Donnerstag, 1. Februar 2018

Klavierrezital Lucas Debargue, 31.01.2018

Inhalt ist Form
Nachdem Lucas Debargue im 4. Symphoniekonzert der Saison erneut einen großen Erfolg in Karlsruhe feierte, gab er zusätzlich einen Solo-Abend mit eher unbekannten bzw. selten gespielten Sonaten von Schubert und Szymanowski. Und was man bereits bei Saint-Saëns bemerken konnte, war auch hier hörbar: Debargue weiß, wie man eine stimmige Interpretation findet, er gibt den Tönen eine Bedeutung, sein Klavierspiel ist reif und beredt mit Gespür für Zusammenhang. Er transformiert Inhalt in lebendige Form.
 
Einen Klavierabend gab es im Badischen Staatstheater lange nicht mehr. Der 1990 in Paris geborene Debargue ist ECHO Klassik Preisträger 2017 in der Kategorie Nachwuchskünstler, drei Solo-Alben liegen bei Sony vor, neben seinen musikalischen Fähigkeiten ist sein Werdegang anscheinend unabdingbar für die Medien-Erzählung seiner Karriere. Man stilisiert ihn gerne als etwas unkonventionellem, verpeilten jungen Mann -neudeutsch Nerd- der irgendwie in seine Karriere hinein stolperte. Eine Musikerkarriere zu starten ist heutzutage nicht nur unabläßlich harte Arbeit, sondern auch Inszenierung. Die Konkurrenz ist groß, am Markt bleiben nur wenige, eine Marke zu sein kann helfen, um Umsatz zu generieren. Hinter der Oberfläche des Etiketts verbirgt sich hier ein bemerkenswerter Pianist. Debargues Spiel hat nichts Mechanisches, der Spannungsbogen wirkt authentisch, der Pianist spielt also nicht nur, er bekennt sich zur Musik, er erzählt sie und findet einen Pfad durch die Noten.

Entgegen der Ankündigung im Programmheft begann Debargue mit Franz Schuberts Sonate A-Dur D664 (wahrscheinlich 1819 entstanden), sie  scheint unaufgeregt und heiter, doch Debargue führte den doppelten Boden vor, hinter dem Vorhang lauern Abgründe, die angedeutet, aber nicht erforscht werden wollen, das Allegro hatte etwas Bedrücktes, das Larghetto wirkte wie ein Abschied, das abschließende Menuetto und Allegretto wie ein Dennoch.
Die 1823 komponierte Sonate a-Moll D784 von Franz Schubert hat einen aufgewühlten Charakter, etwas droht, Schuberts Syphilis war ausgebrochen, man könnte die Musik biographisch als Bekenntnis einordnen. Debargue  packte den groben Pinsel aus: pastos schroffe Momente und starke Kontraste erhöhten die Dramatik, Debargue spielte einen existentiellen Schubert, ein Sonaten-Drama mit deutlichen Zuspitzungen und Abbrüchen, manchmal stockend, aber nicht fragil, sondern düster wie ein Trauermarsch - eine verzweifelte und trostlose Tragik ohne Größe. Zwischen Momenten der singbaren Zärtlichkeit, die wie eine Idylle auftauchen und brüchig werden standen fortissimo-Akkorde wie ein Fanal.

Nach der Pause kam Debargue ohne Jacket auf die Bühne - er wußte, warum er hemdsärmelig spielen wollte. Nach Schubert folgte ein Zeitsprung. Die zweisätzige Klaviersonate Nr.2 A-Dur op.21 von Karol Szymanowski (*1882 †1937) entstand um 1910/11 und klang gestern wie ein turbulenter breiter Strom, der die Einflüsse der damaligen Zeit aufnimmt und verarbeitet, ein komplexes Schwanken im Form von Tonballungen und -fluten, geheimnisvoll, aufregend und mitreißend, wenn auch zumindest beim ersten Hören kein roter Faden das Werk zusammenzuhalten schien. Debargue interpretierte die Sonate rasant, quasi als Hochleistungsvirtuose, der nach dem Schluß spürbar zu Luft kommen mußte und ein wenig zusammensank - er hatte hör- und sehbar alles gegeben.

Erneut viel herzlicher Applaus, in Karlsruhe und Umgebungen wird der Franzose diese Woche einige Fans hinzugewonnen haben. Für Debargue gilt es zukünftig nicht nur auf musikalische Entdeckungsreise zu gehen, sondern neben Raritäten und Nebenwerken auch Hauptwerke des Repertoires auf seine Weise zu entdecken und zu interpretieren.