Sowjetische Filmmusik, Konzertmusik eines amerikanischen Filmkomponisten und sowjetische Propagandamusik - die Musik im 3. Symphoniekonzert stammte exemplarisch aus dem 20. Jahrhundert. Die Badische Staatskapelle präsentierte sich in großartiger Form, nur der Dirigent war viel zu jung, um bereits so lahm zu sein.
Die Symphonische Suite Lieutenant Kijé entstand aus der Musik zur gleichnamigen sowjetischen Filmgroteske und ist doch auch eine Neukomposition. Sergej Prokofjew mußte 1934 in die Konzertfassung mehr Arbeit investieren als in den Film - das Ergebnis ist unüberhörbar typischer Prokofjew: farbiges Orchester, humorvolle Kombinationen, russisch gefärbte Melodien - trotzdem stimmte etwas nicht, die Satire entwickelte musikalisch kaum Kraft, bereits hier zeigte sich eine Vorliebe des Dirigenten zum Überausformulieren ohne starken roten Faden.
John Williams (*1932) ist als Komponist von zahlreichen Filmmusiken berühmt, seine Melodien für Der weiße Hai, Star Wars, Indiana Jones, Schindlers Liste oder zu den ersten drei Harry Potter Verfilmungen u.v.a.m. haben teilweise den Status breiter Wiedererkennbarkeit erlangt. Auch einige Konzertwerke für Soloinstrumente sind in seinem Werkschaffen, darunter ein Violinkonzert, ein Cellokonzert, ein Klarinettenkonzert und ein Konzert für Tuba und Orchester, das dem Virtuosen die Möglichkeit gibt, sein Instrument mittels breiter spieltechnischer Anforderungen zu präsentieren. Dirk Hirthe ist seit 2008 Tubist der Badischen Staatskapelle und seit 2011 Professor für Tuba an der Musikhochschule Karlsruhe. Der Musikjournalist Georg Wasmuth hat für den SWR vor einiger Zeit einen schönen Bericht über ihn erstellt, der sich aktuell hier nachhören läßt. Die Tuba ist kein schlankes und filigranes Instrument, doch Hirthes Spiel ließ die Tuba besonders in den Ecksätzen nie schwerfällig klingen. Eine lustvolle Opulenz ließ das Publikum staunen, ein Quintett der vier Hörner mit der Tuba gehört zu den besonders bemerkenswerten Momenten dieses Konzerts. Im langsamen Abschnitt benötigte Hirthe langen Atem. Williams Solokonzert erwies sich im besten Sinne des Wortes als virtuos, aber im Unterschied zu seinen Filmen ohne Ohrwurm.
Leben und Werk verflechten sich bei Dmitri Schostakowitsch auf exemplarische Weise. Ein Komponist in einer kommunistischen Diktatur, die Kunst nur als Bestätigung gelten ließ – ein Spagat zwischen äußerem Zwang und innerem Anspruch, zwischen offiziellen Werken und vorerst privaten Werken für die Schublade. Viele seiner Werke haben also eine doppelte Bedeutung, Anlaß und Zeitpunkt der Komposition erschließen eine weitere Bedeutungsebene der Musik. Es heißt, Schostakowitsch soll lange einen gepackten Koffer bereit gehabt haben, falls er im Zuge einer der vielen stalinistischen Säuberungsaktionen abgeholt und in ein sibirisches Gulag gebracht worden wäre. Als Sowjetdiktator Stalin 1953 starb, antwortete der Komponist mit seiner großartigen 10. Symphonie auf die Zeit unter Lebensangst. 1936 war Schostakowitsch massiv in den Staatsmedien angegriffen worden. Um das Sowjetregime und vor allem Stalin zu versöhnen und Deportierung und Tod zu entkommen, benötigte er ein Vorzeigewerk. Die 5. Symphonie war sein Befreiungsschlag. Eine Komposition, die als Verherrlichung wahrgenommen wurde. Also sowjetische Propagandamusik? Ja und Nein. Nach Stalins Tod sagte der Komponist, daß der Jubel erdroht war und der Triumphmarsch am Schluß ein Todesmarsch sei.
Unabhängig von der historischen Einordnung ist diese Fünfte eine der elektrisierendsten Symphonien der Musikgeschichte und gehört zu den großen Fünften neben Beethovens, Tschaikowskys, Mahlers und Prokofjews 5. Symphonie (Mendelssohn, Bruckner und Sibelius sind u.a. auch zu nennen). Es ist überraschend und großzügig, daß sich GMD Justin Brown nicht selber diesem effektvollen Werk annahm. Der russische Dirigent Valentin Uryupin (*1985) hat ihm Februar 2017 in Frankfurt den Sir-Georg-Solti-Dirigentenwettbewerb gewonnen, zum Gewinn gehörte auch die Einladung nach Karlsruhe. Uryupin bremste gestern immer wieder aus, fast wie in Zeitlupe klangen manche Stellen. Der Dirigent betonte diese sorgsam ausformulierten Passagen, oft ließ er die Musiker dann verhalten und behutsam spielen. Dabei konnten sich vor allem die Instrumentalisten profilieren, die ganz auf (Schön-)Klang setzten. Doch dieses Passagen-Belcanto hatte zu wenig Binnenspannung - ein Manko, das besonders bei Schostakowitsch deutlich wurde. Jubel war hier wirklich nicht zu hören, die Binnensätze klangen fast pathologisch und psychisch angeschlagen in ihrer Fragilität. Der Schlußsatz war dann teilweise einfach nur schnell und laut, doch ohne zu elektrisieren. Wer bei der letzten Karlsruher Aufführung von Schostakowitschs 5. Symphonie im letzten Jahrzehnt unter Anthony Bramall dabei war, der wird sich evtl. erinnern, wie unglaublich intensiv der frühere Karlsruher GMD das Werk gestaltete, wie bspw. die Pauke am Schluß das Werk ins Bedrohliche kippen ließ und den Jubel mit Gewalt mischte. Ein aufgeregtes Sitzen am Stuhlrand wollte sich gestern nicht einstellen. Es klang schön, aber es wurde kaum spannend. Schade!
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
@anonym
AntwortenLöschenBzgl "die Binnensätze klangen fast pathologisch und psychisch angeschlagen in ihrer Fragilität."
Das Largo wirkte auf mich nicht klagend, sondern wie eine Aufgabe, nicht resignativ, sondern wie eine Depression, die eine psychische Behandlung erfordert. Im Kontext der Symphonie funktionierte das für mich aber nicht. Rechts und links von mir gähnten Leute und ich selber stieg auch irgendwann aus und wartete, daß es endlich vorbei sei. Der Dirigent war mir zu lahm, manche Passagen überbetont, der Schlußsatz dann ohne Funken,
der rote Faden im Gesamtkontext ging für mich verloren.