Schwerelos entrückt
Nachdem sich Alcina am Vorabend über 240 Minuten als szenisch ungewöhnlich zähfließend erwiesen hatte, verflogen die 150 Minuten des Konzerts mit Countertenor Valer Sabadus wie im Flug. Bei Alcina ging es bereits um die Liebe in ihren vielfältigen Schattierungen und auch Sabadus widmete sich gestern in seinem Konzert Tiranno amor dem beliebten Tyrannen in einem beglückend schönen Konzert.
Die Vorzüge von Sabadus' Stimme kamen bereits im ersten Stück perfekt zur Geltung.Georg Friedrich Händels Kantate „Crudel tiranno, Amor“ HWV 97 sang er mit sinnlich-schmeichelnder und schwärmerischer Stimme. Es folgten die beiden großen Arien Farinellis aus Porporas Polifemo: einem betörenden "Alto Giove" folgte ein virtuoses "Senti il fato". Nach der Pause wurde Händel mit Vivaldi komboniert. Ein empfindsames „Vedrò con mio diletto“ aus Giustino und ein resolutes „L’aure che spira tiranno e fiero“ aus Händels Giulio Cesare sowie ein überaus ergreifendes und eindringlich klagendes und schmerzliches „Gelido in ogni vena” aus Farnace (BRAVO! was für eine unvergeßliche Interpretation!), dem das unbeschwerte „Venti turbini“ aus Rinaldo folgte. Die Zugaben erklangen mit engelsstimmengleicher Hingabe, das allegorische "Lascia la spina, cogli la rosa" sang Sabadus entrückt, "Ombra mai fu" schwebte schwerelos im Raum.
Das Arienprogramm wurde instrumental aufgelockert mit Purcells Chaconne in g-Moll Z 73, Johann Friedrich Faschs Sonata à 4 in d-Moll sowie Telemanns Concerto polonois in G-Dur TWV 43:G7 und dem Concerto à 4 in d-Moll TWV 43:d2. Die zehn Mitglieder der Deutschen Händel-Solisten (Streicher, Cembalo, Laute sowie zwei Oboen und ein Fagott) musizierten mit vollendeter stilistischer Kompetenz. Die kleine Besetzung betonte das Intime und Subtile, das Sabadus' weicher und lyrischer Stimme entspricht (wohingegen bspw das Heroische, das nach außen gekehrte Expressive und das Feuerwerk weniger Sabadus' Domäne sind. Das hört man dann am 02.03.2018 im Konzert Franco Fagiolis).
Ein harmonischer und perfekter Konzertabend, das warmherzige Karlsruher Publikum erhob sich und gab stehende Ovationen für diese ergreifenden Interpretationen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.