Sonntag, 17. September 2017

Theaterfest, 16.09.2017

Obwohl es in diesem Jahr statt einem Spätsommer gleich einen Frühherbst gibt, riß sich gestern das Wetter zusammen und ermöglichte ein schönes Theaterfest. Der abschließende Spielzeit-Cocktail war einer der besten Schnupperabende seit Jahren mit nur wenigen Schwächen. Aber aus welchem Grund stellt sich ein Intendant vor sein überwiegend erwachsenes bis seniores Publikum und belehrt es darüber, daß es ganz, ganz wichtig sei, zur Bundestagswahl zu gehen? Hält er sein Publikum für infantil oder unreif? Oder hebt er einfach nur gerne den Zeigefinger und spielt den Moralprediger? Deutschen wurde ja früher gerne ein Untertanencharakter nachgesagt, auch heute gibt es noch manche, die es nicht seltsam finden, wenn man sie belehrt. Aber es spielt noch etwas anderes mit. Mit Betroffenheitsgesten, Appellen und vermeintlichen Moralattacken täuscht man Wichtigkeit, Reife und Engagement vor - und das lenkt von anderen Dingen (hier Defiziten im Theaterbetrieb) ab. Oder kurz zusammen gefaßt: Schein statt Sein. Wer die Karlsruher Theaterzwerge der Intendanz von Peter Spuhler verstehen will, kann sich an einem Satz von Peter Sloterdijk orientieren, der vor 16 Jahren bei der Verabschiedung von Dieter Dorn als Intendant der Münchener Kammerspiel gesagt haben soll: "'Daß das Niedere dem Hohen den Rang abläuft – das ist die Generaltendenz des Kunstbetriebs im 20. Jahrhundert, und daß die Niedrigbegabten ihre Gleichberechtigung mit den Hochbegabten erkämpfen, das ist das Gesetz der modernen ästhetischen Entropie". Damit lieferte der Karlsruher Philosoph u.a. auch eine Erklärung, wieso das Badische Staatstheater trotz Spardruck lieber das Volkstheater alimentiert und die Hochbegabten-Sparten kürzt.
Intendant Spuhler und sein Team sind nun wahrlich keine ästhetisch Hochbegabten, sie inszenieren gar nicht selber und haben keine eigene künstlerische Handschrift, sie sind abhängig davon, die richtigen Mitarbeiter zu verpflichten. Und auch darin ist die aktuelle Intendanz meines Erachtens bestenfalls Mittelmaß, es gab bereits zu viel fragwürdige Besetzungen und dilettantisch mißratene Inszenierungen. So was kommt vor, auch schon früher, man versuchte dann zu retten, was zu retten ist und manchmal wurden Premieren auch abgesagt, weil die Qualität einfach nicht stimmte. In den letzten Jahren wurde einiges trotz mangelnder Qualität nicht abgesagt, denn das hätte man ja erst mal erkennen müssen oder dazu in der Lage sein, die Mankos zu beheben. Diese Begabung für Qualität fehlt der Intendanz von Peter Spuhler. Für sie ist wichtig, daß man etwas macht, nicht wie man es macht, Selbstdarstellung first! oder wie eine Journalistin es formulierte: es geht nur um den Betrieb, um die Marke, weniger um die Sache. Repertoire- und Ensemblepflege leiden, manche Besetzungen wirken wie Verlegenheitslösungen, Theater- und Operndirektoren kommen und gehen und vor allem die Oper ist ins Abseits gerutscht. Intendant Spuhler erzählt gerne über sich selber, daß seine Stärke darin liege, junge Künstler zu entdecken. Um dies zu leisten, versucht er in möglichst vielen Gremien und Vereinigungen zu sitzen. Was wäre ein Trüffelsucher ohne Trüffelfeld? Aber ist das eine ausreichende Kompetenz für einen Generalintendanten? Zweifel sind angebracht. Das Badische Staatstheater ist nicht wegen der Einsparungen der Stadt Karlsruhe in Schieflage, das Problem ist eine narzißtische Selbstgefälligkeit einer Intendanz, die Posen und Gesten mit Inhalt und Haltung verwechseln.

Gestern folgte wie gewöhnlich zum Abschluß des Theaterfests der traditionelle Spielzeit-Cocktail mit Ausblick auf die kommende Spielzeit. Daß dieser Abend gelungener war als zuletzt, lag an der Konzentration auf Qualität: Annette Büschelberger als Maria Callas, Timo Tank als Judas, Jannek Petri als Faust, in der Oper A-Besetzungen: Barbara Dobrzanska als Adriana Lecouvreur, Konstantin Gorny  beeindruckte als tiefdunkler Hagen, Klaus Schneider als Siegfried (Oscar Straus' Nibelungen), Rodrigo Porras Garulo mit einer Arie aus Simon Boccanegra und es gab ein Duett aus Gounods Romeo und Julia mit Uliana Alexyuk und Eleazar Rodriguez. Im Ballett gab es neben einen Ausschnitt aus Rusalka zwei klassische Stücke, die aktuell nicht im Programm sind: Marius Petipas Talisman und John Crankos Aus Holbergs Zeit. Das alles im steten Wechsel zwischen den Sparten, auch ein sehr kurzer Ausschnitt aus dem Laientheater und einen längeren des Kindertheaters, in dem ebenfalls mit dem erhobenen Zeigefinger gedroht zu werden scheint.
Christina Niessen moderierte mit zielgerichtetem Blick nach vorn, ihrem Partner Otto A. Thoß (der neue Leiter des Kindertheaters) hatte man anscheinend vergessen zu sagen, daß sein langjähriger Vorgänger Heiner Kondschak immer schnell auf eine Pointe zusteuerte. Thoß hingegen redete lang und ohne Pointen. Auch er versuchte zwischendurch mit Betroffenheitsrhetorik abzulenken. So ergab sich ein leicht zwiespältiger Eindruck: große Künstler und zu kleine Kunstermöglicher - auch wenn sich das Fazit auf diesen Seiten wiederholt: es wird Zeit für einen Wechsel in der Theaterleitung.