicht einmal Ideologie, denn sie hat keine gültige Idee (deren
Haltbarkeitsdatum ist längst abgelaufen); tatsächlich ist Glens Ansicht
religiös und kann von Fakten nicht gestützt werden. Durch die
Entschlüsselung des Genoms ist Rassismus wissenschaftlich unhaltbar und
nur noch lächerlich, für die Ermordung der Juden im Dritten Reich gibt
es genug Beweise und Augenzeugenberichte. Glens Ansichten entsprechen
belegbar nicht den Tatsachen, sie als Gegenthese zur Realität ernst zu
nehmen, führt in eine Sackgasse. Der moderne Rassismus entsprang im 19.
Jahrhundert dem Glauben an eine wissenschaftliche Beweisbarkeit, die
durch die kulturelle Überlegenheit des Westens belegbar schien. Die
Rassenlehre ist aber inzwischen ein widerlegter Glaube, ein Schicksal,
das in absehbarer Zeit das Konstrukt der Gender-Religion ereilen wird.
Glen mag daran glauben, er mag seine Gründe haben, wieso er diesen
Glauben annahm. Es ist aber auch nicht mehr als ein unsinniger
gesellschaftspolitischer Glauben, der kein wissenschaftliches Fundament hat und nur Gesinnung abbildet.
Thorpe kann man vorwerfen, daß er komplett darauf verzichtet, die Ansichten von Glen zu hinterfragen. Er versucht nicht, ihn freundlich in die Enge zu treiben, Widersprüche aufzudecken oder Ungereimtheiten aufzugreifen. Thorpe läßt Glen gewähren. Auch Rassisten sind Menschen, denen man mit Anstand und Respekt begegnen sollte, so könnte man den Sinn von Bestätigung zusammenfassen. Wer ist die Zielgruppe dieser Kindergartenmoral? Der Autor wendet sich damit an eine anscheinend seltsam bornierte Gruppe, die den
Blick nicht über den eigenen Tellerrand erhoben bekommt und mit
Vorurteilen und Klischeevorstellungen belastet scheint: die politische
Linke. Chris Thorpe will mit ihnen die Sackgasse der pauschalen
Aburteilung verlassen. Nun ja, vielleicht gibt es ja den einen oder anderen Zuschauer, dem hier Aufgeschlossenheit und Toleranz tatsächlich vermittelt werden.
Ein Hörspiel für die Bühne
Bestätigung ist kein Theaterstück, es ist gerade so eine Performance - eine Kategorie, die es in Karlsruhe nur erreicht, weil man das Publikum aktiv einbindet. Zuschauer fungieren als Dialogpartner und lesen Textstellen vor, müssen Fragen beantworten und aktiv werden. Doch ohne diese Mätzchen taugt Bestätigung lediglich als Hörspiel. Aufs Zuschauen kann man tatsächlich über weite Strecken verzichten. So engagiert man das Werk in Karlsruhe auch vorträgt - hier gilt es nur dem Zuhören. Doch auch die Konzentration aufs Zuhören täuscht nicht darüber hinweg: der Text ist zu dünn! Schauspieler Jonathan Bruckmeier rettet buchstäblich den Abend und verkürzt ihn darstellerisch auf eine gute Stunde.
Man spielte Bestätigung nicht im Theater, sondern aktuell in der Stadtbibliothek, also an dem Ort, wo einst das Karlsruher Ständehaus stand, - das erste Parlament in Deutschland, in dem von 1822 bis 1918 die Badische Ständeversammlung und von 1919 bis 1933 der Landtag der Republik Baden tagte. Demnächst soll Bestätigung im Bundesgerichtshof gezeigt werden. Man befindet sich also an zwei starken Symbolen der deutschen Demokratie. Hier ein so schlichtes Stück wie Bestätigung zu zeigen, ist eine schwache und enttäuschende Wahl. Es gibt deutlich dringendere Themen, für die es aber wahrscheinlich kein mühelos adaptierbares Stück gibt.
Fazit: Tja, inhaltlich in jeder Hinsicht defizitär. Thorpe kratzt ein wenig an einer Pseudo-Oberfläche und täuscht "politisches Theater" vor. Vergeudete Zeit ....
Nachtrag:
Auf der Internet-Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befindet sich ein Artikel von Andreas Voßkuhle (und zwar hier), dem Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Er bemüht sich um eine Begriffsklärung zu Populismus und Demokratie. Voßkuhle hat eine sehr klare Meinung zu Extremisten: "Jede Form von Nachsicht führt hier unweigerlich in den Abgrund!" Dem schließe ich mich an und das ist ein Grund, wieso ich der Versuchsanordnung in Bestätigung nichts abgewinnen kann. Statt eines Extremisten oder Fundamentalisten hätte Thorpe besser einen Radikalen oder Populisten in den Mittelpunkt stellen sollen.
Besetzung und Team
Schauspieler: Jonathan Bruckmeier
Regie: Sarah Johanna Steinfelder
Raum: Soojin Oh
Kostüm: Adèle Lavillauroy
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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@Besucher
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Zu Ihrer Aussage
1.: „Er ist ein Nazi aber kein Rassist.“
An einer Stelle heißt es, daß Glen Betreiber einer „White Supremacy“-Seite im Internet sei, er bezeichnet Juden als Rasse, deren Angehörige auch dann schädlich sind, wenn sie sich gar nicht als Juden sehen – für mich ist die Sache damit klar: er ist ein Rassist. Nun ist nicht jeder Rassist ein Nazi, Glen ist beides.
2. „ist es durchaus beabsichtigt, dass dieses Stück nicht als Theaterstück fungiert. Es war volle Absicht, dass es nur als eine Performance rüberkommt“
Das habe ich auch gestern so verstanden. Man hätte den Text bspw. von zwei Schauspielern sprechen lassen können und den Gesprächscharakter mit Körpersprache und Mimik schärfen – dann wäre etwas zum Zuschauen vorhanden gewesen, der Konflikt dadurch handfester. Als Performance erschien es mir gestern zu dünn, das Zuhören reichte mir, es gab kaum etwas zu sehen. Für mich war das überwiegend ein Hörspiel und für mich hat sich der Besuch nicht gelohnt – leider!
Und wegen meines Rumkritisierens:
Das Schauspiel war über die letzten Jahre zu schwach aufgestellt, das hat sich in den vergangenen 15 Monaten deutlich gebessert, immer noch ärgert mich die Stückewahl. Ich erlebe zu wenig Überraschungen und mache kaum Entdeckungen.
Heute Abend beim Goldenen Topf werde ich übrigens mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nur Gutes schreiben und die Entwicklung am Karlsruher Schauspiel loben, die Probe am Dienstag war sehr vielversprechend, die Regie inspiriert. ETA Hoffmanns Text interessiert mich nur wenig, aber die Umsetzung funktioniert.