Die zweite Vorstellung von Tolomeo gelang noch runder als die Premiere und brachte Sängern und Musikern viel Applaus und Bravos vom Publikum.
Wenn man weiß, daß nichts passiert und die visuelle Konzentration auf die Inszenierung reduziert, entdeckt man beim zweiten Anhören noch mehr bemerkenswert schöne
Momente. Federico Maria Sardelli dirigiert die Deutschen Händel-Solisten
auf Schönklang getrimmt, die Sänger passen sich nahtlos in das Konzept
ein - beim Publikum kam diese Vorstellung sehr gut an.
Tolomeo ist bei weitem nicht Händels
abwechslungsreichste oder aufregendste Oper, ganz im Gegenteil, sie hat
eine ganz spezifische Charakteristik und Atmosphäre, die durch die
Todesnähe des zentralen Liebespaars, Trauer und Isolation sowie die reduzierte Handlung und eine gewisse Affektenge (Tolomeo singt fast nur moll-Arien, Seleuce begehrt nie auf - die beiden passen zusammen) charakterisiert wird. Regisseur Benjamin Lazar versucht diese spezifische Charakteristik
zu inszenieren und wählt einen Ansatz, der für einen Teil des Publikums schief gehen muß: statt von der Handlung auszugehen (die ja kaum vorhanden ist), will er von einer Stimmung ausgehen, er will
Atmosphäre inszenieren. Hätte er Stimmung und Geschehen stärker
verknüpft, hätte es fürs Publikum besser funktioniert,, nun sieht man statisch-konzertante Stimmungsoper, die szenisch zu flach und gleichförmig gerät. Hätte die Regie für die
Figuren mehr Einfälle, als bedeutsamschwer herumzustehen, dann hätte
eventuell daraus etwas werden können.
Vor zwei Jahren gab es schon einmal eine Inszenierung, die zäh wie Kaugummi wirkte: Händels Alcina hat allerdings viel mehr Geschehen und Beziehungen zu bieten als Tolomeo, die damalige Langeweile war überflüssig. Bei Tolomeo kann man nachempfinden, was Regisseur Lazar bezweckte. Was vielleicht wie Ideenlosigkeit des Regisseurs aussieht, ist
tatsächlich beabsichtigte Langsamkeit. Man
muß sich auf das behutsame Zeitmaß einlassen, um die Inszenierung zu
erfassen. Das
kann man ablehnen und kritisieren, man kann es anders und besser in
Szene setzen, es steckt allerdings in der DNA dieses Werks und man kann
Lazar in gewisser Weise zuerkennen, werkgerecht gearbeitet und die
Besonderheit dieser Antiheldenoper betont zu haben.
Seit 1988 bin ich steter Besucher des Badischen Staatstheaters. Bei vielen Opern-, Theater-, Konzert- und Ballettvorstellungen im Jahr und Besuchen in anderen Städten verliert man schon mal den Überblick. Dieser Tagebuch-Blog dient mir seit der Spielzeit 2011/12 als elektronische Erinnerung. Bitte beachten Sie meine Intention: ich bin kein Journalist oder Kritiker, sondern schreibe hier lediglich persönliche Eindrücke, private Ansichten und Vermutungen für mich und Angehörige nieder.