Im Baden-Badener Festspielhaus gab es gestern stehende Ovationen für den französischen Countertenor Philippe Jaroussky, der mit zwölf Arien von Händel in einem bemerkenswert schönen Konzert das Publikum verzauberte.
Jaroussky wollte Händel
als "Rhetoriker und Melodiker" präsentieren, es ging ihm nicht um
virtuos-stimmakrobatische Koloraturen und Verzierungen, die er als
"grammatikalisches Beiwerk" bezeichnete -Franco Fagioli ist hier als "Grammatik-Experte" eine Klasse für sich-, sondern um Ausdruck und
Intimität. Dafür wurden eher unbekannte Arien aus seltener
gespielten Londoner Opern ausgewählt, deren Affekte sich dem Zuhörer gut
erschließen und mit denen Jaroussky beeindruckend gut seine gestalterischen Fähigkeiten
zeigen konnte. Jarousskys Timbre ist einmalig: androgyn und introvertiert mit
umschmeichelnder Sanftheit und Dolcezza, die in den langsamen,
betörenden, flehenden oder traurigen Arien besonders zur Geltung kommt. Live wirkte Jaroussky
bei seinem Arienabend im Baden-Badener Festspielhaus stets unangestrengt
- aus gutem Grund: Händel transponierte seine Arien bei Bedarf, um sie
seinen Sängern auf
die Stimmbänder zu schneidern; Jaroussky hat diese Praxis für seine
Bedürfnisse bei manchen Arien übernommen, damit sie "so komfortabel als
möglich" für seine Stimme liegen.
Jaroussky begann mit dem sanften und zärtlichen "Pensa a serbarmi, oh cara" aus Ezio und dem heiteren Son pur felice al fine... Bel contento" aus Flavio. Ein früher Höhepunkt war das angesichts des drohenden Todes anklagende "Son stanco …Deggio morire, o stelle" aus Siroe, das Jaroussky fragil im Raum schweben ließ. Fast alle der von Jaroussky
ausgewählten Arien wurden von Händel für den Kastraten Senesino
komponiert, die sehnsüchtige Arie des Tirinto "Se potessero i sospir miei" aus dem späten Imeneo (1740) sang zuerst Giovanni Battista Andreoni. Es folgte das das kämpferisch-erregte "Vieni, d’empietà ...Vile! Se mi dai vita" aus Radamisto. Der Arie des tapferen Giustino "Chi mi chiama...Se parla al mio cor" fehlte ein wenig die Unbedarftheit. Zwei weitere düstere Arien gelangen herausragend gut. "Che più si tarda omai...Stille amare" aus Tolomeo ist eine weitere Arie im Angesicht des Todes. Die bittere Klage "Ombra cara" aus Radamisto über dem vermuteten Suizid seiner Ehefrau klingt mit düsteren
Fagottklängen, die lang gehaltenen Töne Jarousskys waren
verinnerlicht und intensiv. Im zornigen "Privarmi ancora...Rompo i lacci" aus Flavio schaltete Jaroussky dann auf Attacke und Koloratur um. Als Zugabe gab es zuerst das aus Radamisto stammende nachdenkliche Largo "Qual nave smarrita", das Jaroussky gegenüber dem Publikum als seine Lieblingsarie bezeichnete. Die Eifersuchtsarie des Arsamene "Sì, la voglio" und das berühmte "Ombra mai fu" -beide aus Serse (1738)- beendeten das Konzert.
Die 18 Musiker des Ensemble Artaserse spielten kraftvoll und
präzise, dynamisch
abwechslungsreich, mit beweglich-federndem Klang und detailreich
klingenden Soloinstrumenten auf der Höhe der Zeit und ergänzten den Abend zwischen den Arien mit Sätzen aus diversen Concerto grosso und dem Einzug der Königin von Saba aus Solomon.
Fazit: Ein hochklassiges Konzert, mehrfach stehende Ovationen vom Publikum - der sympathische Jaroussky begeisterte die Zuhörer, die von beiden Seiten des Rheins zu ihm kamen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.