Sonntag, 26. Januar 2020

Puccini - Turandot, 25.01.2020

Turandot als medial designter Science Fiction-Kitsch
Wie kann man eine imposante Oper wie Turandot so lustlos und uninspiriert szenisch verhunzen? Ein Erfolgsgeheimnis der Kunstform Oper besteht darin, alle anderen Künste integrieren zu können. Dies gelang beispielhaft gut vor sechs Jahren im 1. Akt von Dr. Atomic; es mißlingt nun bei Turandot. Anläßlich des an diesem Wochenende zusammen mit dem ZKM ausgerichteten Symposiums zu Opern- und Medienkunst, suchte die Karlsruher Oper nach einer Inszenierung, die exemplarisch Medienkunst integriert. Doch ach!, es fand sich nichts Gutes, in Italien kaufte man dann letztendlich eine defizitäre Produktion ein, die zuvor in Palermo und Bologna zu sehen war (auf youtube kann man sich hier  einen komplettem Mitschnitt der nun in Karlsruhe zu sehenden Inszenierung ansehen), und deren Unzulänglichkeiten unfreiwillig komisch wirken: man sieht im Hintergrund einen kitschig-bunten Film voller Belanglosigkeiten vor dem Sänger und Chor mittels reduzierter und amateurhaft simpel wirkender Personenführung quasi semikonzertant-statisch Alibi-Bewegungen durchführen. Die Regie heuchelt Bedeutsamkeit, um Bedeutung vorzutäuschen, zeigt aber nur aufgeblähte Belanglosigkeiten - die Form bleibt leer! Nichts gelingt überzeugend, weder Liebesgeschichte noch Groteske, weder Märchen noch Drama, statt Exotik sieht man medialen Kitsch. Gerettet wurde die gestrige Premiere durch die auftrumpfenden Chorsänger und Orchestermusiker sowie durch gute Sängerleistungen.
                    
Worum geht es?
Der Märchenstoff von der Prinzessin Turandot handelt von der Jungfrau, die nicht zur Frau werden will, sondern alle sich als Ehemänner bewerbenden Prinzen köpfen läßt, nachdem sie ihre Rätsel nicht lösen konnten. Kalaf gelingt das fatale Rätselraten, der entsetzten Prinzessin gibt er großzügig eine Chance: wenn sie seinen Namen in Erfahrung bringt, geht er in den Tod. Die Sklavin Liù, die Kalafs Identität kennt und ihn liebt, stirbt lieber, als Turandot dessen Namen zu nennen. Turandots verhärtetes Herz wird vom Selbstmord Liùs  erschüttert, sie willigt ihn die Heirat ein.

Was ist zu beachten?
Der Preis (Liùs Tod), der für das Opernfinale (Heirat) zu zahlen war, läßt kein Happy-End Gefühl zu, die Metamorphose Turandots vom Eisklotz zur aufgetauten Frau blieb ein künstlerisch und kompositorisch nicht überwindbares Hindernis. Puccinis letzte Oper blieb unvollendet, nach dem Tod Liùs im letzten Akt brach der Komponist im Frühjahr 1924 ab, im selben Jahr wurde bei ihm Krebs diagnostiziert, in November 1924 starb er. Die letzte Karlsruher Inszenierung in der Saison 2005/2006 trug dem Rechnung und zeigte nur, was Puccini komponierte. Diesmal spielt man wieder die von Franco Alfano fertig komponierte Fassung, die formal die Handlung beendet, aber nicht überzeugt. Die Psychologie hinter Turandots Ängsten mag ja formal interessant sein, sie läßt sich aber kaum operninszenatorisch angemessen darstellen. Über Andeutungen gehen Regisseure deshalb meistens kaum hinaus, es bleibt das Märchen oder Ausstattungstück - und das ist auch legitim. Die Karlsruher Inszenierung setzt genau hier an - man will nichts erklären, nur zeigen, eine visuelle Turandot, die Märchen mit Science Fiction vermischt und doch wie eine mediale Steinzeitproduktion wirkt, denn originell, überraschend oder innovativ wirkt hier gar nichts.

Was ist zu sehen?
Ein komplett ambitionslose und dramaturgiefreie Personenregie trifft auf eine visuelle Umsetzung, bei der Mediendesign nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist. Oper ist die integrative Kunstform, hier wird sie durch Medientechnik zu zwei nicht zusammenwirkenden Erlebnissen segregiert, Oper und Video gehen keine inspirierende Beziehung ein, sondern stehen nicht integriert nebeneinander. Während im Vordergrund verkleidete Sänger auftreten, rumstehen und singen und in statischer Grundhaltung Alibi-Bewegungen ausführen, bevor sie abgehen, sind im Hintergrund Filmchen zu sehen, die in keiner bemerkenswerten Verbindung zum Geschehen stehen. Beliebig wirkende Videospielästhetik mit rotem Plastikdrachen (für automatisiertes Prinzen-Fließbandköpfen) stehen für Peking und futuristische Exotik. Die Kostüme wiederholen Abgestandenes, Kalaf ist in militärischem Kampfanzug, Timur ein ehemaliger Oberbefehlshaber, Liù eine Krankenschwester, Turandot hingegen trägt silbern Glitzerndes, ihre Garde kombiniert Tauchermaske zu Fechtanzug mit Leucht-Einwinkstab vom Flughafen. Stimmung und Atmosphäre kommen aus dem Orchestergraben, werden aber von der Inszenierung nur geringfügig aufgegriffen und visuell als Kitsch aufgearbeitet. Das Ergebnis wirkt wie ein Unfall: man schaut hin, aber ohne aufrichtige Anteilnahme. 

Was ist zu hören?
Die Stars der gestrigen Premiere waren das Orchester und der Staatsopernchor, der von Ulrich Wagner perfekt vorbereitet erschien und wesentlicher Stimmungsträger war. Szenisch hatten die Sänger nicht viel zu tun, die meiste Zeit steht man rum, geht ab und kehrt zurück oder darf Fähnchen schwenken; stimmlich hingegen wirkte der Chor imposant. Die Farbenvielfalt der Partitur wurde von der Badischen Staatskapelle grandios musiziert, Dirigent Johannes Willig brauchte allerdings Anlaufzeit, dem Finale des ersten Aktes fehlte die unwiderstehliche Steigerung, das Publikum saß nicht auf der Sitzkante. Der große Spannungsbogen gelange ihm erst ab dem zweiten Akt.
Bei den Sängern gab es Licht und Schatten. Als Turandot hat man mit der russischen Sopranistin Elena Mihailenko eine gute Gastwahl getroffen, ihre Stimme überzeugte als herrische Turandot, als verletzliche junge Frau wollte sie an den Aktenden aber kaum wirken, die Regie ließ sie allerdings auch im Stich. Daß Rodrigo Porras Garulo über Ausdruckskraft und ein sehr schönes männliches Timbre verfügt, ist inzwischen bekannt. Kalaf scheint dennoch keine 100%ige Paraderolle für ihn, denn sehr viel hängt ab von der einen Arie. Nessun dorma hatte gestern keine strahlende Selbstgewißheit, das abschließende Vincerò brach der Tenor schnell ab, ohne der letzten Silbe Stärke zu verleihen - dennoch ein überzeugender und guter Auftritt, der an zentraler Stelle noch Luft nach oben hat. Als Liù war Agnieszka Tomaszewska leider die Enttäuschung des Abends. Sie blieb ihrer Arie im ersten Akt alles schuldig, ihr Auftritt im dritten Akt gelang besser, doch auch hier fehlte letztendlich das Tragische und Engelsgleiche, ihre Liù erhebt sich nicht, stimmlich blieb sie zu geerdet. Ohne Fehl und Tadel: Edward Gauntt  (Ping), Klaus Schneider (Pang), Matthias Wohlbrecht (Pong), Vazgen Gazaryan als Timur und Johannes Eidloth als Altoum. Insbesondere Seung-Gi Jung fiel auf, dem verkündenden Mandarin verhalf er mit markantem Bariton zu rollendeckender Aufmerksamkeit.
  
Fazit: Tja, das kriegt nur ein suboptimal geleitetes Theater zustande: ein Symposium zu Opern- und Medienkunst abhalten und dafür diese Murks-Produktion einkaufen, die als negatives Beispiel zeigt, wie man es nicht machen sollte. Ohne tiefere Perspektive dümpelt die Inszenierung an einer banalen Oberfläche, die schnell ermüdet. Nur das Anhören lohnt den Besuch.

Besetzung und Team
Turandot: Elena Mihailenko
Der unbekannte Prinz (Kalaf): Rodrigo Porras Garulo
Liù, junge Sklavin: Agnieszka Tomaszewska     
Timur, entmachteter König der Tartaren: Vazgen Gazaryan 
Ping, Leiter der Hofkanzlei: Edward Gauntt
Pang, Leiter des Hofamts: Klaus Schneide
Pong, Leiter der Hofküche: Matthias Wohlbrecht
Ein Mandarin: Seung-Gi Jung
Altoum, Kaiser von China:  Johannes Eidloth
 
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Chor:  Ulrich Wagner
  
Regie: Fabio Cherstich
Video, Bühne, Kostüme: AES+F
Licht: Marco Giusti

4 Kommentare:

  1. Obgleich nicht immer einer Meinung mit Ihrer (manchmal harschen) Kritik, kann ich Ihnen in diesem Fall (leider) nur vollkommen zustimmen: Was für eine Enttäuschung, diese "Inszenierung"!

    Das mehrdimensional angelegte Musiktheater verkommt zum Videoclip mit - im wahrsten Sinne des Wortes - einschläfernder Motorik. Das ständige Kreisen, sich Wiederholen, Generieren, Gleiten in Zeitlupe verleitet den unangenehm hypnotisch berührten Betrachter nur zum Augenschließen. Die gezeigte Ästhetik ist irgendwo am Beginn der Nullerjahre verortet und erinnert in den "clever" multiplizierten, aber sich dauernd wiederholenden Objektfahrten eher an "Star Wars: Episode I" (1999). In der Jubiläumsausstellung des ZKM hätten die Bilder medienhistorisch ihren Platz. 20 Jahre später ist die Animationstechnik aber "Lichtjahre" weiter. Hätte man sich doch einfach in der nicht ganz unbedeutenden Karlsruher "Gaming"-Szene der Spieleentwickler umgehört, oder vorher (d.h. vor dem parallelen Symposium "Oper & Medienkunst") beim ZKM angeklopft, das mit den "Schlosslichtspielen" teilweise sehr beeindruckende Video-Animationen präsentiert. Der späte Kitsch der barbusigen Katze und des Riesenbaby-Buddhas war vermutlich "ironisch" gemeint. Falls nein: oh je ...

    Sicher, man hätte die Videowände, deren technische Brillanz eigentlich einen neuen Freiheitsgrad der Bühnentechnik darstellen könnte, auch einfach als Hintergrundbilder zur Bühnenaktivität hinnehmen können. Aber dort: auch nichts! Außer mühsam an- und ausgeknipster "Laserschwerter" und statischen Posen wenig Aktion. Geschweige denn "Inter"-Aktion. Turandots Metamorphose von der LED-gekrönten "Königen der Nacht" zur platinblonden "Elsa von Brabant" erschloss sich dem Betrachter nicht. Und Tarnanzüge mit dunklen Sonnenbrillen (Calef) sind spätestens seit Giancarlo del Monacos "Nabucco"-Inszenierung von 1991 mit Nebukadnezar als Saddam Hussein einfach out.

    Großes Mitleid auch für den bonbon-pastellfarben kostümierten Chor, der akustisch sein Bestes gab. Wenigstens eine kleine Entschädigung. So wie die Aufführung auch insgesamt die sehr gute musikalische Basis für einen großen Erfolg geliefert hätte. Die scharfe Differenzierung zwischen den lauten Bravos für Sänger und Musik und den vielen Buhs für das Inszenierungsteam verdeutlichten das Dilemma des Abends.

    Oper im 21. Jahrhundert soll - ja muss! - sich der technischen Möglichkeiten und Stilmittel der Gegenwart bedienen. Aber nicht so. Eine vertane Chance. Wir hatten uns sehr neugierig auf viel mehr gefreut.

    Und zuletzt noch ein persönlicher Wermutstropfen: Warum meint das doch als kultiviert geltend sollende Premierenpublikum - zumindest bei uns in den vorderen Reihen des Ranges (also nicht auf den "billigen Plätzen") - dauernd während der Musik alles kommentieren zu dürfen? Egal, ob einem die Inszenierung gefällt oder nicht: eine große Respektlosigkeit vor den darstellenden Künstlern und dem restlichen Publikum.

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    1. Vielen lieben Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. "Einschläfernd" ist für die Inszenierung aus meiner Sicht das richtige Wort, musikalisch und sängerisch hingegen war es aufregend mit Steigerungspotenzial.
      Sie nennen "Star Wars: Episode I", mich erinnerte die fliegenden Autos an Luc Bessons "Das fünfte Element" (1997), aber halt nur als Abklatsch. Die von Ihnen genannten Schloßlichtspiele" des ZKM sind origineller als die hier gezeigten Videosequenzen. Und das ist auch die große Enttäuschung: man hat schon innovativere Oper gezeigt, die beiden Yuval Sharon Inszenierung zu Dr. Atomic und Das kleine Füchslein übertragen Stimmung und Atmosphäre. Den Vergleich hält Turandot nicht stand.

      Das ideale gute Publikum läßt Eindrücke auf sich wirken, ein schlechtes Publikum will seine Eindrücke unreflektiert ausdrücken - das gab es schon immer. Sie hatten also Pech, bei mir im Parkett war es ruhig.

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  2. Möchte jemand noch ein Eis?
    Man sollte auch 2020 nicht versuchen anderes,beides oder gleiches zu sein.Gerade 2020 sollte man sich auf eigene Stärken und das Besondere besinnen.
    Wer Leinwand mag - ab ins Kino,ein Theater,eine Bühne (und in dieser Größe) ist was ganz anderes.
    Möglich,daß die Obrigkeit zu plump um das zu verstehen,eine Konkurrenz mit Kino braucht das nicht.Da hat jemand/haben viele eine Grundessenz überhaupt nicht verstanden.
    15 min Werbung.....

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  3. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Oper und Bühnengeschehen kann von Video und Projektionen profitieren, wenn sie sinnvoll eingesetzt werden. Beispiele dafür gibt es bereits einige. Einfach nur im Hintergrund ständig Filmchen laufen zu lassen, ist aber definitiv keine taugliche Idee, wie man bei dieser Produktion erleben kann.

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