Sonntag, 9. Februar 2020

Kleist - Penthesilea, 09.02.2020

Inspirationslose Kleist-Bearbeitung
Penthesilea ist kein Stück für Pazifisten. Es geht um den trojanischen Krieg, Kleist wählte den Mythos, um die Fallhöhe zu maximieren. Mythologische Krieger und Helden werden in ein neues Spannungsverhältnis zueinander gesetzt, die beiden Hauptfiguren kommen zu Fall, und zwar durch ihre Begierde füreinander. Das Ungeheuerliche eines mörderischen Gewaltexzesses im rauschhaften Affekt macht Penthesilea zu einem der außerordentlichsten Theaterstücke deutscher Sprache. Schade nur, daß das Karlsruher Schauspiel nichts damit anzufangen weiß. Das Ungeheuerliche ist der Regie nicht geheuer, wo Tragik sein sollte, bleibt harmloser Beziehungsstreß, statt einem eskalierenden Ende, gibt es lauwarmen Weichspühlgang. Von Heinrich von Kleist bleibt nicht viel übrig, die Regisseurin streicht sieben von neun Figuren und läßt ihre Inszenierung ins Leere laufen. Aber es gibt auch zwei positive Aspekte: die stark gekürzte Penthesilea benötigt nur 65 Minuten und mit Claudia Hübschmann und Jannek Petri hat man die richtige Besetzung gewählt.
   
Worum geht es?
Die Handlung ist eine von Kleist erfundene Episode während des trojanischen Krieges, die den Tod des Achill nicht mit der nach ihm benannten Sehne verbindet.

Vorgeschichte: Der Stamm der Skythen im Kaukasus wurde einst von einer afrikanischen Horde überfallen, alle Männer und Knaben getötet, die Frauen vergewaltigt und versklavt. Doch in einer konzertierten Aktion befreiten sich die Frauen, indem sie alle afrikanischen Invasoren in einer Nacht erstachen und in der Folge eine männerlose Gesellschaft der sich strenger militärischer Disziplin unterwerfenden Amazonen mit strikten Gesetzen gründeten:

Ein Staat, ein mündiger, sei aufgestellt,
Ein Frauenstaat, den fürder keine andre
Herrschsücht'ge Männerstimme mehr durchtrotzt,
Der das Gesetz sich würdig selber gebe,
Sich selbst gehorche, selber auch beschütze.


Um Nachwuchs zu zeugen, brechen die Jungfrauen auf zum Kampf. Den besiegten Mann nehmen sie mit nach Hause, feiern das Rosenfest, bei dem Nachwuchs gezeugt wird und schicken den Mann zurück nach Hause, sobald die Schwangerschaft bestätigt ist. Das Matriarchat ist brutal und gnadenlos, männliche Säuglinge werden getötet.

Handlung:
Die Amazonen greifen in den trojanischen Krieg ein, um Männer für das Rosenfest zu sammeln. Penthesilea -die brünstige Königin der Junfrauen- begehrt Achill und sucht ihn auf dem Schlachtfeld. Doch sie kann ihn nicht besiegen, sondern erliegt dem starken Geschlecht. Achill hingegen bekundet seine Liebe zu der besiegten Amazonenkönigin. Penthesileas beste Freundin und Vertraute Prothoe bittet Achill daraufhin, der bewußtlosen Penthesilea den Schock und die Schmach der Niederlage zu ersparen. Achill spielt mit, Penthesilea erlebt das Glück der Liebe und bekennt gegenüber Prothoe:

Das Unglück, sagt man, läutert die Gemüther,
Ich, du Geliebte, ich empfand es nicht;
Erbittert hat es, Göttern mich und Menschen
In unbegriff'ner Leidenschaft empört.
Wie seltsam war, auf jedem Antlitz, mir,
Wo ich sie traf der Freude Spur verhaßt;
Das Kind, das in der Mutter Schoße spielte,
Schien mir verschworen wider meinen Schmerz.
Wie mögt' ich Alles jetzt, was mich umringt,
Zufrieden gern und glücklich sehn! 
Ach, Freundin! Der Mensch kann groß, ein Held, im Leiden sein.
Doch göttlich ist er, wenn er selig ist! 


Doch die Wahrheit kommt ans Licht, die Liebenden werden getrennt. Der verliebte Achill fordert Penthesilea erneut zum Kampf, um sich dem Gesetz der Amazonen zu unterwerfen und sich von ihr besiegen und mitnehmen zu lassen. Doch Penthesilea mißversteht die Geste und wähnt Verrat. Rasend vor Wut ("Du ganzer Schreckenspomp des Kriegs, dich ruf' ich, Vernichtender, entsetzlicher, herbei!") stürzt sich Penthesilea auf den sich nicht wehrenden und sich ergeben wollenden Achilles und tötet ihn, indem sie ihn zusammen mit einer Meute Kampfhunde zerfleischt und zerreißt. "Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für das Andre greifen". Als sie wieder zu sich kommt und ihre Tat erkennt, sagt sie sich vom Gesetz der Amazonen los und stirbt dem geliebten Getöteten hinterher, indem sie ein vernichtendes Gefühl in sich hervorruft:

Denn jetzt steig' ich in meinen Busen nieder, 
Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz, 
Mir ein vernichtendes Gefühl hervor. 
Dies Erz, dies läutr' ich in der Glut des Jammers 
Hart mir zu Stahl; tränk' es mit Gift sodann, 
Heißätzendem, der Reue, durch und durch; 
Trag' es der Hoffnung ew'gem Amboß zu, 
Und schärf' und spitz es mir zu einem Dolch; 
Und diesem Dolch jetzt reich' ich meine Brust: 
So!  So!  So!  So!  Und wieder!--Nun ist's gut. (sie fällt und stirbt)
  
Prothoe formuliert das Epitaph für die Verstorbene:

Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte! 
Die abgestorbne Eiche steht im Sturm, 
Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder, 
Weil er in ihre Krone greifen kann.

Doch das ist falsch, der Sturm war Menschenwerk; Ideologien zerstören das Individuum. 

Was ist zu beachten?

Tragik entsteht, wenn zwei starke Prinzipien kollidieren und der Konflikt Opfer fordert. Bei Penthesilea ist das Amazonengesetz in Konkurrenz zu ihren Gefühlen für Achilles. Diese Konstellation ist maßgeblich für Kleists Penthesilea und kann modernisiert werden. Die Amazonen bilden ein fragiles feministisches Staatsgefüge, dessen Brüchigkeit vorbestimmt ist und dessen gesellschaftlichen Zwänge in der Handlung die Tragik auslösen. Penthesilea ist eine Frau, die sich den gesellschaftlichen Erwartungen der Amazonen unterwirft und etwas anderes sein will als ihr gegeben ist. Sie will als schwaches Geschlecht auf Augenhöhe mit dem starken Geschlecht körperlich konkurrieren und verliert - in jeder Hinsicht. Ihr bleibt nur die Verzweiflung und der Tod. Sie erkannte nicht den guten Willen Achills, sondern unterstellte ihm feindliche Absichten. Sie zieht in den Krieg gegen den Mann, den sie begehrt. Ihr Lebensglück wird zerstört, weil sie sich einer ideologischen Agenda und matriarchalischen Gesellschaftszwängen unterworfen hat, quasi eine feministische Indoktrinierung. Penthesilea ist das Drama der feministisch unterdrückten Weiblichkeit. Und hier liegt auch der Hebel für eine moderne Interpretation.
In diesem Stück geht es nicht um Liebe im üblichen Sinne: Penthesilea und Achill kennen sich nicht, es entwickelte sich zwischen ihnen keine Zuneigung oder Seelenverwandtschaft. Penthesilea begehrt, triebhafte Sinnlichkeit treibt die Jungfrau. Penthesilea ist ein Stück über gehemmte weibliche Erotik, die sich gewaltsam und vernichtend ausdrückt. Die Feministin Sheila Jeffreys erklärte verklemmte Sexualität ideologisch: "Wenn eine Frau durch einen Mann zum Orgasmus kommt, kollaboriert sie lediglich mit dem patriarchalischen Unterdrückersystem. Sie erotisiert ihre eigene Unterdrückung.“ Liebe zu einem Mann ist aus dieser feministischen Perspektive Pfui!, nur unterdrückte heterosexuelle Libido ist politisch korrekt. Ein Beispiel für toxische Weiblichkeit, die -wie auch andere toxische Haltungen, die sich bspw. als politisch korrekt und gendergerecht bezeichnen- durch Künstlichkeit Unterdrückungssysteme schaffen will. Penthesilea birgt also Wahrheiten, die heute wieder relevant sind. Wie üblich erkennt das Karlsruher Schauspiel aber nicht den kritischen Zeitbezug.
  
Was ist zu sehen?
Kleists Penthesilea hat Längen, lange Seiten gibt es Lage- und Schlachtberichte vom trojanischen Kriegsgebiet, eine Kürzung ist ratsam. Die gestrige Premiere kommt mit nur zwei Schauspielern aus: Penthesilea und Achilles. Die Idee ist nicht neu, bei den Salzburger Festspielen 2018 wurde eine von Dramaturg Vasco Boenisch auf zwei Personen reduzierte Fassung gespielt, der die Kritik damals bescheinigte, daß sie überraschend gut funktionierte. Regisseurin Anne Bader hat selber für Karlsruhe eine Fassung montiert, die nicht funktionieren will, weil sie weder weiß, wie sie die Tragik übertragen soll noch wie sie den Stoff aktualisieren kann. Das Programmheft erläutert: "Die Berichte über gerade Geschehenes oder in der Ferne Geschehenes werden nicht mehr von Dritten gesprochen, sondern von den Hauptfiguren selbst – sie treten in einen Wettstreit. Es ist ein Wettstreit im Kampf um die Deutungshoheit, darum, wie es wirklich gewesen ist. Denn der Motor für das blutige Ende, so fremd und archaisch es ist, ist der unbändige Wille die eigene Wahrheit zu behaupten. Und die Beziehung aus der eigenen Vorstellung zu gestalten." Wo Gesellschaftskritik sein sollte, reduziert die Regisseurin die Handlung auf ein Beziehungskonflikt. Wo tragische Fallhöhe das Ende ermöglicht, verharrt die Regie im Geplänkel von Selbstinszenierungen: "Die beiden rekonstruieren ihre Begegnung. Wie es wirklich war, tritt dabei hinter Selbstinszenierung und dem Wunsch jeweils Sieger zu sein zurück. Auch in unserer Gegenwart erleben wir oft wie das Abbild eines Moments oder der Bericht darüber wichtiger sind als der Moment selbst – tragisch zugrunde geht dabei die Liebe, die die echte, die unmittelbare Begegnung sucht." Das mag ja gut gemeint sein, Tragik sucht man allerdings vergebens.  

Die Bühne erinnert zu Beginn an eine Sammelumkleidekabine eines Sportclubs, Schrank an Schrank und zwei Sitzbänke davor. Wo Krieg war, soll Wettkampfsport sein. Doch diese Fährte läuft ins Leere und wird nicht weiter aufgegriffen, dennoch ist das variable Bünenbild der stärkste Einfall dieser Produktion.  Sehr gut ist die Wahl der Darsteller. Zwei Schauspieler sprechen viel Text, es liegt nicht an ihnen, daß der neu montierte Text nicht immer wirkt. Claudia Hübschmann als starke Frau ist durchtrainiert und attraktiv, Jannek Petri ist wenig trainiert, aber auf seine Weise auch attraktiv, seine langen blonden Haare erinnern zumindest an Brad Pitt als Achilles (Troja, 2004). Das Zusammenspiel paßt sehr gut, beiden gelingt es, Kleists Sprache Wirkung zu verleihen. Manche Abschnitte versickern dennoch, doch das liegt an der Regie. Die Spannung zwischen den Hauptfiguren entsteht aus dem Überschwang der Liebe, die sich für Penthesilea als Trugbild und vermeintlicher Betrug entwickelt. Begierde und Triebe lassen sich darstellen, Trugbild und Betrug kann die Regisseurin hingegen nicht angemessen übersetzen. Komplett ausgeklammert ist das Finale, man versteht weder die Enthemmung noch den Gewaltausbruch, weder stirbt Penthesilea noch verzweifelt sie - wieso auch? Wegen etwas Beziehungsstreß und Liebesfrust?  

Fazit: Eine Inszenierung ohne jede Triftigkeit, die dank der starken Schauspieler in den wenigen gut inszenierten Momenten ahnen läßt, was für ein starkes Theaterstück Penthesilea sein könnte.  

Besetzung und Team:

Penthesilea, Königin der Amazonen: Claudia Hübschmann
Prothoe: gestrichen
Meroe: gestrichen
Asteria: gestrichen
Die Oberpriesterin der Diana: gestrichen
Achilles:  Jannek Petri
Odysseus: gestrichen
Diomedes: gestrichen
Antilochus: gestrichen

Regie: Anne Bader
Bühne & Kostüme: Sylvia Rieger
Musik: Matthias Schubert

1 Kommentar:

  1. Ohne die Inszenierung gesehen zu haben oder sehen zu wollen,
    nur mal so zum Vergleich zwei frühere Produktionen:

    25.09.1954: 17 Mitwirkende
    20.06.2009: 9 Mitwirkende

    08.02.2020: 2 Mitwirkende !

    Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

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