Die erste Premiere der neuen Spielzeit enttäuschte inhaltlich, vier gute Schauspieler holen heraus, was zu finden ist. In ca. 70 der 75 teilweise etwas zu zäh sich ziehenden Minuten von Safe Places reden die vier Figuren auf der Bühne aneinander vorbei oder führen Monologe. Es geht um Europa, Populismus und Flüchtlinge, es gibt Argumente und Gegenargumente, Unterstellungen und Verdacht, Haß und Drohungen, man schreit laut und flüstert sorgen- oder angstvoll, es gibt Besserwisser und Ignoranten - kurz, man befindet sich in der Laberfalle, eine Gesellschaft weiß nicht, auf welcher Basis man zusammenkommen soll und versteht sich nicht mehr. Safe Places beschreibt Symptome ohne an die Ursachen zu kommen. Die Pointe -für manche eine Resignation- kommt am Schluß. Die AfD tritt auf in Form einer attraktiven Frau - eine verführerische, sanfte Gewalt bietet Ordnung an und ist sich gewiß: sie ist gekommen, um zu bleiben. Drei Tage vor der Bundestagswahl begrüßt das Badische Staatstheater die Partei, an der es nun ist, Empörung und Wut parlamentarisch zu kanalisieren. Daß das so handzahm und harmlos geschieht, wird manchen verwundern - es liegt allerdings an der textlichen Unbedeutendheit von Safe Places, die erneut beweist, daß Autor Falk Richter überbewertet wird.
Das Elend der politischen Linken
Die gestrige Premiere von Safe Places fand ausdrücklich "vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl statt". Für Rot-rot-grün werden am kommenden Sonntag aktuell gerade noch 35% prognostiziert. Wie konnte diese Marginalisierung passieren, wo doch laut Programmheft "Populismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit" drohen? Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat im Sommer 2017 die Ergebnisse von Studien und repräsentativer Befragungen veröffentlicht und kam zu dem Schluß: "Populisten in Deutschland sind häufig enttäuschte Demokraten – aber keine radikalen Feinde der Demokratie", sie vertreten "eher moderate und keine radikalen Ansichten", "sie lehnen demnach demokratische Institutionen oder die EU nicht grundsätzlich ab, sondern kritisieren ihr Funktionieren", die Bundesrepublik ist in "ihrer großen Mehrheit weltoffen ..., tolerant und liberal .... Viel inklusiver kann eine Gesellschaft kaum sein". Ebenfalls im Sommer stellten Studien laut FAZ fest, daß "immer mehr Bürger finden, daß es ihnen gutgeht. ... Fast zwei Drittel der Bürger sind im Hinblick auf ihren eigenen Lebensstandard der Ansicht, daß sie mindestens einen „gerechten Anteil“ am Wohlstand erhalten. Zugleich hat sich die Zahl der in diesem Sinne Zufriedenen in den vergangenen Jahren deutlich erhöht". Zufriedenheit und Wohlstand wachsen, Abstiegsängste auch, soziale Gerechtigkeit ist aktuell kein Mehrheitsthema. Es sind "eine spezifische Lebenslage und das Gefühl, nicht von der Politik vertreten zu werden", die bei den Wutbürgern bestimmend sind. Dazu paßt, daß Datenauswertungen ergeben haben, daß viele Wähler der SED/Stasi-Nachfolgepartei Die Linke bei den vergangenen Landtagswahlen der AfD ihre Stimme gaben. Es scheint nur in geringem Maße die Niedertracht des Rassismus das Problem zu sein, eine minimale Quote, die die Bundesrepublik locker verkraftet. Eine künstlich aufgeblähte Gefahr, der nun auch im Theater die Luft ausging?
Das Elend des politischen Theaters
Was sind also die Ursachen? Politisches Theater gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen und aktuell sind viele davon zu stellen. Schade, daß Safe Places nicht das Stück dafür ist. Wieso benötigt eine unter Druck geratene Gesellschaft wieder pauschale Feindbilder von links und rechts? Der neue Protest ist komplex, die Soziologie der Unzufriedenheit vielschichtig, denn Populismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Ursachen, sondern Symptome und Folgen politischen und medialen Versagens. Symptome kann man kurieren oder eingrenzen, wenn man die Ursachen behandelt. Symptome zu bekämpfen und die Ursachen zu ignorieren, verbessert selten den Gesamtzustand. (Nur manchmal reichen die Selbstheilungskräfte. Aussitzen kann eine qualvoll langsame Lösung sein). Safe Places verweigert Ursachenforschung - von politischem Theater muß man mehr erschließende Kraft fordern dürfen.
Was ist zu sehen?
Ein schickes Wohnzimmer. Vier mittelalte Schauspieler (Ute Baggeröhr, Sithembile Menck, Jens Koch, Sascha Tuxhorn) spielen Klischeefiguren: sie sind überfordert; sie verstehen nicht, was um sie herum gesellschaftlich und politisch passiert. Laut Programmheft sind die vier "gut situiert, politisch gebildet und ihrem eigenen Verständnis nach tolerante Demokraten. Und doch sickern Wut, Ohnmacht und Pauschalurteile immer tiefer ein in ihre Diskussion". Autor Falk Richter läßt die vier schnell auf Stammtischniveau absinken, "gut situiert, politisch gebildet" bedeutet, sie sind gefangen in primitiven Denkschablonen. Vor allem die beiden hysterischen Frauenrollen bekommen populistische Aussagen in den Mund gelegt, die Männer sind das hilflos ausgleichende Element. Im weiteren geht es in Momentaufnahmen um die Orientierungslosigkeit angesichts der Erfordernisse moralischer Dilemma, es erfolgt aber wie dargelegt keine Aufarbeitung, kaum ein Blick in die Tiefe der Seele. Szene nach Szene, doch ohne Geschichte, man hört lustiges Geschwätz über die Vielfalt deutschen Brotes, man beschimpft die nicht integrierten, ausländerfeindlichen Ex-DDR-Bürger, man erzählt verzerrte Realitäten und Hörensagen, hier bauscht man auf, da wiegelt man ab, oft zugespitzt auf Grenzempfindungen, Schrecken und Erschrecken, ein sammelsurischer Reigen der Ratlosigkeit und Überforderung. Man muß eine Silvesteransprache von Helmut Kohl bemühen, der zu Umsicht und Mäßigung aufruft. Am Schluß singt die AfD. Auf den für Richters Texte gerne verwendeten Krawallton wird klugerweise verzichtet, es bleibt ohne die erhitzten Ressentiments aber wenig vom Text übrig. Der Regisseur Ronny Jakubaschk erzählt deshalb die Geschichte einer Desillusionierung.
Abschweifung (1): Die Schwäche der Linken .....
"Kommt jetzt ein europäischer Bürgerkrieg?" fragt reißerisch das Programmheft und glaubt anscheinend, damit, nah am Puls der Zeit zu sein. Dazu gehören immer mindestens zwei kriegsbereite Parteien, wer kämpft dann gegen wen? Alle Geschichte ist die Geschichte von Verteilungskämpfen, würde nun vielleicht der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk antworten. Der frühere ZKM-Professor Wolfgang Ullrich hat kürzlich erläutert, "daß eine Wertethik zwangsläufig zu einer neuen Form von Klassengesellschaft führt: Einer Moralaristokratie, die ihre Werte fortwährend in Szene setzt und sich als überlegen fühlen kann, steht ein Moralproletariat gegenüber, das, wie sollte es anders sein, Ressentiments entwickelt". Das ist eine Erklärung für die Schwäche der Linken. Es gibt viele weitere.
Wenn am kommenden Sonntag die Alternative für Deutschland in den Bundestag einzieht, werden die politisch umsichtigen Zeitgenossen nicht umhin kommen, die mehrfache Ironie dieses Parteientriumphs zu bemerken. Die neue politische Rechte wurde in den Arsenalen der Linken bewaffnet und bekam ihren Platz im Parlament von unfreiwilligen Unterstützern aus dem etablierten Politkreisen freigeräumt. Die AfD ist ein ungewollter, aber legitimer Nachkomme der Bundespolitik. Der undankbare Zögling ist in den Flegeljahren und freut sich auf die Rolle der Opposition. Wie konnte es zu dieser ungewollten Zeugung kommen? Das Politik- und Medienversagen in der Flüchtlingskrise war der Zündfunken, das Pulver verdankt man den Vorbildern der APO, der außerpolitischen Opposition der Linken in den 1960ern, die Sprengkraft verdankt der Wutbürger den zu Lippenbekenntnissen verkommenen Alibi-Forderungen der bürgerbeteiligenden Demokratie: für direkte Mitbestimmung und gegen Bürgerentmündigung, für Volksbegehren und gegen den autoritären Staat, der über die Köpfe seiner Bürger hinweg entscheidet und alternativlose Politik proklamiert, gegen die keine Opposition mehr zulässig ist. Den Slogan „Mehr Demokratie wagen“ trat die politische Linke in Folge an die Rechte ab. Einst forderte die Linke mehr Mitbestimmung, nun fürchtet sie sich vor dem "Pöbel" und beschwört konservative Menschenbilder.
Die neue Rechte hat es noch an anderer Stelle geschafft, die Linke in die Enge zu treiben. Karl Marx gab lange deren Leitlinie vor: „Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“. Die Kritik des Islam mit seiner religiösen Unterdrückung der Frau durch Entmündigung, Kopftuch und Zwangsehe hätte die Linke nie aus der Hand geben dürfen, sie war verpflichtet, den Emanzipationsprozeß zur rein seelsorgerischen Religion voran zu treiben und hinterließ ein legitimes und wichtiges Feld den Rechten. Man forderte es nicht mal zurück, im Gegenteil, der Feminismus ist zum Rassismus geworden, Alice Schwarzer kann inzwischen Buch führen, wie oft sie wegen des Kampfes um die Befreiung der Frau als Rassistin denunziert wurde. Als die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes dieses Jahr dafür plädierte, das Kopftuch bei Kindern zu verbieten, entblödeten sich manche Journalisten nicht, das als rechtspopulistische Forderung zu bezeichnen. Doch wieso bereits ein bspw. sechsjähriges Mädchen unter dubiosen religiösen Gründen ein Kopftuch tragen soll, erschließt sich nur Fundamentalisten, die gleichgültige Linke sieht lieber weg und überläßt die Religionskritik den Kollegen von der anderen Seite des Spektrums. Die Diskriminierung der Frau im Islam darf man also aus Sicht der Linken nicht thematisieren, es könnte ja aus den falschen Motiven geschehen. Die bundesdeutsche Linke hat ihre humanistische Verpflichtungen längst vergessen. Sie kämpft für Minderheiten, nicht für die Menschen, wer sich aus ihrer Sicht lautstark diskriminiert fühlen darf, bekommt den Persilschein der Unantastbarkeit. Die lautlosen Frauen im Islam gehören nicht dazu.
Abschweifung (2): Realitätszwänge - Zitate aus neuerer Zeit
- Boris Palmer (Bündnis90/Grüne): "Unsere Freiheit und unseren Wohlstand können wir nur erhalten, wenn wir sie einer sehr großen Zahl von Menschen, die danach streben und in unser Land kommen wollen, vorenthalten."
- Bodo Ramelow (Die Linke): "Es geht um Völkerwanderung, machen wir uns nichts vor. Wenn wir jedenfalls nicht bald reagieren, wird es uns am Ende allen auf die Füße fallen, egal, welches Parteibuch wir haben."
- Sarah Wagenknecht (Die Linke): "Der Staat muß jetzt alles dafür tun, daß sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, daß wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt."
Besetzung und Team
Mit: Ute Baggeröhr, Sithembile Menck, Jens Koch, Sascha Tuxhorn
Regie: Ronny Jakubaschk
Bühne & Kostüme: Anna Sörensen
Musik: Bastian Bandt, Christoph Iacono