Freitag, 6. Oktober 2017

McNally - Meisterklasse, 05.10.2017

Die Callas - Primadonna Assoluta
Terrence McNallys Theaterstück Meisterklasse über Maria Callas ist seit der Uraufführung 1995 eine viel gespielte, erfolgreiche Tragikomödie, für die man eine starke Hauptdarstellerin benötigt. Annette Büschelberger spielt die Hauptfigur in diesem Stück bereits zum dritten Mal - es ist "ihre" Rolle, und das spürt man. Sie erkundet einen Mythos, Gipfel und Abgründe, Wege und Abwege, Kunst und Scheitern - eine Diva damals und heute und ein Drama der Lieblosigkeit und Einsamkeit in einem Meer der Zuwendung und Bewunderung.

Von der Kunst zum Mythos
Auf der Bühne feierte Maria Callas (*1923 †1977) Triumphe, im Leben erlitt sie schwere Niederlagen (wie ihre unglückliche Liebe zum griechischen Milliardär Aristoteles "Ari" Onassis, der sie wegen Jacky Kennedy verließ). Ihre Stimme glühte ca. ein Jahrzehnt mit maximaler Leuchtkraft (in den 1950ern), dann begannen ihre Stimmbänder sie im Stich zu lassen. Die Callas verbrauchte sich, sie sang sowohl hochdramatische als auch lyrische Rollen und überforderte ihre Stimme, sie stürzte sich mit so bedingungsloser Hingabe und emotionaler Identifizierung auf ihre Rollen, daß ihre grenzenlose Sucht nach Kunst ihr Leben  erschöpfte, so ungefähr erklärt man es oft. Sie starb einsam in Paris mit 53 Jahren, ein Herzstillstand - auch hier kommt man nicht umhin, eine Metapher zu bemühen, bspw. die, der doppelt an zwei Dochten brennenden und sich schnell verzehrenden Kerzenflamme. Ihre Asche wurde über der Ägäis verstreut. Die größte tragische Stimme auf der Bühne erlitt ein tragisch-trauriges Schicksal. Eine ihrer letzten Opernauftritte, 1964, Tosca in Covent Garden und wie passend ist doch Toscas Credo für sie - „Vissi d’arte, vissi d’amore“ (ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe) (hier bei youtube und hier die Arie in älteren Aufnahmen 1956 und 1958). Die Callas - ein moderner Mythos.
  
Huldigung
Große Kunst und große Künstler haben etwas gemeinsam, sie berühren Menschen, sie bereiten Momente, die Sinn ergeben, Sinn stiften. Kunst ist religiös, sie macht Gläubige aus Skeptikern und Pathetiker aus Ironikern. Kunst ist wie Talent nie demokratisch, Jünger werden erwählt, andere folgen immer nur mit Abstand. Ingeborg Bachmann hat eine Hommage an Maria Callas verfaßt und beschrieb ihre Kunst auf diese Weise: pathetisch, voller Größe, als einzigartiges Phänomen, u.a.: "... sie ist groß im Haß, in der Liebe, in der Zartheit, in der Brutalität, sie ist groß in jedem Ausdruck, und wenn sie ihn verfehlt, was zweifellos nachprüfbar ist in manchen Fällen, ist sie noch immer gescheitert, aber nie klein gewesen. Sie kann einen Ausdruck verfehlen, weil sie weiß, was Ausdruck überhaupt ist. Sie war zehn und mehrere Male groß, in jeder Geste, in jedem Schrei, in jeder Bewegung, ... Sie hat nicht Rollen gesungen, niemals, sondern auf der Rasierklinge gelebt, ... sie ist die einzige Person, die rechtmäßig die Bühne in diesen Jahrzehnten betreten hat, um den Zuschauer unten erfrieren, leiden, zittern zu machen, sie war immer die Kunst, ach die Kunst, und sie war immer ein Mensch, immer die Ärmste, die Heimgesuchteste, die Traviata. Sie war, wenn ich an das Märchen erinnern darf, die natürliche Nachtigall dieser Jahre, dieses Jahrhunderts, und die Tränen, die ich geweint habe – ich brauche mich ihrer nicht zu schämen. Es werden so viele unsinnige geweint, aber die Tränen, die der Callas gegolten – sie waren so unsinnig nicht. Sie war das letzte Märchen, die letzte Wirklichkeit, denen ein Zuhörer hofft, teilhaftig zu werden ..."
  
Worum geht es?
1965 zog sich Callas von der Bühne zurück. An der New Yorker Juilliard School gab sie 1971/72 zwölf Wochen lang zweimal die Woche für zwei Stunden Unterricht, in den sogenannten Meisterklassen lehrte sie zukünftige Opernsänger und erwartete absolute Hingabe. Wer nicht bereit war, alles zu geben, sollte es lieber sein lassen - sie selber soll als Gesangsschülerin morgens die erste und abends die letzte gewesen sein - ihr Künstler-Ethos scheint unerbittlich, bedingungslose Hingabe ihr Elixier, die Belohnung war die Liebe des Publikums und der Rausch des Auftritts. Von ihren Schülern fordert sie das ebenfalls. Meisterklasse arbeitet eine solche Unterrichtsstunde tragikomisch auf und zeigt Callas vielschichtigen Charakter: ihren Perfektionismus, ihr Alles-oder-nichts, Callas' Besessenheit und Strenge, ihre Primadonna-Allüren, ihre Art, mit den Niederlagen umgehen, das Versagen ihrer Stimme. Die Bühnen-Maria ist aber eine Kunstfigur, die man nicht mit der Callas verwechseln darf, wie sie erscheint, hart oder fies, selbstbewußt oder eitel, dominant oder schwach, ist eine Projektion.

Was ist zu sehen?
Drei Sänger versuchen ihr Glück und wollen vorsingen. Die erste Sopranistin traut sich an eine Arie der Amina aus Bellinis La Sonnambula (hier die Version der Callas bei youtube), die nächste an eine Arie der Verdischen Lady Macbeth (youtube), der Tenor probiert es mit der ersten Arie des Cavaradossi aus Puccinis Tosca - und nur bei ihm wird die Callas schwach, die Sehnsucht nach der Liebe, die Cavaradossi besingt, läßt sie zahm und schwach werden. Die Karlsruher Inszenierung betont das Drama der Callas - der bewunderte Star, der verlassen wurde und die Liebe nicht kennt. Ihre Realität war die Bühne, ihr privates Leben erfüllte ihr keine Wünsche: ungeliebt, verlassen, kinderlos - die Callas war einsam. Ihr Schutzpanzer aus Professionalität und Disziplin hat sie hart gemacht. Alles und alle treten in den Hintergrund, Bühne und Sänger dienen dazu, die Diva in Szene zu setzen – sie erzählt aus ihrem Leben, schweift ab in Privates, durchlebt Szenen aus der Vergangenheit. Sie schildert, wie sich das jugendlich übergewichtige Mädchen mit eiserner Disziplin zum schlanken Star verwandelte, die erste Ehe mit dem beträchtlich älteren Meneghini, dann ihre Liebe zum unvorstellbar reichen Reeder Onassis, der sie für die prestigeträchtigere Präsidentenwitwe Jacky Kennedy verließ.

Annette Büschelberger will nicht nur die Pointen ausspielen, sondern zeichnet das Bild einer verletzten und verletzlichen Frau. Körpersprache, Gestik und Mimik sind ihre großartig eingesetzten Mittel, um das zu erreichen. Es lohnt sich, sich immer wieder auf Büschelbergers Bewegungen zu konzentrieren - wie sie steht, wie sie sich bewegt, wie sie zurückweicht und sich vordrängt, wie sie ihre Hände und Arme einsetzt, wie sie etwas macht - das ist subtil und unaufdringlich und gerade darin liegt die große Kunst dieser Interpretation. Büschelberger charakterisiert gleichermaßen durch Worte und Bewegungen und das auf einem hohen Niveau, das man selten zu sehen bekommt. BRAVO!
Meisterklasse ist ein großer Monolog für eine Schauspielerin, die durch drei Opernsängern und einen Pianisten unterstützt werden. Bei der gestrigen Erstaufführung waren das Paul Harris am Klavier sowie die Sänger Larissa Wäspy, Luise von Garnier und Koral Güvener, die sich der Callas stellten. Meisterklasse ist auch ein Stück über Oper als Emotionalität und Intensität - die Sänger stellen sich auch dem Publikum, das als Maßstab die Arien der Callas eingespielt bekommt. Für diesen Mut gebührt auch ihnen ein Bravo!
Die Bühne ist eine Konzertbühne in sattem Rot mit verwelkten Rosenblättern auf dem Boden und Rosen in den Ecken - eine Reminiszenz an die Bewunderung, die die Callas erfuhr. Ansonsten bleibt man schlicht - keine Bühnenveränderung, nur die Lichtregie ist gefordert. Das subtile Spiel der Büschelberger wird durch eine zurückhaltende Bühne unterstrichen. Die Regie hat es nicht eilig, Meisterklasse ist nicht auf Tempo aus, sondern läßt sich Zeit für ein Seelenbild.

Fazit: Eine Ikone tritt auf, eine einsame und verzweifelte Frau tritt ab – nur die Vergangenheit ist ihr und dem Publikum geblieben. Großes Theater dank Annette Büschelberger!

PS: Terrence McNallys Corpus Christi wäre ein Stück, das nach Karlsruhe passen würde. Wer, wenn nicht Peter Spuhler könnte das Interesse und den Mut aufbringen, Jesus und die Apostel als allesamt homosexuell inklusive gleichgeschlechtlicher Eheschließung auf die Bühne zu bringen.
Die Lissaboner Traviata dieses Autors wäre eine sehr gute Wahl für die Opern-Fans!

Besetzung & Team
Maria Callas: Annette Büschelberger
Der Pianist (Manny): Paul Harris
Eine Sopranistin (Sophie de Palma): Larissa Wäspy / Clara Sophie Bertram
Eine weitere Sopranistin (Sharon Graham): Luise von Garnier / Katharina Sebastian
Ein Tenor (Anthony "Toni" Candolino): Koral Güvener / Nikolaus Pfannkuch

Regie: Martin Schulze
Musikalische Leitung: Paul Harris
Bühne & Kostüme: Pia Maria Mackert