Grandiose Vorstellung zum Schwärmen
Der Abschied von Justin Brown als Generalmusikdirektor rückt näher, gestern gab es Browns letztes Wagnerdirigat bei einem seiner Paradestücke. Die letzte von fünf Aufführungen von Tristan und Isolde (mehr zur Premiere hier) war noch mal ein Beweis der Kompetenz des Briten und eine außergewöhnlich gelungene Aufführung aller Beteiligten.
Die heruntergespuhlerte Karlsruhe Oper
leidet unter einem reduzierten Programmangebot. Eklatant ist dabei die
fehlende Wiederaufnahmestrategie, bei der beliebte und
publikumswirksame Stücke nach maximal zwei Spielzeiten auf Nimmerwiedersehen
verschwinden. Zum Abschied Justin Browns hat man nun endlich mal eine
Produktion aus dem Fundus geholt, die zu den besonderen Meisterleistungen des Dirigenten gehört: Wagners Tristan und Isolde aus der Spielzeit 2015/16. Und auch gestern gab es erneut (mehr hier) eine beglückende Hörerfahrung mit herausragend guter Besetzung. Wann erlebt man schon mal den 2.Akt mit seinem metaphysischen Rausch als Mischung aus Novalis' Hymen an die Nacht und Arthur Schopenhauer Welt als Wille
(WWV 1. Band, 4. Buch) so überzeugend und innig!?! Die niederländische Sopranistin Annemarie Kremer übertraf ihre Karlsruher Vorgängerinnen darstellerisch und sängerisch als attraktive und leidenschaftliche Isolde. Im 1.Akt sang sie mit gedecktem, herbem Timbre und agierte mit pathetischer Dramatik; frappant der Wechsel im 2. Akt: befreit, begeistert und vibrierend vor Vorfreude - Kremer spielt Isolde fabelhaft gut und singt in der Folge mit leuchtender, warmer Stimme, erreicht mühelos die Spitzentöne und im 3. Akt schafft sie Gänsehautmomente. BRAVO für die vielen besonderen Momente! Erneut hat man einen Bayreuther Tristan zu Gast: nach dem imposanten Stephen Gould (2016) nun Stefan Vinke. Seine Stimme ist weniger dunkel und verzweifelt als Goulds, seine Stimmfarbe dafür klarer, er agiert geradliniger. Auch seinem Tristan nimmt man die düstere Inbrunst ab, sängerisch verfügt er über die erforderlichen Kraftreserven und muß nicht forcieren, darstellerisch hat die Inszenierung in den ersten beiden Akten für ihn weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Als Paar harmonieren Kremer und Vinke sehr gut. BRAVO! In starker Form trumpft Seung-Gi Jung markant und ebenfalls bravourös als Kurwenal auf. Katharine Tier hatte als Brangäne besonders schöne Momente während er dunklen Habet acht-Rufe im 2. Akt. In starker Form sind Renatus Meszar als König Marke, Klaus Schneider als Melot und Cameron Becker als Seemann. Justin Brown bleibt sich treu: die Tempi weiterhin ohne Verschleppung oder falsche Bedeutungslähme, wunderbar differenziert und souverän musiziert von der Badischen Staatskapelle.
Fazit: Eines der schwersten Werke wirkte gestern ganz leicht, transparent und organisch. BRAVO! an alle und herzlichen Dank für diese hochklassige, maßstabsetzende Aufführung, die man am liebsten noch mal hören will!
PS: Dem
neuen Generalmusikdirektor Georg Fritzsch bieten sich kaum Möglichkeiten, neue
Inszenierungen von Richard Wagners Opern zu begleiten: Es bleibt abzuwarten, ob es für ihn Wiederaufnahmen geben wird: Tobias Kratzers Meistersinger, Keith Warners Parsifal, der 4-Regisseure-Nibelungenring oder
doch ein neuer Holländer? Doch da das Wagner-Repertoire aktuell in
Karlsruhe weitgehend durchgespielt ist, bietet sich endlich mal wieder
Richard Strauss an, den Fritzsch auch ausdrücklich als einen seiner
Favoriten nennt. Wie man gestern hören konnte, scheint nächstes Jahr eine von Strauss' komischen Opern
auf dem Programm stehen. Auf Rückfragen reagierte die gut unterrichte Frau schweigsam. Manche werden sich nun überraschen lassen müssen.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.
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Ebenfalls im besten Sinn bemerkenswert war, dass das gesamte Orchester zum Schlussapplaus auf die Bühne kam. Grund hierfür war genau dass es Browns letzter Wagner in Karlsruhe war. Das hat man in Karlsruhe sehr selten und war mehr als verdient.
AntwortenLöschenVielen Dank für die Ergänzung! Das unter Justin Brown verjüngte Orchester hat an Spielkultur und Stärke hinzugewonnen. So eine großartige Tristan-Vorstellung ist Ergebnis jahrelanger Arbeit. Georg Fritzsch übernimmt m.E. ein Orchester in großer Form! Justin Brown leitet noch Bergs Wozzeck sowie das 5., 6. und 8.Symphoniekonzert - auch bei seinem letzten Opern- und Konzertauftritt ist noch mit besonderen Momenten zu rechnen.
LöschenDen Kommentatoren kann man unmöglich widersprechen. Man darf guten Gewissens von einer Sternstunde ausgehen. Schön wie sich das Publikum - heterogen aus Abonnenten, Wagnerkennern und Gelegenheitsbesuchern zusammengesetzt - einig war, Dirigent und Orchester schon vor dem dritten Aufzug zu feiern. Gleiche Einigkeit beim Schlussapplaus, bei dem der Saal komplett stand: Bravi für die Sänger und noch einmal für das Orchester (zurecht auf der Bühne) mit Dirigent. Wann ist das in dieser Form in Karlsruhe zu erleben? Und das bei einer Repertoire-Vorstellung? Die Gänsehaut-Momente haben die gelegentlichen werkimanenten Längen jedenfalls mehr als wettgemacht!
AntwortenLöschenVielen Dank für Ihren Kommentar. Tatsächlich kann man diesen letzten Justin Brown Tristan gar nicht genug rühmen. Eine Sternstunde und ein Maßstab, an dem sich andere Vorstellungen messen lassen müssen. Ich höre seit über 30 Jahren Tristan-Vorstellungen, letzten Sonntag habe ich die für mich bewußt wahrgenommen beste Aufführung dieser Oper erlebt. Und das in einer Repertoire-Vorstellung, während die vermeintliche Gala-Vorstellung von Debussy am Vorabend kaum besucht und anscheinend wenig bemerkenswert war.
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