Samstag, 21. Oktober 2017

Oper München: Rossini - Il turco in Italia, 18.10.2017

München leuchtet, schwärmte schon Thomas Mann vor über 100 Jahren und man fühlte sich in dieser Oktoberwoche wie in einer Novelle des Autors: "Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte sich ein Himmel von blauer Seide". München ist Deutschlands entspannteste und gelassenste Großstadt, kunstsinnig und lebensfroh. Und wer nach einem Besuch im Biergarten spontan in die Oper will, kann auch an einem sonnig-warmen Oktobermittwoch vor dem Problem stehen, überhaupt noch an gute Karten zu kommen. Die Oper boomt in München, man muß sich frühzeitig um Plätze bemühen. Selbst wenn eine Oper schon seit Jahren im Repertoire ist - Rossinis Türke in Italien in der Regie von Christof Loy hatte vor einem Jahrzehnt Premiere - kommen die Besucher, und zwar aus gutem Grund: mit Olga Peretyatko, Ildebrando D'Arcangelo und Alessandro Corbelli konnte man eine Idealbesetzung aufbieten.

Kann man sich Rossini anders vorstellen, denn als Komponist mit Lebensfreude? Der geistreiche und amüsante Plauderton in den komischen Opern, das überbordende Hochgefühl seiner Finale, Melodien wie Champagner - Rossini ist ein Lebensgefühl aus Gelassenheit und Kulinarik, ein Pragmatiker, der bei sich selber abschreibt und Musik wiederverwendet, ein Beispiel dafür, daß Ernsthaftigkeit überwindbar ist. Il turco in Italia (UA 1814) entstand im Jahr nach L' Italiana in Algeri (in Karlsruhe erinnert man sich sehr gerne an die letzte Inszenierung mit Ewa Wolak als Isabella und Walter Donati als Taddeo) und ist weniger turbulent und abgedreht, der Librettist nimmt sich selbst auf den Arm und schrieb eine Komödie über einen Komödiendichter namens Prosdocimo, der auf der Suche nach einem Komödienstoff ist und dafür seine Umwelt beobachtet und versucht, Konstellationen zu arrangieren. In seinem Fokus stehen einerseits der bereits in die Jahre gekommene, wohlhabende Don Geronio und dessen aus ärmlichen Verhältnissen stammende junge Ehefrau Donna Fiorilla, die ihn mit Hausfreund Don Narciso betrügt, andererseits bringt der Türke Selim Exotik ins Spiel; er sucht erotische Abwechslung in Neapel, flirtet heftig mit Fiorilla und trifft durch Zufall seine frühere Liebe Zaida. Als Oper über Paarkonstellationen und Eifersucht erinnert die Handlung an Mozarts Cosi fan tutte - beide darf man nicht zu ernst nehmen und psychologisch tiefenausdeuten. Ein satirischer Ansatz herrscht auch bei Loy vor, Donna Fiorilla flirtet mit den Bühnenarbeitern beim offenen Bühnenbildwechsel, die Figurencharakterisierung ist witzig-typisch: Don Narciso ist eine Macho-Karikatur, Fiorilla eine temperamentvolle, schicke Italienerin, Don Geronio ein liebenswerter Alter. Das alles ist in positivem Sinne nett und harmlos, fast ohne orientalisches Flair (Selim fliegt auf einem Teppich ein und ist doch vorrangig eine Sehnsuchtsfigur für Fiorilla) und mit einigem Zwischengelächter im Publikum, bspw. als Selim Don Geronico seine Frau abkaufen will und der sich mit ihm lieber bei einem Boxkampf duellieren will, bei einem Maskenball kostümieren sich drei Männer gleich, ebenso die Frauen, Verwirrungen und Turbulenzen sind vorprogrammiert, schließlich gibt es ein Happy-End - das alles in wunderbar musizierten Ensembles, die bis zum Septett reichen.

Daß die Vorstellungen so gut besucht waren, lag auch an den Sängern. Hatte die Ouvertüre und der Beginn mit Zigeunerchor noch etwas die Hemmung und Nachwirkung spätsommerlichen Weißbiervergnügens im Biergarten, gewann die Aufführungen rasant an Fahrt, als Olga Peretyatko als launische, attraktive und verführerische Donna Fiorilla auftrat und dieser Figur nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch Leben einhauchte - Stimme, Bühnenpräsenz und Aussehen ergeben hier ein selten homogenes Gesamtbild. Ildebrando D'Arcangelo ist eine Klasse für sich, stimmlich ein idealer Don Giovanni und damit auch ein starker Selim mit komödiantischem Gespür. Alessandro Corbelli erwies sich als umwerfend komischer und aufrechter Don Geronio (allein für seine Mimik und Komik lohnte der Besuch), Tenor Michele Angelini hatte als Don Narciso das stereotype Auftreten eines italienischen Macho und gab in seiner sehr schön gesungenen großen Arie seiner Figur viel Würde und Innerlichkeit zurück. Der Prosdocimo von Sean Michael Plumb und die Zaida von Paula Iancic blieben stimmlich dagegen etwas zu blaß.
 
Fazit: Ein wunderbar leichtes und kurzweiliges Vergnügen.
 

Besetzung und Team:
Selim: Ildebrando D'Arcangelo
Donna Fiorilla: Olga Peretyatko
Don Geronio: Alessandro Corbelli
Don Narciso: Michele Angelini
Prosdocimo: Sean Michael Plumb
Zaida: Paula Iancic
Albazar: Long Long

Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Musikalische Leitung:  Antonello Allemandi

Inszenierung: Christof Loy
Bühne und Kostüme:  Herbert Murauer