Der Flüchtling als Eindringling
Willkommen scheinen Flüchtlinge schon lange nicht mehr zu sein, schon gar nicht in
den meisten Ländern Europas und auch in der Bundesrepublik ist die Stimmung gekippt; zu viel Negatives ist passiert, die Konflikte und Probleme scheinen zu groß, die Ursachen sind vielfältig: ein Staatsversagen aus Hilflosigkeit und Überforderung, getriebene Politiker, die nicht zugeben konnten, daß sie sich verrannt haben, dazu ein erschreckendes Medienversagen durch Journalisten, die nicht mehr unabhängig und integer berichteten, sondern sich als Interessenvertretung erwiesen, vermeintliche Staatsräson verbreiteten, Tatbestände ignorierten und zu Herstellern von Fiktionen und Feindbildern wurden. Die unkontrollierte
Aufnahme von überwiegend männlichen Flüchtlingen mit geringer
Qualifikation anstelle der angekündigten Familien, Ärzte und Ingenieure hat einen Graben geschlagen und den
gesellschaftlichen Frieden aufs Spiel
gesetzt, die Parteienlandschaft verändert sowie
unverhältnismäßig viele Ressourcen verbraucht. "Machen wir uns nichts vor, es geht um Völkerwanderung", sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, "Wenn wir nicht bald reagieren, wird es uns am Ende allen auf die Füße fallen, egal, welches Parteibuch wir haben", erkannte der Linken-Politiker. Laut ZDF im Dezember
2017 will eine absolute Mehrheit der Bürger eine Begrenzung der
Aufnahme. So offenherzig die Hilfsbereitschaft des Staatsbürgers in der
Flüchtlingskrise 2015 war, so desillusionierend und katastrophal waren
die Folgen, die mit der Silvesternacht 2015/16 in Köln begannen und das friedliche Miteinander massiv beeinträchtigten. Die migrantische Gewaltkriminalität stieg auf nicht mehr
akzeptable Weise, das
Terrorjahr 2016 forderte mehr Tote und Verletzte als bspw. während den zwölf Jahren des NSU-Untergrundterrors.
Verheerend waren auch die Denunzierungen, die gegen legitime Kritiker und Skeptiker
losgetreten wurden, und die Versuche, die Meinungsfreiheit
zu beeinträchtigen und durch moderne Täuschungskünste Konformismus zu
erzeugen oder zu erzwingen, die zu widerwärtigen Begleiterscheinungen
und Hetze von
beiden politischen Rändern und den Medien selber führten. Wenn man das
Allgemeine richtig studieren will, braucht man sich nur nach einer
wirklichen Ausnahme umzusehen, der Staatsrechtler Carl Schmitt
formulierte: "Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles;
sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der
Ausnahme. In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens
die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik." Die
Flüchtlingskrise der Jahre 2015/16 war diese Ausnahme, die vieles
durchbrach und in Frage stellte, was bisher in der Bundesrepublik galt
oder hingenommen wurde. Wer die Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas untersucht, sollte nicht die Symptome angreifen, sondern die Ursachen analysieren.
Auch in Willkommen, der Komödie des Autorenduos Lutz Hübner und Sarah Nemitz, scheitern fünf Flüchtlingsbefürworter am Praxistest der Gesinnung. Die von einer Wohngemeinschaft diskutierte Aufnahme von Flüchtlingen in die eigenen vier Wände findet am Ende nicht statt, der Flüchtling als abstraktes Wohltätigkeitsobjekt wird hier als
konkrete Person zum Eindringling, der geduldet wird, solange er nur
anderen zur Last fällt und man selber sein Leben unbehelligt fortführen kann. Willkommen
ist gutes und kurzweiliges Boulevard-Theater, das mit überraschenden
Entwicklungen und Wendungen und sehr guten Schauspielern überzeugt und bei dem Lachen nie zum Auslachen wird. Bei kritischeren Besuchern wird dennoch ein schales Gefühl bemerkbar sein, denn das Stück spielt Anfang 2016 und ist von der Zeit bereits überholt und läßt sich nicht auf Konflikte ein, es instrumentalisiert die Flüchtlingskrise als Folie für eine konventionell-kommerzielle Beziehungskomödie über Probleme in einer Wohngemeinschaft, die zwar auch locker Fehlentwicklungen und Streitthemen aufgreift, doch ansonsten unkritisch und unpolitisch ist und sich unbehelligt von den Zumutungen und Krisen der zukünftigen Realität zeigt. Wegsehen scheint aktuell leichter als Hinsehen.
Worum geht es?
Eine Zeitreise zurück in eine nahe, aber
schon ganz andere Vergangenheit. Ein Abendessen in einer seltsamen Wohngemeinschaft, in der fünf junge bis mittelalte
deutsch-autochthone Personen auf über 200 qm im Edel-Altbau mit Stuck und Holzböden zusammenleben. Die Bewohner
sind
sozioökonomisch privilegiert, weder konkurrieren Sie um Jobs oder um
Wohnraum mit den gerade ins Land kommenden Flüchtlingen noch bemerken Sie die entstehenden gesellschaftlichen Konflikte. Benny
verkündigt eine Neuigkeit: er wird für ein Jahr als Dozent in die USA
gehen und will sein Zimmer Flüchtlingen geben, vorausgesetzt, die
anderen sind damit einverstanden. Es beginnt eine Diskussion um die
Casting-Anforderungen für Bennys Nachfolger. Doro spricht Klartext, sie
hat kein Interesse an dem Experiment und will keinen arabischen Mann mit
rückständigem Frauenbild in der Wohnung haben. Nur die erfolglose
Photographin Sophie ist begeistert und will die Situation als
Kunstprojekt verwerten. Jonas ist beruflich
noch in der Ausbildung bei einer Bank und benötigt Ruhe, der erwartete
Lärmpegel macht ihm Sorgen. Die Studentin Anna hat ganz andere Sorgen,
sie verkündet, daß sie schwanger ist. Der Kindsvater kommt später zu
Besuch und dreht die Diskussion in eine neue Richtung, denn der
türkischstämmige Sozialarbeiter Achmed (er leitet eine Fahrradwerkstatt für migrantische Schulabbrecher, die er Kanaken nennt) will selber das Zimmer.
Was ist zu beachten?
Willkommen ist keine politische Komödie und auch nur von sehr begrenzter gesellschaftlicher Aussage. Man sieht
eine Momentaufnahme in einem eng definierten Milieu und Konflikte, die schnell persönlich werden: man kratzt beim Abendessen ein wenig an der Oberfläche äußerer Geschehnisse, ein
Austausch von Meinungen und Vermutungen in kaum differenzierter
Grundhaltung, man wagt sich jedoch nicht aus seinem Milieu hinaus und nimmt andere gar nicht wahr.
Weder Politik- noch Medienkritik fließen ein, man diskutiert nicht politisch,
ob und unter welchen Voraussetzungen Flüchtlinge überhaupt ins
Land kommen sollen, wie alternativlos Politik sein kann oder welche
politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Folgen zu erwarten sind. Es geht um individuelle
Meinungen im Wolkenkuckucksheim, ohne Blick in die Zukunft: kann und soll man sich einen
Flüchtling in den eigenen vier Wänden gönnen? Würde man die eigene Komfortzone verlassen, um
konkret zu helfen?
Willkommen hatte Anfang 2017 seine Uraufführung und spielt Anfang 2016, dem Stück fehlen zu viele Erkenntnisse, um noch zutreffend zu sein. Ein Überblick in zwei Abschweifungen:
Abschweifung (1): Flüchtlingskrise, Vertrauenskrise, Legitimitätskrise
Wer wissen will, wie humanitäre Erwägungen und hehre Ideale zu ideologischer Polarisierung führten und die Bundesrepublik wegen der gescheiterten Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 in eine
politische und mediale Vertrauenskrise stürzen konnte, der kann beispielhaft den Brandbrief zitieren, den der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz von der SPD angesichts
migrantischer Gewalt und Kriminalität, hier speziell jugendlicher Intensivtäter, am 23. Oktober 2017 nach Stuttgart schrieb: "Die Haltung der Mannheimer Bevölkerung
ist inzwischen umgeschlagen. Die Bürgerschaft ist in hohem Maße
sensibilisiert und nimmt das Problem als Staatsversagen wahr. Die
Stimmungslage entwickelt sich selbst in bisher stabilen Stadtteilen in
eine bedrohliche Richtung" und "Das Grundvertrauen, daß der Staat seine Bürger schützen kann, ist nicht mehr vorhanden". Das ist keine hetzerische Panikmache eines SPD-Politikers, sondern ein Warnruf, damit aus der Flüchtlingskrise und
Vertrauenskrise nicht auch noch eine Legitimitätskrise wird. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer von den Grünen schrieb am 2. Januar 2018 nach der Ermordung eines Mädchens durch einen Afghanen: "Verharmlosung ist es für mich, wenn immer wieder behauptet wird, Gewalt,
die von Flüchtlingen ausgeht, sei normal und nicht unterscheidbar von
der Kriminalität, die wir immer schon kennen. Es gab vor der
Flüchtlingseinwanderung 2015 keine Anschläge auf Weihnachtsmärkte, keine
Domplattenexzesse und in Brutalität, Anlaß und Vorgeschichte eben auch
keine Morde wie in Kandel oder Freiburg. Ehrenmorde unter Jugendlichen
sind hier nicht verbreitet. Wer das bestreitet, hindert den Staat daran,
zielgenau zu handeln. Nur, wer die spezifischen Formen dieser Gewalt
anerkennt, kann ihre Ursachen finden und bekämpfen. Schon 2016 waren 10%
aller Tatverdächtigen in Sexualstraftaten Asylbewerber. 2017 wird der
Wert weiter steigen. Das ist bei 1,5% der Bevölkerung einfach viel zu
hoch und nicht relativierbar."
Wenn eine neue Kriminalitätsstatistik veröffentlicht wird, beginnt in den Medien das Beschwichtigungstheater. "Natürlich haben auch Kriminalstatistiken nur eine begrenzte Aussagekraft", relativierte DIE ZEIT um dann doch irgendwann den Satz zu schreiben: "Zuwanderer
waren 2016, selbst wenn man sämtliche ausländerrechtlichen Straftaten
wie etwa den illegalen Aufenthalt herausrechnet, überdurchschnittlich an
der gesamten registrierten Kriminalität beteiligt." Die Deutsche Polizeigewerkschaft schlug bereits früh Alarm, der
stellvertretende Bundesvorsitzende Ralf Kusterer sagte zur Kriminalität
durch Flüchtlinge: „Was jetzt eingetreten ist, übersteigt die bisherige Vorstellungskraft. .... Es
hilft nicht, wenn wir die reale Situation nicht zur Kenntnis nehmen und
aus falsch verstandener Zurückhaltung Entwicklungen verschweigen! ... Massenschlägereien,
Übergriffe und Straftaten im Nahbereich von Flüchtlingsunterkünften
sind an der Tagesordnung, die Sicherheitslage ist mehr als angespannt". Im Zuge der Masseneinwanderung ist eine mediale Gleichgültigkeit
angesichts migrantischer Gewalt und Übergriffe festzustellen, die Opfer
werden kaum thematisiert, um die Herkunft der Täter nicht nennen zu
müssen, ein Phänomen wird unter den Vorzeichen unnötiger
Verallgemeinerungen und regionaler Relevanz als belanglose individuelle Schicksale
unter den Tisch gekehrt. Es sind nur wenige Prozent krimineller Intensivtäter, die
viele in Verruf bringen, doch mit wahnhafter Relativierung und
Schönrednerei ist der Situation nicht beizukommen. Von den vielen
schwerwiegenden kulturellen und organisatorischen Problemen (bspw. hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder hier oder täglich an zahllos vielen anderen Stellen, vor allem in Zeitungen und Poizeiberichten) soll erst gar nicht die Rede sein.
In einem beunruhigendem Interview
in der FAZ mit der französischen Philosophin Elisabeth
Badinter sowie Alice Schwarzer ersieht man, wer noch die Opfer der
Migration aus dem islamischen Kulturkreis sind, Alice Schwarzer sagte
dazu: "Deutschland
hat eine massive Zuwanderung von jungen Männern erlebt, die aus Ländern
kommen, in denen Frauen völlig rechtlos sind, die tief patriarchale
Traditionen haben und außerdem seit Jahren einer radikalislamischen
Propaganda ausgesetzt sind. In ihrem Gepäck bringen sie, wie es der
algerische Schriftsteller Kamel Daoud so treffend gesagt hat, all dies
mit zu uns. Nimmt man diese jungen Männer ernst, muß man dafür sorgen,
daß sich das ändert. Ich halte es auch gegenüber diesen jungen Männern
für schlicht rassistisch, die Augen zuzumachen. Da sagt man, bei euch
ist das nun mal so, für euch gelten andere Gesetze. Aber das ist
menschenverachtend."
Wenn Opfer marginalisiert, Täter nicht benannt und Ursachen ignoriert werden, liegt etwas im Argen. Wenn die Politik glaubt, das sei in den Griff zu bekommen, indem immer noch mehr Geld ausgegeben wird für Sprachkurse, Ausbildung, Betreuungskonzepte und Integrationsexperimente, um vielleicht Erfolge zu erzielen und wenn
man proportional zur steigenden eingewanderten Kriminalität einfach nur
die Polizei vergrößert, denkt man zu kurz. Sexual- und Rohheitsdelikte sind
toxisch, der Bürger verliert die Unbefangenheit im öffentlichen Raum.
Wenn man sich nicht mehr in öffentliche Verkehrsmittel, auf Plätze, in
Stadtviertel oder nachts sich nicht mehr in die Innenstadt traut, wenn
Bürger, die zeitlebens nicht mit Kriminalität in Berührung kommen, zum
ersten Mal durch Migranten mit Belästigungen, Verbalattacken und
Drohungen oder Gewalt in ihrem Umfeld oder sogar persönlich in
Berührung kommen, geht Vertrauen verloren. Frankreich ist ein drohendes
Beispiel, in Straßburg oder Paris bewachen schwerbewaffnete Militärs die
Innenstädte, in Risikozonen der Peripherie haben Warlords das Sagen.
Die Probleme der Berliner Polizei mit arabischen Clans in der Hauptstadt
sind ein weiteres gutes Beispiel für eine drohende Legitimitätskrise durch
migrantische Gewalt und Kriminalität.
Abschweifung (2): Die Medien waren auch schuld
Otto Depenheuer, Professor für Allgemeine Staatslehre in Köln, analysierte:
"So sind die gegenwärtigen Zeiten in Deutschland geprägt von einer
politischen Schönrednerei und Hypermoral, die der sachbezogenen und
offenen politischen Diskussion staatsrechtlicher Grundfragen nur noch
enge, moralisch überwachte Korridore zulässiger Argumentation
bereitstellen. Damit werden politische Probleme buchstäblich unsagbar." Der Erfolg des Populismus hat seine Ursache auch im Ignorieren von Konflikten. Gerade in der früheren DDR kennen die Menschen noch aus eigener
Erfahrung, wie es ist, gegängelt und bevormundet zu werden. Der Protest dort ist auch die Weigerung,
sich als entmündigte Untertanen fühlen zu müssen. Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Repräsentanten und Repräsentierten ist gestört, auch das Verhältnis der Journalisten zum Bürger hat gelitten. Die unrühmliche Rolle der Medien hatte Auswirkungen, die Medienskepsis
ist inzwischen weit verbreitet. Laut einer statistischen Erhebung, die Anfang
Januar 2018 veröffentlicht wurde, trauen nur 30 Prozent in den alten und 16
Prozent in den neuen Bundesländern dem Fernsehen. Die Wochenzeitung DIE ZEIT und die FAZ berichteten im Sommer 2017 von einer Studie der Hamburg Media School und der Uni Leipzig. Die
Forscher unter der Leitung des wissenschaftlichen Direktors des
Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung
Michael Haller
(früher Leiter des ZEIT-Dossiers) untersuchten die Rolle der Printmedien in
der Flüchtlingskrise 2015 und kam zu ernüchternden Resultaten. Die "Medien haben versagt", "Sorgen und Ängste der Bevölkerung seien hinter der großen Erzählung von
der Willkommenskultur fast völlig zurückgedrängt, Andersdenkende seien
diskursiv ausgegrenzt worden", die "wichtigsten
Tageszeitungen Deutschlands verwandeln sich in
Volkserziehungsbroschüren. Die Journalisten kontrollieren nicht mehr das
Handeln der Politik, sie kontrollieren das Denken der Bürger." Es wurden "freiwillig von den Bürgern zu erbringende Samariterdienste moralisch eingefordert", Skeptiker wurden zu Feinden und diffamiert, Widerworte wurden unterbunden, "Refugees welcome" und "Willkommenskultur" wurden zum Slogan der Unaufrichtigkeit und kollektiven Selbsttäuschung, die "Ausgrenzung und Stigmatisierung" nach sich zog, "journalistisches Wuttheater" nannte das ein Medienkritiker. Das Resultat: "Das Land hat unter einem publizistischen Stromausfall gelitten – und die
Gesellschaft hat sich in der Folge gefährlich gespalten." Die Studie kommt zu dem Schluß, "daß
der Journalismus eine beträchtliche Mitschuld an der "tiefen Spaltung"
habe, die sich seit 2015 durchs Land ziehe. All die Dysfunktionen der
Medien hätten 'diesen polarisierenden und desintegrativen Prozess massiv
gefördert". Vieles was man als Populismus am rechten politischen Rand bezeichnet, ist ein Symptom, dessen Ursache eine fehlgeleitete Politik und Berichterstattung sind. Es sind "eine spezifische Lebenslage
und das Gefühl, nicht von der Politik vertreten zu werden", die diese Verwerfungen ausgelöst haben.
Was ist zu sehen (1)?
Mal kurz beim Schampus die Welt retten und ab in die Legitimitätskrise - wie lebt es sich in der Komfortzone? Regisseur Nicolai Sykosch und der Ausstatter Stephan Prattes fanden letztes Jahr beim Krüppel von Inishmaan wenig überzeugende Metaphern, Willkommen ist nett und ordentlich geworden. "Aus den 200 Quadratmetern Wohnraum ist eine Art riesiges, weißes Labor geworden", der Regisseur sieht das als "Gesellschaftsversuchslabor" und übersieht, daß er nur ein sehr enges Milieu abbildet. Zu einem Gesellschaftsversuchslabor taugen weder die Figuren noch ihre Meinungen, die dem Praxistest der ernüchternden Ereignisse in Folge der Flüchtlingsaufnahme nicht unterworfen wurden. Man sieht ein Eßzimmer mit Kühlschrank, ein Sofa, eine Waschmaschine, die Kleidung ist unaufdringlich, aber typisch, die Bühne läuft spitz zu in den Zuschauerraum, zuspitzen wird sich aber nichts.
Inhaltlich erreicht Willkommen nie die Höhe der Zeit, das zeitliche Zurückbleiben auf dem Stand des Beginns der Flüchtlingspolitik nimmt dem Stück jede Schärfe. Um was für eine Komödie handelt es sich hier? Tatsächlich ist Willkommen ein Beziehungskomödie über eine WG, die ein Streitthema zum Anlaß nimmt, harmlose offene Rechnungen zu begleichen. Doch auch das quasi monopolistische Milieu wird nicht weiter untersucht, es gibt keine Zuspitzungen zwischen veganen Gutmenschen und eingefleischten Realisten, die Vorwürfe entgleisen nicht zu Zerfleischungen, es gibt keine erregten Diskussionen, kein pointenreiches Fetzenfliegenlassen, Willkommen kommt nicht wirklich zur Sache, keine Illusionen werden beerdigt, das Bitterböse bleibt eine Nuance. Am Ende des Stücks hat sich nichts verändert, der Abend klingt versöhnlich aus. Der Regisseur hält Maß, die Dialoggefechte sind unterhaltsam
und witzig, aber nicht rasant. Die Klischees unterstützen die
Charakterisierung, ohne aufdringlich zu werden. Die beste (aber unauffällige) Pointe versteckt der Regisseur am Schluß. Wenn die Gespräche wieder friedlich sind und leiser werden, ertönt die sieghafte Fanfare aus Star Wars und beendet ironisch das unpolitische So-tun-als-ob-nichts-gewesen-wäre mit dem die Figuren sich wieder einspinnen in den Kokon der vermeintlichen Weltverbesserer. Das Zimmer bleibt nämlich leer - darin besteht die wirkliche
Pointe dieser Komödie. Man will tatsächlich weder Kinder oder Familien noch Türken oder Flüchtlinge - man will einen Gast, der wieder geht, wenn er lästig wird und das Gefühl, bis dahin ein toller Gastgeber gewesen zu sein. Man kann es sich ja leisten.
Was ist zu sehen (2)?
Die Schauspieler liefern sehr gute Rollenporträts, es macht stets Freude, ihnen zuzuschauen - BRAVO! Man muß der Inszenierung positiv attestieren, daß sie eine Debatte
mit Rede und Gegenrede zuläßt, ohne zu moralisieren, stigmatisieren oder
mit Ressentiments zu arbeiten, (fast) keine Figur wird bloß gestellt - das ist bei der deutlichen politischen Positionierung der Intendanz und ihrem bisherigen teilweise von Scheuklappen bestimmten Verhalten keine Selbstverständlichkeit, ein ganz klein wenig springt man über seinen ideologisch verklemmten Schatten. Die Ablehnung von Flüchtlingen ist hier legitim, auch wenn Doro betont, daß sie das nur im Privaten sagt und zu viel Angst vor Denunzierungen in der Öffentlichkeit hätte, das Stück traut sich den sanften Seitenhieb auf den politisch-medialen Meinungsdruck. Lisa Schlegel verleiht Doro eine bodenständige Glaubwürdigkeit, ihre Meinung spiegelt die obigen Worte von Alice Schwarzer emotional wieder, ohne daß sie die Regie verurteilt. Die Weltverbesserin Sophie erweist sich hingegen
als unsympathischste und rechthaberischste Figur des Stücks, Flüchtlinge
sind für Sie ein Projekt, um ihren verkorksten Leben einen Sinn zu geben. Ute Baggeröhr interpretiert Sophie als unglückliche und seelisch angeknackste Person. Mit Doros Ablehnung kommt sie nicht zurecht, auf Sophies Einmischung trifft psychologisch zu, was Carl Schmitt analysierte: der Kampf für den Humanismus führt zur unbedingten Feindschaft, denn wer zum Wohle der Menschheit tätig ist, muß seinen Gegner als Feind der Menschheit betrachten. Jesus wußte, was er tat, als er in der Bergpredigt Liebe deinen Nächsten forderte.
Denn der Nächste ist nicht irgend jemand, sondern ein konkreter Mensch
aus dem unmittelbaren Umfeld und nicht eine abstrakte Person. Und noch mal Carl Schmitt: „Wer Wert sagt, will geltend machen und
durchsetzen. Tugenden übt man aus; Normen wendet man an; Befehle werden
vollzogen; aber Werte werden gesetzt und durchgesetzt. Wer ihre Geltung
behauptet, muß sie geltend machen. Wer sagt, daß sie gelten, ohne daß
ein Mensch sie geltend macht, will betrügen.“ Sophie hat nichts, sie ist ungeliebt, unselbständig, beruflich erfolglos und ausgehalten von ihrem Vater, ihr moralisches
Überlegenheitsgefühl scheint aus ihrem Geltungsbedürfnis zu kommen, wie ein stures Kund bockt sie, wenn sie nicht bekommt, was sie will - Baggeröhr setzt das dezent, aber eindringlich um.
Benny will zwar sein Zimmer Flüchtlingen geben und den anderen während seiner Abwesenheit die Folgen auflasten, er ist aber kein Heuchler. Er hilft tatsächlich in einem Flüchtlingsheim, seine Betroffenheit ist nicht tief, aber echt. André Wagner spielt Benny als grundsympathischen Idealisten, der sich als unwiderstehlich sieht und doch oft linkisch ist. Wagner läßt seine Figur am deutlichsten als Karikatur wirken, er übertreibt gelegentlich, um seine Lacher zu bekommen.
Die schwangere Anna ist bei Paula Skorupa emotional hin- und hergerissen, ihr Monolog ein kleines Meisterstück zwischen konfuser Überforderung und Hilflosigkeit, Jonathan Bruckmeier als Jonas kümmert fast nichts, er will seine Probezeit überstehen und dann ausziehen, er hat fast nie eine Haltung und passt sich flexibel an. Heisam Abbas spielt
Achmed als die sympathischste und geradlinigste Figur des Stücks, komplett integriert und bodenständiger Ruhrpottler, der
offen und von Herzen ehrlich sein kann. Ein fast entwaffnende
Direktheit, mit der nur Sophie nichts anfangen kann, der seine unverblümte Offenheit unangenehm aufstößt
Fazit: Sehr gut gespielt und durch die Schauspieler sehenswert, ordentlich inszeniert, inhaltlich gelten die obigen Einwände. Eine nette Komödie, die aber nicht Lachsalven auslöst oder zu Zwerchfellmuskelkater führt, dazu thematisch von den Ereignissen schon längst überholt und zu abwiegelnd.
Besetzung und Team:
Sophie: Ute Baggeröhr
Doro: Lisa Schlegel
Anna: Paula Skorupa
Benny: André Wagner
Jonas: Jonathan Bruckmeier
Achmed: Heisam Abbas
Sophies Vater via Skype: Gunnar Schmidt
Regie: Nicolai Sykosch
Bühne & Kostüme: Stephan Prattes
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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@GS
AntwortenLöschenVielen Dank für Ihre freundliche Nachricht. Da sie sich nur indirekt auf das Theaterstück bezieht, gehört sie nicht hier her, ich werde sie nicht veröffentlichen. Hier gilt's der Kunst und wenn diese vorgibt, politisch zu sein, dann ist Politik in diesem Blog nur mit direktem Bezug zu Stück und Inszenierung möglich. Schicken Sie mir doch Ihre E-Mail Adresse, ich werde Ihnen dann gerne ausführlich antworten.